Faust I und II - Am Berliner Ensemble musicalisieren Robert Wilson und Herbert Grönemeyer Goethe
Das Ewig-Wilsonliche zieht uns hinan
von Matthias Weigel
Berlin, 22. April 2015. Was für ein Event! Was Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles, dem zukünftigen Volksbühnen-Leiter vorwirft, findet natürlich regelmäßig an seinem eigenen Hause statt. Und zwar sehr erfolgreich: Theater als Event, Theater als Show, Theater als Unterhaltung – und auch Theater als Musical. Robert Wilson und Herbert Grönemeyer haben aus Goethes "Faust I" und "II" ein nahezu durchkomponiertes Musical nach Disney-Bauart gemacht. Geometrischer Formalismus trifft sentimentalen Deutschrock – und zwei Goethe-Texte, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Homunculus-Ragtime und Griechischer-Götter-Rap
Vor zwölf Jahren arbeiteten Grönemeyer und Wilson erstmals an Büchners Leonce und Lena zusammen. Beide hatten sich in den Achtzigern über Grönemeyers inzwischen verstorbene Frau kennengelernt, die am Schauspiel Köln in einer Wilson-Inszenierung spielte. Liest man die alten Kritiken, so scheint Grönemeyer damals ähnlich herangegangen zu sein, wie auch diesmal – und zwar so, wie man ihn eben kennt: direkt und eindeutig. (Die Bösen würden sagen: humorlos.) Der Frühlingsspaziergang ("Vom Eise befreit…") bekommt eine in Dur erstrahlende Chor-Nummer, die Umbaupausen klingen nach Neuer-Deutscher-Welle-Synthesizer, und schließlich ein grummeliger Rammstein-Choral für die Walpurgisnacht: "Erleuchtet nicht zu diesem Feste / Herr Mammon prächtig den Palast? / Ein Glück, dass du's gesehen hast, / Ich spüre schon die ungestümen Gäste." Ein Homunculus-Ragtime, Palast-Cembalo-Musik und ein Griechischer-Götter-Rap begleitet vom achtköpfigen Orchester werden im zweiten Teil folgen. Würde Grönemeyer selbst singen (über die Zugabe am Ende hinaus gehend) – es hätte die Songs immerhin um einiges markanter gemacht.
Der erste Teil rauscht nur so durch. Kaum ist der Pakt geschlossen – nicht nur Auerbachs Keller wurde gestrichen –, ist auch schon der Verjüngungstrank eingenommen und der Schmuck verschenkt. Wie mit einem Suchscheinwerfer setzt Wilson immer wieder Spots auf einzelne Szenen – und schwenkt zügig weiter. Nachvollziehbare Zusammenhänge oder eine stringente Entwicklung sind ihm nicht wichtig.
Vier Fäuste ohne Halleluja
Deshalb kommt dieser Faust auch mindestens vierfach daher, Gretchen dreifach, Valentin doppelt. Ihre Texte: jeweils fragmentiert, aufgeteilt. Mal oben, mal unten, mal hinten taucht Fausts bleichgeschminkter Kopf mit Kung-Fu-Meister-Kinnbart aus dem Dunkel ins Licht und gibt seine bekannten Verse. Reichlich abstrakt, kontrastreich und bildhaft also, wie bei Regisseur Wilson üblich. Somit gibt es im ersten Teil nur eine richtige Figur, an der man haften bleibt: den androgynen Mephisto, gespielt von Christopher Nell. Er ist entspannter Kumpel-Typ, kein Wut-Zwerg, sondern ein lässiger Macher. Barbäuchig zurückgelehnt schreitet er die Bühne ab, mischt sich hier und dort ein, veräppelt, kommentiert, ironisiert.
Überhaupt nimmt die Regie bei "Faust" nicht viel ernst: "lustig", hieß es in einem Interview, wolle man "Faust" inszenieren – und vor allem albern ist er an vielen Stellen geworden. Etwa wenn Mephisto aus Langeweile an den Brüsten der Engel herumzupft oder im zweiten Teil unter der Bischofskutte ein erigierter Riesenpenis hervorschnellt.
Was macht der Gepard hier?
Nur selten stellt sich daher beim Zuschauen der Wilson-Effekt ein, in einer hypnotisierenden Komposition von Raum, Körper und Bewegung zu versinken. Eine dieser wenigen Szenen ist die Projektion eines Geparden in Super-Zeitlupe im zweiten Teil. Davor laufen die Darsteller in Zeitlupe an der Projektion vorbei, die Bewegungen verschmelzen, die Zeit dehnt sich. Aber was macht der Gepard nochmal bei "Faust II"? Geschenkt, das Figurenpersonal und die Handlung sind im zweiten Teil sowieso so zerfahren, dass der Text an erster Stelle einen sportlichen Anreiz an die Theatermacher darstellt.
Die Suchscheinwerfer-Methode des erstens Teiles führt die krude Handlung von "Faust II" allerdings völlig ad absurdum. Fünf Minuten Papiergeld-Erfindung, Karneval im Palast, eine Stepp-Einlage vor Wagners Labor. Kaum ist ein Bild aufgebaut, gehen die Scheinwerfer aus für den nächsten Umbau. So stückelt sich die Inszenierung in der zweiten Hälfte dahin, bis Faust sich schließlich als Hundertjähriger verplappert und die Wette verliert. Bei Wilson wird er aber nicht von Engeln dem Teufel weggeschnappt. Vielmehr sitzen Faust und Mephisto wie eineiige Zwillinge auf einer Bank (sie werden doch wohl nicht ein und dieselbe Person sein?) und fragen sich, was sie jetzt tun sollten.
Bevor ihnen langweilig wird, dürfen sie dann aber – wie es sich für so einen Event eben gehört – nochmal alle zusammen auf die Bühne zur Abschieds-Hymne: "Alles Vergängliche Ist nur ein Gleichnis; Das Unzulängliche, Hier wird's Ereignis; Das Unbeschreibliche, Hier ist's getan; Das Ewig-Weibliche, Zieht uns hinan."
Faust I und II
von Johann Wolfgang von Goethe
Regie, Bühne und Lichtkonzept: Robert Wilson, Musik und Lieder: Herbert Grönemeyer, Kostüme: Jacques Reynaud, Mitarbeit Regie: Ann-Christin Rommen, Mitarbeit Musik/Sound Design: Alex Silva, Dramaturgie: Jutta Ferbers, Anika Bárdos, Mitarbeit Bühne: Serge von Arx, Mitarbeit Kostüme: Wicke Naujoks, Musikalische Leitung: Hans-Jörn Brandenburg, Stefan Rager, Musikalische Arrangements: Herbert Grönemeyer, Alex Silva, Zusätzliche Orchester-Arrangements: Hans-Jörn Brandenburg, Alfred Kritzer, Lennart Schmidthals, Licht: Ulrich Eh, Videoprojektionen: Tomek Jeziorski.
Mit: Antonia Bill, Christina Drechsler, Anna von Haebler, Dorothee Neff, Friederike Nölting, Theresa Riess, Laura Tratnik, Raphael Dwinger, Lukas Gabriel, Matthias Mosbach, Christopher Nell, Luca Schaub, Marvin Schulze, Joshua Seelenbinder, Samuel Simon, Fabian Stromberger, Felix Tittel, Nicolaas van Diepen, Alexander Wanat. Orchester: Stefan Rager (Percussion, Computer), Hans-Jörn Brandenburg (Elektronisches Klavier, Computer), Joe Bauer (Klänge, Geräusche), Michael Haves (Synthesizer, Bass, Gitarre), Ilzoo Park (Violine), Sophiemarie Yeungchie Won (Violine), Min Gwan Kim (Viola), Hoon Sun Chae (Violoncello).
Dauer: 4 Stunden, eine Pause
www.berliner-ensemble.de
In der Zeit (23.4.2015) schreibt Peter Kümmel, der eine Voraufführung gesehen hat: "Wilson hat sie alle am Faden, Faust, Gretchen, Helena: Marionetten, von oben gezogen, zu schwer für die Himmelfahrt. (...) Womöglich ist das ganze Spiel Ausdruck eines Kontrollzwangs und Sicherheitswahns, ein Versuch der Züchtigung allen Willens." Grönemeyers Musik habe "vor allem im schwächeren ersten Teil" dienende Funktion, später blieben auch Songs im Gedächtnis (wie "Zum sehen geboren..."). Doch ab und zu "kippt die feine Balance aus Zauber und Peinlichkeit, die diesem Abend ansonsten ihren Reiz gibt." Das Auftauchens Mephistos als Pude gelinge so "grob-schmissig, als hätte man Disneys '101 Dalmatiner' zum Musical verarbeitet und eine Randfigur, dieser Pudel, wäre daraus ins BE entsprungen."
"Zum Staunen, Raunen und Augenüberlaufen" findet Christine Dössel den Abend in der Süddeutschen Zeitung (24.4.2015), "der die kindliche Schau- und Theaterlust des Menschen befriedigt. Seine Märchenseligkeit." Sie erlebte ein rockiges, manchmal ein bisschen kitschiges, aber ungeheuer bilderstarkes "Faust"-Musical, dem man in jeder Szene ansehe, wie viel Arbeit und Feinschliff darin stecken, wie viel Liebe zum Detail und zum Effekt. Zwar sei Faust nur "ein vierfacher Fäustling", dafür sei Christopher Nell als Mephisto "ein Theatertier".
Manchmal, "wenn die Umstände stimmen und die Sterne ihm günstig stehen", sehe man immer noch, dass sich Robert Wilson den internationalen Ruhm zu Recht erworben habe, schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (24.4.2015) – wie bei seiner "Faust"-Inszenierung. "Natürlich erzählt Robert Wilson nicht die verrückte Geschichte des verwegenen Gelehrten Heinrich Faust und seiner Versuche, herauszukriegen, 'was die Welt im Innersten zusammenhält'. Wilson kann ja überhaupt keine Geschichten erzählen, aber er kann atmosphärische Räume und sinnliche Szenenfolgen schaffen, die in ihrer kühl beredten wie antinaturalistischen Bildhaftigkeit sehr wohl die Figuren, ihr Denken und Fühlen vermitteln."
"Ein ganz und gar unstrapaziöses Bilderbuch des Tiefsinns zum Mitschunkeln" hat Ulrich Seidler erlebt, wie er in Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung (24.4.2015) zu Protokoll gibt. Dieses "Überraschungsei von Theaterabend" sei abwechslunsgreich: "Laute Momente folgen auf leise, schnelle auf langsame, lustige auf ernste, spektakuläre auf unspektakuläre. Immer wenn es finster wird, kann man sicher sein, dass irgendwo ein Lichtlein herkommt. Und das ist – Tragödie hin oder her – auch im übertragenen Sinn gemeint." Vor diesem "Richtigmachertheater" kapituliert Seidler auf humorvolle Weise.
Robert Wilson lege mit seiner Systematik, der das Zauberische verloren geht, das Skelett des Textes frei, formuliert Rüdiger Schaper im Tagesspiegel (24.4.2015): "'Faust', eine Nummernrevue." Schaper lobt Christopher Nell, sein Fazit bleibt nüchtern: "Faust und Mephisto fliegen viel. Doch hier hebt niemand ab."
"Der Einzige, der so etwas wie langfristige Individualität entwickeln darf, ist Christopher Nell als Mephisto, aber der ist dann auch wirklich großartig", findet auch Matthias Heine in der Welt (24.4.2015). "Wie er den Rockerteufel mit breitbeiniger enghosiger Hair-Metal-Coolness spielt und singt, macht sogar einen solchen Fließband-Wilson sehenswert. Aber Nell bleibt doch innerhalb des Konzepts und übersteigt es nie. Was diese Wilson-Inszenierung so berechenbar macht, ist das Fehlen von Schauspielern, die wenigstens mal für einen magischen Augenblick das Konzept sprengen".
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http://www.livekritik.de/livekritiken/livekritik-von-theaterguide-zu-goethewilsongr%C3%B6nemyer-faust-i-und-ii/
Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2015/05/20/wenn-texaner-traumen/#more-4476
Robert Wilson treibt seine unverkennbare Regiehandschrift hier auf die Spitze. Alles, was seine treuen Anhänger lieben und seine Gegner als seriellen Kunstgewerbe-Kitsch verachten, erleben wir hier bei seiner letzten Regiearbeit am Berliner Ensemble noch einmal: die dick aufgetragene weiße Schminke, wilde Frisuren, stilisierte, oft puppenartige Bewegungen, Scherenschnitte und opulente Kostüme.
Aus diesen Zutaten mixt Wilson eindrucksvolles Variète-Bildertheater mit viel Liebe fürs Detail: Mephisto (Christopher Nell) hat den Faust gleich in vierfacher Ausführung (Joshua Seelenbinder, Fabian Stromberger, Nicolaas van Diepen und Alexander Wanat von der HfS Ernst Busch) an seiner Seite. Er führt ihn durch einen bunten Szenenreigen, wie ein Schmetterling flattern die beiden zur nächsten schillernden Blüte. Im Vordergrund des Regiekonzepts stehen statt tiefgründiger Textexegese die Ästhetik der Oberfläche, aus der Vorlage wird so viel komisches Potenzial wie möglich herausgekitzelt und beim Riesen-Dildo unter der Bischofskutte dabei auch mal weit über das Ziel ins Nirvana der Albernheiten hinausgeschossen.
Aber unter dem Strich funktioniert das Konzept erstaunlich gut. Dafür sorgen auch die musikalischen Intermezzi, die nicht nur die Umbaupause zwischen den Szenen-Häppchen verkürzen, sondern in ihrer Vielfalt den Ohren schmeicheln. Statt des unverkennbar-knödelnden Grönemeyer-Sounds unternimmt der Komponist interessante Ausflüge von Barock über Hip Hop bis Ragtime.
Nach den vier Stunden erntete das Ensemble großen Applaus, viele Reiseveranstalter werden sich den Faust von Wilson/Grönemeyer als unterhaltsamen Theaterabend, der niemand überfordert, in ihr Berlin-Programm aufnehmen.
Das BE hat einen Wilson bestellt und einen echten Wilson bekommen, der die Zielgruppe glücklich macht. An der Schaubühne ist dieses Konzept mit Reza diesmal leider nicht aufgegangen.
http://kulturblog.e-politik.de/archives/25011-promi-theater-keine-bella-figura-an-der-schaubuehne-aber-nina-hoss-dreht-durch-vor-glueck-wilsongroenemeyer-machen-nationaldrama-faust-zum-musical.html
Ich deute die „Event“-Befürchtung eher als die Befürchtung vor fehlender kultureller Nachhaltigkeit. Ein Vorbeiflirren von Petitessen, die wenig bis gar nicht mit der Stadtbevölkerung und deren Bedürfnissen und Interessen verknüpft sind sondern eher vorbeiziehende, internationale Personen ins Haus holen soll.
Diese Grundüberlegung trifft sicher auch auf Musical zu, aber diese Grundausrichtung können Sie Peymann ganz sicher nicht unterschieben. Auch nicht mit den Wilson-Produktionen. Kaum ein Theaterleiter entwickelt so nachhaltiges und intensives Interesse für seinen Theaterstandort, sein Publikum und versucht bei einer eher leicht wirkenden Oberfläche intensiv Gedanken vorzustellen und zu diskutieren.
Vielleicht muss Peymann und Castorf Berlin erst verlassen haben und die neuen Leitungen in Amt und Würden sein, dass auch Sie diese Befürchtungen seriös zu reflektieren. In Wien haben auch erst nach Peymanns Weggang etliche ehemalige Feinde kapiert welche Qualität einer Theaterleitung nun zu vermissen ist.
das jetzige Programm hat nichts mit dem in Wien oder Peymanns vorangegangenen Stationen zu tun. Es wird Zeit, dass ein neuer Intendant ankommt; warten wir doch erst einmal ab, was kommt, bevor wir den Stab über Neuankömmlinge brechen.
Und bitte erklären Sie mir, was Peymanns für die Berliner getan hat? Austauschbares Theater, nach Touristen schielend...
Peymann hat für Berlin großartiges Theater möglich gemacht. Was heißt denn nach Touristen schielend? Über die Hälfte der BE-Besucher sind Berliner. Und was spricht gegen Touristen? Sind das weniger gute oder gebildete Theaterbesucher? Zudem hat Peymann, ebenso wie die Schaubühne, eine GmbH zu leiten. Das ist etwas ganz anderes als ein Staatstheater, das auf viel sichereren Füßen steht.
Castorf tut an seinem Haus, was richtig ist.
Ich freue mich auf beide neue Theaterleiter im Sommer 2017, aber ich bin auch echt dankbar für die Dinosaurier, deren Arbeit wir noch bis dahin erleben dürfen.
Ich bin natürlich Touristin, wenn ich in Berlin bin.
Bei all meinen Besuchen in Berliner Theater, die von der Zahl her sicher nicht repräsentativ sind, habe ich außer in BE ein eher "unterkühltes", distanziertes Publikum erlebt, das dem Medium Theater nicht wirklich interessiert gegenüber zu stehen scheint. Mir wurde erklärt, das sei halt in Berlin so, ganz anders als in Wien.
Nun meine ich als Wienerin, das halt für einen Theaterbesuch Liebe und Freude, Interesse und Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Künstlern dazugehört. Und das konnte Peymann nach meinen Beobachtungen dem Publikum des Berliner Ensembles "anerziehen". Es zeigt sich begeistert, angesprochen und mit dem Haus "vernetzt". Oder sind das die Touristen, die diese gute Stimmung ins Haus bringen?
Persönlich glaube ich, dass diese Einladung an die Zuschauer graue Fakten und Zahlen, Depressionen und gesellschaftliche Zwänge zuhause zu lassen und entspannt und aufnahmebereit in dem „Sandkasten Berliner Ensemble“ mitzuspielen eine unbezahlbare Leistung ist, die Peymann dem Berliner Publikum machen konnte, weil es offensichtlich zur Theaterwahrnehmung in einer gedanklich spielerischen Form nicht tendiert. Auch Sie haben irgendwie Bedenken in Richtung Lächerlichkeit.
Diesen spielerischen Umgang mit Kreativität sowie gesellschaftlicher Interaktion sollte Theater fördern, thematisieren und vor allem bieten. Da meine ich, dass Peymann vielen seiner Kollegen weit überlegen ist.
Die kühle Präsentation ohne spielerische, "lächerliche" und verunsichernde Elemente geht mir nicht unter die Haut, langweilt mich. Bei aller Achtung vor präziser Recherche und Definition, die Sie wahrscheinlich anspricht, sollte der Transport ein spielerischer, kindlich entspannter sein. Das andere Feld sollte man Medien und Wissenschaften überlassen.
Zudem scheint zu oft vergessen zu werden, dass Theater nicht intellektuell sein muss, viel mehr beschneidet man das Theater in seinen Ausdrucksmöglichkeiten, wenn man es denn nur noch erlauben möchte, wenn es klug ist, aufklärt, ein bisschen überfordert und dem Zuschauer so viele Spiegel ins Gesicht wirft, dass eben jener schon Scherben in den Augäpfeln stecken hat.
Theater ist und bleibt Kunst und zwar kann Kunst all das machen, was ich oben ausgeführt habe, sie kann und darf aber noch viel mehr. Kunst darf schön sein, Kunst darf sinnlos sein, Kunst darf Selbstzweck sein.
Wer ins Theater geht, nur um belehrt zu werden, der verachtet das Theater und seine Möglichkeiten.