Das Ewig-Wilsonliche zieht uns hinan

von Matthias Weigel

Berlin, 22. April 2015. Was für ein Event! Was Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles, dem zukünftigen Volksbühnen-Leiter vorwirft, findet natürlich regelmäßig an seinem eigenen Hause statt. Und zwar sehr erfolgreich: Theater als Event, Theater als Show, Theater als Unterhaltung – und auch Theater als Musical. Robert Wilson und Herbert Grönemeyer haben aus Goethes "Faust I" und "II" ein nahezu durchkomponiertes Musical nach Disney-Bauart gemacht. Geometrischer Formalismus trifft sentimentalen Deutschrock – und zwei Goethe-Texte, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Homunculus-Ragtime und Griechischer-Götter-Rap

Vor zwölf Jahren arbeiteten Grönemeyer und Wilson erstmals an Büchners Leonce und Lena zusammen. Beide hatten sich in den Achtzigern über Grönemeyers inzwischen verstorbene Frau kennengelernt, die am Schauspiel Köln in einer Wilson-Inszenierung spielte. Liest man die alten Kritiken, so scheint Grönemeyer damals ähnlich herangegangen zu sein, wie auch diesmal – und zwar so, wie man ihn eben kennt: direkt und eindeutig. (Die Bösen würden sagen: humorlos.) Der Frühlingsspaziergang ("Vom Eise befreit…") bekommt eine in Dur erstrahlende Chor-Nummer, die Umbaupausen klingen nach Neuer-Deutscher-Welle-Synthesizer, und schließlich ein grummeliger Rammstein-Choral für die Walpurgisnacht: "Erleuchtet nicht zu diesem Feste / Herr Mammon prächtig den Palast? / Ein Glück, dass du's gesehen hast, / Ich spüre schon die ungestümen Gäste." Ein Homunculus-Ragtime, Palast-Cembalo-Musik und ein Griechischer-Götter-Rap begleitet vom achtköpfigen Orchester werden im zweiten Teil folgen. Würde Grönemeyer selbst singen (über die Zugabe am Ende hinaus gehend) – es hätte die Songs immerhin um einiges markanter gemacht.

Faust2 560 LucieJansch uFehlt nur noch die Showtreppe: Szene aus "Faust II" © Lucie Jansch

Der erste Teil rauscht nur so durch. Kaum ist der Pakt geschlossen – nicht nur Auerbachs Keller wurde gestrichen –, ist auch schon der Verjüngungstrank eingenommen und der Schmuck verschenkt. Wie mit einem Suchscheinwerfer setzt Wilson immer wieder Spots auf einzelne Szenen – und schwenkt zügig weiter. Nachvollziehbare Zusammenhänge oder eine stringente Entwicklung sind ihm nicht wichtig.

Vier Fäuste ohne Halleluja

Deshalb kommt dieser Faust auch mindestens vierfach daher, Gretchen dreifach, Valentin doppelt. Ihre Texte: jeweils fragmentiert, aufgeteilt. Mal oben, mal unten, mal hinten taucht Fausts bleichgeschminkter Kopf mit Kung-Fu-Meister-Kinnbart aus dem Dunkel ins Licht und gibt seine bekannten Verse. Reichlich abstrakt, kontrastreich und bildhaft also, wie bei Regisseur Wilson üblich. Somit gibt es im ersten Teil nur eine richtige Figur, an der man haften bleibt: den androgynen Mephisto, gespielt von Christopher Nell. Er ist entspannter Kumpel-Typ, kein Wut-Zwerg, sondern ein lässiger Macher. Barbäuchig zurückgelehnt schreitet er die Bühne ab, mischt sich hier und dort ein, veräppelt, kommentiert, ironisiert.

Überhaupt nimmt die Regie bei "Faust" nicht viel ernst: "lustig", hieß es in einem Interview, wolle man "Faust" inszenieren – und vor allem albern ist er an vielen Stellen geworden. Etwa wenn Mephisto aus Langeweile an den Brüsten der Engel herumzupft oder im zweiten Teil unter der Bischofskutte ein erigierter Riesenpenis hervorschnellt.

Was macht der Gepard hier?

Nur selten stellt sich daher beim Zuschauen der Wilson-Effekt ein, in einer hypnotisierenden Komposition von Raum, Körper und Bewegung zu versinken. Eine dieser wenigen Szenen ist die Projektion eines Geparden in Super-Zeitlupe im zweiten Teil. Davor laufen die Darsteller in Zeitlupe an der Projektion vorbei, die Bewegungen verschmelzen, die Zeit dehnt sich. Aber was macht der Gepard nochmal bei "Faust II"? Geschenkt, das Figurenpersonal und die Handlung sind im zweiten Teil sowieso so zerfahren, dass der Text an erster Stelle einen sportlichen Anreiz an die Theatermacher darstellt.

Die Suchscheinwerfer-Methode des erstens Teiles führt die krude Handlung von "Faust II" allerdings völlig ad absurdum. Fünf Minuten Papiergeld-Erfindung, Karneval im Palast, eine Stepp-Einlage vor Wagners Labor. Kaum ist ein Bild aufgebaut, gehen die Scheinwerfer aus für den nächsten Umbau. So stückelt sich die Inszenierung in der zweiten Hälfte dahin, bis Faust sich schließlich als Hundertjähriger verplappert und die Wette verliert. Bei Wilson wird er aber nicht von Engeln dem Teufel weggeschnappt. Vielmehr sitzen Faust und Mephisto wie eineiige Zwillinge auf einer Bank (sie werden doch wohl nicht ein und dieselbe Person sein?) und fragen sich, was sie jetzt tun sollten.

Bevor ihnen langweilig wird, dürfen sie dann aber – wie es sich für so einen Event eben gehört – nochmal alle zusammen auf die Bühne zur Abschieds-Hymne: "Alles Vergängliche Ist nur ein Gleichnis; Das Unzulängliche, Hier wird's Ereignis; Das Unbeschreibliche, Hier ist's getan; Das Ewig-Weibliche, Zieht uns hinan."

 

Faust I und II
von Johann Wolfgang von Goethe
Regie, Bühne und Lichtkonzept: Robert Wilson, Musik und Lieder: Herbert Grönemeyer, Kostüme: Jacques Reynaud, Mitarbeit Regie: Ann-Christin Rommen, Mitarbeit Musik/Sound Design: Alex Silva, Dramaturgie: Jutta Ferbers, Anika Bárdos, Mitarbeit Bühne: Serge von Arx, Mitarbeit Kostüme: Wicke Naujoks, Musikalische Leitung: Hans-Jörn Brandenburg, Stefan Rager, Musikalische Arrangements: Herbert Grönemeyer, Alex Silva, Zusätzliche Orchester-Arrangements: Hans-Jörn Brandenburg, Alfred Kritzer, Lennart Schmidthals, Licht: Ulrich Eh, Videoprojektionen: Tomek Jeziorski.
Mit: Antonia Bill, Christina Drechsler, Anna von Haebler, Dorothee Neff, Friederike Nölting, Theresa Riess, Laura Tratnik, Raphael Dwinger, Lukas Gabriel, Matthias Mosbach, Christopher Nell, Luca Schaub, Marvin Schulze, Joshua Seelenbinder, Samuel Simon, Fabian Stromberger, Felix Tittel, Nicolaas van Diepen, Alexander Wanat. Orchester: Stefan Rager (Percussion, Computer), Hans-Jörn Brandenburg (Elektronisches Klavier, Computer), Joe Bauer (Klänge, Geräusche), Michael Haves (Synthesizer, Bass, Gitarre), Ilzoo Park (Violine), Sophiemarie Yeungchie Won (Violine), Min Gwan Kim (Viola), Hoon Sun Chae (Violoncello).
Dauer: 4 Stunden, eine Pause

www.berliner-ensemble.de

 

Kritikenrundschau

In der Zeit (23.4.2015) schreibt Peter Kümmel, der eine Voraufführung gesehen hat: "Wilson hat sie alle am Faden, Faust, Gretchen, Helena: Marionetten, von oben gezogen, zu schwer für die Himmelfahrt. (...) Womöglich ist das ganze Spiel Ausdruck eines Kontrollzwangs  und Sicherheitswahns, ein Versuch der Züchtigung allen Willens." Grönemeyers Musik habe "vor allem im schwächeren ersten Teil" dienende Funktion, später blieben auch Songs im Gedächtnis (wie "Zum sehen geboren..."). Doch ab und zu "kippt die feine Balance aus Zauber und Peinlichkeit, die diesem Abend ansonsten ihren Reiz gibt." Das Auftauchens Mephistos als Pude gelinge so "grob-schmissig, als hätte man Disneys '101 Dalmatiner' zum Musical verarbeitet und eine Randfigur, dieser Pudel, wäre daraus ins BE entsprungen."

"Zum Staunen, Raunen und Augenüberlaufen" findet Christine Dössel den Abend in der Süddeutschen Zeitung (24.4.2015), "der die kindliche Schau- und Theaterlust des Menschen befriedigt. Seine Märchenseligkeit." Sie erlebte ein rockiges, manchmal ein bisschen kitschiges, aber ungeheuer bilderstarkes "Faust"-Musical, dem man in jeder Szene ansehe, wie viel Arbeit und Feinschliff darin stecken, wie viel Liebe zum Detail und zum Effekt. Zwar sei Faust nur "ein vierfacher Fäustling", dafür sei Christopher Nell als Mephisto "ein Theatertier".

Manchmal, "wenn die Umstände stimmen und die Sterne ihm günstig stehen", sehe man immer noch, dass sich Robert Wilson den internationalen Ruhm zu Recht erworben habe, schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (24.4.2015) – wie bei seiner "Faust"-Inszenierung. "Natürlich erzählt Robert Wilson nicht die verrückte Geschichte des verwegenen Gelehrten Heinrich Faust und seiner Versuche, herauszukriegen, 'was die Welt im Innersten zusammenhält'. Wilson kann ja überhaupt keine Geschichten erzählen, aber er kann atmosphärische Räume und sinnliche Szenenfolgen schaffen, die in ihrer kühl beredten wie antinaturalistischen Bildhaftigkeit sehr wohl die Figuren, ihr Denken und Fühlen vermitteln."

"Ein ganz und gar unstrapaziöses Bilderbuch des Tiefsinns zum Mitschunkeln" hat Ulrich Seidler erlebt, wie er in Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung (24.4.2015) zu Protokoll gibt. Dieses "Überraschungsei von Theaterabend" sei abwechslunsgreich: "Laute Momente folgen auf leise, schnelle auf langsame, lustige auf ernste, spektakuläre auf unspektakuläre. Immer wenn es finster wird, kann man sicher sein, dass irgendwo ein Lichtlein herkommt. Und das ist – Tragödie hin oder her – auch im übertragenen Sinn gemeint." Vor diesem "Richtigmachertheater" kapituliert Seidler auf humorvolle Weise.

Robert Wilson lege mit seiner Systematik, der das Zauberische verloren geht, das Skelett des Textes frei, formuliert Rüdiger Schaper im Tagesspiegel (24.4.2015): "'Faust', eine Nummernrevue." Schaper lobt Christopher Nell, sein Fazit bleibt nüchtern: "Faust und Mephisto fliegen viel. Doch hier hebt niemand ab."

"Der Einzige, der so etwas wie langfristige Individualität entwickeln darf, ist Christopher Nell als Mephisto, aber der ist dann auch wirklich großartig", findet auch Matthias Heine in der Welt (24.4.2015). "Wie er den Rockerteufel mit breitbeiniger enghosiger Hair-Metal-Coolness spielt und singt, macht sogar einen solchen Fließband-Wilson sehenswert. Aber Nell bleibt doch innerhalb des Konzepts und übersteigt es nie. Was diese Wilson-Inszenierung so berechenbar macht, ist das Fehlen von Schauspielern, die wenigstens mal für einen magischen Augenblick das Konzept sprengen".

Kommentare  
Faust I&II, Berlin: vorher schön kiffen
"Wir brauchen nicht noch eine Eventbude in dieser Stadt" - wie wahr, Claus Peymann, wir haben ja schon eine. Empfehlung für "Faust 1 & 2 - das Musical": schön vorher kiffen, sich eine Loge im 1. Rang reservieren (besonders geeignet ist Loge IV), den Sekt im Kühlbeutel dabei, die Bowle vom BE Tresen ist auch ganz gut. Dann einfach zurücklehnen und die Farben genießen. Wenn der Vorhang zu ist, die Augen schließen und sich mit zuckrigen Keyboardklängen das Hirn zukleistern lassen. Als Weihnachtsmärchen geeignet, wenn auch etwas früh in der Saison, den Kleinen wird's gefallen (auch ohne Bowle) - Faustel und Gretel, die sind jetzt im BE!
Faust I&II, Berlin: tolle Musiker
Zu dem Autor, der gern schön kifft! Wie wenig er (oder sie) in seiner/ihrer Loge von FAUST mitbekommen hat, ist schlicht von der Tatsache abzulesen, daß er/ sie nicht gemerkt hat, wer da Grönemeyers fabelhafte Musik musiziert: es ist nicht das Keyboard, es sind 8 Musiker, acht tolle Musiker, die sehr fein und innig spielen können (Beginn FAUSTI), aber auch mit mitreißendem Drive aufzuspielen wissen.
Faust I&II, Berlin: Kaisers Kleider
"Aber er hat ja gar nichts an!", sagte endlich ein kleines Kind.
Faust I&II, Berlin: Hinweis
Ich schließe mich (zumindest für die Voraufführungen) dieser Kurz-Kritik an:
http://www.livekritik.de/livekritiken/livekritik-von-theaterguide-zu-goethewilsongr%C3%B6nemyer-faust-i-und-ii/
Faust I&II, Berlin: zerhackte Selbstverwirklichung
An Spitzer...da muss ich wohl in einer anderen Vorstellung gewesen sein. Wie Weigel empfand ich die Inszenierung als zerstückelt. Die Musik kann der zerhackten Selbstverwirklichung von Wilson nichts entgegenbringen.
Faust I und II, Berlin: gehobener Musikantenstadl
Das Problem ist, dass Wilson seine eigenen Ansätze herzlich wenig zu interessieren scheinen. Viel wichtiger ist es, weiter zu kommen im Text, diesen herunterzuspulen und dabei schön ad absurdum zu führen, wofür auch die zahlreichen Textwiederholungen stehen. Überhaupt hat Goethe es schwer, werden seine Worte nicht nur zu Endlosschleifen entleert und choreografisch aufgespaltet: Sie verhallen auch echoartig im Raum, werden immer wieder von permissiven Befehlsnoten durch den Raum geprügelt oder wie das zentrale “Ist gerettet” der Kerkerszene den Hyänen der Lächerlichkeit zum Fraß vorgeworfen. wenn sie Glück haben, landen sie in einer schmissigen Melodie Grönemeyers, die vor allem nach der Pause die Kontrolle übernehmen. Gibt es im ersten Teil noch Reminiszenzen an das Erzählen einer Geschichte, zerfällt der zweite vollends zur Nummernrevue, zur Abfolge netter Musik und schöner Bilder. Da hat sich Wilson längst zurückgezogen aus dem Sinngeschäft, ist das alles bestenfalls bildgewaltiges Musical. Und so beginnt auch derer herausragende Mephisto des Christopher Nel als dauergrinsend spöttischer Unruhestifter mit Lust an Provokation und Chaos und endet als schelmischer Conférencier, der uns sicher bis zur schönen Schlussnummer mit Ensemblechor leitet. Des Pudels Kern, er ist hier ein gehobener Musikantenstadel im Kunstgewerbemuseum.

Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2015/05/20/wenn-texaner-traumen/#more-4476
Faust I&II, Berlin: was Goethe von Bedenkenträgern hält
Herr Sascha Krieger mag ja ein Kenner des Musikantenstadls sein, ich bin es nicht, aber ich weiß, wie sehr Goethe es auch um eine musikalische Version ging, damit endlich sein FAUST I den Weg auf die Bühne fände. Insofern ist Grönemeyers Faust-Musik ganz im Sinn des Theaterpraticus Goethe zu verstehen. Was Goethe von den Bedenkenträgern denkt, ist ja in seinem Vorspiel auf dem Theater formuliert.
Faust I&II, Berlin: Musik nicht das Problem
Lieber Daniel Spitzer, dass die Musik das Problem des Abends nicht ist, habe ich, wie ich denke, sehr deutlich gemacht.
Faust I und II, Berlin: Zielgruppe glücklich
Die zweite Kombination großer Namen, die bei den Verantwortlichen des Berliner Tourismus Marketing die Augen funkeln lässt und das Publikum ins Theater lockt, lautet Robert Wilson und Herbert Grönemeyer. In ihrer neuen Zusammenarbeit am Berliner Ensemble nehmen sie ein “Best of” aus Goethes Nationaldrama Faust I und II und machen daraus ein unterhaltsames, auch über vier Stunden recht kurzweiliges Musical, das sich gut wegkonsumieren lässt.

Robert Wilson treibt seine unverkennbare Regiehandschrift hier auf die Spitze. Alles, was seine treuen Anhänger lieben und seine Gegner als seriellen Kunstgewerbe-Kitsch verachten, erleben wir hier bei seiner letzten Regiearbeit am Berliner Ensemble noch einmal: die dick aufgetragene weiße Schminke, wilde Frisuren, stilisierte, oft puppenartige Bewegungen, Scherenschnitte und opulente Kostüme.

Aus diesen Zutaten mixt Wilson eindrucksvolles Variète-Bildertheater mit viel Liebe fürs Detail: Mephisto (Christopher Nell) hat den Faust gleich in vierfacher Ausführung (Joshua Seelenbinder, Fabian Stromberger, Nicolaas van Diepen und Alexander Wanat von der HfS Ernst Busch) an seiner Seite. Er führt ihn durch einen bunten Szenenreigen, wie ein Schmetterling flattern die beiden zur nächsten schillernden Blüte. Im Vordergrund des Regiekonzepts stehen statt tiefgründiger Textexegese die Ästhetik der Oberfläche, aus der Vorlage wird so viel komisches Potenzial wie möglich herausgekitzelt und beim Riesen-Dildo unter der Bischofskutte dabei auch mal weit über das Ziel ins Nirvana der Albernheiten hinausgeschossen.

Aber unter dem Strich funktioniert das Konzept erstaunlich gut. Dafür sorgen auch die musikalischen Intermezzi, die nicht nur die Umbaupause zwischen den Szenen-Häppchen verkürzen, sondern in ihrer Vielfalt den Ohren schmeicheln. Statt des unverkennbar-knödelnden Grönemeyer-Sounds unternimmt der Komponist interessante Ausflüge von Barock über Hip Hop bis Ragtime.

Nach den vier Stunden erntete das Ensemble großen Applaus, viele Reiseveranstalter werden sich den Faust von Wilson/Grönemeyer als unterhaltsamen Theaterabend, der niemand überfordert, in ihr Berlin-Programm aufnehmen.

Das BE hat einen Wilson bestellt und einen echten Wilson bekommen, der die Zielgruppe glücklich macht. An der Schaubühne ist dieses Konzept mit Reza diesmal leider nicht aufgegangen.

http://kulturblog.e-politik.de/archives/25011-promi-theater-keine-bella-figura-an-der-schaubuehne-aber-nina-hoss-dreht-durch-vor-glueck-wilsongroenemeyer-machen-nationaldrama-faust-zum-musical.html
Faust I und II, Berlin: Kitsch und Klamauk
Der Text wird reduziert zum Klamauk, die Figuren zu Abziehbildern. Die Musik macht aus dem Text eine Aneinanderreihung von Pop-Liedchen. Die Schauspieler agieren weniger als zu markieren. Kitsch und Klamauk. Weshalb führt man ein Stück auf, an dessen vielschichtigem Inhalt man offensichtlich wenig Interesse hat? Ich verstehe es nicht und bin von der Flachheit total enttäuscht.
Faust I und II, Berlin: alles
Ach, Herr Lombardo! Robert Wilson beherzigt all das, was in Goethes Vorspiel auf dem Theater der Theaterdirektor vom Theater fordert!
Faust I und II, Berlin: kaufmännisch
Danke für die Antwort. Der Theaterdirektor denkt kaufmännisch "an die Quote". Aber das ist ja nun wirklich nicht die einzige Dimension dieses Stoffs.
Faust I und II, Berlin: vergnüglich
#12 Werter Herr Lombardo, Goethes Theaterdirektor denkt nicht nur an die Quote! Bitte lesen Sie das Vorspiel auf dem Theater noch einmal! Es ist obendrein vergnüglich!
Faust I und II, Berlin: BE neue Musical Hall
Eine Unverschämtheit was Peymann aus dem Berliner Ensemble macht. Er macht es zur Musical Hall. Gegen andere schimpfen, aber selbst zur größten Event-Bude des Landes werden. Was ist nur aus Ihnen geworden Herr Peymann, Sie wollten einmal das Theater und die Welt verändern.
Faust I und II, Berlin: Anmaßung
# 14 Den historischen Namen des großen PISCATOR als Pseudonym zu wählen und damit auch zu mißbrauchen, ist anmaßend!
Faust I und II, Berlin: Tellerrand
Sehr geehrter Herr Spitzer, es gibt bereits eine wunderbare Vertonung von Berlioz. Sie mögen diese nicht kennen, aber ein gelegentlicher Blick über den Tellerrand genügt, um sich zu informieren. Und lassen Sie mir doch bitte den Namen, den ich seit meiner Geburt tragen.
Faust I und II: inspirierende Musik
#16 Verzeihung! Sehr geehrter Herr Piscator! Nie würde ich Ihnen Ihren Geburtsnamen streitig machen!daß es es wunderbare Faust-Kompositionen gibt, ist mir bekannt. Ich kenne die Vertonungen von Eberwein und Fürst Radziwill, die zu Goethes Lebzeiten, auch auf seine Anregung hin, entstanden sind, ich kenne die Musik von Spohr, Schumann,Gounod, Boito, Busoni, Schnittke und natürlich La Damnation de Faust von Berlioz. Und trotzdem würde ich nie, wie Sie, geehrter Herr Piscator, Herbert Grönemeyer verdammen! Bitte hören Sie doch nur einmal den Beginn zu FaustII der BE-Inszenierung! Grönemeyer komponiert eine inspirierende Musik! Und er komponiert eine theatralische Musik! Auch das wäre ganz im Sinn von Goethes Theaterdirektor!
Faust I und II, Berlin: Über Peymann
ad 14
Ich deute die „Event“-Befürchtung eher als die Befürchtung vor fehlender kultureller Nachhaltigkeit. Ein Vorbeiflirren von Petitessen, die wenig bis gar nicht mit der Stadtbevölkerung und deren Bedürfnissen und Interessen verknüpft sind sondern eher vorbeiziehende, internationale Personen ins Haus holen soll.

Diese Grundüberlegung trifft sicher auch auf Musical zu, aber diese Grundausrichtung können Sie Peymann ganz sicher nicht unterschieben. Auch nicht mit den Wilson-Produktionen. Kaum ein Theaterleiter entwickelt so nachhaltiges und intensives Interesse für seinen Theaterstandort, sein Publikum und versucht bei einer eher leicht wirkenden Oberfläche intensiv Gedanken vorzustellen und zu diskutieren.

Vielleicht muss Peymann und Castorf Berlin erst verlassen haben und die neuen Leitungen in Amt und Würden sein, dass auch Sie diese Befürchtungen seriös zu reflektieren. In Wien haben auch erst nach Peymanns Weggang etliche ehemalige Feinde kapiert welche Qualität einer Theaterleitung nun zu vermissen ist.
Faust I und II, Berlin: nach Touristen schielen
Liebe Susanne Peschina,
das jetzige Programm hat nichts mit dem in Wien oder Peymanns vorangegangenen Stationen zu tun. Es wird Zeit, dass ein neuer Intendant ankommt; warten wir doch erst einmal ab, was kommt, bevor wir den Stab über Neuankömmlinge brechen.
Und bitte erklären Sie mir, was Peymanns für die Berliner getan hat? Austauschbares Theater, nach Touristen schielend...
Faust I und II, Berlin: dankbar für die Dinosaurier
Ich stimme mit Frau Peschina vollkommen überein.
Peymann hat für Berlin großartiges Theater möglich gemacht. Was heißt denn nach Touristen schielend? Über die Hälfte der BE-Besucher sind Berliner. Und was spricht gegen Touristen? Sind das weniger gute oder gebildete Theaterbesucher? Zudem hat Peymann, ebenso wie die Schaubühne, eine GmbH zu leiten. Das ist etwas ganz anderes als ein Staatstheater, das auf viel sichereren Füßen steht.
Castorf tut an seinem Haus, was richtig ist.
Ich freue mich auf beide neue Theaterleiter im Sommer 2017, aber ich bin auch echt dankbar für die Dinosaurier, deren Arbeit wir noch bis dahin erleben dürfen.
Faust I und II, Berlin: gerade jenes Theater!
#19 Nein, werter HERR PISCATOR, das ist ein billiges Argument: Touristen, mehr noch, es ist kein Argument! Ich fahre gern nach Berlin, nach Wien, nach Bochum, nach Frankfurt (in die Oper), um ins Theater zu gehen. Bin ich deswegen Tourist? Daß Sie ein anderes Theater haben wollen, sei Ihnen gegönnt, in Berlin haben Sie doch die freie Wahl. Immerhin gibt es in Berlin und darüberhinaus wahrhaft genügend Menschen, die gerade jenes Theater sehen wollen, das am BE zu sehen ist. Das fällt Ihnen anscheinend schwer zu akzeptieren! Nun, Sie werden ja bald ein anderes Theater bekommen. Etwas Geduld bitte!
Faust I und II, Berlin: angenehme Vertautheit
Ich als Berlinerin habe seit 16 Jahren ein BE-ABO und finde es durchaus bereichernd, dass Peymann über Jahre hinweg immer wieder Robert Wilson ans Haus hat holen können, sowie ich mich über Marthalers Bindung an die Volksbühne durch die Nähe zu Castorf freue. Das Regisseure ihrem Stil treu bleiben spricht eher für eine erfreuliche Wiedererkennung und angenehme Vertrautheit, und langweilt mich keineswegs. Auch Castorf, Fritsch und Pollesch sind in ihren Regiestilen vorhersehbar und haben vielleicht auch gerade dadurch ihr Publikum.
Faust I und II, Berlin: natürlich Touristin!
Lieber Piscator!
Ich bin natürlich Touristin, wenn ich in Berlin bin.

Bei all meinen Besuchen in Berliner Theater, die von der Zahl her sicher nicht repräsentativ sind, habe ich außer in BE ein eher "unterkühltes", distanziertes Publikum erlebt, das dem Medium Theater nicht wirklich interessiert gegenüber zu stehen scheint. Mir wurde erklärt, das sei halt in Berlin so, ganz anders als in Wien.

Nun meine ich als Wienerin, das halt für einen Theaterbesuch Liebe und Freude, Interesse und Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Künstlern dazugehört. Und das konnte Peymann nach meinen Beobachtungen dem Publikum des Berliner Ensembles "anerziehen". Es zeigt sich begeistert, angesprochen und mit dem Haus "vernetzt". Oder sind das die Touristen, die diese gute Stimmung ins Haus bringen?
Faust I und II, Berlin: Rost
@ Susanne Peschina: Wie? Gute Stimmung kann man doch nicht anerziehen! Auch, wenn Sie das jetzt in Anführungszeichen setzen. An meinem eigenen Kind sehe ich: Gute Stimmung kommt von allein, wenn die Interaktion bzw. (theaterwissenschaftlich gesprochen) Intersubjektivität zwischen Schauspielern und Zuschauern stimmt. Für die jetzigen Zuschauer ist das Peymann-BE wohl so okay, das wird sich mit der neuen Intendanz auch wieder ändern. Ich bin kein Peymann-Fan, auch kein Wilson-Fan oder besser: Ich nehme die alten Inszenierungen von beiden genannten Personen als interessanter wahr, obwohl ich die noch nicht einmal live gesehen habe. Wenn Männer älter werden, werden sie leider oft ungewollt peinlich. Komischerweise nehme ich das nicht bei allen älter gewordenen Männern/Regisseuren (wo sind eigentlich die Regie-Frauen? Gibt's davon mehr in der jüngeren Generation?) so wahr. Frank-Patrick Steckel zum Beispiel empfinde ich immer noch als interessant, das war allerdings auch eine Inszenierung im kleinen Theaterlabor in Bremen. Ist das ein Zeichen dafür, dass alle alten Tanker irgendwann einrosten, langweilig werden und auf den Meeresboden sinken? Aber laut der neuen Volksbühneninszenierung kann man ja unter Wasser noch ein wenig atmen. Na dann, toi toi toi.
Faust I und II, Berlin: Bedenken in Richtung Lächerlichkeit
Sie haben mit der Kritik an dem Wort „anerziehen“ vollkommen recht. Mir ist nur leider kein besseres im Moment des Schreibens eingefallen. In meinem persönlichen Brainstorming ist mir nun eingefallen: den Besucher zu öffnen, zu emotionalisieren, einzuladen über die Sinne am Bühnengeschehen teilzunehmen.

Persönlich glaube ich, dass diese Einladung an die Zuschauer graue Fakten und Zahlen, Depressionen und gesellschaftliche Zwänge zuhause zu lassen und entspannt und aufnahmebereit in dem „Sandkasten Berliner Ensemble“ mitzuspielen eine unbezahlbare Leistung ist, die Peymann dem Berliner Publikum machen konnte, weil es offensichtlich zur Theaterwahrnehmung in einer gedanklich spielerischen Form nicht tendiert. Auch Sie haben irgendwie Bedenken in Richtung Lächerlichkeit.
Faust I und II, Berlin: Sandkasten-Frage
@ Susanne Peschina: Könnten Sie mir jetzt bitte noch erklären, was Sie mit dem "Sandkasten Berliner Ensemble" meinen? Habe ich da irgendwas (noch) nicht verstanden?
Faust I und II, Berlin: Spiele-Meister Peymann
Unter Sandkasten verstehe ich einen Spielort, an dem Kinder lernen gestalterisch (Sandburgen, Sandkuchen, diverse Bauten) und sozial (gemeinsames Erleben, Teilen von Spielzeug) miteinander und dem Leben umzugehen.

Diesen spielerischen Umgang mit Kreativität sowie gesellschaftlicher Interaktion sollte Theater fördern, thematisieren und vor allem bieten. Da meine ich, dass Peymann vielen seiner Kollegen weit überlegen ist.

Die kühle Präsentation ohne spielerische, "lächerliche" und verunsichernde Elemente geht mir nicht unter die Haut, langweilt mich. Bei aller Achtung vor präziser Recherche und Definition, die Sie wahrscheinlich anspricht, sollte der Transport ein spielerischer, kindlich entspannter sein. Das andere Feld sollte man Medien und Wissenschaften überlassen.
Faust I und II, Berlin: Kunst darf alles
Dass auch Faust durch Wilson keine intellektuelle Umdeutung erfahren würde müsste eigentlich jedem klar gewesen sein. Wozu auch. Wilson ist als der „Bildmagier” bekannt und als dieser macht er einen grandiosen Job.
Zudem scheint zu oft vergessen zu werden, dass Theater nicht intellektuell sein muss, viel mehr beschneidet man das Theater in seinen Ausdrucksmöglichkeiten, wenn man es denn nur noch erlauben möchte, wenn es klug ist, aufklärt, ein bisschen überfordert und dem Zuschauer so viele Spiegel ins Gesicht wirft, dass eben jener schon Scherben in den Augäpfeln stecken hat.
Theater ist und bleibt Kunst und zwar kann Kunst all das machen, was ich oben ausgeführt habe, sie kann und darf aber noch viel mehr. Kunst darf schön sein, Kunst darf sinnlos sein, Kunst darf Selbstzweck sein.
Wer ins Theater geht, nur um belehrt zu werden, der verachtet das Theater und seine Möglichkeiten.
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