Berlins Regierender Bürgermeister Müller präsentiert Frank Castorfs Nachfolger - Kommentar zur Ernennung von Chris Dercon zum Intendanten der Volksbühne
Warum redet eigentlich niemand laut darüber, dass Berlin den Diskurs über die inneren Wunden der Stadt noch immer braucht?
von Christian Rakow
Berlin, 24. April 2015.
Am Ende ging es dann sehr schnell, fast schon Hals über Kopf. Gestern die Bestätigung der Personalie im Abgeordnetenhaus, heute die um eine Woche vorgezogene Pressekonferenz zur Vorstellung von Chris Dercon als Intendant der Berliner Volksbühne ab der Spielzeit 2017/2018. Es galt, einen Kandidaten, den man eigentlich mit Pauken und Trompeten inthronisieren wollte, noch einigermaßen rechtzeitig aus der Schusslinie zu ziehen, bevor er restlos durchlöchert ins neue Amt wie in ein Lazarett wanken würde.
Verkannte Debatte
Denn anders als noch bei der Besetzung der Gorki-Intendanz 2013 gab es dieses Mal kein blindes Herumstochern (Nicolas Stemann, Herbert Fritsch, Namen, die man auch für die Volksbühne auf der Rechnung gehabt hätte). Der erste Leak war gut, und er ließ entsprechend honorige Kombattanten hervortreten: Claus Peymann, Jürgen Flimm, Kusej/Khuon/Lux, das Who-is-Who der Metropolentheaterlandschaft. Ihr Tenor: Schützt das Ensemble- und Repertoiretheater an der Volksbühne, schützt die Tradition des Hauses, bewahrt Berlin vor einer weiteren Gastspielstätte vulgo "Event-Bude" Marke HAU, Marke Berliner Festspiele. Diese Aufrufe als das letzte Aufflackern eines Ancien Regime abzutun oder – wie man an der Volksbühne zu sagen pflegt – zu "narkotisieren", verkennt den Wert der Debatte, die nicht nur die Grundpfeiler der Berliner, sondern der gesamtdeutschen Theaterlandschaft betrifft. Und diese Debatte wird weiterzuführen sein; man kann sie von heute an auch adressieren: an Chris Dercon.
Im Focus: Tim Renner, Staatssekretär für Kultur und Chris Dercon, Volksbühnenchef in spe, heute Nachmittag auf der Pressekonferenz im Roten Rathaus. © chr
Freitagnachmittag,15 Uhr, Pressekonferenz im Roten Rathaus
Da sitzt er, der Mann, der das Haus der Kunst München aufgepäppelt hat (2003-2011) und aktuell an der Tate Modern in London reüssiert, also auf dem Olymp der Gegenwartskunst. Gut gebräunt, das graumelierte Haar ist locker gescheitelt, das schwarze Hemd knapp über Brusthöhe geöffnet. Chris Dercon navigiert sich souverän, mit wohl gesetzter Selbstironie, zwischen den Gräben hindurch, spendet das obligate Lob für das Erbe von Frank Castorf (und Max Reinhardt und Erwin Piscator) und erhebt seinen Anspruch auf Erneuerung, Kollaborationen und auf frische Versuche, die "Stadt als Bühne mitzuinszenieren". Die Andeutungen sind zwei Jahre vor einer Spielplanpräsentation notgedrungen vage. In "Theater und Internet" (Tim Renners Leib- und Magenthema) wolle man auch machen. In der eher behutsamen Fragerunde bleibt Dercon selbst dann noch freundlich, aber bestimmt, als ein Journalist ihm vorwirft, das neu berufene Team sei ja nun alles andere als "cutting edge" (zu Deutsch: nicht gerade der letzte Schrei).
Eine Entwarnung gibt's: Auch unter Chris Dercon und seinem medienübergreifend zusammengewürfelten Team soll es mit dem Ensembletheater am Rosa-Luxemburg-Platz weitergehen, genauer: mit einem "heterogenen Ensemble mit Leuten, die tanzen, singen und schauspielern" (womöglich sogar alles in einem). Gut so. Ein Haus braucht seine Köpfe. Martin Wuttke, Sophie Rois, Fabian Hinrichs, Lilith Stangenberg, Kathrin Angerer – in Scharen haben Kritikerkolleg*innen in den letzten Tagen nachgerechnet, dass unter den prägenden Gestalten der aktuellen Volksbühne kaum noch feste Ensemblemitglieder spielen. Bitte, fängt man jetzt schon an, der Personalverwaltung nachzueifern?!
Identitätsstiftende Präsenz
Ensembles entstehen in regelmäßigen Arbeitszusammenhängen. Dafür sind Festverträge ein guter Startpunkt, weil sie vom Marktdruck entlasten und Freiraum schaffen, einen gemeinsamen Geist aufzusaugen und mitzuprägen. Wenn's läuft, dann funktioniert ein Ensemblehaus für seine Protagonist*innen wie ein mächtiger Magnet: mit Spieler*innen, die da sind (Lilith Stangenberg), die kommen und gehen (Fabian Hinrichs), die manchmal auch wegbleiben (Henry Hübchen, für immer ein Volksbühnenspieler).
Dem suggestiven Bild meines Kollegen Matthias Weigel von Ensemblehäusern als Tankstellen in den Steppen der Prekarisierung darf man getrost den Klagegesang von den Nomaden der freien Szene entgegenhalten. Mit dem Unterschied, dass viele freie Künstler erst einmal von Antrag zu Antrag ziehen, und nicht schon von Bühne zu Bühne (Jens Roselt hat von dem Leid eindrucksvoll berichtet). Dass antragsbasierte Kunst im Ergebnis zumeist spontaner, unfertiger, in allem auch reaktiver und je von der neuesten Politsau im Dorfe umgetrieben ist (NSA, NSU, whatever), liegt in der Natur des kurzatmigen Geschäfts.
Mithin meint der derzeit so polemisch verwendete Begriff "Event" nicht, dass ein Ereignis strahlt (wie zurzeit die Oper von Pollesch und Dirk von Lowtzow oder die Werke Herbert Fritschs), sondern dass es leider nur kurzzeitig verfügbar ist. Als ich Freunden das famose Before Your Very Eyes von Gob Squad nach seiner Premiere am HAU 2011 empfahl, war das Stück erst einmal für Monate vom Spielplan verschwunden, weil längst auf Tour durch die halbe Welt. Deshalb sind Repertoire-Strukturen am Ort wichtig: Sie halten Zentralereignisse präsent, sie stiften Identität und erlauben überhaupt erst ein andauerndes Gespräch über Theater. "Ich liebe den römischen Kalender, ich will 365 Tage im Jahr Theater spielen", sagte Dercon auf der Pressekonferenz. Ein klares Bekenntnis zum echten Repertoiresystem war das noch nicht.
Mit dem Rücken zum Publikum
In einem Interview, das Chris Dercon 2012 als Leiter der Tate Modern dem Journalisten Max Dax (Electronic Beats Magazine) gegeben hat, berichtet er von einer seiner liebsten Fragen an ihn: Ob das Wort "Kurator" eigentlich von "curare" (lat. heilen) oder von "taking care" (sich kümmern) herrühre. In seiner Antwort wie im ganzen Interview stellt sich Dercon überzeugend als Kommunikator vor, als jemand, der mit seinen Besuchern einen Dialog auf Augenhöhe sucht. Das Bild hat er bei der Pressekonferenz mit Leben gefüllt. Und die Haltung ist aller Ehren wert. Es fragt sich nur, ob wir in Berlin nicht schon genug sympathische Kunstvermittler in leitenden Theaterpositionen haben.
Ich habe an der Volksbühne immer einen Gedanken bewundert, den René Pollesch der Lehrstücktheorie Bertolt Brechts abgelauscht hat: dass das Theater als Bühne ohne Publikum zu erfinden sei, dass eine radikale Bretterkunst gewissermaßen mit dem Rücken zu den Leuten gespielt werde. Diese Überzeugung steckt hinter den stundenlangen Totalkunstexerzitien von Frank Castorf bis Vinge/Müller, ebenso wie hinter den kurzen, amüsanten, aber in ihren Diskursschleifen noch immer maximal deutungsschweißtreibenden Stücken eines René Pollesch. Es ist dieser Geist kompromissloser künstlerischer Autonomie, der dem Haus den lebendigen Anschluss an die Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts erlaubte, der es von der Bühnentechnik bis in die Leitungsebene durchzieht. Dass Sperrigkeit und "Unverständlichkeit" ein unverzichtbarer Wert ästhetischer Erfahrung sind, weil allein das Widerständige zur akribischen Beschäftigung einlädt, lebt kein Theater wie die Volksbühne vor. Bis dato.
Kraftwerk des Gegendiskurses
Das Scheitern der letzten vergleichbaren Großunternehmung "Centraltheater Leipzig" hat bewiesen, dass außerhalb einer Metropole wie Berlin mit einem breiten Spektrum an Alternativangeboten kaum mehr solche ästhetischen Freiräume zu kreieren sind. Eben deshalb gehen alle Blicke zum Rosa-Luxemburg-Platz. Wie viel Volksbühne steckt drin, heißt es, wenn sich Repertoire-Theater auf dem Land mal einen vereinzelten verstiegenen Hartmann, Borgmann oder Laberenz gönnen. In Zeiten der Ökonomisierung und Standardisierung aller Bildungssysteme, der Bonsaischnippelung Bologneser Art, war und ist die Volksbühne das Kraftwerk des Gegendiskurses. In ökonomischen Begriffen: ein Luxus.
Soviel zur Ausstrahlung nach außen, um die es in der Volksbühnendebatte scheinbar ausschließlich geht ("Be Berlin" lautet das Signal; die Hauptstadt will mit London, New York, was auch immer auf Augenhöhe treten; "wir sind die europäische Metropole", wurde der Regierende Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller auf der Pressekonferenz nicht müde zu betonen).
An den Crossroads
Eher verhuscht spricht man über die Rolle des Hauses innerhalb Berlins. "Ost" steht in riesigen Lettern über dem Portal der Volksbühne. Das Theater hat in seinem kruden Mix aus alter und neuer linker Theorie auch eine höchst integrative Funktion. An den Crossroads zwischen Marx und Zizek, zwischen Brecht und Judith Butler konnten sich Intellektuelle Ost wie West gut finden. Warum redet eigentlich niemand laut darüber, dass Berlin diesen Diskurs über die inneren Wunden der Stadt noch immer braucht?
Chris Dercon sagt, er wolle jetzt vor Ort viele Gespräch führen, wolle "lernen". Der gebürtige Belgier wird zusehen müssen, dass er sich nicht mit seiner Landsmännin Annemie Vanackere vom HAU gegenseitig das Wasser abgräbt. Wenn die Profile nicht scharf getrennt sind, stellt das über kurz oder lang eine der Bühnen infrage. Und schlimmer als alle heutigen Sorgenträger aus Presse und Kulturleben wäre allemal der Totengräber. Vielleicht kommt auch beizeiten ein regieführender Verrückter angesprungen und reißt den nächsten freiwerdenden Tanker an sich. Alle paar Dekaden ist ja ein Genie fällig.
Christian Rakow, geboren 1976 in Rostock, ist nachtkritik.de-Redakteur und Mitkurator der Konferenz "Theater & Netz". Er studierte Germanistik und Philosophie in Rostock, Sheffield und Berlin und promovierte in Literaturwissenschaft (Deutsche Philologie) in Münster. U.a. schreibt er auch für die Berliner Zeitung und Theater heute.
Alle wichtigen Meldungen, Interviews und Pressestimmen zur Diskussion um die Berliner Kulturpolitik, die Zukunft der Berliner Volksbühne, die Nachfolge Frank Castorfs und die Personalie Chris Dercon finden sich auch in unserer Chronik zum Berliner Theaterstreit.
Außerdem hier die Polemik von Matthias Weigel wider die Ensembletheater-Nostalgie.
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und trotzdem (und ich wiederhole mich an dieser Stelle)
braucht es einen Generalstreik unter den Theaterleuten - endlich mal -
am 30.4.2015 - wär doch ein gutes Datum - sollte doch an diesem Tag die Ernennung des zukünftigen Intendanten der Volksbühne bekannt gegeben werden
Wenn einer das nicht gemacht hat, hat er kein Handwerk , sondern ist fchfremd.So einfach ist das. Das hat nichts mit Konservatismus zu tun, ja!! Das Theater soll sich weiterentwickeln! Aber bitte nicht mit Menschen, die das Theater zuletzt als Neunzigerperformancekunst defnieren, die immer noch meinen, Digitalismus sei modern und denken, Vernetzung ist alles!! Das Theater ist nämlich schon wieder weiter!! Hat Herr Decron aber noch nicht mitgekriegt.Wie sollte er auch. War ja nicht da, sondern im Museum....
"Ausgangspunkt ist ein Ensemble aus Schauspielern und Tänzern. Das Herzstück werden Eigenproduktionen sein. Die Volksbühne hat immer wieder, in Gestalt von Castorf, Schlingensief, Pollesch und sicherlich Bert Neumann, die Stadt inszeniert. Diese Inszenierung möchte ich weitertreiben. "
Darf nur ein arier-deutscher und schauspiel-reiner das Ensembletheater führen? ich werde sie alle zur verantwortung ziehen...
Aber welches künstlerisch prägende Ensemble wurden von Auswählenden/Kuratoren/Agenten/Buchenden und nicht von Akteuren/Mitspielenden geführt?
Das ist derartig schlampig argumentiert, dass man sich die Haare raufen möchte. Wer schnell zusammengehauenes zu NSA und NSU sehen will, ist im Stadttheater wesentlich besser aufgehobenen. Die Autorentheatertage am DT haben einen NSU "Schwerpunkt". Wer linke Plattitüden zu aktuellen Themen in SAT1 Ästhetik sehen will, geht an die Schaubühne.
Wir essen das Gleiche, wir trinken denselben Wein, die Mauer hat uns auch nicht daran gehindert, ein gemeinsames Kind zu zeugen und überhaupt eine weitgehend glückliche Partnerschaft zu führen. Jahrelang war es nämlich, als ob es diese Mauer gar nicht gäbe. Doch jetzt steht sie plötzlich da, massiv, feindlich, unüberwindbar.
Ich bin allerdings zuversichtlich. Ich werde alles dafür tun, aus dieser Debatte beziehungstechnisch sowas wie Progression zu machen. Gemeinsam werden werden wir uns neue Territorien erschließen, von deren Existenz wir noch gar nichts wissen. Aber natürlich kann ich da nur für mich und meine Liebste sprechen.
Deine Kommentare gehören für mich hier immer zu den besten, interessantesten, anregendsten. Aber jetzt,fürchte ich, hast Du Dich vergaloppiert: Zur Verantwortung ziehen ...
Wir sind ungefähr gleich alt. Ich gehe seit etwa 1950 ins Theater. Kortner war der erste große Eindruck. Aber das Theater blieb nicht bei ihm stehen, es waren spannende Jahrzehnte mit immer wieder neuen Entwicklungen. Wollen wir Alten, zu denen ich Peymann rechne, der als Regisseur auch einmal sehr jung war (TAT in Frankfurt), wollen wir, dass alles so bleibt wie es war, wie es jetzt ist? Ich weiß,das klingt recht pathetisch. Aber ich bin wirklich neugierig, wie es in Berlin weitergeht. Wenn die Volksbühne sich ändert, die sich ja auch schon dauernd geändert hat, dann ändern sich auch die anderen Theater. Ich freue mich auf die neue, spannende Theaterepoche.
Wilhelm Roth
Und kein täglich Gebet geht von uns gen OST.
Diese Verspießerung im Denken führt Castorf ad absurdum und braucht auch eine offene Hauptstadt nicht wirklich.
mein Kommentar bezog sich auf Rakows Befürchtung, dass Totengräber durch eine bloße Verdoppelung des HAU eine Bühne infrage stellen könnten. Ich wünsche mir nicht, dass alles so bleibt wie es war, sondern lediglich, dass Institutionen und Möglichkeiten nicht ersatzlos verschwinden, weil sie jene, die dafür verantwortlich sind, verraten - wie das Kommunale Kino in Stuttgart, wie das Schillertheater in Berlin, wie zahllose Jazzkeller in ganz Deutschland etc. Aber wem sag ich das.
Und da fürchtet sich niemand. Doppelung?!
Oliver Reese war zunächst Dramaturg am Gorki. Dann Chefdramaturg am DT und danach für ein Jahr Interimsintendant am selben Haus. Nun kehrt er als Intendant an das BE zurück. Keine Doppelung? Oh doch! Wie grenzen sich denn demnächst das BE und das DT von einander ab?
Haben sie da keine Sorgen. Selbst wenn man die Volksbühne herausrechnet, bleiben noch vier Sprechtheater, die in Berlin nebeneinander existieren und versuchen eine eigene Handschrift zu kreieren. Sehen sie da in Zukunft keine Doppellungen? Und das alte DT ist auch längst verschwunden.
Glauben sie nicht, das auch zwei interdisziplinäre Theater zwei verschiedene Handschriften entwickeln können? Halten sie das für unmöglich? Und nicht notwendig? Das sehe ich ganz anders.
Sie sitzen doch hier dem Vorurteil auf, dass interdisziplinäre Theater eh immer nur den selben Eintopf verzapfen, weil sie denken, alles der selbe Mist. Dem ist nicht so. Auch diese Theater können durchaus eigene Handschriften entwickeln und sind darin genauso viel oder wenig gefährdet, wie die vier Sprechtheater auch.
Es sind die Zwischensätze, die aufhorchen lassen: Dercon will, dass 365 Tage im Jahr was los ist. Aber selbst wenn jede Nacht Beliebigkeitsfeuerwerke in den Metropolenhimmel geschossen werden, kommt das „Burnout“ nach dem Verlöschen umso intensiver zur Geltung. Die Leere infiltriert den Betrieb.
Die Causa Volksbühne ist wesentlich eine Causa Castorf. Ich empfehle das unterhaltsame Interview „Der Künstler braucht ein Feindbild“, bis jetzt nicht gerade ein Hit auf YouTube. Zur Erinnerung: Castorf hatte 2013 den Ring in Bayreuth inszeniert. Nach dem Ende der Götterdämmerung entlarvten sich die reichlich anwesenden, unerlöst unter dem Bann des Nibelungenfluches stehenden Knechte des Ringes und machten den „Weiheort“ zum Viehstall. Sie waren offenbar nicht gewillt, das Interpretationsangebot Castorfs in Erwägung zu ziehen. Aber auch 2014 lief der Ring, Castorf fühlte sich ganz offensichtlich wohl und sagte: „ Der Künstler braucht ein Feindbild, wenn er das nicht hat, kann er nicht arbeiten.“ Er müsse sich alles bezahlen lassen und dann richtig undankbar sein, ja sich wieder in eine Wut hineinbringen. „Sonst bin ich nur ein Arrangeur."
Zweifellos, die Manager des Politikbetriebes wählen die Selbstähnlichkeit. Sie wollen die Arrangeure in der Kunst. Die Volksbühne soll Teil der Fanmeile Berlin werden. Der „Volksfeind“ Castorf (hat er selbst, glaube ich, nie inszeniert) wird ausgemerzt. Christian Rakow hat es schön beschrieben, nur muss man es zugespitzter formulieren: den überarbeiteten Hamsterrad-Managern sind „stundenlange Totalkunstexerzitien“, „in ihren Diskursschleifen maximal deutungsschweißtreibende Stücke“ und insgesamt der „Geist kompromissloser künstlerischer Autonomie“ verhasst, sie brauchen keine Sperrigkeit und "Unverständlichkeit" als „unverzichtbaren Wert ästhetischer Erfahrung“. Wenn Sie den Weg in eine Kultureinrichtung finden, suchen sie alles Andere (zum Beispiel Entspannung, Bestätigung) als „das Widerständige“, schon deshalb, weil sie keinerlei Kapazität „zur akribischen Beschäftigung“ haben. Aber sie wachen auf bei der Frage, ob sie alles bezahlen müssen für eingebildete undankbare Kunstgenies und sagen „Nein“, wenngleich nicht ohne sich aufwändig zu winden und zu verstellen, denn in diesen akribischen Beschäftigungen sind sie Meister. Aber eigentlich brauchten Sie sich gar nicht winden und verstellen, die übergroße Mehrheit der Berliner Bevölkerung würde ihnen zustimmen, wenn sie der Volksbühne den Geldhahn abdrehen und stattdessen den Bastian Schweinsteiger für die Hertha einkaufen.
Was Herrn Rothschild Sorge macht, ist die Auflösung der Ensemble-und Repertoirestrukturen. Zu Recht. Da kann Dercon sagen, was er will, wenn Charmatz' Truppe wochenlang durch die Welt tourt, wird er sie nicht im Repertoire disponieren können, nur in en suite-Blöcken. Und wenn er große Koproduktionen macht, muss das Ensemble auch in den koproduzierenden Städten und Ländern Zeit verbringen - das ist keine Glaubensfrage, sondern eine praktische Notwendigkeit. Weder Dercon noch Ingvartsen noch Charmatz kennen das spezielle deutsche System, Kennedy nur ein wenig und Piekenbrock auch nur aus ihren Anfangszeiten. Das ist schon etwas sehr Besonderes, unser System - das Merkwürdige ist, dass wir weltweit darum beneidet werden, nur hier will man es verändern. Denn es ist eine Veränderung: die eigentliche Idee eines Stadttheaters als Ort, an dem sich ansässige Künstler mit der Stadt und dem Publikum intensiv auseinander setzen, wird mit diesen international agierenden Künstlern nicht zu realisieren sein - das sieht man doch bei Festivals wie der Ruhrtriennale (die toll ist, ohne Frage) - die Projekte, die sich dann angeblich mit der Region beschàftigen, bleiben meist an der Oberflàche und feigenblattartig. War auch zu beobachten bei Leysens Theater der Welt.
Aber wo sehen sie da das Widerständige, die Wut, und all die anderen Tugenden, die sie bei Castorf vermuten?
Nein. Castorf´s Arbeit ist längst im Mainstream und bei den Managern angekommen. Vor dem Youtube Video eine Bierwerbung, am Ende die vier Ringe von Audi und Frank verplappert sich zwischen diesen beiden clips.
Ein Feindbild braucht man also, so die Behauptung. Wer keine Feinde mehr hat, wie Castorf, schafft sich ein Feindbild. Und dies soll nun Dercon heißen. Wo keine Feinde mehr sind, bastelt man sich künstlich welche. Dies ist einem, der sich eher für einen Wagner hält recht würdig, möchte man meinen. Auch, ich wiederhole mich, wird Castorf nicht ausgemerzt. Aber er und sie projizieren wild zum Selbstzweck herum, und da bietet sich für sie Chris Dercon als Kampffläche an, denken sie. Man kennt diese Vorgehensweise aus anderen, sehr schauerlichen Zusammenhängen.
Lassen wir das. Wie der Zufall es will, war heute Abend mein Sohn zu Gast, und unser Thema war beim Essen die Vorstellung „Straight white men“ von Young Jean Lee aus New York. Eine Vorstellung, die gestern Abend am Hau1 zu sehen war. Eine dieser schrecklichen internationalen Veranstaltungen, die ich ihnen aber wärmstens empfehlen möchte. Dort können sie etwas über männliche Identitäten erfahren, das könnte ihren Blick schulen. Ist aber nur eine Empfehlung.
Und liebe Dramaturgin, ich teile ihre Sorgen nicht. Denn Castorf selber war in letzter Zeit nur selten vor Ort und seine Schauspieler zu disponieren, wird für jeden Disponenten eine hohe Kunst sein, denn auch sie sind viel unterwegs. Das ist in Berlin so, da lebt man nicht nur von ansässigen Künstlern und das ist gut so. Sonst würde mein Sohn so anregende Abende aus New York nicht so schnell kennenlernen. Und glauben sie, man kennt die praktischen Notwendigkeiten in Berlin, sie sind nur etwas anders gelagert. Auch Dercon und seine Mitstreiter dürften da nicht völlig unbeleckt sein, wie kommen sie darauf?
Allmählich bekommt die Debatte einen so feindlichen, abwegigen Zug, es könnte einem ein wenig übel werden, wenn einen Berlin nicht schon längst abgehärtet hätte gegen solche Attacken. Um so wichtige sind die internationalen Einflüsse, damit nicht alles auf dem Ansässigen sitzen bleibt.
„Die Tate Modern ist ein Museum, das dem Puls der Zeit inzwischen dicht auf den Fersen ist.“ [A. D. Dabrowski, ARTINVESTOR Kunst. Und was sie uns wert ist. 03/2015]
”... im Spannungsfeld zwischen territorialen Institutionen und einer neuen Netzwerkwelt geht es darum... einer anderen Welt in unseren Häusern Asyl zu geben, die ein anderes Regime von Zeit, Ressourcen und Bewusstsein erlaubt.” (Th. Oberender, Tagesspiegel, 26.04.2015)
„Mit Unterstützung des großen Autoherstellers aus München entstand schon 2012 der „BMW Tate Live Performance Room“... Ab November soll das Live-Act-Programm noch dichter werden. Direktor Chris Dercon plant Performances im Wochenrhythmus.“ [A. D. Dabrowski, ARTINVESTOR Kunst. Und was sie uns wert ist. 03/2015]
„Was Dercon vorhat, könnte man als Runderneuerung der Tradition fürs 21. Jahrhundert beschreiben. So sieht es auch der Regierende Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller... Müller ist neu auf diesem Gebiet, und so will er auch das Neue.“ [Rüdiger Schaper, Tagesspiegel 24.04.2015]
„Natürlich, zu sagen, etwas ist neu, das hat heute absolut keinen Sinn mehr! Sehen Sie auf die Mode. Mode ist ein konstantes Recycling. Es geht nicht mehr um etwas total Neues, es geht um das Teilen von Erfahrungen. Ich kenne jedenfalls nichts Neues.“ (Lacht). [Chris Dercon im Interview mit A. D. Dabrowski ARTINVESTOR Kunst. Und was sie uns wert ist. 03/2015]
Für mich zumindest ist die Alternative Volksbühne oder HAU auch die zwischen autonomer Kollektivität und Interventionismus. In ersterer gibt es Machtfragen, für letztere gibt es die nur als äußeren Gegenstand (schematisch gesagt). Es ist wichtig, dass gesehen wird, dass die Produktionsformen sehr eng mit den künstlerischen und politischen Möglichkeiten eines Hauses zusammenhängen und ich finde es gut, wenn Dercon dazu gezwungen wird, sich zu dieser Frage zu verhalten.
- Sie brauchen erheblich mehr Geld für Ihre Volksbühnen-Ideen, zum Beispiel die Bespielung des Hangar 5 in Tempelhof.
-Um dieses Geld werde ich mich kümmern, natürlich. Da werde ich auch mit Sponsoren sprechen, die schon Interesse signalisiert haben." (Zitat Interview Dercon Tagesspiegel 27.4.15)
Die Ensemble aus Wien, Zürich, Berlin und Hamburg leben heute schon in den Lüften und bilden von oben das mobile deutsche Stadttheater, viel Etat dieser Häuser und Festivals ernährt die Fluggesellschaften. Morgens Probe hier, abends Aufführung dort, die Kritiker sind auch an Bord, eigentlich sind die Flughäfen die praktischeren Bühnen. Das wird jetzt mit Dercon internationaler, jetzt wird das Publikum auch noch mitreisen. Das ist eine Chance aus dem höfischen Erbe endgültig auszubrechen und einen demokratisch-kulturellen Modellbetrieb aufzubauen, der auf mehr künstlerische Ressourcen Zugriff hat, als die Lufthansa. Blöd natürlich, wenn irgendeine slow-travelling Verordnung aus der Kulturverwaltung dazwischen kommt.
Ich wünsche Dercon auf jeden Fall viel Glück und Kraft und vor allem Geduld mit einigen Berlinern.
"Was einer Volksbühne unter Dercons Leitung höchst wahrscheinlich verloren zu gehen droht, ist ihr Status als Grabungsstätte tief in die deutsche Geschichte hinein, die Castorf'sche Versessenheit auf die Sümpfe des Verdrängten und der Blick nach Osten." Und da ist mitnichten nur die DDR oder der Blick durch die Heiner-Müller-Brille gemeint. Castorf hat auch immer wieder gen Westen geschaut. Es war eine Mischung aus provokanten Ansichten, mit der er deutsche Themen behandelt und mit der großen Weltpolitik und Geschichte kurzgeschlossen hat. Auch wenn vielen dieser Ost-West-Blick nicht gefällt. Das ist von Dercon nicht zu erwarten, diese kritische Auseinandersetzung mit Diktatur, Freiheit und Demokratie. Der hat doch ein ganz anderes Grundverständnis davon. Und viele haben das schon so verinnerlicht, dass da ein Castorf nur noch nervt. Na er wird noch ein wenig weiternerven und vielleicht nach 2017 auch weiter in Berlin.
Es geht hier nicht um Zeitgeist, nicht um Peymänner und Flimms, die waren schon längst so klug, zu erkennen, dass als nächstes das Amt als "elder culture-man" auf sie wartet, nein es geht darum, dass sich hier Delittanten anmaßen nach Gutsherrenart kulturpolitische Entscheidungen zu treffen, die ihnen, jedenfalls in der hier vorgeführten Art und Weise, in mehrfacher Hinsicht gar nicht zu stehen.
Hier wäre angesichts der o.g. Gründe eine fachlich kompetente Findungskommission und eine öffentliche Ausschreibung, sowie Bewerber, die ein konkretes Programm vorlegen oder zumindestens aus der eigenen Praxis, bzw. in ihrer Person für einen bestimmten programatischen Ansatz (Theaterkonzept) stehen, erforderlich gewesen.
Jeder kann alles, als omnipotenter Kulturfreak daherkommend, Postengeschacher und Postenzuschieben nach Gutsherrenart, wie es hier vorgeführt wird, ist sowohl einer demokratischen als auch einer kulturellen, modernen Gesellschaft nicht würdig und dürfte in die längst überwunden geglaubte - hier passt es - reaktionäre Schublade der Vergangenheit gehören.
....dass aber dieses Postenkunkeln von Leuten angezettelt wird, die sich auf der "fortschrittlichen Straße der Kultur" glauben, ist das Neue.
Denn Kulturreisepass können sie sich in ihrem eigenen freien Kopf ausstellen, falls sie einen haben und wohin es geht, bestimmen sie selbst. Eines ist aber klar, eine neue Reise beginnt mit Chris Dercon 2017 und das ergebnissoffen, wie es sich gehört.
(...) wieso können Sie kritische Haltungen, die nicht Ihrer entsprechen, nicht einfach stehen lassen.
Offenheit hat nicht nur eine Richtung.
Besonders witzig finde ich den Kommentar von Nomos: Das wort von der "in den letzten Jahrzehnten arg gerupften Theaterlandschaft" zieht mir fast die Schuhe aus. Von welcher Stadt reden Sie? Doch nicht Berlin? Das kann nur behaupten, wer seit 10 Jahren seine Wohnung nicht verlassen und die Fenster abgedunkelt hat. Wobei das mit der Findungskommission noch lustiger ist. Sind Leipziger anwesend?
Ansonsten höre ich nur Rückwärtsgewandtes der Marke Castorf ist gut also behalten wir ihn. Ja, sein Blick auf Stadt und Gesellschaft wird fehlen, doch hatten wir den 25 Jahre lang. Und könnte im Jahr 28 nach dem Mauerfall nicht eventuell der Zeitpunkt gekommen sein, das "Ost" neu zu denken? Womöglich sogar von außen?
Ich brauche keinen Kulturreisepass, ich entscheide selbst. Mein Kopf ist zwar frei, aber nicht hohl. Für die Volksbühne haben Kulturpolitiker entschieden. Das heißt nicht, dass man diese Entscheidung nicht kritisieren darf. Sie haben ein persönliches Problem mit Castorf. Bitte klären Sie das dann auch mit ihm persönlich. Mich interessieren die narzisstischen Probleme von Künstlern nicht. Auch ihres ist mir egal. Was ist an Castorfs Arbeit nicht ergebnisoffen? Ich glaube Sie haben nichts von dem verstanden, worum es Castorf all die Jahre ging. Kunst ist in den meisten Fällen ergebnisoffen, darum lässt es sich auch so schön darüber streiten. Nur Sie denunzieren einen Künstler lieber als gestörten Narzissten, um sich nicht mit den Inhalten auseinandersetzen zu müssen. Sie haben weder Conrads Roman verstanden, geschweige denn den Film "Apokalypse Now". Castorfs Kunst kommt aus der Apokalypse Ost und hält mit dieser Erfahrung (auch mit mittlerweile 25 Westjahren) dem Westen seine Apokalypsen vor. Das ist für Sie natürlich zu viel des Guten, das geht nicht.
@ Sascha
Was heißt "Ost" neu zu denken? Losgelöst von den Wurzeln des Kalten Krieges, der immer noch herrscht? Verschieben wir nicht gedanklich den Osten jetzt schon hinter den Ural? Wie soll das gehen, etwas von außen zu betrachten? Wenn das die Herangehensweise von Dercon ist, dann wäre das eine für Europa momentan sehr typische Haltung. Der Künstler kann nicht von nur von außen schauen. Wenn Du meinst, von außen heißt mit neuer Sichtweise, dann würde mich interessieren, wie die deiner Meinung nach aussehen könnte. Diese Fragen kann und muss man stellen, auch 28 Jahre nach dem Mauerfall. Castorf rückwärtsgewandtes Theater vorzuwerfen, zeugt von wenig Geschichtsbewusstsein, das muss man schon sagen. Alle Achtung. Wo sich die neue Volksbühne sieht, ist bisher nicht bekannt. Eine speziell politische Ausrichtung wäre wünschenswert und entspräche auch der Tradition des Hauses. Wenn ergebnisoffen aber heißt, ich lege mich thematisch nicht fest, wohin die Überlegungen gehen sollen, mag das vielleicht eine Zeitlang ganz interessant sein, aber auf Dauer wird man sich doch eher erfolglos im Kreise drehen.
bitte erst lesen, dann kommentieren. Ich habe Castorf kein rückwärtsgewandtes Theater vorgeworfen, sondern dir und anderen eine rückwärtsgewandte Diskussion. Die DDR wird 2017 seit 27 Jahren Geschichte sein, der Kalte Krieg mindestens ebenso lange. Es geht mir nicht um Geschichtsvergessenheit, aber nach einer Generation halte ich eine theatrale Neudefinition des Ortes Volksbühne inmitten des dort schon längst nicht mehr existenten Ostberlin (nicht, dass es Ost und West nicht mehr gäbe, aber dazwischen existiert schon lange eine immer größer werdende Mischzone) für nicht nur angemessen, sondern notwendig. Und da kann ein Blick von außen, von Künstlern, die geografisch (Dercon) oder altersmäßig (Kennedy) nicht im Ist-West-Sumpf gefangen sind, m.E. nicht schaden. Die Innensicht hatten wir lange genug, eine Konservierung einer längst überkommenen Ostidentität (die die Volksbühne früher übrigens nie hatte, s. Besson) fände ich weniger spannend, als eine ergebnisoffene Hinterfragung der Identität dieses Ortes. Das erwarte ich von Dercon, nicht irgendein Ost-Theater (wie ja z.B. die Schaubühne schon lange kein West-Theater ist – sondern mehr Mitte als DT und BE zusammen).
Sie argumentieren, wie Figuren im Comic, ohne Gedächtnis.
Neue Möglichkeiten ? Ja. aber wozu?
Majestätsbeleidigung verhandelt. Wenn Weber auf Reese folgt, ist alles in Ordnung. Kommt ein Quereinsteiger als logische Konseqenz aus 25zig Jahren Arbeit an der Volksbühne wird er gedemütigt und steht vor ihren Augen als Zuhälter und Stuckateur da. Und das ist absolut nicht in Ordnung. Das ist Mobbing . Man überzieht einen Kandidaten solange mit Vorwürfen, bis jede weitere Äußerungen von ihm wie eine Rechtfertigung klingen muss. Ganz mieser Stil Herr Steckel.
"das" theater ist tot!
erfinde "das "theater neu!
no fear,herr baucks,sie erhalten diese kommentarspalte für sich offen,obwohl es ja zeit wäre sich dieser zu enthalten.
oder verstehe ich sie,wie so oft,nur falsch ?
mfg
s.
Ich selbst bin ja aus einem ganz anderen „Biotop“, kein Theatermensch, aber mir schwant nichts Gutes bei den geplanten Veränderungen, die wie Lehrkapitel aus einem Management-Handbuch daherkommen. Natürlich kann eine Kultureinrichtung viel Geld bekommen, wenn Sie sich elegant dem Corporate Design der Sponsoren anschmiegt und auf kreative und dezente Weise die Reichweite des Auftritts neuer Produkte vergrößert.
Aber die eigentliche Gefahr, auf die ich auch schon angespielt habe, kommt nicht vom Polit- und Kulturmanagement. Der seinerseits leitende Polit-Manager Carl August hätte gern Wallenstein, Wilhelm Tell, ja den ganzen Schiller verhindert, aber er hat sich nicht durchgesetzt, vielleicht, weil es damals einen verbreiteten Hunger nach und eine große Verehrung von Schiller-Texten und Schiller-Stücken gab. In heutigen Tagen muss das Deutsche Nationaltheater Wallenstein-Aufführungen absagen, weil sich nicht genügend Zuschauer einfinden. Die Kultur- und Bildungsnation entleert sich und wird von einem Betrieb gefüllt, der sie dann gern wieder nachäfft.
Auch Spanien ist so eine Kulturnation und den Madrilenen ist Real Madrid – in jeder Hinsicht – zehnmal mehr wert als Theater (und Oper).
1) Die Volksbühne ist im deutschsprachigen Raum das Haus mit den meisten in der Theatertreffen-Jury-Diskussion vertretenen Arbeiten! (3 Stück; das DT auch, aber da sind zwei Koproduktionen darunter)
2) Frank Castorf ist im deutschsprachigen Raum der Regisseur mit den meisten in der Theatertreffen-Jury-Diskussion vertretenen Arbeiten! (3 Stück; vor Karin Henkel & Yael Ronen jeweils mit 2)
Und Ersteres bei achso geringer Premierenzahl. Mhhmm, da scheint wohl doch was zu funktionieren in der Leitung des Hauses, Herr Renner. Treten Sie zurück! Verpflichten Sie Herrn Dercon an ein anderes Haus. Oder holen Sie ihn später. Bis 25 können Sie zählen, aber Kunst zu erkennen, scheint schwerer zu fallen.
Konferenz
Berlins Digitale Zukunftsvision
TIM RENNER
IMPULS REFERAT
Herr Staatssekretär Tim Renner
Veranstalter: Nachtkritik
Gedächtnisprotokoll:
"Der Einzige der alte Theateraufzeichnungen heute anschaut ist Herr Bergman, der ehemalige Chef des ZDF Theaterkanals und heutige Chef von ARTE".
ca. 8 x verbale große Eier von Tim Renner (siehe Webpage Heinrich Böll Stiftung, wenn der Live Stream dokumentiert wird)
Herr Renner steht laut eigener Aussage für eine neue "Kultur der Kooperation" im Gegensatz zur einer Kultur der Konfrontation der Dick-Eier.
Obwohl viele Frauen im Saal kurz protestierten, gelang es dem Vortragenden Renner nicht den Anwesenden ein Lachen durch die Wiederholung des Wortes abzugewinnen. Er hat sich zum Politier entwickelt.
Alle hielten still, denn es gibt ja eh kein Geld für seine Ideen und keine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Argumenten der bereits vergangenen wichtigen Debatte mehr. Nur noch Hohn auf diese… das nennt sich Nachtkritik...
Das ist doch nur Tarnung für: Abbau von Strukturen, Vernichtung von festen Arbeitsplätzen, Zerstörung des Systems, wie es im Moment existiert. Genau das gleiche Vokabular, das jeder Provinzpolitiker irgendeiner Pleitestadt im Moment im Munde führt. Erst Kooperation, dann Fusion, dann Schließung. Und Streichung der Gelder für die Kultur. Wie kann man nur so dumm sein, das nicht zu sehen? Irgendwer schrieb doch den schönen Satz: Wir merken uns Ihre Namen und ziehen Sie zur Verantwortung. Wird nichts nützen, machen wir trotzdem.