Hauptkriegsschauplatz Magen

von Sarah Heppekausen

Essen, 26. April 2015. Und dann tickt er aus. Er schimpft auf die vielbeschworene Multikulturalität, tritt die Lego-Moschee seines Sohnes kaputt und fordert den Kölner Karneval für alle. "Ich bin nicht rechtsradikal, ich bin normal", sagt er. Und: "Ich kann doch nicht dauernd durch die Realität laufen und nach Dingen suchen, die mich beleidigen." Er trägt einen Turban, fuchtelt mit seinem Säbel herum und schiebt einen Ansager beiseite, der erklärt, dass dies eine Szene sei, die vernünftigerweise nicht gespielt werde, denn sie könnte dieses Theater zu einem Anschlagsziel machen.

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In Mark Ravenhills Minidramen-Zyklus "Wir sind die Guten" (im Original "Shoot / Get Treasure / Repeat") ist Harry ein Sicherheitsfanatiker, der sich in Sorge um sein Kind in eine Gated Community sehnt und solange schon mal das Babyfon als Überwachungsanlage benutzt. In der Regie von Hermann Schmidt-Rahmer für das Schauspiel Essen entwickelt sich dieser Harry (Daniel Christensen) zum Pegida-Sprachrohr und zur vermeintlichen Terroristen-Karikatur. Blasphemie wirft sein Sohn ihm vor. Bis ein YouTube-Video Harrys Worte als reale Zitate des Salafisten Abu Usama Al Gharib entlarvt.

Schmidt-Rahmer inszeniert kein Stück (oder keine Ministücke), er bringt ein Thema auf die Theaterbühne. Der Textvorlage fügt er, wie gewohnt, Doku-Material hinzu, die Szenen kürzt er, und (fast) jeder überraschend-unangenehmen Wendung der einzelnen Kurzdramen lässt er weitere, eigene folgen.

wirsinddieguten2 560 MartinKaufhold uAuch die Burka knittert im Schwarz-Rot-Gold-Fieber: Silvia Weiskopf, Daniel Christensen, Stephanie Schönfeld, Thomas Büchel © Martin Kaufhold

Ravenhills 16 Dramolette (und ein Epilog), die der britische Autor 2007 für das Fringe-Festival in Edinburgh schrieb, sind von den Bombenattentaten auf die Londoner U-Bahn beeinflusst. Sie bieten reichliche Aktualisierungs- oder vielmehr Ergänzungsmöglichkeiten. Schmidt-Rahmer nutzt sie: Das Attentat auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo, Pegida, IS-Terror, Kopftuchdebatte – es fallen Sätze wie "Der Islam gehört zu Deutschland" oder "Die Konsensformel, dieser Terrorismus habe nichts mit dem Islam zu tun, bekommt Risse".

Der Regenwald in meinem Wohnzimmer

Die Inszenierung verstärkt die schon in der Vorlage grotesk angelegten Figuren, wenn der Soldat ohne Kopf, der Sohn Alex im bösen Traum erscheint, als Splatter-Zombie mit blutverschmiertem, entstelltem Gesicht auftritt. Wenn eine verschleierte Frau in einer Burka aus Deutschlandfahnen über die Bühne tanzt. Wenn die Kunstvermittler, die im ehemaligen Kriegsgebiet den Wiederaufbau mit Kulturworkshops vorantreiben wollen, aus Leichensäcken auferstehen und Projektanträge beim Publikum einsammeln.

Alle sieben Schauspieler legen ihre Rollen ironisch, mitunter zynisch an. Die Verteidigung der Grundrechte wird zur Wutbürgerredeorgie. Da brüllt Thomas Büchel als Hilfsdienst-Mitarbeiter seine westlichen Privilegien heraus, "der ganze Regenwald steht als Möbel in meinem Wohnzimmer." Harmloser wirkt die Mittelschichtsmutter von Stephanie Schönfeld. Die plaudert über ihre Koffeinunverträglichkeit, als preise sie ein neues Produkt an. Ihr Hauptkriegsschauplatz ist der Magen. Aber hier wie dort (so teilt Schmidt-Rahmer den Abend vereindeutigend ein) ist Paranoia präsent. Ein permanenter Unruheherd rumort unter der Inszenierung, selbst in den langsam-gedehnten Bewegungen.

Jede Szene ein Statement

Vielleicht ist es das Videobild. Auf Adrian Ganeas sonst karger Bühne hängt eine große Leinwand, Projektionsfläche für YouTube-Filme, News-Mitschnitte und live abgefilmte Szenen. Je nach Perspektive entsteht der Eindruck einer Überwachungskamera oder der einer unangenehm-nahen Situation.

Der Regisseur hat ein deutliches Anliegen. Die Entscheidung, "Wir sind die Guten" zu inszenieren, war eine Reaktion auf den Anschlag auf Charlie Hebdo. Und Dringlichkeit ist spürbar, jede Szene wird zu einem Statement. Aber so überfrachtet Schmidt-Rahmer die dramatische Vorlage, aus der er nur fünf der Ministücke gewählt (und zum Teil stark gekürzt) hat. Fremdtexte, Auszüge aus Interviews, Videoeinspielungen und eine (großartig-groteske) Songeinlage verlieren in der Masse ihre Brisanz. Auch der vermeintliche Attentäter, der sich schwer bewaffnet vor den Theatersaaltüren bewegt und im Videobild zu sehen ist. Er könnte bedrohlich wirken, aber er geht unter im bunt-bösen Assoziationsreigen.

 

Wir sind die Guten (Shoot / Get Treasure / Repeat)
von Mark Ravenhill
Deutsch von John Birke
Regie: Hermann Schmidt-Rahmer, Bühne und Videographie: Adrian Ganea, Kostüme: Michael Sieberock-Serafimowitsch, Dramaturgie: Carola Hannusch.
Mit: Thomas Büchel, Daniel Christensen, Ingrid Domann, Stephanie Schönfeld, Sven Seeburg, Johann David Talinksi, Silvia Weiskopf.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspiel-essen.de

 

Mehr zum Stück, das in Deutschland unter immer neuen Namen auftaucht? 2010 erlebte es in Düsseldorf seine deutschsprachige Erstaufführung, Claus Peymann inszenierte es am Berliner Ensemble, und Marie Bues adaptierte Ravenhills "Shoot / Get Treasure / Repeat" in Osnabrück.

 

Kritikenrundschau

Schmidt-Rahmer mache aus Ravenhills Kurzdramen eine starke, politisch-provokante, manchmal zynisch-zugespitzte, bisweilen aber auch thematisch überfrachtete Gratwanderung an die Grenzen von Toleranz, Liberalismus und multikultureller Verständigung, schreibt Martina Schürmann im WAZ-Portal derwesten.de (27.4.2015). Ravenhills Text diene dabei nur noch als Grundlage, die der Regisseur mit Material aus You-Tube-Videos von Interviews mit Pegida-Anhängern bis zu Reden radikaler Salafisten-Prediger collagiert und dann zwecks Brechung nachspielen lässt. "Irgendwann steigert sich diese grelle Szene in einen grotesken Aufmarsch der Deutschlandfahnen-schwenkenden Wutbürger und Integrations-Extremisten in schwarz-rot-goldener Burka." Darf die Kunst das alles so hemmungslos überzeichnen, "sie muss, sagt Schmidt-Rahmer".

"Ein sehenswerter Theaterabend, der die richtigen Fragen stellt und sie nicht ohne Humor auf die Bühne bringt", schreibt Britta Helmbold auf RuhrNachrichten.de (26.4.2015).

Stefan Keim schreibt auf der Website von Deutschlandradio (25.4.2015), Schmidt-Rahmer zeige eine "satirische Analyse" zur Pegida-Bewegung. Er kombiniere einige von Ravenhills Szenen mit "eigenen Recherchen". Die Schauspieler drehten auf und überzeichneten. Doch wenn man gerade denke, dass sie heftig karikierten, folge eine Videoeinspielung, in der man die gerade gehörten Sätze noch einmal im Original höre, von "islamistischen Predigern oder Teilnehmern von Pegida-Demonstrationen". Es gebe "keine Guten und Bösen", im Gegenteil das Grauen wäre nahe, "wenn moralische Begriffe bemüht werden". Die Inszenierung verstöre, weil sie sich auf der Kippe bewege. "Boshaft" attackiere Schmidt-Rahmer "politisch korrekte Kunstbemühungen", "multikulturelle Projekte", die nur dafür da seien, "dass sich die reichen Europäer besser fühlen". "Enorm unterhaltsam".

 

Darf die Kunst das alles so hemmungslos überzeichnen? Sie muss, sagt Schmidt-Rahmer.

Schauspiel Essen – Freiheits-Guerilla im Gartenhäuschen - | WAZ.de - Lesen Sie mehr auf:
http://www.derwesten.de/kultur/schauspiel-essen-freiheits-guerilla-im-gartenhaeuschen-id10607629.html#plx71582249


Darf die Kunst das alles so hemmungslos überzeichnen? Sie muss, sagt Schmidt-Rahmer.

Schauspiel Essen – Freiheits-Guerilla im Gartenhäuschen - | WAZ.de - Lesen Sie mehr auf:
http://www.derwesten.de/kultur/schauspiel-essen-freiheits-guerilla-im-gartenhaeuschen-id10607629.html#plx71582249

Schmidt-Rahmer macht daraus eine starke, politisch-provokante, manchmal zynisch-zugespitzte, bisweilen aber auch thematisch überfrachtete Gratwanderung an die Grenzen von Toleranz, Liberalismus und multikultureller Verständigung. Ravenhills 2007 entstandene Minidramen-Sammlung dient dabei nur noch als Grundlage, die der Regisseur mit Material aus You-Tube-Videos von Interviews mit Pegida-Anhängern bis zu Reden radikaler Salafisten-Prediger collagiert und dann zwecks Brechung vom überzeugenden Ensemble nachspielen lässt. Daniel Christensen lässt den islamfeindlichen Überwachungs-Fanatiker, der sogar die Lego-Moschee seines Sohnes eintritt, da plötzlich unheimlich intensiv in eine säbelschwingende Terroristen-Karikatur kippen. Irgendwann steigert sich diese grelle Szene in einen grotesken Aufmarsch der Deutschlandfahnen-schwenkenden Wutbürger und Integrations-Extremisten in schwarz-rot-goldener Burka.

Schauspiel Essen – Freiheits-Guerilla im Gartenhäuschen - | WAZ.de - Lesen Sie mehr auf:
http://www.derwesten.de/kultur/schauspiel-essen-freiheits-guerilla-im-gartenhaeuschen-id10607629.html#plx1978587840

Schmidt-Rahmer macht daraus eine starke, politisch-provokante, manchmal zynisch-zugespitzte, bisweilen aber auch thematisch überfrachtete Gratwanderung an die Grenzen von Toleranz, Liberalismus und multikultureller Verständigung. Ravenhills 2007 entstandene Minidramen-Sammlung dient dabei nur noch als Grundlage, die der Regisseur mit Material aus You-Tube-Videos von Interviews mit Pegida-Anhängern bis zu Reden radikaler Salafisten-Prediger collagiert und dann zwecks Brechung vom überzeugenden Ensemble nachspielen lässt. Daniel Christensen lässt den islamfeindlichen Überwachungs-Fanatiker, der sogar die Lego-Moschee seines Sohnes eintritt, da plötzlich unheimlich intensiv in eine säbelschwingende Terroristen-Karikatur kippen. Irgendwann steigert sich diese grelle Szene in einen grotesken Aufmarsch der Deutschlandfahnen-schwenkenden Wutbürger und Integrations-Extremisten in schwarz-rot-goldener Burka.

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http://www.derwesten.de/kultur/schauspiel-essen-freiheits-guerilla-im-gartenhaeuschen-id10607629.html#plx1978587840

Schmidt-Rahmer macht daraus eine starke, politisch-provokante, manchmal zynisch-zugespitzte, bisweilen aber auch thematisch überfrachtete Gratwanderung an die Grenzen von Toleranz, Liberalismus und multikultureller Verständigung. Ravenhills 2007 entstandene Minidramen-Sammlung dient dabei nur noch als Grundlage, die der Regisseur mit Material aus You-Tube-Videos von Interviews mit Pegida-Anhängern bis zu Reden radikaler Salafisten-Prediger collagiert und dann zwecks Brechung vom überzeugenden Ensemble nachspielen lässt. Daniel Christensen lässt den islamfeindlichen Überwachungs-Fanatiker, der sogar die Lego-Moschee seines Sohnes eintritt, da plötzlich unheimlich intensiv in eine säbelschwingende Terroristen-Karikatur kippen. Irgendwann steigert sich diese grelle Szene in einen grotesken Aufmarsch der Deutschlandfahnen-schwenkenden Wutbürger und Integrations-Extremisten in schwarz-rot-goldener Burka.

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