Wolf im Schafspelz

von Ute Grundmann

Magdeburg, 2. Mai 2015. Ein greisenhaftes Kind sitzt in einem Lichtstrahl und Nebel allein auf der Bühne. Noch weiß es nicht, dass aus ihm einmal der Nazi-Massenmörder Max Schulz und das jüdische Opfer Itzig Finkelstein werden wird. Doch schon in den Jubel über seine Geburt, der rund um es begangen wird, kann es nicht einstimmen. Mit dieser beeindruckenden Szene beginnt im Magdeburger Schauspielhaus die Inszenierung von Edgar Hilsenraths Roman "Der Nazi & der Friseur", den die Regisseurin Susanne Lietzow als Bühnenfassung eingerichtet und inszeniert hat. Mehr als drei Stunden dauert der Abend und leider wird keine der folgenden Szenen an diesen Auftakt heranreichen.

In Zeiten von Neonazi- und "Pegida"-Aufmärschen

Aurel Lenfert hat auf die große Bühne eine schlichte, aber wirkungsvolle Szenerie gebaut: Eine graue Welle, die vom Schnürboden bis an die Rampe schwappt, darauf lassen sich Max' (Alb-)Träume ebenso projizieren wie der Weg übers Wasser nach Palästina. Doch so weit ist es noch nicht, erst wird ausgiebig der Beginn dieses Doppellebens gefeiert, erzählt vom erwachsenen Max (Konstantin Lindhorst): da paradieren die fünf möglichen Väter des Kleinen an der drall ausgestopften Mutter vorbei. Auch der Friseur Finkelstein, im Pelzkragenmantel, sagt erst seine Biografie her und gibt dann die Geburt ebenfalls einen Jungen bekannt. Es folgen Witze über Beschneidung und die angedeutete Choreografie einer solchen, mit Riesenmesser und blutiger Metzgerschürze. Max soll dasselbe Schicksal ereilen, doch der Kleine beißt jeden und seine Mutter protestiert schmollmündig.

nazi friseur 07 560 nilz boehme uKonstantin Lindhorst (rechts) spielt den Nazi Max Schulz, der nach dem Krieg in die Rolle seines ehemaligen jüdischen Freundes schlüpft, hier mit Thomas Schneider. © Nilz Boehme

So betont und aufgesetzt komisch nimmt Susanne Lietzows Inszenierung ihren Lauf und diese Attitüde wird sie in den folgenden Stunden nie ganz loswerden. Dabei hätte aus Edgar Hilsenraths Roman um einen Nazi-Massenmörder, der die Identität seines früheren jüdischen Freundes annimmt, um seine Haut zu retten, ja durchaus ein wichtiges Stück werden können. Zumal 70 Jahre nach Ende des Krieges und der Befreiung der Konzentrationslager, in Zeiten von dreisten Neonazi- und "Pegida"-Aufmärschen. Doch davon ist hier nicht mal was zu ahnen.

Im Mittelpunkt steht der stets heitere Max (Konstantin Lindhorst), der seinen Lebenslauf locker wie ein Entertainer erzählt, nachdem er von seinem früheren jüdischen Kumpel Itzig getrennt wurde. Und wenn er so erzählt, sprechen die anderen Figuren ihre Texte in diese Erzählung hinein, oder Max hat gleich ein Solo, in dem er die Geschichte allein weiterspinnt. Von solchen Soli-Szenen hat die Hauptfigur viele, zu viele – da kann die Inszenierung ihr Herkommen und ihre Nähe zum Roman nicht ablegen. Ein Lichtkasten, in dem eine Schattenfigur aus einem Buch vorliest, verdeutlicht das nur noch.

Das Grauen in Nebensätzen

Nur einmal, als Max in SS-Uniform von sich und vom Krieg erzählt ("in Polen war nix los", im kleinen KZ Laubwalde hatte er "eine friedliche Zeit"), wenn das Grauen in Nebensätzen aufscheint, wird es sehr still im Publikum. Doch die übrigen Szenen sind zu sehr auf vordergründige Komik angelegt, zu breit ausgewalzt, statt kurz und prägnant diese Doppelfigur zu entlarven.

Stattdessen Klischees und Überzeichnung: der jüdische Friseur-Vater Finkelstein klappert natürlich mit einer Schere (was ihm sonst widerfährt, bleibt dunkel), der Ami-Befreier kommt mit dickem Slang und Corned Beef-Dosen im Netz daher (die auch im Foyer stehen), bei der polnischen Veronja haust ein Teufel mit Bocksfuß hier und Highheel da. Der etwas kürzere zweite Teil beginnt mit einem peinlichen "Versöhnungs"- und Kameradenabend vor dem Eisernen Vorhang, auf dem der zu Itzig Finkelstein gewordene Max erklären soll, wie der den "Hitlerismus" überstanden hat. Und auch hier referiert Max-Itzig wieder endlos seinen Weg, der dann bebildert wird: Die gefälschte KZ-Nummer am Unterarm wird unter Bohrer-Geräuschen "tätowiert", in einem amerikanischen Auffanglager hat eine dralle Krankenschwester das Kommando, ein jüdischer Amtsgerichtsrat liest die Zeitung "Reuiges Deutschland" und die Geschichte der Ballerina Hanna im Rollstuhl will niemand wirklich hören. Mit solcher Vordergründigkeit vergibt die Inszenierung vieles, lädt zum Lachen eher ein, als es im Halse stecken zu lassen. Und sie bleibt zu sehr an der Romanvorlage haften, gewinnt zu selten eigenes, theatralisches Format.

 

Der Nazi & der Friseur
von Edgar Hilsenrath, Dramatisierung von Susanne Lietzow
Regie: Susanne Lietzow, Bühne / Kostüm: Aurel Lenfert, Video: Petra Zöpnek, Dramaturgie: Lisa Dressler.
Mit: Konstantin Lindhorst, Susi Wirth, Thomas Schneider, Raphael Gehrmann, Ralph Martin, Sebastian Reck, Timo Hastenpflug.
Dauer: 3 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.theater-magdeburg.de

 

Kritikenrundschau

"Mit den Aktualisierungen ist es ja so eine Sache: Wenn sie zu sehr auf der Hand liegen, wird das eher peinlich", sagt Stefan Petraschewsky auf MDR Figaro (3.5.2015). Susanne Lietzows Hilsenrath-Uraufführung in Magdeburg vermeide "deswegen" jedwede Aktualisierung: "Die Inszenierung bleibt in ihrer Zeit, bleibt in dieser Kollage-Ästhetik, fokussiert hier: die Groteske", so Petraschewsky: "Man kann sagen: Es ist nicht hier auf der Bühne nicht viel mehr hier los als auf dem berühmten Bild von George Grosz: 'Stützen der Gesellschaft'." Das sei einerseits gut so, aber über dreieinhalb Stunden eben auch sehr, sehr altbacken: "Theater-Ästhetisch bleibt das weit hinter dem aktuellen Stand zurück", auch wenn die schauspielerischen Leistungen "wirklich überzeugend" seien.

Edgar Hilsenrath mache es in der grandiosen Bearbeitung seines Buches von Susanne Lietzow den Zuschauern nicht leicht, schreibt Rolf-Dietmar Schmidt in der Magdeburger Volksstimme (4.5.2015). "Der Stoff ist eine Groteske, erzählt aus der Perspektive des Täters und ist mit dieser speziellen Art jüdischen Humors gespickt, den man auch unter dem Begriff Chuzpe kennt." Lietzow greife die Intention des Autors mit außerordentlichem Einfühlungsvermögen auf, "setzt das in eindrucksvolle Bilder, schockierendes, mitunter abstoßendes Geschehen um". Die Inszenierung mache auf beeindruckende Weise deutlich, "wie sich der Kreis schließt, wie Täter zu Opfern und Opfer wiederum zu Tätern werden". Fazit:  ein mutiges und ungeheuer aufrüttelndes Stück.

 

 

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