Nur ein Modethema?

von Sophie Diesselhorst

Berlin, 2. Mai 2015. Gegen Ende der Diskussionsrunde "Wie kann Theater der Wirklichkeit von Asylsuchenden und der Politik begegnen?" waren sich alle einig: Theater kann aus seinen angestammten Räumen hinausgehen und die Wirklichkeit da treffen, wo die meisten sie vermuten: auf der Straße. Theater will außerdem seine Räume öffnen für die künstlerischen Protestbewegungen, die es dort draußen schon gibt. Theatertreffen-Jurorin Barbara Burckhardt beschrieb den Lerneffekt, den das anderthalbstündige Gespräch für sie gehabt hätte: Reingegangen sei sie mit der Überzeugung, am wichtigsten sei das Nach-Draußen-Gehen, raus gehe sie nun mit der Überzeugung, dass das Reinlassen mindestens ebenso wichtig sei.

Plötzlich selbstverständlich

Eine Frage gab es aber doch noch aus dem Publikum in der Kassenhalle des Hauses der Festspiele, wo mutmaßlich fast gar keine Refugees, sondern vor allem Theaterleute beieinander saßen: Ob es sein könne, wollte eine Zuhörerin von den Theaterbetriebs-Vertretern auf dem Podium wissen – neben Barbara Burckhardt, Nicolas Stemann, Regisseur der TT-Eröffnungsproduktion "Die Schutzbefohlenen", Marianna Salzmann vom Gorki Studio und als Moderatorin die Theaterkritikerin Christine Wahl – dass "die Flüchtlinge" fürs Theater bloß das aktuelle Modethema seien – quasi der natürliche Nachfolger von NSU und NSA. Ein Zweifel, der wohl auch genährt war, von der plötzlichen Selbstverständlichkeit des Themas im deutschsprachigen Theater. Es ist ja nicht so, dass erst seit einem Monat Menschen im Mittelmeer ertrinken. Aber auf einmal reden alle drüber, und auch das Theatertreffen schreibt sich die Beschäftigung mit der Misere groß auf die Fahnen. So beraumten die Festspiele gleich zu Beginn ihrer glamourösen Veranstaltung einen Thementag an, mit Auftakt-Vortrag einer Anwältin, Podiumsdiskussion und anderthalbstündigen Workshops, geleitet von Flüchtlings-Aktivisten.

tt fluechtlingstag 1 580 piero chiussi uDas Podium des Thementages, hinten von links: Marianna Salzmann, Ahmed Shah, Moderatorin Christine Wahl, Nicolas Stemann; vorne von links: Barbara Burckhardt, Samee Ullah, eine Übersetzerin.
© Piero Chiussi / Agentur StandArt

Die Theaterbetriebler ließen die Frage nach dem Etwa-doch-nur-Modethema unbeantwortet. Dafür nahm Samee Ullah vom Refugee Club Impulse, einer Berliner Refugee-Theatergruppe, die Gelegenheit wahr, ein flammendes Plädoyer für den politischen Aktivismus zu halten. Das hatte auf den ersten Blick mit Theater wenig zu tun, mündete aber in die These, das jüngst begründete polit- und kunstaktivistische Bündnis My right is your right sei "no campaign, but a movement – against Pegida". Womit er wieder beim Stichwort "Modethema" angekommen war.

Denn während auf den etablierten Kanälen kaum noch jemand über Pegida spricht, machte Samee Ullah klar, dass das Thema für ihn als Muslim noch lange nicht erledigt ist, dass die Islam-feindlichen Demonstrationen in Dresden und anderswo einen Rassismus sichtbar gemacht haben, der nicht aufhört Menschen zu beängstigen und zu entfremden, nur weil die Teilnehmerzahlen sinken und die Pegida-Vorleute sich bis zur Bedeutungslosigkeit ihrer Bewegung zerstritten haben.

Was geschieht im "Schutzraum"?

Auf dem Podium drehte sich die Diskussion, angestoßen von der Eröffnungsproduktion "Die Schutzbefohlenen, vornehmlich darum, ob das Repräsentationstheater "dem Thema Flüchtlinge" als Form gewachsen sei. Nicolas Stemann und Marianna Salzmann fanden: ja – mit unterschiedlichen Begründungen. Für Marianna Salzmann ist Theater per se Aktivismus, sobald man sich nur auf die Bühne stelle, werde man aktiv. Für Nicolas Stemann stand fest, dass die selbstkritische Befragung der Repräsentations-Theater-Techniken keineswegs in eine Sackgasse führe, sondern vielmehr die Möglichkeit eröffne, dem Publikum - ganz brechtsch – gesellschaftskritische Denkaufgaben zu stellen. Solche Selbstkritik brauche allerdings Kunst-Schutzräume.

tt fluectlingstag 3 580 piero chiussi uWorkshop beim "Thementag": mit Ahmed Shah (mit erhobenem Zeigefinger) und Merah Tesara (links von ihm) und Mohammed Kello (rechts).  © Piero Chiussi / Agentur StandArt

Für ein anderes Verständnis von "Schutzraum" plädierte auf dem Podium Ahmed Shah vom JugendtheaterBüro Berlin, der forderte, die Bühne für Refugees zu bereiten, statt dort in bewährten Cliquen nur über sie zu reden. In einem der anschließenden Workshops stellte Shah gemeinsam mit Mitgliedern der Theatergruppe Refugee Club Impulse diese von Refugees selbst organisierte Truppe und ihre bisher prominenteste Arbeit "Letters home" vor. Eine Produktion, die auf Briefen basiert, die Bewohner des Berliner Erstaufnahmelagers in der Motardstraße an Freunde und Familienmitglieder in der oder einfach nur an die zurückgelassene Heimat geschrieben haben. Merah Tesara und Mohammed Kello, beide aus Syrien, beschrieben eindrücklich, wie sie die Theaterarbeit nutzen, um wieder ein Selbstverständnis als aktive Mitglieder der Gesellschaft zu erlangen, die durch die Flüchtlingsgesetzgebung erzwungene Passivität zu überwinden, wider Klischeebilder von Flüchtlings-Leid und -Trauma. Der Workshop endete mit einer mitreißenden mehrsprachigen Rap-Performance.

Mitte der Gesellschaft

Bestimmt kann ein Themen-Nachmittag wie dieser dazu beitragen, "das Thema" in "die Mitte der Gesellschaft" zu tragen – wie Berenice Böhlo, Anwältin vom Flüchtlingsrat Berlin, es zum Auftakt des Nachmittages als vorrangiges Ziel formuliert hatte. Hilfreich gewiss auch, dass der Eröffnungsabend tt fluectlingstag 2 280 piero chiussi uDas Publikum des Thementages © Piero Chiussides Theatertreffens am Freitag nicht von pompösen Preisverleihungs-Reden mit allerlei Wortgeklingel, sondern von Tischgesprächen und konkreten Forderungen geprägt gewesen war. Nicolas Stemann hatte im Anschluss an "Die Schutzbefohlenen" auf die Bühne des Festspielhauses gebeten, wo Expert*innen für die Themen Flucht und Asyl als Gesprächspartner für das Publikum bereit saßen, an den Ausgängen wurde Geld gesammelt für "My right is your right".

Vielleicht ist ja "die Mitte" der Zivilgesellschaft doch durchlässiger für humane Forderungen als die zutiefst verunsicherte politische Klasse. Die Gespräche mit "der Politik" jedenfalls, erklärte die Anwältin Beatrice Böhlo, seien in Berlin "komplett gescheitert". Dabei gehe es für Flüchtlinge in dieser Stadt ja nicht mehr um ihr Überleben im Mittelmeer, sondern um "die Situation prekären Ankommens", womit sie den Fokus von Lampedusa nach Berlin-Wilmersdorf verschob.

Die Theatermacher des Refugee Club Impulse, die diese Situation des prekären Ankommens ja alle kennen und zum Teil noch in ihr leben, hatten Stemanns "Schutzbefohlene" am Samstag noch nicht gesehen. Was würden sie dazu sagen? Das wäre mindestens eine weitere Podiumsdiskussion wert.

 

Ein Kritiker-Gespräch zwischen Sophie Diesselhorst und Georg Kasch über "Die Schutzbefohlenen" zur Eröffnung des Theatertreffens 2015

Festung Europa oder das Theater mit den Flüchtlingen – ein Essay von Sophie Diesselhorst

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