Ich bin nicht politisch?

von Sophie Diesselhorst und Georg Kasch

Berlin, 6. Mai 2015. Nach der Theatertreffen-Premiere von "die unverheiratete" ist das Mobile Kritiker Duo brav ins jeweilige Zuhause geradelt und hat sich zum Resümée auf Skype wieder getroffen. Hier die Gesprächschronik:

Schmilzt weg wie die Wahrheit

[06.05.15 22:41:30] Sophie Diesselhorst: Das war der vierte Theatertreffen-Abend für uns, wir sind also fast über den Berg. Und ich muss sagen, dass ich schon ein bisschen erschöpft war. Und "die unverheiratete" aber in diesem Zustand ziemlich gut aufnehmen konnte ...

[06.05.15 22:43:09] Georg Kasch: Das stimmt – einerseits. Andererseits gab's ein ernsthaftes akustisches Problem – selbst in Reihe 7 war ich froh, dass es englische Übertitel gab. Meinst Du, das war Konzept oder dem Gastspiel-Raum geschuldet?

[06.05.15 22:45:59] Sophie Diesselhorst: Hm. Mir ging's auch so. Vielleicht passt das akustisch schwer Verständliche doch in das Konzept eines Stücks, das vor allem aus intimen entweder Monologen oder Zweiergesprächen besteht?

[06.05.15 22:52:52] Georg Kasch: Wobei die selten das Problem waren. Elisabeth Orth, Christiane von Poelnitz und Stefanie Reinsperger sind ja Sprech-Künstlerinnen – wie die aus Ewald Palmetshofers komplexen Satzfragmenten klare Gedanken schälen, ist toll. Entweder lag's an Situationen, wo alle Richtung Bühnenrückwand sprachen. Oder sich die Stimmen der vier Schwestern schnell abwechselten. Ich kann mir gut vorstellen, dass das zum Teil zumindest Konzept war – zum einen, weil's bei Borgmanns Berliner Macbeth und beim Stuttgarter Wanja auch nicht so sehr anders war. Zum anderen, weil's inhaltlich passen würde und sich hier die Unschärfen der Erinnerung, der Wahrheit, des schwierigen, undeutlichen Miteinanders der drei Frauen spiegeln würden.

[06.05.15 22:58:15] Sophie Diesselhorst: Ja, das ist präziser … Was ich interessant fand, war: Wie das Paradox offengelegt wurde zwischen der Erkenntnis, dass Wahrheit in der Postmoderne ein äußerst schwieriger Begriff ist, und der durch diese Erkenntnis sogar noch intensivierten Suche nach dem wahrheitsforschenden Gespräch.

[06.05.15 22:59:44] Sophie Diesselhorst: Übrigens hat eben diese Suche nach dem Gespräch für mich auch den "Erholungseffekt" dieses Abends ausgemacht, und mir ist aufgefallen, dass die drei vorangegangenen Abende, die wir gesehen haben, entweder episch oder lyrisch, aber auf jeden Fall sehr kündend waren.

[06.05.15 23:00:30] Georg Kasch: Stimmt. Hier gab's endlich mal Auseinandersetzung, Gespräch.

unverheiratete1 560 georgsoulek uDrei von sieben Frauen: Stefanie Reinsperger, Elisabeth Orth und Christiane von Poelnitz
© Georg Soulek

[06.05.15 23:01:10] Georg Kasch: Auch wenn er vielleicht der plakativste Satz dieses sonst überhaupt nicht plakativen Stücks ist, hat mich der Satz "Ich bin nicht politisch" getroffen, der ja auch einen Bogen zwischen Großmutter und Enkelin schlägt. Passt auch ganz gut zum Theatertreffen insgesamt.

[06.05.15 23:02:31] Sophie Diesselhorst: Ja, obwohl das ja eigentlich gerade in Frage gestellt wird, oder? Siehe auch den Spenden-Aufruf für "My right is your right", der auch nach dieser Theatertreffen-Vorstellung wieder vorgelesen wurde.

[06.05.15 23:06:42] Georg Kasch: Klar, das ist der Dreh des Stücks. Und dass ich den Solidarisierungs-Text heute zum dritten Mal gehört habe, hat ihn nicht geschwächt, im Gegenteil. Man kann das natürlich – wie alle Zeichen – als Symbolpolitik abtun. Ich finde es aber ein starkes Zeichen, dass so ein eher mit Glamour und High End assoziiertes Festival wie das Theatertreffen den Mut zur Penetranz besitzt und diese Forderungen, die vielen im Saal gegen den Strich gehen dürften (wie die Aufforderung zur kritischen Befragung der eigenen Rassismen), jedes Mal neu verlesen zu lassen, ganz gleich, wie die Aufführung davor ausgesehen hat (Ausnahme: Atlas der abgelegenen Inseln, wo das allerdings vom Ort sehr erschwert werden würde).

[06.05.15 23:08:05] Sophie Diesselhorst: Ja, ich bin gespannt auf die Höhe der Spendeneinnahmen. Im Vergleich zum Umsatz mit Wein und Brezeln. :)

[06.05.15 23:08:18] Sophie Diesselhorst: Hand aufs Herz: Was war denn für Dich bisher der stärkste Abend?

[06.05.15 23:10:43] Georg Kasch: Schwierig. Inhaltlich der Stemann, atmosphärisch der Luz, schauspielerisch "die unverheiratete". Wobei Luz auch noch viele Sympathiewerte kriegt – diese federleichte Sehnsuchtsübung im Jahrhundertwende-Look hat mich schon ziemlich bezirzt.

[06.05.15 23:11:09] Georg Kasch: Aber vollkommen überzeugt im Sinne von "Aufführung des Jahres" o.ä. hat mich noch nichts.

[06.05.15 23:11:24] Georg Kasch: Was ich vom Theatertreffen übrigens auch nicht fordern würde.

[06.05.15 23:12:49] Georg Kasch: Allerdings freue ich mich schon sehr auf die morgige Wiederbegegnung mit Common Ground – wenn ich das mit einrechne, ist der Abend mein Favorit zur Halbzeit.

[06.05.15 23:16:17] Sophie Diesselhorst: Schön wäre es schon, nochmal richtig vom Hocker gerissen zu werden. Das ist mir bisher auch noch nicht passiert. Bei mir liegen im Moment "Die Schutzbefohlenen" und "die unverheiratete" nebeneinander auf Platz eins. Flüchtlinge und Frauen … (Ja, "Common Ground" wird morgen harte Konkurrenz!).

[06.05.15 23:17:48] Sophie Diesselhorst: Und was ist mit den Trends? Ein Trend ist Eis auf der Bühne: Bei Thom Luz sehr eindrucksvoll vorgeführt mit einem Eisblock, der über eine Pauke gehängt wird, und man wartet dann die ganze Zeit vergeblich drauf, dass er einen Ton tropft. Und heute dieses Pult, über das Stefanie Reinsperger sich einmal monologisierend hängt, das war doch auch aus Eis, oder?

[06.05.15 23:18:18] Sophie Diesselhorst: Schmilzt weg wie die Wahrheit, wenn man ihr zu nahe kommt ...

[06.05.15 23:19:05] Georg Kasch: Könnte auch Plexiglas gewesen sein, aber ja – Eis würde eine Deutung ergeben. – In meiner Luz-Vorstellung hat es herrlich getrommelt, leise und beständig.

[06.05.15 23:25:09] Georg Kasch: Weitere Trends? Finde ich schwierig, da jetzt schon was auszurufen jenseits des allgegenwärtigen Politischen. Interessant finde ich vielmehr, wie unterschiedlich die Handschriften der jungen Regiseur*innen sind, die doch alle in einer ähnlichen Altersliga spielen – Kennedy, Borgmann, Luz, Ronen.

[06.05.15 23:30:47] Sophie Diesselhorst: Ja, wobei sie jetzt (und auch sonst) sehr unterschiedliche Stoffe am Wickel haben. Und ich habe bei allen dreien – ich nehme Ronen aus – das Gefühl, dass sie vor allem ästhetisch auf die Kacke hauen. Dass "die unverheiratete" so ein vergleichsweise bedächtiger Abend ist, liegt m.E. vor allem am Stück von Ewald Palmetshofer. Es gab ja ein paar Momente, in denen es (für mich) ganz unvermittelt quietschte und wummerte und Lichter aus und an gingen und Standbilder erzeugt wurden; diese Momente fand ich auf Anhieb unnötig illustrativ, aber vielleicht muss ich auch noch mal drüber schlafen...

[06.05.15 23:33:50] Georg Kasch: Ging mir allerdings genauso. Immerhin hatte die Blut- und Boden-Ästhetik eine direkte Anbindung zum Inhalt, und auch die sich hebenden und senkenden Vorhänge für die Show des Großmutter-Lebens und die Leuchtstäbe als Sonden ins Dunkel der Vergangenheit lassen sich deuten. Aber in der Summe erschien auch mir das zu viel, zu gewollt, zu markig.

[06.05.15 23:34:00] Sophie Diesselhorst: Theaterhubernd.

[06.05.15 23:34:41] Georg Kasch: Genau.

[06.05.15 23:35:47] Georg Kasch: Für die verbleibenden Abende wünsche ich uns also: mehr Geschichten, weniger Huberei. Und den großen Wurf. Bis morgen!

[06.05.15 23:35:52] Sophie Diesselhorst: Gute Nacht!

 

Zur Nachtkritik der Premiere von die unverheiratete in Wien (12/2014)

Alles zum Theatertreffen 2015 gesammelt in der (mitwachsenden) Theatertreffen-Übersicht 

Kommentare  
tt 15, die unverheiratete: ziemlich naiv
Was soll das denn heißen, dass drei Stücke "vor allem ästhetisch auf die Kacke hauen"? Das ist doch eine seltsam eingschränkte Vorstellung von Ästhetik, die sie hier verbreiten. Sie meinen Dekoration, sprechen aber von Ästhetik. Tatsächlich vermittelt sich jeder Inhalt auf der Bühne über ästhetische Mittel. Und wenn sie glauben, Sprache, die scheinbar direkte politische Inhalte trägt, nicht den Gesetzmäßigkeiten einer Ästhetik unterworfen sei, dann finde ich das ziemlich naiv - eine völlig oberflächliche Wahrnehmung.
tt 15 , die unverheiratete: Schuld, Wahrheit & Leben
Palmetshofers Spracherkundung und Borgmanns introspektives Bedeutungsertasten zwischen den Grabhügeln im im Neonröhren-Kubus, der natürlich auch etwas von einer Gefängniszelle hat (Bühne: Bormann), gehen eine unheilige Allianz ein, zumindest für so manchen Zuschauer: Ihr Suchen kann, ja, will nirgendwo ankommen, die Endlosschleife erscheint hier als Überlebensstrategie und wird in keiner Sekunde abgemildert. Das ist schwer zu ertragen, zumal die Denk- und Erkenntnisarbeit vor allem beim Publikum liegt. Wir beobachten Leben im Stillstand – solche, die sich in ihm eingerichtet haben und solche, die in immer panischeren Bewegungen, versuchen, so etwas wie Sinn und Richtung zu finden, nur um sich dadurch um so mehr zu verstricken. Es ist ein Abend, der das Publikum braucht und zugleich abwehrt, den Zuschauer zwingt, sich seinen Weg hinein zu kämpfen, oder außen vor zu bleiben. Für letztere ist er gähnende Langeweile, für erstere eine intensive, in klaustrophobischer, erstickender Enge kondensierte Versuchsanordnung über Schuld, Wahrheit und Leben. Der am Ende ratlos zurücklässt und genau dadurch den Raum eröffnet, ja, erzwingt, sich einen Reim auf dieses lähmende Wirrwarr aus Geschichte, Familie und Individualität zu machen, in dem nicht nur die drei Frauen auf der Bühne gefangen sind.

Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2015/05/07/leben-im-flackernden-licht/
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