Spezialitäten aus Deutschland

von Alexander Kohlmann

Berlin, 7. Mai 2015. Dass dieser Abend viel eher eine Kunst-Installation denn eine klassische Theater-Inszenierung ist, zeigt sich schon, als wir den Saal betreten. In der Mitte der Bühne dreht sich eine riesige Rotunde. Aus dem Inneren des hölzernen Karussells ist Blasmusik zu hören. Ein Eingang in die verborgene Welt ist nirgends zu sehen. Bis sich eine Tür öffnet, aus der ein Mensch in Lederhosen-Tracht steigt. Sein Gesicht ist mit einer immerfort grinsenden Maske bedeckt. Wenn er uns hereinwinkt, scheint das ein wenig so, als würde die Hexe mit knochigen Fingern das Lebkuchenhaus schmackhaft machen wollen. "Welcome to Germany" heißt das neue Projekt von Monster Truck: Hereinspaziert!

Klinisch steril knacken die Knochen

Das Lebkuchenhaus ist in diesem Fall eine Enklave deutschen Brauchtums am Fuße der chilenischen Anden. In der heutigen Villa Baviera auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad hat jahrzehntelang eine Sekte mit deutschen Antlitz geherrscht. Während die Läden Schwarzbrot und Wurst vor bayrischer Kulisse verkauften, folterten die Schergen des Pinochet-Regimes ihre Gegner auf dem weitläufigen Gelände. Nicht alle deutsche Politiker störte das. Franz Josef Strauß besuchte die deutsche Enklave, die sich viel darauf einbildete ein Ort deutscher Tugenden zu sein: Sauberkeit, Pünktlichkeit, Ordentlichkeit.

Jetzt sitzen wir in der Rotunde an Biertischen. Um uns herum kreisen die Wände, an denen bunte Gemälde deutschen Brauchtums prangen. Ordentliche Buben in der Schule, ein Bauer auf dem Mähdrescher, niedliche Bayern-Häuser. Bier wird serviert und Würstchen mit Senf. Gemütlich geht es hier zu – bis das Licht verlischt und gleich zu Beginn passiert, worauf alle gewartet haben. Zu düsteren Splatter-Movie-Klängen trägt eine Frau im OP-Kostüm ein Schwein auf ein Podest in der Mitte der Bühne. Kein frischgeschlachtetes Tier ist das, sondern ein vorbereitetes Stück Fleisch aus dem Supermarkt, ausgenommen, ausgeblutet, gewaschen und gehäutet.

Welcome to Germany2 560 Foto Florian Krauss uJuchei! Sua schee is' in Bayern...  © Florian Krauss

Nicht wirklich schockierend, sondern eher klinisch-steril erscheint es deshalb, als die Frau dem Schwein mit dem Messer zu Leibe rückt, die Knochen durchtrennt und das Fleisch abschabt. So sieht die Wahrheit eben aus, unser Fleisch wächst nicht am Baum. Vor dem Hintergrund der Heile-Welt-Gemütlichkeit macht sich dennoch so etwas wie Beklemmung breit, die knackenden Knochen, das brutal verrenkte Schweine-Bein, etwas bleibt hängen für den Rest des Abends.

Bananen-Seppel aus Sachsen

Der wird nach dem Schweine-Massaker von einem diabolischen Moderator im Lederhosen-Dress moderiert. Auf der Plattform lässt er von seinen drei Kollegen in verschiedenen Nummern die Wahrheit hinter dem schönen Schein aufführen. Da schnallt sich dann ein Seppel eine Banane um, an der die anderen lustvoll killern – auch Kindesmissbrauch war an der Tagesordnung in der deutschen Außenstelle. In einer anderen Nummer verprügeln zwei den dritten mit Eisenstangen, bevor alle drei Burschen zu Ehren des Besuchs von Pinochet einen Schuhplattler tanzen.

Nur eines macht stutzig bei soviel süddeutschem Frohsinn. Der Moderator der Revue des Grauens spricht gar nicht bayerisch, sondern es klingt viel mehr verdächtig nach sächsisch. Das könnte natürlich schlicht eine Besetzungspanne sein. Aber je länger man ihm zuhört, desto mehr erscheinen die Heile-Welt-Bilder wie Szenen aus einem ganz anderem Freistaat.

Grauen hinter spießbürgerlicher Volkstümelei verstecken

Auch der sogenannte sozialistische Realismus verbarg hinter biederen Bilder von properen Arbeitern und Bauern sein wahres, brutales Gesicht. Es ist eine deutsche Spezialität, das Grauen hinter spießbürgerlicher Volkstümelei zu verstecken, da nehmen sich die rechte und die linke Diktatur nichts. Und die Auseinandersetzung mit den Abgründen hinter dieser Wohlfühlfassade hätte mit Sicherheit auch Leipzig sehr gut gestanden – doch dort wurden die Aufführung wegen der Zerlegung des Tieres kurzfristig vom Intendanten abgesagt.

Wie sich das dortige Schauspielhaus gegen diese leicht durchschaubare Performance wehrte, hat etwas von einem Beschützer-Instinkt gegenüber einem Bürgertum, das in seinem ordentlichen Theater keine hässlichen Dinge sehen will. Die unbeholfenen Versuche der Theaterleitung, die Absetzung zu rechtfertigen, könnten so gesehen fast selbst schon wieder ein Teil des Abends sein. Sie sind es aber leider nicht. Sondern die beste Rechtfertigung für eine Performance, die mit einer schlichten Grundaufstellung Abwehrreflexe hervorgerufen hat, die eine Geschichte haben, die es zu ergründen gilt.

 

Welcome to Germany
von Monster Truck
Von und mit: Monster Truck, Dramaturgie: Marcel Bugiel, Musikalische Leitung: Carolina Holzapfel, Sounddesign: Frank Bossert.
Mit: Christopher Hahn, Carolina Holzapfel, Andreas Klinger, Anja Meser, Hussein Nassar, Marc Philipps, Arne Schirmel, Jörg Wesser
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.monstertrucker.de
www.sophiensaele.com

 

Kritikenrundschau

Auf Mephisto 97.6, dem Lokalradio der Universität Leipzig (8.5.2015) gab Julien Reimer zu Protokoll, es sei erstaunlich, wie das Publikum am Anfang "bereitwillig an der Inszenierung teilnimmt" wie Trunk und Speis gerne angenommen würden. Das Zerteilen des Schweines dauere zu lange, ermüde, und leider folgten dann "lediglich aufgedunsene Szenen ohne künstlerisches Können". "Plumpe Folterkarikaturen" reihten sich an "akustisch unverständliche Witze", über diese "Plattitüden" könnten auch die "bedeutungsschweren Gesichtsausdrücke" nicht hinwegtäuschen. Das eigentliche Thema von "Welcome to Germany", die Colonia Dignidad in Chile, bleibe eine "Erläuterung auf dem Programmzettel". Das Publikum habe am Ende "unbeeindruckt" den Saal verlassen.

Auf Tagesspiegel Online (9.5.2015) schreibt Partrick Wildermann, der Gruppe aus Gießen mit ihrer "Live-Zerlegung des Schweines" nur "sinnleeren Schockwillen" zu "unterstellen", griffe "eindeutig zu kurz". "Welcome to Germany" schaffe eine "Volksfestatmosphäre" mit "forciertem Gruselfaktor und Hintersinn". Monster Truck lasse die Colonia Dignidad, diese "Perversion des 'Made in Germany'" in "peinsam-pointierten Szenen" auferstehen. Klar sei alles "plakativ". Einige Zuschauer würden unruhig, andere bissen mit "demonstrativer ironischer Distanz" in die Bockwurst. Aber darin liege genau die Leistung: Der "haxendick servierte Horror" zwinge dazu, einen "alternativen Heimatbegriff zu formulieren".

 

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