Kein bisserl dumm

von Dirk Pilz

12. Mai 2015. Diesmal zu Tim Renner, Kulturstaatssekretär in der deutschen Hauptstadt und überregional bekannt geworden, seitdem Claus Peymann ihn in die Abteilung "nettes, weißes Hemd" einsortierte. Jung, frisch, ein bisserl dumm sei dieser Renner.

Ja wenn es so wäre. Jung und frisch? Meinetwegen, aus Peymanns Sicht sicher richtig. Aber ein bisserl dumm?

Nichts kommt Tim Renner gelegener als der alberne Streit um Castorf & Co. Der Theaterbetrieb zankt sich um Posten und Personen? Aus Renners Sicht ein herrlich naives Gebaren. Denn für diesen Mann (seinen Chef, den Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller, darf man hier getrost vernachlässigen) sind Intendantenbesetzungsfragen allenfalls Nebenschauplätze. Er will die gesamte Kulturpolitik neu erfinden. Er will sie umwerten, umkrempeln von Grund auf. Je weniger es bemerkt wird, umso besser für sein Vorhaben.

Teilhabe! Kooperation! Vermittlung!

Das Renner'sche Unterfangen hört auf den Namen Call for ideas. Das Thema: die "Digitalisierung der Berliner Kulturlandschaft". Und alles, was die Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten hierzu vermeldet, mag auf den ersten Blick jung, frisch und harmlos klingen: "Die technologischen und sozialen Entwicklungen im Zuge der Digitalisierung verändern auch die Arbeit von Künstlerinnen, Künstlern und Kultureinrichtungen. Sie eröffnen neue Perspektiven von Marketing und Besucherforschung bis hin zu Vermittlungsmethoden und neuen künstlerischen Ausdrucksformen."

kolumne dirkNa klar, wer wollte es bestreiten. Und wenn es weiter heißt, das Land Berlin beabsichtige Modell- und Kooperationsprojekte zu fördern, die durch "die Möglichkeiten der Digitalisierung Zugang zu und Teilhabe an Kultur erleichtern und verbreitern", darf Renner auf breiteste Zustimmung zählen. Teilhabe und Kooperation, Vermittlung, neue Formen gehören zum festesten Glaubensbestand im Katechismus einer Gegenwart, die Frische und Jugend zum Götzen erhebt, im Angesicht der Digitalisierungszukunft zumal. Wer diesem Götzen die Anbetung verweigert, steht nicht nur unter Häresieverdacht, er steht auch außen vor, ohne jede Aussicht auf Fördergeld- oder sonstige Teilhabe. Insofern: jung und frisch und zukunftszugewandt sind wir Kulturarbeiter natürlich alle, im Theater erst recht. Und ist es nicht toll, dass die Kulturpolitik dieser Gegenwart eifrig unter die Arme greift?

Best-Practice-Kunst

Das unerhört Neue der Renner'schen Kulturpolitik ist der Mitteilung abzulesen, den "Call for ideas" gebe es, weil das Land Berlin beabsichtige, Projekte zu fördern, die "Kultureinrichtungen sowie Künstlerinnen und Künstler durch digitale Technologien bei ihren Aufgaben unterstützen bzw. ihre Ausdrucksformen erweitern und die Netzwerkbildung zwischen Kultur, Bildung, Forschung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu digitalen Themen fördern". Klingt harmlos?

Klingt nur so. Denn die von der Senatskanzlei erbetenen Ideen "sollen einen unmittelbaren Mehrwert haben, die Arbeit von Kulturschaffenden und Kultureinrichtungen vereinfachen, als Best Practice für andere Einrichtungen dienen und übertragbar sein sowie idealerweise Kooperationen einschließen".

Die Kulturpolitik verlangt also von Künstlern Ideen, die unmittelbaren Mehrwert haben, und zwar einen Mehrwert für Kultur- und andere Einrichtungen gleichermaßen. Das ist die neue Kulturpolitik. Sie setzt nicht nur Künstler und Kultureinrichtungen gleich, arbeitet also an einer Institutionalisierung der Künstler im Namen "neuer Perspektiven", was bekanntlich immer bedeutet, die Kunst qua Institution kontrollieren, wenn nicht abschaffen, nämlich zu Kulturprodukten umwidmen zu wollen.

Sie nimmt darüber hinaus die Kunst in Dienst, auf dass diese der Politik die Ideen liefere, wie sie ihre politischen Interessen in "Kultur, Bildung, Forschung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft", also in der gesamten Gesellschaft am besten durchsetzen kann. Die Kunst als Magd der Politik. Die Kunst als Vorlagenlieferer für eine Politik wohlgemerkt, die mit schönklingenden Formeln (Teilhabe, Kooperation etc.) an der Abschaffung all dessen arbeitet, was dieser Politik in die Quere kommen könnte. Heißt: Die Politik lädt die Kunst mit hinterhältig freundlichem Lächeln dazu ein, am Ast zu sägen, auf dem sie sitzt.

Und keiner aus den Kunstreihen protestiert, niemand schreit auf, allseits wird fleißig mitgesägt. Die einzige Frage von Seiten der Kunst lautet: Wie viel Geld spuckt denn dieses neue "Förderinstrument" aus? Dass es ein leerer Topf ist, demonstriert nur den Zynismus und die Unverfrorenheit dieser neokulturpolitischen Totalvereinnahmung.

Kunst in Anstellung

Man muss es offenbar noch einmal laut und unmissverständlich sagen: Der Staat stellt Geld zur Verfügung, damit die Künste damit tun und lassen, was ihnen gefällt. Investitionen in Kultur sind nicht an Mehrwerte gekoppelt, sie stehen weder bei pädagogischen noch sozial- oder kulturpolitischen Zielen in der Pflicht. Nicht die Künste haben der Kulturpolitik zu dienen, sondern umgekehrt die Kulturpolitik den Künsten.

Das ist der Deal. Tim Renner kündigt ihn auf. Er betreibt nicht Kulturpolitik, sondern Kreativitätswirtschaftsmarketing. Was Kunst ist, soll mehrwertproduzierende Best Practice werden.

Und was tut der Theaterbetrieb? Streitet vornehmlich über nette Hemden, glaubt, dass es Renner nur um Digitalisierung, Live-Streaming fürs Theater oder Ticketingsysteme gehe. So viel Naivität wird natürlich bestraft: von einer Kulturpolitik, die sich gern das Etikett anheften lässt, ein bisserl dumm zu sein. Weil sie sehr genau weiß, wen solcherlei Politik am Ende dumm aussehen lässt: Diese Kulturpolitik ist die Wette darauf, dass die Kunstschaffenden längst zu Kreativitätsindustrieangestellten geworden sind. Tim Renner hat sie gewonnen.

 

dirk pilz5 kleinDirk Pilz ist Redakteur und Mitgründer von nachtkritik.de. In seiner Kolumne Experte des Monats schreibt er über alles, wofür es Experten braucht.


 

Zum Experten des Monats April wurden Intendantenfindungskommissäre erkoren.

 

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