Das macht man einfach nicht

von Christian Rakow

Berlin, 16. Mai 2015. Nein, das macht man nicht. Stellen Sie sich vor, die weltgrößte lebende Dramatikerin, also Yasmina Reza, bietet Ihnen an, ein Stück zu schreiben, exklusiv für Ihr Haus, also die Berliner Schaubühne. Und Sie empfangen das Ergebnis, "Bella Figura" betitelt: Ein Pärchen trifft sich zum Seitensprung. Sie, Andrea, ist alleinerziehende Apotheken-Assistentin mit leichter Tablettensucht und etwas Maßlosigkeit, sobald der Champagner perlt; und er, Boris, müsste eigentlich gegen den nahenden Bankrott seiner Glaser-Firma ankämpfen, aber bitte, ein One-Night-Stand, wenn die Ehefrau verreist ist, darf schon noch drin sein. Leider rasseln die Zwei just bei dem Restaurant, in dem sie sich anwärmen wollen, in die beste Freundin von Boris' Ehefrau (Françoise) samt Mann (Eric) und dessen muttersöhnchenzart verhätschelter Mama (Yvonne).

Blättern, zunehmend panisch

Und ja, denken Sie, das passt, das wird was, Hand drauf, eine echte Reza! Die Ätzbilderbuchmenschen in gehobenen Besitzverhältnissen werden sich aufs Kurioseste ausbremsen, bald lässt Reza die Fetzen fliegen, vielleicht kotzt sogar noch jemand auf Kunstbücher (siehe "Gott des Gemetzels") und zum trauten Stelldichein von Andrea und Boris kommt's garantiert nicht.

Aber dann lesen Sie und blättern, zunehmend panisch, und suchen 89 Seiten lang krampfhaft, wo all die bewährten Zutaten für die Reza-Rezeptur sind: das Pingpong der Frechheiten, die Bonmots im Sekundentakt, die zielsichere Eskalationsdramaturgie mit routinierten Tempowechseln, der hauchzarte Subtext und die Feinunzen an Tiefsinn (na, letztere werden Sie von Reza womöglich nicht ganz so verzweifelt erwartet haben). Aber nun? Werden Sie das Stück zurückgeben und dankend ablehnen? Nein, das macht man nicht.

Bellafigura1 560 Arno Declair uA hundred broken dreams: "Bella Figura", von links: Renato Schuch, Lore Stefanek, Nina Hoss,
Mark Waschke, Stephanie Eidt.   © Arno Declair

Und denken Sie weiter, dass Sie eine Schauspielgarde haben, die auf psychologisches Feintuning geeicht ist, mit der Nahkampfvirtuosin Nina Hoss als Andrea, mit Mark Waschke (Boris), Stephanie Eidt (Françoise), Renato Schuch (Eric) und mit der wunderbar widerständigen Lore Stefanek als leicht dementer, alterskomischer Yvonne. Werden Sie sagen: Leute, mittlere Zimmertemperatur, gedrosselte Geschwindigkeit, ausgekostete Stille, das geht dieses Mal alles nicht. Wir brauchen kiloweise Selbstironie, rasenden Irrwitz, wir brauchen große Zündhölzer! Werden Sie umschwenken und 89 Seiten Papierbürgerspiele in loderndes Feuer verwandeln? Nein, das macht man nicht.

Und werden Sie, wenn in der Generalprobe sich der ganze Abgrund auftut und sich 105 Minuten wie ein Gang durch die Wüste bei schwindendem Wasservorrat anfühlen, werden Sie dann die letzte Reißleine ziehen und sagen: Kommt Leute, lasst uns morgen "Stück Plastik" von Marius von Mayenburg zeigen, weil es erstklassiger Boulevard ist und obendrein im Geiste des Yasmina-Reza-Klassikers "Kunst" (1994)? Nein, das macht man nicht. Das schon gar nicht.

Beim Mückenspray mythisch ums Herz

Vielleicht war es genau so oder ganz anders, und Thomas Ostermeier, Chef der Schaubühne und Regisseur des Abends, ist entweder sehenden Auges oder geblendet vom Glanz des großen Coups in diese Uraufführung geschlittert. Er stellt einen Peugeot-Kleinwagen statt einer zu erwartenden De-Luxe-Karosse auf die Bühne (womöglich um die knallharte Einhegung der Klassen bei Reza zu kontrastieren, wo der gehobene Mittelstand erwartungsgemäß dekadent Meeresfrüchte schlürft und die einkommensschwächste Figur stets die ordinärsten, aber irgendwie aufrichtigsten Auftritte abkriegt). Er spielt Videos mit krabbelnden Insekten ein und lässt Dramaturg Florian Borchmeyer ein Programmheft zusammenstellen, in dem es von bedeutungsvollen Verweisen wimmelt: auf die Frösche in Ovids "Metamorphosen" (alias die lykischen Bauern, die der Göttin das Trinken aus dem See weigerten) und die Mücken, die die Feiglinge in Dantes "Inferno" umschwirren. Drum möchte es einem mythisch ums Herz werden, wenn Andrea & Co., die anscheinend aus existenzieller Feigheit ihr Leben nicht in den Griff kriegen, unentwegt mit Mückenspray hantieren oder das Froschquaken am Teich registrieren.

Aber es hilft alles nichts. Jegliche Verwandlung bleibt aus. Bald schon klingen die Sätze, als seien sie nicht über die Welt der Figuren, sondern über diesen Abend selbst gefällt: "Freunde, ich habe das Gefühl, dass wir uns auf einem Unglückspfad befinden. Und kurz davor sind, uns lächerlich zu machen." Aber Umkehr auf dem Unglückspfad war keine Option. Es galt, eine gute Figur zu machen, eine "Bella Figura". Alles andere macht man einfach nicht.

 

Bella Figura
von Yasmina Reza, aus dem Französischen von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer
Uraufführung
Regie: Thomas Ostermeier, Bühne: Jan Pappelbaum, Kostüme: Florence von Gerkan, Musik: Malte Beckenbach, Video: Guillaume Cailleau, Benjamin Krieg, Dramaturgie: Florian Borchmeyer, Licht: Marie-Christine Soma.
Mit: Nina Hoss, Mark Waschke, Stephanie Eidt, Renato Schuch, Lore Stefanek.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.schaubuehne.de

 

Kritikenrundschau

André Mumot schreibt auf der Website von Deutschlandradio Kultur (16.5.2015), das Stück biete nur wenig Anlass für "irgendwelche Inszenierungseinfälle". Es sei "haargenau das, was man von der Erfolgsautorin kennt". Ostermeier koche die Szenen als "ausgebremste Boulevardkomödie" auf "grüblerischer Sparflamme", um eine "gewisse Ernsthaftigkeit unterzuschieben". Dabei helfe die "wie immer überaus unterkühlt agierende Nina Hoss". Sie entwickele ein "fein ziseliertes Naturalismus-Spiel, das stets so wirkt, als stünde die Kamera bereit" für die nächste Großaufnahme. Das Ganze sei "exquisites Seidenblusentheater", das sich gegen Ende in "hitzige Momente fleischlicher Verzweiflung" hineinsteigere, dann aber "doch vor der eigenen Bedeutungslosigkeit kapituliert".

Peter von Becker schreibt im Berliner Tagesspiegel (18.5.2015): "Mit nur ein paar Strichen ... eine dramatische Situation zu schaffen", sei Yasmina Rezas Kunst. Nach einer Viertelstunde lägen alle Karten auf dem Tisch. Der Witz sei wie die "Weltkomödienautorin" sie immer wieder neu mischt. Was sich zwischen den Figuren von Nina Hoss und Mark Waschke abspiele, sei ein "mal jäher, mal zäher Clash der männlich-weiblichen Zivilisationen", sei "Beziehungskistenboulevard und Menschheitssdrama in einem". Besonders bemerkenswert findet von Becker den Satz der Andrea: "Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Unterwäsche zu tragen, die nicht zu eng ist." von Becker: "Nur ein Satz. Aber wie zugleich würdig und demoliert, wie selbsterkennend und doch fast beiläufig ihn Nina Hoss spricht, erzählt er ein Stück Kultur- und Gendergeschichte." Nina Hoss spiele diesen Abend "– sensationell". Manchmal sei es "nur ein Blick, ein Mundwinkelzucken, eine winzige Senkung der Stimme oder ein spitzer Wortpfeil, manchmal wirkt ihr Gesicht auch wie entleert, aber nicht nur als hübsch verrätselte Projektionsfläche, sondern immer weiter die Figur erzählend: ohne sie bloßzustellen, zu kommentieren oder virtuoseneitel zu überspielen." Eine" im heutigen Theaterbetrieb nur noch selten zu erlebende Präsenz".

Man muss allerdings konstatieren, dass die Kolleginnen das alles nicht so mitbekommen haben. Weder die "selten zu erlebende Präsenz", noch die Sache mit der zu engen Unterwäsche als "Kulturgeschichte". Immerhin, Christine Dössel berichtet in der Süddeutschen Zeitung (18.5.2015) von der "erlesenen" Ausstattung, die Handtaschen seien "echte Must-haves und die Schuhe ein Traum". Allerdings mache das Stück im Vergleich zu Rezas früheren Stücken keine "so gute Figur". Es handele sich in Wirklichlkeit um einen "schwachen Reza-Text". "Die Figuren darin sind müde, aber das ist nicht das Problem, müde sind wir alle." Ihre Sprache sei "matt, biss- und glanzlos", alles auf "gehobenem Mittelschichtsniveau", "entsetzlich normal. Banal." Ostermeier inszeniere "entschieden zu kopfschmerzrealistisch", Lore Stefanek spiele mit "viel Golden-Girl-Charme", Mark Waschke und Nina Hoss blieben "seltsam eindimensional". Er breitbeinig kläglich, sie erzeuge mit dem "fantastisch abgründigen Nina-Hoss-Stier-Blick" schwarze Löcher

Ulrich Seidler schreibt in der Berliner Zeitung (18.5.2015), wer Gefallen an den Rezaschen Dialog-Gefechten und "tiefsinngesprenkelten Konfliktentladungen" in ihren früheren Stücken fand, bleibe angesichts der hier "notdürftig vom Zufall arrangierten" ratlos. Ostermeiers "inszenatorischer Zugriff" sei "so fest, elegant und sicher wie der eines kompetenten Sachbearbeiters zum vorgeschriebenen Stempel". Er drücke ein bisschen auf "die entsprechenden Tuben (Spaß, Ekel, Moral, Senf) und vertraut auf die unkritische Genussbereitschaft seines Publikums". Zwar bereite es durchaus Genuss den SchauspielerInnen zuzuschauen, insbesondere Nina Hoss -"unermesslich ist ihr Reichtum an mimischen Derangiertheiten" – und Lore Stefanek. Allerdings handele es sich um "leere Charaktere in seelenlosen Zusammenhängen". Was sicherlich als Gesellschaftskritik gemeint sei.

Gerhard Stadelmaier, einer der eingeschworensten und unbeirrbarsten Anhänger der Yasmina Reza, glaubt nach wie vor, sie sei die "witzigste Paar-Dramatikerin, die wir haben".  Aber er tut sich schwer. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18.5.2015) bemüht er ein bemühtes "Schäferstundenglas", das die Liebenden trügen, und "durch das der Sand der Zeit und der Vergänglichkeit ihrer Liebe und ihrer Lust rieselt. Und naturgemäß rieselt der Tod mit." Thomas Ostermeier treibe den Tanz ums Stundenglas "etwas befremdlich ins Monströse", wenn er über eine riesige Videowand im Bühnenhintergrund "allerlei groß gezoomtes Insekten- und Amphibien-Getier" krabbeln lasse, "mit kleinen mitleidlosen Augen und fühllosen Fühlern versehen". Dieser "Symbol-Überwältigungskitsch" würde durch Nina Hoss "triumphierend konterkariert". Eine "Monster-Lady", "kalt bis in die Herzwurzel". Aber "abgrundverzweifelt bis in die Seelenspitzen", mit Mark Waschkes in "cholerisch-wurstiger Gefühlsmühewaltung als Beifahrer auf der Peinlichkeitsachterbahn". Waschke und "die Hoss" brächten es bis zum "absoluten Verzweiflungsclinch": Die Hölle sind wir selbst und alles in einer Sprache "eleganter Beiläufigkeit, die das Wichtige und Tiefe an der Oberfläche unterbringt".

Dirk Pilz schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung (18.5.2015): "Bella Figura" kenne bloß "Figuren, die bereits mit dem ersten Satz abgehakt sind." Alle hätten "ihre Sehnsüchte an kurzfristige Glücksversprechen verschleudert". So viel "Aussichtslosigkeit", so wenig "Witz und Garstigkeit" sei bei Reza noch nie gewesen. Ostermeier lasse seine Darsteller "bald flockige Komödie, bald Seelenabsturzdrama" spielen. Sie wirkten, als seien sie "die Angestellten ihrer Figuren". Ein Abend "gänzlich auf Wirkung bedacht". Nina Hoss dabei die Meisterin: "Sie spielt ihre Figur nicht, sie kontrolliert sie, immer darauf bedacht, ... eine gute Figur im falschen Stück zu machen". - "Womöglich soll das die Pointe der Regie sein: Nicht Menschen, sondern biologische Maschinen treten auf. Passend dazu die Insektenvideos auf der Leinwand im Hintergrund."

Tilmann Krause schreibt auf Welt Online (17.5.2015): Diese "unbeträchtliche Bagatelle" gehöre nicht in die Schaubühne, einzig ein beherzter Griff in "die Trickkiste des Boulevardtheaters" hätte das Stück interessant machen können. Nina Hoss in "der Rolle der Verzweifelten", die "den Leuten die bitteren Wahrheiten an den Kopf wirft", mache ihre Sache "eigentlich ganz gut". Eine "gemäßigt zickige Nervensäge mit heimlicher Sehnsucht nach Idylle". Mark Wasche manövriere seine Stimme in Höhenlagen, die der "konfusen Rede seiner Figur etwas zeternd Kindliches" verleihen. Auch Stephanie Eidt als "Moraltrompeterin" und Renato Schuch rissen sich ein Bein aus, "um dem lahmen Stück aufzuhelfen". Der Regisseur versuche es mit "Bedeutungshuberei". Doch wer das "Drama der Durchschnittlichen" gestalten wolle, dürfe das "nicht mit Durchschnittsmitteln tun". Einfach "alles nur so dahindümpeln zu lassen", stelle keine Lösung dar.

Wolfgang Höbel schreibt auf Spiegel Online (18.5.2015): "Es war, als hätte man den Gästen einer heiß erwarteten Party Champagner versprochen und dann lieber doch nur blubberfreies Vichy-Wasser serviert." "Bella Figura" sei "Boulevardhandwerk in Zeiten von Scheidungsrekorden und Alzheimerei". Aber es walze nur eine "einzige Situation" aus. Ostermeier versuche dem "Stillstand mit Slapstick und Bedeutungshuberei beizukommen". Doch mehr und mehr werde der Abend "Solonummer für Nina Hoss", die das Drama der ewigen Geliebten "mit großer Bravour und einiger Tapferkeit auszufüllen versucht". Gegen "die Erkenntnis", dass an diesem Theaterabend "etwas total Unerhebliches verhandelt" werde, sei aber auch "alle Hoss-Virtuosität machtlos".

"Ostermeiers Regie hat etwas beruhigend Tech­nisches, ja Vorhersehbares," schreibt Peter Kümmel in der Wochenzeitung Die Zeit (21.5. 2015). "Der handwerkliche Glanz von Stück und Auf­führung macht indessen beide zu Produkten des großen 'Immer so weiter' – der Abend ist sehr einverstanden mit dem Unglück, das er verhan­delt. Was sah man? Einen Splitter von der Apo­kalypse, eine Parkplatzuniversalkatastrophe. Das funktioniert wunderbar auf der Bühne, es funk­tioniert verräterisch perfekt. Man muss sogar sa­gen: Es flutscht."

 

Kommentare  
Bella Figura, Berlin: neoliberale Maskerade der Anbiederung
warum, verehrter herr rakow, schreiben sie die ursachen für dieses debakel so ausschließlich dem stück zu? warum verlieren sie kein wort über die summe der kunst-fehler, die bei dieser aufführung zu betrauern sind? warum fällt ihnen nicht auf, dass regisseur und dramaturg, die sich anmaßten, für die zu höchster kunstform erhobenen deutschen texte der bisherigen reza-übersetzer frank heibert und hinrich schmidt-henkel ein äquivalent schaffen zu können, das stück mit füllwörtertrunkener alltagssprache platt gemacht haben, statt es zu heben? hat sich die wirklichkeitsduselei des neuen theaters schon so tief in ihr gemüt eingefressen, dass sie taub und blind sind für das verletzen des jahrtausende alten gesetzes, dass nur kunstvoll verdichtete sprache zu kunstvoll verdichteter schauspielerei führen kann? und warum verlieren sie kein wort darüber, dass der text auf einer ebene jenseits der wörter eine sprache des begehrens insinuiert, von der in dieser trostlos deutschen aufführung kein hauch zu spüren ist? warum erkennen sie nicht, dass diese aufführung uns menetekelhaft offenbart, wie grausam die kunst, auf der bühne at face value vom menschen zu erzählen, unter den neo-liberalen maskeraden der anbiederung an das reale verkommen ist? woran das wohl liegen mag?
Bella Figura, Berlin: Motten ums Autoren-Licht
Zu schwach ist der Text, der nicht mehr ist als ein stark verdünnter Aufguss der üblichen Reza-Komponenten, zu mutlos Ostermeiers Regiezugriff, der dem Stück nicht wehtun will, obwohl dies womöglich das Einzige wäre, was ihm helfen könnte. Am Ende bleibt ein Abend, dem es genügt, Uraufführung eines Yasmina-Reza-Stücks zu sein. Kunstanspruch irgendwelcher Art braucht es da offenbar nicht. Stattdessen schwirrt die Schaubühnen-Mannschaft wie die im Eingangsvideo zu sehenden Motten ums Licht der großen Autorin, ohne sich dafür zu interessieren, dass sie dort verbrennen könnten.

Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2015/05/17/wie-motten-ums-licht/
Bella Figura, Berlin: nicht menetekelhaft orakeln
Lieber Herr Eberth,

unter den neoliberalen Maskeraden der Anbiederung an das Reale verkommt schicksalshaft die wahre Kunst. Ganz großes Hui! Mir wäre es ja auch Recht, wenn Christian Lindner schuld wäre, der vom Lutscher bis zum Lohn alles unter staatlicher Kontrolle vor die Hunde gehen sieht. Aber er war nicht wirklich beteiligt. Und der Neoliberalismus? Ist der denn wenigstens aufgetreten? Und wenn schon. An mangelnder Freiheit dürfte der Abend wohl nicht gescheitert sein. Und auch nicht am Kontrollverlust über einer Übersetzung. Selbstverständlich, nur eine dichte Kunstsprache kann das Nonverbale hervorbringen. Wirklich? Eine Alltagssprache könnte das nicht? Den Abgrund dahinter aufdecken?

Doch natürlich. Klar, mit einem Orden inszenieren, ist nicht leicht. Aber wieso, wie so üblich, die Verantwortung hin und her schieben und den Kritiker haftbar machen?

Falls sie es so genau wissen, sagen sie uns doch einfach, woran es liegt, statt menetekelhaft zu orakeln.

Sie sind doch derjenige, der "Kunst" für das DT ablehnte, weil es ihnen zu oberflächlich erschien. Sollte dieser ihr Kommentar eine späte Wiedergutmachung sein?
Bella Figura, Berlin: miese Übersetzung
Wo Eberth Recht hat: Die Übersetzung Borchmeyer/Ostermeier ist mies. Es ist nicht zu verstehen, wieso sie sich einbilden Übersetzer sein zu können. (...) Und es bleibt die Frage, wieso Reza sich darauf einlässt.
Bella Figura, Berlin: Textbeispiel vorstellen?
@1. Lieber Michael Eberth, Ihr Kommentar macht mich neugierig. Ich habe das französische Original nicht gelesen und wäre dankbar für eine kleine text- bzw. übersetzungskritische Diskussion. Mögen Sie ein Textbeispiel vorstellen?
Bella Figura, Berlin: Blockbusterhuberei
Man muss doch wirklich kein Gelehrter, Nationalist, Neoliberaler oder gar Dramaturg sein, um vorab zu erkennen, das ein Werk in französischer Sprache nicht zwingend in Deutsch uraufgeführt werden kann. Und so bezweifele ich, dass dies Stück überhaupt schon uraufgeführt wurde, auch wenn die Verträge wahrscheinlich eine andere Sprache sprechen. Musik ist eine universelle Sprache. Französisch, Englisch noch nicht. Und auch das Deutsche ist davon noch um Einiges entfernt.

Nuancen. Es geht auch um Nuancen. Und die sollte man zunächst in der eigentlichen Sprache der Autorin ergründen. Natürlich, vielleicht steht Beckett dem entgegen. Aber auch nur vielleicht.

Das Problem liegt in dieser Blockbusterhuberei der Schaubühne. Manchmal geht eben nicht ein ganzer Häuserblock hoch und es bilden sich auch keine Zuschauerschlangen um drei Blöcke, sondern eine Arbeit floppt, weil wir in Europa eben doch noch nicht eine Sprache sprechen. Weiter will ich das gar nicht ausführen.
Bella Figura, Berlin: auf gutem Niveau unterhalten
Am 18.05. gesehen und auf gutem Niveau unterhalten die Schaubühne verlassen. Auch so kann oder soll Theater sein. Klasse Frau Hoss und Co.
Bella Figura, Berlin: Über das Verschwinden der Liebe
lieber herr rakow, sie müssen einem dramaturgen von vorgestern nachsehen, dass er lieber von lesarten redet. --- wer jemals in den gefilden der sehnsucht auf verbotenen pfaden gewandelt ist, kennt die spannung, die zwischen den geschlechtern/partnern aufkommt, wenn sich dem begehren ein hindernis in den weg stellt. yasmina reza hat kein stück über den umgang von männern und frauen mit peugeots, pillendosen, champagnerflaschen und kloschüsseln geschrieben, sondern eine parabel über das verschwinden der liebe/leidenschaft unter dem zwang, bella figura zu machen, und über das malheur, dass liebe und leidenschaft bei uns heutigen nicht mehr stark genug sind, um dagegen aufzubegehren. man kann das stück auch als parabel auf das neue theater lesen. wer dieses verschwinden darstellen will, darf die sprache nicht auf den griff in die kloschüssel ausrichten, sondern muss sie zurückziehen in eine höhe, in der das gesagte flirrend zweideutig bleibt: mückenstich und privatinsolvenz müssen auch zeichen einer sprache der sehnsucht sein. der regisseur muss bei diesem stück dafür sorgen, dass die spannung zwischen zwei körpern im spiel bleibt. wenn er uns stattdessen peugeots, kloschüsseln, tumb-plumpe umbauten und prätentiöses video-gefuchtel vorsetzt, offenbart er uns, dass er das nicht erkannt hat. nina hoss, das hätte ich in meinem einwurf vom sonntag erwähnen müssen, hat das NICHTS, zu dem die inszenierung das stück der klugen yasmina reza hat schrumpfen lassen, mit brillanter schauspielerei übermalt. was für ein ereignis wäre der abend aber geworden, wenn sie uns damit hätte erschrecken dürfen, dass wir im eifer der unterwerfung unter die neue bella-figura-kultur vergessen haben, gegen das verschwinden des ANDEREN aufzubegehren. das war gemeint, als ich vom menetekel sprach. --- dass ich sie in meinem einwurf angeblafft habe, finde ich nach der lektüre dessen, war ihre print-kollegen zum besten gaben, so unverzeihlich, dass ich mich dafür entschuldige. --- ihr michael eberth
Bella Figura, Berlin: gute Figur zur leidenschaftslosen Liebe
Das ist doch wirklich eine schöne Arbeitsthese: Wie man zu einer leidenschaftslosen Liebe zwanghaft eine gute Figur macht. Da möchte man doch gleich mit der Lesearbeit beginnen und schauen, wie das aufgeht.

Dank an Herrn Eberth.
Bella Figura, Berlin: trotzdem ausverkauft
Eine Uraufführung von Yasmina Reza in Starbesetzung mit Nina Hoss und Mark Waschke! “Bella figura” hört sich nach einem großen Genuss an, fast so verlockend wie das Nougatparfait mit Birne, das am Ende des Stücks zum Dessert gereicht wird. Doch leider bekommen wir nur eine matte Apfelsaftschorle aufgetischt.

Liegt es an der Übersetzung? Oder schleppt sich auch der französische Originaltext dieses Konversationsstücks, die Yasmina Reza eigens für Thomas Ostermeier und die Schaubühne geschrieben, ebenso zäh dahin?

Diesem Abend fehlt alles, was “Gott des Gemetzels” zu einem Publikumshit gemacht hat, der auch von Hollywood adaptiert wurde: keine bissigen Wortgefechte, kaum überraschende Pointen, wenig Esprit. Isabelle (Lore Stefanek), die älteste der fünf Figuren, meint einmal sinngemäß: Irgendwann werde ich tot sein und ihr werdet einfach weiter quatschen.

Die Exposition ließ auf amüsanten Edel-Boulevard aus der Feder der französischen Erfolgsautorin hoffen: ein Unternehmer will sich mit seiner Geliebten einen schönen Abend in einem schicken Restaurant machen, trifft aber dort auf die beste Freundin seiner Gemahlin, die mit ihrer Familie den Geburtstag der Schwiegermutter feiert. Statt guter Unterhaltung gibt es dann aber leider nur viel Qualm inklusive Product Placement von Nina Hoss für die Marke “Lucky Strike”, quäkende Frösche, zirpende Grillen, Käfer in Großaufnahme, eine Slapstick-Toiletten-Sex-Szene und leeres Gerede.

“Ich drehe durch vor Glück!” – Nein, dazu bietet dieser Abend kaum Anlass. Und auch bei der alleinerziehenden pharmazeutisch-technischen Angestellten Andrea (Nina Hoss) ist das nur Sarkasmus, als sie ihren Liebhaber Boris (Mark Waschke) gallig auflaufen lässt. Aber immerhin war das einer der Momente, wo sich schemenhaft andeutete, was für ein Theaterfest bei diesem Trio Reza/Hoss/Waschke möglich gewesen wäre.

Yasmina Reza ist und bleibt eine großartige Autorin bissig-spritziger Gesellschaftskomödien, aber diese Auftragsarbeit ging leider daneben. Die Vorstellungen bis zur Sommerpause sind trotzdem schon ausverkauft.

http://kulturblog.e-politik.de/archives/25011-promi-theater-keine-bella-figura-an-der-schaubuehne-aber-nina-hoss-dreht-durch-vor-glueck-wilsongroenemeyer-machen-nationaldrama-faust-zum-musical.html

Mehr dazu hier:
Bella Figura, Berlin: Faktencheck
In seinem im März hier veröffentlichten interview macht Ostermeier ziemlich einen auf dicke Hose, warum die Schaubühne ein so wichtiges, ja sogar "einziges Theater" sei und warum er Theater mache und worüber. Die Inszenierung von "Bella figura" reizt natürlich dazu, diese Aussagen einmal zu überprüfen - "Faktencheck" wird so etwas ja gerne genannt, passt aber hier nicht so richtig.

Ostermeier ist gegen Dekonstruktion, aber für "Bruchlinien" - das waren dann wohl die projizietrten Insektenbilder, die vermutlich auch die hochtrabenden Texte des Programmhefts rechtfertigen sollten. Vielleicht sollte der geneigte Zuschauer aber auch das Gefühl bekommen, Menschen (auf der Bühne) so zu beobachten wie die Forscher es mit den Insekten tun; doch dafür bleibt das alles zu platt und erkenntnisfrei.
Ostermeier behauptet im interview, das Publikum erkenne sich wieder, die Schaubühne sei das einzige Theater, das "mittendrin in unseren Biographien und Widersprüchen" stehe und er - Ostermeier - vesuche "aufrichtig eine eigenen Widersprüche auf die Bühne zu bringen, mit der Verantwortuhng einer Generation umzugehen und mkit der eigenen Verantwortungslosigkeit". Da geht einem ja das Herz auf! Aber warum sieht man davon nichts in der Inszenierung? Und wer ist das "wir", von dem Ostermeier spricht? Dass einer vor der Insolvenz steht, könnte ja zu tun nhaben mit der Gefahr der Mittelschicht, ins Prekariat abzurutschen - aber das wird eigentlich gar nicht thematisiert. Was soll das also?
Oder Altersdemenz als Thema? Aber Yvonne dient aber nur dazu, ein paar Pointen zu schinden. Das erinnert eher an die Komödien Feydeaus, in denen Figuren auch manchmal nur eine Eigenschaft haben, die für Komik sorgehn soll; in eihnem Stück gibt es jemanden, der hauptsächlich und wortwörtlich stinkt, ohne es zu wissen.
Oder geht es um Medikamentenmissbrauch? Das wird auch nur angetippt. Nebenbei, Reza scheint irgendwie auf die Pharmaindustrie fixiert zu sein, in "Gott des Gemetzels" ist da ja auch ein Thema.
Oder geht es um Probleme von Alleinerziehenden, zumal von Frauen? Aber auch das wird nur angetippt.
Durch Stück und Inszenierung wird nichts von dem auch nur ansatzweise eingelöst, was Ostermeier im Interview für sich und sein Theater beansprucht. Der Text ist platt und hängt dramaturgisch ziemlich durch. Die Personen lassen kalt. Die Inszenierung muss sogar zu so billigen Effekten wie dem Scheibengesicht greifen.
Ich sehe gerne Komödien und glaube auch, dass sie ein Mittel sein können, Gegenwartsprobleme zu verhandeln. Feydeau kann durchaus aktuell sein. "Bella gfigura" funktioniert nicht einmal als richtige Komödie.
Ich habe die Inszenierung bei den Ruhrfestspielen gesehen und kenne das begeisterungsfähige Publikum des Ruhrgebiets. Aber so richtig viele Lacher gab es nicht während der Vorstellung. Der Applaus war ja ganz gut, hätte bei Begeisterung aber doppelt so lange gedauert. Es sind auch nur zwei Personen zum Klatschen aufgestanden.
Ach ja: Die Schauspielrinnen und Schauspieler waren super!!
Bella Figura, Berlin: Sehr gute Vorstellung
War gestern in der ausverkauften Vorstellung und muss sagen, mir hat es sehr gut gefallen hat. Durchaus nicht weniger als die anderen beiden Reza-Stücke, die ich allerdings auch in anderen Theatern sah.
Bella Figura, Berlin: absoluter Pluspunkt: die Übertitel
Die Kritik von Herrn Rakow trifft es nach wie vor auf den Punkt. Hier stimmt einfach gar nichts. Weder die völlig verwässerte Figurenzeichnung der Regie, noch der papierne Text, der sich von Anekdote zu Anekdote hangelt. Sinnbildlich für den Abend und seinen unstimmigen Rhythmus sind die unzähligen Umbauten, die man dröger wohl nicht von statten gehen lassen kann.
Absoluter Pluspunkt des Abends: die englischen Übertitel, denn außer der großartigen Lore Stefanek ist das ein zweistündiges Genuschel an dem.jeder Sprecherzieher seine wahre Freude hätte.
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