Presseschau vom 19. Mai 2015 – Nicolas Stemann bezieht Stellung zu den Rassismus-Vorwürfen gegen "Die Schutzbefohlenen"

Auf dem Rücken der Flüchtlinge

Auf dem Rücken der Flüchtlinge

19. Mai 2015. Nicolas Stemanns Inszenierung Die Schutzbefohlenen war beim Theatertreffen keineswegs unumstritten. Wagner Carvalho von der Künstlerischen Leitung des Berliner Ballhaus Naunynstraße verließ die Inszenierung frühzeitig, weil er das darin praktizierte Blackfacing als rassistisch empfand. Stemann äußerte sich nun auf Cicero online zu den Vorwürfen.

Auf die Frage, ob er die Kritik von Wagner Carvalho am Blackfacing der Inszenierung nachvollziehen könne, sagt Stemann: "Es gibt hier ein fundamentales Missverständnis. Denn: wir 'machen' nicht Blackfacing, wir zeigen es. Das mag wie ein lässlicher Unterschied wirken, ist aber doch wesentlich, vergleichbar dem Unterschied zwischen einem realen Mord und einem, der auf einer Bühne nur gespielt wird." Der Schauspieler würde nur einen Weißen spielen, der sich das Gesicht anmalt. "Wir führen damit das Blackfacing vor. Beim Blackfacing wird ein Schwarzer der Lächerlichkeit preisgegeben – bei uns wird das Blackfacing der Lächerlichkeit preisgegeben – was eigentlich im Sinne Herrn Carvalhos sein sollte. Der kurze Moment der Irritation ('meinen die das etwa ernst?') ist gewollt, wird aber sofort aufgelöst."

Natürlich kenne er auch die Debatte, die seit ein paar Jahren um Blackfacing und unsichtbaren und strukturellen Rassismus im Theater geführt wird. Aber "das, was Carvalho in seinem Statement kritisiert, hat in dieser Inszenierung nicht stattgefunden. Das hätte er vielleicht auch gemerkt, wenn er nicht sofort den Saal verlassen hätte." Und es würde ja auch niemand auf die Idee kommen, einen Film über die Shoah nur deshalb als rassistisch zu empfinden, weil darin ein Hakenkreuz gezeigt werde.

In der ersten Hälfte des Stücks werde gezeigt, wie ein eigentlich wohlmeinendes Theaterensemble sich zunehmend in den eigenen Widersprüchen verhakt. Später treten dann die Flüchtlinge auf, gewissermaßen als Rettung. "Dabei ging es mir nicht darum, eine theaterinterne Debatte zu reflektieren, sondern darum, die grundsätzliche Verkrampfung und Heuchelei einer sich offen gerierenden Gesellschaft abzubilden." Das mache er mit seinen Theatermitteln, wozu auch Ironie und Uneigentlichkeit gehören, Überlagerung verschiedener Diskurse, auch Unschärfe. Hier gehe es ja um Kunst, "das ist einfach ein anderes Zeichensystem, in dem die Dinge bewusst auch in eine gewisse Gefährdung getrieben werden". Es werde in der Inszenierung aber an keiner Stelle ein schwarzer Mensch karikiert, "dabei ständig irgendwelche verkrampft um ihr eigenes Gut-Sein bemühte Weiße".

(sik)

 

Hier gibt's die Nachtkritik zu Nicolas Stemanns umstrittener Inszenierung von Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen, anlässlich der Premiere beim Mannheimer Festival Theater der Welt. Hier unser Kritiker-Gespräch nach der Theatertreffen-Premiere zwischen Sophie Diesselhorst und Georg Kasch. Außerdem ein Bericht über den Theatertreffen-Thementag zu Flucht, Einwanderungspolitik und Asylgesetzgebung, dazu auch eine Presseschau sowie ein Bericht über die Theatertreffen-Veranstaltung zu Theater und Postkolonialismus.

Hier ein Überblick zur Blackfacing-Diskussion. Auch in den Magazinrundschauen vom Oktober 2014 und Februar 2015 ging es um Flüchtlingstheater, Blackfacing und "Die "Schutzbefohlenen".

 

mehr medienschauen