Bring mir den Kopf von Frank Castorf!

von Petra Hallmayer

München, 22. Mai 2015. Es dauert nicht allzu lange, bis in Oliver Frljić' erster Inszenierung in München Schüsse knallen. Dabei führt diese nicht in den Balkankrieg, sondern in den deutschen Theaterbetrieb. Dort wird ein fiktives Alter Ego des Regisseurs (Franz Pätzold) von drei unerträglich arroganten, grässlich oberschlauen Herren (Leonard Hohm, Jörg Lichtenstein, Alfred Kleinheinz) engagiert, ehe die Szene in einem Blutbad explodiert, in eine Folge von Hinrichtungen mündet. Am Ende des einem Verhör gleichenden Vorstellungsgesprächs mäht der Bosnier das Herrentrio, das sich nacheinander Schilder mit den Namen deutscher Dichter und Denker und schließlich der Regiestars Frank Castorf, René Pollesch und Martin Kušej umhängt, nieder.

Mit einem starken Bild beginnt so ein Theaterabend, der wie ein gellender Aufschrei wirkt: Nein, ich will nicht eure Marionette sein! Was muss ich tun, um euch endlich aufzurütteln? Ursprünglich war "Balkan macht frei" als eine Performance zum Thema Migration angekündigt. Stattdessen setzt sich Frljić im Marstall nun mit seiner eigenen Rolle im westlichen Kulturbetrieb auseinander. Der in Kroatien lebende bosnische Regisseur ist es leid, als Vorzeige-Balkanese unseren Konflikt- und Gewalt-Voyeurismus zu bedienen, mag nicht mehr freundlich beklatscht werden. Er begehrt auf gegen die ihn erstickenden Umarmungen und klischeesatten Erwartungen, mit denen er jenseits seiner Heimat empfangen wird. "Das ist es doch, was ihr von einem Balkanregisseur sehen wollt!", schreit sein Bühnen-Ich höhnisch, das nach seinem Amoklauf die blutenden Leichen tätschelt.

"Ihr dreckigen Gaffer!"

Mit seinem Polittheater, das beharrlich an Wunden, verdrängte Kriegsverbrechen und verleugnete Schuld rührt, hat Oliver Frljić in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens hasstrunkene Proteste und anhaltende Diskussionen ausgelöst. So heftige Reaktionen, solche gesellschaftspolitische Relevanz können Regiearbeiten im saturierten Westen nicht erreichen, dagegen nehmen sich dessen Theaterskandale wie harmlose Kindereien auf.Balkanmachtfrei 560 KonradFersterer uFranz Pätzold als Alter Ego des Regisseurs im Brautkleid © Konrad Fersterer

Frljić jedoch will uns partout aus unserem schlafmützigen Kulturkonsumismus herausreißen. In einer wilden Szenencollage versucht er, die deutsche Wohlfühlkultur zu zertrümmern. Bei Kerzenlicht entwirft eine fröhliche Tafelrunde rassistische Thesen über die Zukunft eines von Scharen von Türken bevölkerten Deutschland, bevor sie mit gefalteten Händen den 3. Artikel des Grundgesetzes nachbetet. In einem "Wutmonolog" klagt der Bosnier unsere selbstzufriedene Toleranz, unsere Fernsehsessel-Ruhe und emotionale Schlaffheit an. Vor den Zuschauerreihen auf- und abtigernd steigert sich sein Alter Ego in eine Brüllorgie, tobt und geifert, beschimpft uns als "verwöhnte Westler" und "dreckige Gaffer".

Die Selbstauslöschung des Regisseurs

Franz Pätzold macht das toll, allein, wenn er bellt, dass die SS-Offiziere wenigstens eine Haltung gehabt hätten und auch einige von uns vergast gehörten, ist das nur peinlich und daneben. Mit immer wüsteren Schmähungen sucht er die Zuschauer aus der Reserve zu locken. Drei von ihnen verlassen enerviert den Saal, der Rest verharrt schweigend auf seinen Plätzen. Dafür kommt es zu entschlossenen Reaktionen bei der sich anschließenden Folterszene, in der der japsend nach Luft ringende Pätzold so lange mit Wasser übergossen wird, bis einige Zuschauerinnen auf die Bühne marschieren und den Eimer und die Schüsseln davontragen.

Wirklich unter die Haut jedoch geht das alles nicht. Immer wieder läuft Frljić' Provokationstheater ins Leere, wirkt bloß traurig hilflos, als würde er mit beiden Fäusten auf watteweiche Wände einschlagen. Dabei versteht man seine verzweifelte Wut, die einen tatsächlich weit mehr berührt als die knalligen verbalen Peitschenhiebe und ätzenden Zynismen. Nach einem eingeflochtenen Gespräch eines Enkels mit seinem im KZ ermordeten Großvater, das völlig deplatziert anmutet, schlüpft Pätzold in ein Brautkleid, beugt sich als besiegte Germania über den Tisch und lässt sich "willenlos, feige" von vorn und hinten durchficken. Im Schlussbild senkt sich eine riesige Deutschlandfahne auf ihn herab, die ihn unter sich begräbt und von der umhüllt er hinausgetragen wird. Als Finale inszeniert Oliver Frljić seine eigene Auslöschung, ein Bekenntnis seiner Ohnmacht. Aus dem Käfig, an dessen Stäben er so zornig rüttelt, das weiß er wohl, gibt es letztlich kein Entrinnen. Am Ende applaudieren alle freundlich.

 

Balkan macht frei
von Oliver Frljić
Regie, Bühne, Musik: Oliver Frljić, Kostüme: Katja Kirn, Licht: Barbara Westernach, Dramaturgie und Übersetzung: Marija Karaklajić, Götz Leineweber.
Mit: Leonard Hohm, Alfred Kleinheinz, Jörg Lichtenstein, Franz Pätzold.
Spieldauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.residenztheater.de

 

Kritikenrundschau

Eine "Zumutung", findet Rosemarie Bölts im Deutschlandfunk (23.5.2015). Und zwar eine produktive: "Das tat richtig weh. Wie angekündigt: mit Gewalt provoziert. Was daran noch Theater ist? Genau das. Politisches Theater."

"Pätzold ist kein Darsteller, er ist das Ereignis einer Uraufführung, die mit einem Einbürgerungstest für den renitent slawischen Theatermacher beginnt", schreibt Jürgen Berger auf Spiegel online (25.5.2015). An Pätzold werde ein reales Waterborading exekutiert. "Die Zuschauer bleiben aber lange regungslos sitzen. Irgendwann stehen einige dann doch auf, greifen ein und entreißen denen da vorne die Folter-Werkzeuge." Man meint zu verstehen, dass der Regisseur des Abends auch deshalb so unbarmherzig sein wolle, weil es ihm ganz nebenbei um einen Kommentar zur unbarmherzigen Haltung des reichen Mitteleuropa angesichts der Flüchtlingstragödie im Mittelmeer gehe. Oliver Frljics Theater könne selbstverliebt tragisch und sentimental kitschig sein, "an diesem Abend hat er vor allem aber richtige Fragen gestellt und sich derart entblößt, wie man es im deutschen Theater selten erlebt".

Einen "wuchtigen und verstörenden Clash mit dem Deutschen an sich" hat Cornelia Fiedler erlebt, wie sie in der Süddeutschen Zeitung (26.5.2015) schreibt. "Was wir sehen ist ein Kampf mit europäischen Traumata made in Germany." Übergangslos gerate Pätzold als Frljićs Traum-Ich in immer neue Rollen, stürze aus einer fiebrigen Realfantasie in die nächste. Immer wieder führe Frljić das Geschehen auf sehr grundlegende, notwendig quälende Fragen zurück. "Zum Beispiel die, wie es möglich sein kann, dass unsere Gesellschaft aus den – großteils ungesühnten – Verbrechen im Nationalsozialismus allen Ernstes eine moralische Überlegenheit für das Heute ableitet. Das verleiht dem nur vordergründig hilflos wirkenden Wüten auf der Bühne eine beeindruckende Schlagkraft."

Im Münchner Merkur (26.5.2015) geht Alexander Altmann auf die vielen Irritationen ein, zum Beispiel auf den vorgespielten Antisemitismus: "Kaum anzunehmen, dass das so gemeint ist, obwohl es so klingt. Natürlich wird hier nur eine Attitüde ausgestellt und bewusst mit dem Tabubruch gezündelt wie mit den Büchern, die in Anlehnung an die Bücherverbrennung auf einem Metalltablett kokeln. Aber ganz sicher ist man sich nicht, und genau auf diese Irritation setzt Frljićs Performance, die dezidiert die Grenzen zwischen Fiktion und Authentizität verwischt." Allerdings gehe der Versuch, die Zuschauer aufzustören, indem man die Realität als Super-Effekt ins Theater hole, "sich selbst auf den Leim: Wenn der Balkanregisseur die saturierten Westler mit der Wirklichkeit erschreckt, bestätigt er die Klischee-Muster, die er eigentlich zertrümmern wollte."

"Trotz aller Unzulänglichkeiten und Ungereimtheiten" sei diese Inszenierung "eines der wichtigen Ereignisse der Theatersaison", urteilt Mathias Hejny in der Münchner Abendzeitung (25.5.2015). Oliver Frljić "treibt das Theater tief in den Grenzbereich des Darstellbaren. In einer grandios wütenden Publikumsbeschimpfung lässt Pätzold die üblichen Stereotypen über die Saturiertheit der Westeuropäer durcheinander purzeln"; auch bediene Frljić das Klischee des "Balkanregisseurs" an diesem Abend "bestens".

 

Kommentare  
Balkan macht frei, München: Toleranzgefängnis
Das gehört zu dem watteweichen Toleranzgefängnis, dass am Ende der Kritik eine Bemerkung über den Applaus steht. Oder dass ein Satz über SS-Offiziere "daneben" ist, gemessen an den den rechten Ressentiments, die das ganze Stück wie Speck durchziehen. Eine sehr Inszenierungskonforme Kritik. Jeder mit seinen Mitteln. Der Applaus so freundich wie der Folterer. Der Regisseur hätte mindestens diesen verweigern müssen, nichts tun und gleich abreisen sollen. 1,2 Stunden gemensames Schweigen für den Faschisten in der Mitte der Gesellschaft. Das kann das Residenztheater als nächstes machen, aber bitte auf der großen Bühne.
Balkan macht frei, München: Behaltet ihn!
bitte behalten sie dieses regisseur. es bescmutzt unsere land schon lange mehr als eine jahr und alles wir versuchen, um die ehre unsers nationaltheaters wieder zu reparieren. (…) schande für die geld von der land. bitte behalten sie dies. geben sie ihn nicht zurück. SLOBODA ILI SMRT!
Balkan macht frei, München: alles hat Grenzen
@1 stimmt irgendwie, wenn gelobt wird, dass der Regisseur mit seinem "Polittheater, das beharrlich an Wunden, verdrängte Kriegsverbrechen und verleugnete Schuld rührt" nicht über die Stränge schlagen soll. Aber alles hat seine Grenzen, auch der schlechte Geschmack. Schließlich nimmt er doch auch unser Geld. Das soll er doch in Jugoslawien machen, da hat die Aufklärung des Faschismus scließlich noch nicht stattgefunden.
Balkan macht frei, München: hört mal auf damit!
Es ist immer dasselbe, dass die KritikerInnen (lies KommentatorInnen) schreiben, wie die Inszenierung im Grunde Scheisse ist, aber die Schauspieler haben es toll gemacht. Hört Ihr mal damit auf, jetzt und für immer. Das, was dabei ästhetisiert wird, wird immer gelobt, solange das, was wichtig und eben nicht ästhetisiert wird, wird darunter leiden. Kann man so eine Schule für Kritikschreiberei besuchen? "Na bitte, hat doch geklappt?"
Balkan macht frei, München: (ironisch) Gut recherchiert!
Wozu immer dieses Bedürfnis, sofort die Nationalität des Regisseurs dazu schreiben? Am besten auch das Religionsbekenntnis. Weil man sich nur so ein Bild malen kann, mit wem wir zutun haben? Schreiben Sie, schreiben, nicht einmal, sonder gleich dreimal, wie oben im Artikel. Sonnt vergessen wir das. Gut recherchiert!
Balkan macht frei, München: Maßstäbe für Grenzen
Und bitte immer dazu schreiben, wie teuer die Inszenierung insgesamt war und wieviel das Regisseur (# 2) dafür bekommen hat. Damit man wieder objektive Maßstäbe für Grenzen und Kritik hat. "Schließlich nimmt er doch auch unser Geld." (# 3)
Balkan macht frei, München: wird doch gesagt
Das wird ja in der Inszenierung gesagt: wieviel er verdient, genau 25.000 für Regie, Bühne und Musik laut Programmheft. Die Hälfte vom Castorf... Und dass er keine Ahnung von Deutschland hat und sich nur für Geld interessiert auch. #4 hat die Inszenierung nicht gesehen, aber weiß trotzdem Bescheid. Reife Leistung.
Balkan macht frei, München: übrigens
Ätzend, das ist alles so ein Klüngel. Und nachtkritik zensiert mal wieder. Warum eigentlich? Castorfs Bühnenbildner für Bayreuth, Alexander Denic, ist übrigens ein Serbe. Ach, nee. Die kennen sich doch alle untereinander. Und tun so, als ob. In echt nehmen Menschen Schaden.
Balkan macht frei, München: ausdrücklich thematisiert
#5 "Wozu immer dieses Bedürfnis, sofort die Nationalität des Regisseurs dazu schreiben?"

Irre ich mich oder hat der "Balkan-Regisseur" laut Rezension seine Nationalität in seinem Werk selber ausdrücklich thematisiert, sozusagen als Sujet seiner "verzweifelten Wut"?? Was genau also meint Ihr rätselhafter Vorwurf?
Balkan macht frei, München: mit Gründgens gesagt
Wozu die Nationalität des Regisseurs? Wozu überhaupt sein Name? Es ist mal wieder ein Zertrümmerer auf der Bühne, ein Action-Rumpelstielzchen und kaut auf altem Brei herum. "Der wesentlichste Charakterzug des Theaters ist die weitgehende Abwesenheit von Intelligenz." Sagte Gustav Gründgens einmal auf die Frage, warum er seinen "Wagner", einen jungen mittellosen Studenten, mit einem alten Schauspieler besetzt hatte.
Balkan macht frei, München: anstrengend, überwältigend
Vielleicht ist all dies Gerede und all die Verarbeitung einer solchen Performance, einer so schaurigen Folter für Darstellende und Zuschauende gar nicht möglich. 'Balkan macht frei' bleibt für mich zwar eine der anstrengensten aber zugleich auch überwältigsten Abende, die ich als Zuschauerin je erlebt habe, physisch erlebt habe. Und das ist durchaus mit intelligenten Mitteln von Frljic herbeigerufen. Der Ekel, die Wut, die Trauer, der Unglaube... Ja. Endlich stellt sich nicht mehr das müde, distanzierte Kopfschütteln oder nicken ein, sondern entweder Bauchschmerzen, mitfühlende Wut oder aber ....totale Lähmung. Und es stimmt. Wir denken zu viel.
Balkan macht frei, München: zwei mal Superlativ
der wichtigste theaterabend meines lebens. pätzold hat sich zum wichtigsten schauspieler seiner generation katapultiert.

https://www.google.com/url?rct=j&sa=t&url=http://www.deutschlandfunk.de/regisseur-oliver-frijic-in-muenchen-beleidigend.691.de.html%3Fdram:article_id%3D320715&ct=ga&cd=CAEYACoTMzcxODQ1ODkwNDMxMjQyNDkzNjIaZmIxYjk1MTg5ZTdiZGNhYTpjb206ZGU6VVM&usg=AFQjCNGnGONLYlSYkq61NeoHY6DWIsR4iw
Balkan macht frei, München: Facebook-Hetze
Interessant, Rosemarie Bölts im DLF. Ich war gestern drinne und da war der Pätzold-Monolog sicher 15 Minuten, nicht 7. Diese Todesanzeige des Regisseurs im Programmheft scheint für die Facebook-Seite gemacht und gepostet, die die Absetzung von Frljic in Rijeka fordert: Otkaz Frljiću i Blaževiću - ZA dignitet HNK I.pl. Zajc. Etwas kryptisch. In Rijeka wird ordentlich gehetzt. Links gehen hier nicht immer, aber: https://www.facebook.com/groups/345312828974947/419447088228187
Balkan macht frei, München: Wittgenstein
wie bitte? ist "Sieh des Satz als Instrument an, und seinen Sinn als seine Verwendung!" nicht von Ludwig Wittgenstein? Und von wem redet die da? Wer ist dieser "Jocza Savits aus dem 19. Jahrhundert"?
Balkan macht frei, München: pubertär
Ist doch egal, Jocza Savits kann jeder googeln. Eine weitere hinterhältige Beliebigkeit. Am Samstag sah ich die Vorstellung und bin nur nicht gegangen, weil ich diese Beleidigung bis zum Ende aushalten musste, denn, wer geht, der erfüllt ja nur die Stereotype des Regisseurs. So kann ich aber sagen, dass ich an keinem Theater bisher so eine pubertärere Vorstellung gesehen habe. Da scheint eine Nacherziehung eines Adoleszenten notwendig (...). Dass das dann ausgerechnet das hohe, bayrische Staatsschauspiel produziert ist schon fast dreist. Einst Ort der differenzierten Hochkultur. Das muss ein Nachspiel haben, am besten nimmt diese ganze Klüngelei (danke, Nr. 8, Denic gehört auch dazu mit seinen überdimensionierten, simplen Puppenstuben) ihren Hut und verschwindet wieder: Denn, wenn sich dieses balkanische Denken am Theater durchsetzt, dann Gute Nacht München. Bemerkenswert ärgerlich das Ganze.
Balkan macht frei, München: grundehrlicher Abend
Na gut, warum nicht "Gute Nacht, München". Wer will diese selbstvergessene "huch die Bahn streikt"-Gesellschaft schon bei Tag?alle Angst vor Theater, das eine Haltung hat? Meine Güte! Das ist ein grundehrlicher Theaterabend, der tatsächlich was zu sagen hat. Was ist euer Problem? Dass die abends nicht eueren Geschmack trifft? ohhhhh. Werther, Kabale, Woyzeck, alles pubertäres Theate gewesen - damals. Und trotzdem wichtiger als vieles, was seinerzeit amüsiert hat. Ist ja okay, wenns nicht gefällt, aber einen Abend, dem es offensichtlich nicht ums gefallen geht danach zu bemessen ist- hmm, wie soll ich sagen, nicht wirklich am Gegenstand entlang. Also "Gute Nacht München!"
Balkan macht frei, München: Ressentiments
also wenn man hier so einige Kommentare liest, wird einem wirklich Angst und Bang... scheint so, als ob dieser Abend gerade in München bitter nötig ist bei all diesen Ressentiments!

das wird man doch wohl mal sagen dürfen... im Ernst?
@3 "Aber alles hat seine Grenzen, auch der schlechte Geschmack. Schließlich nimmt er doch auch unser Geld."
@15 "Denn, wenn sich dieses balkanische Denken am Theater durchsetzt, dann Gute Nacht München."
Balkan macht frei, München: Selbstinszenierung zynisch
Mich irritiert hauptsächlich diese Todesanzeige im Programmheft. Es sind ja in den vergangenen Jahren tatsächlich Theatermacher und andere Künstler in Reaktion auf ihre Arbeit zu Tode gekommen; da wirkt diese Selbstinszenierung als Heiligenfigur doch etwas zynisch. Auch Waterboarding habe ich in vielen Stücken schon begründeter und angemessener aufgeführt gesehen als in diesem, das Folter als Metapher verwendet. Und entlarvend naiv kam mit auch die Annahme des Stückes vor, es handele sich beim hiesigen Theater- und Literatur-Referenzrahmen, mit Ausnahme von der Jelinek, um einen reinen Herrenclub: als seien wir nie mit anderem konfrontiert worden.
Balkan macht frei, München: eines der wichtigen Ereignisse
"Trotz aller Unzulänglichkeiten und Ungereimtheiten: 'Balkan macht frei' ist eines der wichtigen Ereignisse der Theatersaison." http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.zwischenfall-am-marstalltheater-zu-brutal-zuschauerinnen-stuermen-buehne.cb5abe6c-0c1e-4828-a4a1-ce0f95d091db.html
Balkan macht frei, München: Publikums-Masochismus
Das ist ein eher weinerlicher Vorwurf gegen einen Abend, der hauptsächlich darin besteht, das Publikum zu verärgern, zu verstören, mit saftigen Beleidigungen und Vorwürfen. Wenn dann ein Zuschauer sagt "Ja, spuck mir ins Gesicht", aber bitte "spuck mir differenziert ins Gesicht", ist das doch verquerer Publikums-Masochismus. Als ich ihn gestern sah bekam ich ziemlich schlechte Laune, aber das hat mich mehr interessiert, als die Frauenquote in der deutschen Kultur. Und dass da überall makabrer Geschmack am Werk ist, ist doch Teil der Intention, oder verstehe ich da was falsch? Wieso sollte man ihm jetzt nur vorwerfen, dass er seine Todesanzeige fälscht?
Balkan macht frei, München: atemberaubend
großartig. atemberaubend. aufrüttelnd. sich selbst hinterfragend.
so muss theater sein. nicht anders. - pätzold ist großartig. ich hoffe man wird noch viel von ihm hören. ein aufgehender stern am schauspielerhimmel! chapeau, liebes resi!
Balkan macht frei, München: allein gelassen
Kunst/Künstler ist ein Killerargument!
Der Regiseur macht seine Voreingenommenheiten zum Thema und reist dann ab, statt sich den Zuschauern zu stellen!
Er ist ein Feigling und das Residenztheater lässt ebenfalls die Zuschauer in unverantwortlicher Weise allein!
Balkan macht frei, München: Kunstargument
... "unverantwortlich" ist nicht ganz zu verstehen, weil der Regisseur hat den Abend doch nicht alleine gemacht. Da gibt es doch zB auch noch die Schauspieler und die übernehmen doch Verantwortung? Oder anders gefragt: Machen das nicht alle Regisseure genau so, zumindest die, die nicht behaupten, alles schon zu wissen? Und wer hat das Kunstargument hier benutzt?
Balkan macht frei, München: jeder was er will?
merkwürdig, dass so ein abend neben dem doch eher luschigen milo rau projekt steht. ob sich da überhaupt noch jemand was dabei denkt oder macht jeder was er will am residenztheater?
Balkan macht frei, München: verstörend
Großartiges Theater, verstörend wie aufrüttelnd zu gleich. Selten hat ein Stück so treffend gesellschaftsrelevante, gleichbleibend aktuelle Themen angesprochen und zum Nachdenken angeregt. Nicht zuletzt bei der Waterboarding-Szene und dem anschließenden Gespräch zur "Hilfsbereitschaft" der Menschen lassen einen als Zuschauer irritiert und betroffen zurück - hat man nicht selbst gerade nur zugeschaut und Gegebenheiten als "das muss so, ist Teil der Inszenierung" hingenommen? Etwas als falsch zu erkennen und selbst zu handeln sind eben noch immer zwei grundsätzlich unterschiedliche Ding.
In Summe ein hoch empfehlenswerter Theaterabend, nach dem man sich wünscht, das Staatstheater würde viel häufiger den Mut aufbringen, Theater so weiter zu denken, mutig und treffend zu inszenieren, Menschen zu bewegen! Über die reine Unterhaltung hinaus war und ist dies schließlich noch immer eines der wichtigsten Elemente und Möglichkeiten des Theaters, die mit Balkan macht frei herausragend umgesetzt wurden.
Balkan macht frei, München: wichtig
Ich kann mich #25 nur anschließen. Das hat in die Magengrube getroffen, aufgerüttelt und verstört - eine Aufgabe von Theater, und die immer wieder nur ästhetisch ambitionierten Spielereien, die ich bisher geliebt habe, in den Schatten gestellt. Franz Pätzold zeigt hier am eindrucksvollsten, was er ist: ein Schauspieler mit umwerfender Präsenz! Die Tatsache, dass allein hier auf Nachkritik so viel geschrieben wurde, zeigt, wie wichtig das Stück ist!
Balkan macht frei, München: Wut-Suada
Um diesen Schauspieler beneiden das Residenztheater sicher viele Häuser: Franz Pätzold schreit und tobt mit einer unglaublichen Präsenz über die Bühne, greift spontan Einwürfe aus dem Publikum auf, tigert vor der ersten Reihe herum und rückt den Zuschauern ganz nah auf die Pelle. Pätzold geht an diesem Abend an seine Grenzen: in einer langen, schwer auszuhaltenden Szene lässt er sich von seinen Mitspielern fesseln und im Stil des Waterboarding quälen.

(...)

Die Anfangsszenen sind räumlich und zeitlich noch klar zu verorten: Pätzold spielt das Alter ego des Regisseurs Frljić, der drei aalglatten Typen gegenübersitzt, die ihn von oben herab behandeln und gönnerhaft als Balkan-Exoten und bunten Farbtupfer für ihr Theater engagieren wollen.

(...)

Danach nimmt er sich das Publikum vor. Offensichtlich handelt es sich bei dieser Wut-Suada um eine kontinuierliche Weiterentwicklung. Pätzold greift auch die Willkommenskultur am Münchner Hauptbahnhof wenige Kilometer weiter und den Dauerstreit zwischen Merkel und Seehofer auf -Ereignisse, die erst nach der Premiere im Frühsommer 2015 stattfanden. Schlagfertig kontert er auch die motzenden Zwischenrufe einer Zuschauerin, dass er doch nur eine billige Kopie von Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ biete.

Je länger der knapp 90minütige Abend geht, desto wilder und wahlloser schlägt die Inszenierung um sich. Nach den präzisen Anfangsszenen drohen sich Oliver Frljić und sein vierköpfiges Ensemble in einem Rundumschlag zu verzetteln.

Trotz dieser Schwäche ist „Balkan macht frei“ wesentlich sehenswerter als die Folge-Inszenierung „Unsere Gewalt – eure Gewalt“, in der Frljić nur platt mit dem Holzhammer drosch und auch keinen Schauspieler vom Kaliber eines Franz Pätzold zur Verfügung hatte.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2016/12/20/balkan-macht-frei-franz-paetzold-wuetet-im-marstall-und-wird-mit-waterboarding-gefoltert/
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