Verlängerung des Kults

von Simone Kaempf

Berlin, 2. Juni 2015. Kritik an Putin ist in Russland nicht erwünscht, man weiß es natürlich. Offiziell ist das Zensurgesetz seit etlichen Jahren abgeschafft. In der Praxis haben sich längst subtilere Repressionen entwickelt. In Moskau bekommt das vor allem das Teatr.doc zu spüren, das beispielhaft in die Schusslinie geraten ist. Der freien Gruppe wurde im Herbst der Mietvertrag gekündigt, seitdem zirkulieren die schlechten Nachrichten: Im Januar räumte die Polizei das Theater wegen einer angeblichen Bombendrohung, der neuen Spielstätte droht schon wieder das Aus, das wurde vor einigen Tagen bekannt. Brandschutzvorschriften seien nicht eingehalten, lautet die Begründung, auch wurden die beiden künstlerischen Leiter aus allerlei ungereimten Gründen mehrmals vor die Staatsanwaltschaft zitiert.

Hausarrest in der KGB-WG

Teatr.doc hat mit halbdokumentarischen und satirisch-politischen Arbeiten auf sich aufmerksam gemacht. Doch warum genau die Behörden gegen das Theater vorgehen, kann selbst Theaterleiterin Elena Gremina nicht mit restloser Sicherheit erklären. Auslöser war vermutlich ein Stück über die Unruhen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz. Andere Arbeiten wie "Zwei in deinem Haus", in dem Putin seinen Seitenhieb wegbekommt, laufen dagegen seit vier Jahren, ohne angefeindet zu werden.

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Besonders verwunderlich ist das nicht. Das Stück, das nun im Rahmen des kleinen Theaterfestivals "Russischer Theaterfrühling" an der Berliner Schaubühne lief, verpackt seine Putin-Kritik äußerst vorsichtig in einer einzigen kleinen Szene. Und doch hinterlässt es einen angenehm überraschenden Eindruck über den Zustand des russischen Theaters. Erzählt wird das Zusammenleben in einer etwas anderen Art Wohngemeinschaft. Ein unter Hausarrest stehender Politiker und seine Ehefrau werden von drei KGB-Mitarbeitern überwacht. Die gegenseitige Konfrontation bewegt sich entlang des gemeinsamen Alltags: Diskussionen übers Aufräumen und Benutzen des Bads, über die verstorbene Hauskatze und guten Rotwein. Und doch steckt darin eine Terrainvermessung, kommen hier scheinbar unvereinbare Positionen zusammen, provoziert nicht zuletzt eine Art des Redens, die von gegenseitigem Misstrauens geprägt ist, ein Kippen der Rollen. So sind es irgendwann die Schergen, die sich genervt beschweren, dass die Hausherrin sie terrorisiere. Die Inszenierung mixt die realistischen, psychologischen und symbolischen Ebenen äußerst klug, bleibt dabei subtil und spricht doch offen die brennenden Themen an.

Klartext sprechen?

Gerechnet hat man damit im Vorwege des Festivals gar nicht. Wichtiger noch als die Qualität der Gastspiele erscheint einem innerhalb eines solchen Festivalrahmens ja stets die Chance, mehr von den Theatermachern selbst zu erfahren, die unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Davon, wie stark sich die Repressalien auf die Theaterarbeit eigentlich auswirken. Hier war's vertan. Fünf russische Theatermacher saßen nach der Vorstellung auf dem Podium, die sich teils in ausufernden Details über einzelne Inszenierungen verrannten und sonst wenige Botschaften mitbrachten.

diskussion russ theaterfruehling sik uVertane Chance? Diskussion über die russische Theatersituation © sik

Den skurrilsten Auftritt lieferte der Dramatiker Iwan Wyrypajew, Mitgründer des Teatr.doc und seit drei Jahren Leiter des Theaters Praktika, der sein aktuelles Theater als das künstlerisch und finanziell erfolgreichste über den grünen Klee lobte, dann mit Zwischenfragen einen kleinen Tumult auslöste und die Diskussion plötzlich wortlos verließ. Am interessantesten die Dramatikerin Sascha Denissowa, die Klartext sprach, dass sich die russische Politik mittlerweile ständig von irgendwas gestört fühlt und wie schwierig es sich für junge Künstler gestaltet, ihre Ideen frei umzusetzen. Und dazwischen erinnerte Elena Gremina, Leiterin des Teatr.doc und Grande Dame der russischen Theaterszene, dass die Kritik an Putin längst vereinnahmt ist. Längst verwandelt in einen Teil des Putin-Kults, der seine Position stärkt statt schwächt – kein rundes, sondern ein ziemlich zersplittertes, inhomogenes Bild, das die Diskussionsrunde über die Moskauer Theaterszene hinterlässt.

 

Zwei in deinem Haus
von Elena Gremina, Deutsch von Natalie und Alexander Nitzberg
Regie: Michail Ugarow, Talgat Batalow, Choreographie: Alexander Andrijaschkin.
Mit: Maxim Kurotschkin, Valerija Surkowa, Irina Sawitskowa, Oleg Kamentschschikow, Alexej Maslodudow, Sergej Owtschinnikow, Wladimir Bagramow, Petr Wolkow.

Im Anschluss Podiumsgespräch, Moderation: Ruth Wyneken (Dramaturgin, Autorin); TeilnehmerInnen: Sascha Denissowa (Dramatikerin), Iwan Wyrypajew (Dramatiker, Leiter des Theater Praktika), Elena Gremina (Dramatikerin, Leiterin des Theater.doc), Talgat Batalow (Dramatiker, Regisseur, Schauspieler), Juri Murawitski (Regisseur).

www.schaubuehne.de

 

Mehr über die Situation russischer Theatermacher in unserem Theaterbrief aus Russland (2014)

 

Kritikenrundschau

Auf der Online-Seite von Deutschlandradio Kultur (2.6.2015) schreibt André Mumot das "Katz- und Mausspiel" biete "überraschend amüsantes, feingeschliffenes Theater", das von "großartiger Nuancenschauspielerei" und "klugen Motivverschiebungen" getragen werde. Dabei würden "keine unbequemen Fragen ausgespart" und die "scheinbare Demokratie als Illusion benannt, an die ohnehin niemand glaubt". Zensur gäbe es offiziell seit 15 Jahren nicht mehr in Russland, habe man in der anschließenden Diskussion erfahren, "solche klaren Aussagen sind auf den Bühnen also durchaus möglich". Doch sei die Regierung "aufmerksam geworden auf die Umtriebe der Theater" und lege "immer spürbarer" den Gruppen Steine in den Weg.

 

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