Biografie über Bande

von Christian Muggenthaler

Regensburg, 6. Juni 2015. Bernhard Setzwein und Bohumil Hrabal sind zwei Autoren, die in gewissem schreiberischen Gleichklang zueinander funktionieren: Beide entdecken gerne die große Welt im Kleinen, das Wesentliche im Nebenbei, und sei es als hartes Schicksal der Weichgetrunkenen am bayerisch-böhmischen Wirtshaustisch. Insofern ist es nicht unbedingt ein großes Wunder, dass der eine, 1960 in München geboren und in Waldmünchen in direkter Nachbarschaft zu Tschechien lebend, über den anderen, 1914 in Brünn geboren und 1997 in Prag gestorben, unter dem Titel "Hrabal und der Mann am Fenster" ein feinnerviges Stück geschrieben hat, das jetzt am Theater Regensburg eine ebenso feinnervige Uraufführung genoss.

Ameisenforschung mit dem Kafka-Mikroskop

"Nur weil sich nichts rührt / heißt das noch lange nicht / daß sich nichts tut": ein Zentralsatz in Setzweins Stück. Ein Satz, der von Beginn an konsequent durchgeführt wird: Der mental eher eingleisige Staatssicherheitsmitarbeiter Dutky beobachtet fleißig Hrabals seit langem verwaiste Datsche. Mit dem ČSSR-Sozialismus ist es zwar ebenso wie mit dem Objekt des Beobachters längst vorbei, aber als aufrechter Geheimdienstler verachtet Dutky das Offensichtliche. Und schon sind wir mittendrin in Hrabals Leben, von dem Setzwein im Modus der permanenten Abwesenheit seines Sujets berichtet. Setzwein erzählt aus dem Blickwinkel eines einsamen Beobachters, wie aus Bewegungslosigkeit und Leere dennoch allmählich das Leben des Beobachteten entsteht: Wenn man nur lange und genau genug hinschaut. Das ist wie Ameisenforschung mit dem Kafka-Mikroskop.

Hrabal1 560 SarahRubensdoerffer uZwei im Nebel: Roland Avenard, Michael Heuberger © Sarah Rubensdoerffer

Die junge Regisseurin Mia Constantine geht diesen Weg der Biografie über Bande konsequent weiter. Es rührt sich nichts, aber es tut sich viel. Dutky raschelt, wispert, kritzelt, wuselt geräuschvoll. Er arbeitet sich ab. Man hört ihn, aber man sieht ihn nicht, diesen troglodytischen Beckett-Spinnerich. Camila Malagoni Soldani hat der Regisseurin eine labyrinthisch-verschachtelte Bühne gebaut, die immer nur hier und da wabernde Durchblicke zulässt. Sounddesigner Jan-S. Beyer setzt Geräuschgehacktes hinzu, bestehend aus Bleistiftkratz, Stempelknall und Schreibmaschinensalven. Später dann, der Geheimdienstgehilfe berichtet einer Fremdenverkehrsdame vom berühmten Staatspolizeiopfer, wird das Interview auf einen Vorhang projiziert, der aussieht wie eine knittrige Photoalben-Trennfolie.

Im Unwirklichkeitsmodus

Constantine beraubt dergestalt die ohnehin angeheimniste Setzwein-Handlung endgültig jeglichen Wirklichkeitshafens und landet in einem überaus angenehmen Halbrausch-Surrealismus. Das trifft das Geschehen ganz in Hrabals Sinne, weil der Tscheche mit seiner Literatur grundsätzlich auf mehreren Wirklichkeitseben zugleich zu Hause war und sich noch lieber in diese hineinsoff. Auf der Bühne selbst geschieht: lange nichts. Bis schließlich zum Ende der 70-minütigen Aufführung hin der tote Hrabal dem lebenden Dutky erscheint und über das Wesen seiner wahren Autorenschaft aufklärt. Erst da kommt die Handlung tatsächlich nach Video und Wispern auf dem Bühnenboden an: im Unwirklichkeitsmodus. Und spätestens da wird endgültig klar, worüber Setzwein eigentlich erzählt: über die Macht und die Kraft der Literatur. Dem nähern sich Autor und Regisseurin in konzentrischen Kreisen. Tastend. Gemächlich. Kontemplativ. Und mit sauber viel Sogwirkung.

Michael Heuberger ist ein Dutky voll anrührend spießiger Naivität, für den alles Unkonventionelle sofort Aufruhr bedeutet, eine Figur mit dem unheimlichen Unterstrom der normativen Kraft des Totalitarismus. Pina Kühr gibt patent die patente Fremdenverkehrsdame Lenka, Roland Avenard ist ein quietschvergnügter Hrabal-Geist in jenem berühmten Hrabal-Matrosenringelshirt, das Kostümbildnerin Christine Leers gerne aufgegriffen hat.

 

Hrabal und der Mann am Fenster
von Bernhard Setzwein
Uraufführung
Regie: Mia Constantine, Bühne: Camila Malagoni Soldani, Kostüme: Christine Leers, Sounddesign: Jan-S. Beyer, Dramaturgie: Meike Sasse.
Mit: Michael Heuberger, Pina Kühr, Roland Avenard.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.theater-regensburg.de



Kritikenrundschau

"Selten hat man als Zuschauer so gebannt den Schneckengang der Zeit beobachtet, hat sich höchst aufmerksam dem Stillstand der Elemente hingegeben und dabei Dutkys Monologen gelauscht" wie am dunklen Beginn dieser Inszenierung, schreibt Peter Geiger auf dem Zeitungsportal Oberpfalz.net (8.6.2015). Bernhard Setzwein habe "nicht nur seinem böhmischen Poetenkollegen ein dramatisches Denkmal errichtet, er hat etwas noch viel Größeres und Bedeutsameres geschaffen: Er hat nämlich eine ebenso zeitlose wie tröstende Parabel verfasst auf die Unverletzlichkeit der Kunst und darauf, dass der geistige Wesenskern eines Menschen im wahrsten Wortsinne von Spitzeln und Diktatoren nicht angetastet werden kann."

"Setzweins Stück ist im besten Sinne des Wortes vielschichtig. Das hat Mia Constantine brilliant erkannt und sich weder von der Einfachheit der Sprache der Textvorlage, noch von der Frage nach der Verträglichkeit für ein Regensburger Theaterpublikum bei sommerlichem Wetter am Ende der Spielzeit abschrecken lassen." So berichtet Judith Werner auf dem Onlineportal regensburg-digital.de (8.6.2015). "Die eigentliche Größe gewinnt die Inszenierung aber im Spiel mit dem Publikum, das selbst in die Bespitzelungs- und Mithörerrolle gerät. Das Mehr-Sehen-Wollen als die Bühne freigibt ist originell und mutig umgesetzt."

 

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