Kommentar - Was ist los in Darmstadt?
Rückkehr in die Provinz?
von Georg Kasch
16. Juni 2015. Wie gut, dass das so klar gesagt wurde: Es waren nicht fachliche, sondern "andere Gründe", die eine Zusammenarbeit unmöglich machen zwischen Karsten Wiegand, dem Intendanten des Staatstheaters Darmstadt, und Jonas Zipf, für eine kurze Spielzeit Chef des Schauspiels. Beide haben Stillschweigen über die Gründe vereinbart.
Datterichs Fass
Warum sie sich trennen, liegt dennoch auf der Hand. Der Musiktheatermann Wiegand gilt als schwierig, als kontrollsüchtig und unberechenbar. Nichts entgeht seinem Zugriff. Im Musiktheater verschleiert die zukünftige Wuppertaler Intendanz von Berthold Schneider, dass der Operndirektor sich vom Chef gegängelt fühlte. Auch im Schauspiel mischte Wiegand sich auf eine Weise ein, wie sie zum Glück eher unüblich geworden ist im deutschsprachigen Theaterbetrieb: In einer der finalen Proben zu Juliane Kanns Prinz von Homburg-Inszenierung missfielen ihm die Hintergrundvideos derart, dass er die Regisseurin vor die Wahl stellte: Entweder fliegen sie raus oder die Produktion platzt.
Störaktion der am Schauspiel engagierten Künstler beim "Datterich"-Festival das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Natürlich muss das für Wiegand peinlich gewesen sein: die prominenten Gäste, beschimpft von (freien) Mitarbeitern des eigenen Hauses! Er sollte sich aber innerhalb des letzten Jahres daran gewöhnt haben, dass er kein Bankdirektor ist, sondern Intendant eines Dreispartenhauses. Da hat man es zuweilen mit unabhängigen, kreativen Köpfen zu tun.
Jetzt dürfte dieDiskussionswürdige Arbeit
Zipf ist das Gegenteil von Wiegand: kein Macher, sondern ein freundlicher Denker, ein Kurator, einer, der Künstler und Menschen zusammenbringen, der Avantgarde und das Publikum miteinander versöhnen will. Als Zuschauer zumindest erlebte man* in seiner ersten und letzten Spielzeit einen Aufbruch. Und ein Versprechen: auf ein Theater der Teilhabe. Auf eine zeitgenössische Ästhetik in der Provinz. Auf vielfältige Sicht- und Spielweisen. Zipf trommelte ein in jeder Hinsicht inklusives Ensemble zusammen, in der sich Schwarz und Weiß, behindert und nicht-behindert, deutsch und nicht-deutsch trafen und in den besten Momenten verschmolzen. Man kann Abende wie den "Homburg", Madame Bovary und den Bericht für eine Akademie kontrovers diskutieren. Aber man KANN sie diskutieren, weil sie Fragen stellen, die gestellt werden müssen, weil sie auf sinnliche Weise provozieren, weil ihr Kern glüht.
Die Stelle als Schauspielchef in Darmstadt ist also wieder frei. Jeder weiß jetzt, dass es sich um einen Schleudersitz handelt. Wie viel Selbsterniedrigung und Anpassungsfähigkeit braucht es, um sich hier festzusetzen? Wir werden sehen.
*In der ursprünglichen Fassung enthielt der Text an dieser Stelle den Einschub "– nach den lähmenden Jahren unter Martin Apelt –". Auf Wunsch des Autors wurde die Passage am 18. Juni gestrichen, Georg Kasch hat dies in Kommentar #17 begründet.
von Karsten Wiegand und Jonas Zipf zum Kommentar von Georg Kasch
17. Juni 2015. Sehr geehrter Herr Kasch,
zu Ihrem Artikel "Rückkehr in die Provinz?" vom 16. Juni 2015 möchten wir Ihnen Folgendes schreiben:
Wir haben stets in einer Weise zusammengearbeitet, die wir gegenseitig als künstlerisch konstruktiv empfunden haben. Gemeinsam haben wir ein, wie Sie schreiben, "in jeder Hinsicht inklusives Ensemble" aufgebaut. Wir haben zusammen diese Spielzeit geplant und gestaltet und wir stehen zusammen für alles, was uns dabei geglückt und missglückt ist.
Wir schätzen unsere künstlerische Arbeitsweise gegenseitig.
Mit freundlichen Grüßen
Karsten Wiegand und Jonas Zipf
Stellungnahme
Kulturschaffender zum Weggang von Jonas Zipf
22. Juni 2015. Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir sind enttäuscht und traurig, manche sogar wütend und entsetzt über den Weggang von Jonas Zipf am Staatstheater Darmstadt. Wir, die wir den nun scheidenden Schauspieldirektor in den letzten Monaten kennen und schätzen lernen sowie mit ihm gemeinsam arbeiten durften, können es nicht verstehen. Nach nur einer Spielzeit, zu deren Vorbereitung seinem Team und ihm viel zu wenig Zeit verblieb, weil es etliche Monate zu spät berufen wurde und dementsprechend verspätet seine Arbeit aufnehmen konnte, wird Jonas Zipf vor die Tür gesetzt!
Warum ist er weg? Man verweigert jegliche Begründung. Nur mit dem künstlerischen Kurs habe es nichts zu tun. Aber mit was hat diese Entscheidung dann zu tun? Das eiserne Schweigen nährt den
Boden für Gerüchte, und diese Situation ist unerträglich. Es überkommt uns der Eindruck, man wolle durch dieses Schweigen nicht den scheidenden Schauspieldirektor, sondern die verbleibende Leitung des Theaters schützen. Denn welche Verfehlungen von Jonas Zipf wiegen denn schwer genug, um diesen Schritt zu rechtfertigen, sich vom Schauspieldirektor überstürzt zu trennen? Dieser Eindruck
verstärkt sich vor dem Hintergrund, dass neben Jonas Zipf die komplette Schauspieldramaturgie sowie der Operndirektor Berthold Schneider das Haus verlassen. Zipf ist also kein Einzelfall – egal, wer offiziell freiwillig gegangen ist oder gegangen wurde.
Schweigen verhindert Transparenz. Selbst wenn Schweigen vereinbart wurde zwischen den Parteien, ließen sich zumindest einige Gründe für das Ausscheiden von Jonas Zipf und den Weggang der Dramaturginnen ausschließen, wenn klar wäre, wer für welche Entscheidungen am Staatstheater verantwortlich ist. Wer trägt die Verantwortung für mögliche finanzielle Schieflagen? Wer darf Verträge mit Künstlern abschließen? Und wer nicht? Sind die Entscheidungswege im Haus konsistent oder sind womöglich Missverständnisse, gar Verantwortungsdiffusion vorprogrammiert? Es wäre ein erster Schritt, wenn die politisch Verantwortlichen in Wiesbaden und die Aufsichtsgremien uns
dies erklären könnten. Wir haben ein Anrecht auf derartige Fakten bei einem durch öffentliche Gelder finanzierten Staatstheater.
Was fehlt. Über den künstlerischen Kurs kann und soll man sich streiten. Das war immer die Absicht von Jonas Zipf. Er steht für ein Theater, über das debattiert und mit dem gerungen werden soll. Kein Konsens - Theater, sondern eines, das uns alle berührt, im wahrsten Sinne angeht, an dem möglichst viele beteiligt werden. Deswegen hat er die Tore des Theaters weit geöffnet: Er hat Brücken zu
Einzelpersonen, Gruppen und Szenen geschlagen, die bislang kaum im Fokus des Theaters standen. Jonas Zipf hat diese Stadt im Sturm erobert, weil er begeistern kann. Weil er neugierig auf uns und viele andere zugegangenen ist. Weil er den unbändigen Willen besitzt, die Potentiale dieser Stadt zu entdecken und die besten zu entfalten. Kaum einer vor ihm in dieser Position hat die Stadt und ihre Menschen so ernst genommen und sich für sie so viel Zeit eingeräumt. Er war das Gesicht des Staatstheaters Darmstadt. Und das soll nun nicht mehr sein? Nach weniger als einem Jahr, in dem Jonas Zipf neben dem "regulären Betrieb" an zwei Festivals maßgeblich beteiligt war und unzählige Aktionen in dieser Stadt anzettelte? Dieser Weggang schadet primär nicht Zipf, denn viele wissen um seine Verdienste. Dieser Rauswurf schadet dem Staatstheater und der Stadtkultur in Darmstadt. Nun entsteht ein riesiges Loch. Wer solls füllen?
Was bleibt. Jonas Zipf hat gezeigt, wie wir uns die Rolle eines Schauspieldirektors vorstellen: Menschennah, mit offenen Ohren, vor Ideen sprühend und voller Tatendrang. Er hatte stets die kulturellen Akteure dieser Stadt im Blick. Ein Geist der Kooperation und nicht der Abgrenzung war für ihn charakteristisch. Das Miteinander prägte seine erste und letzte Spielzeit.
Was wir befürchten. Seine „Mission“ in Darmstadt hatte gerade erst begonnen. Zwar wurden beispielsweise mit dem Inklusions - und mit dem Datterich Festival zwei dieser Projekte gemeinsam mit vielen anderen verwirklicht, aber VIELES konnte bisher nur vorbereitet werden. Der Versuch, das Aufeinandertreffen von Strukturen des freien und institutionellen Theaters in Darmstadt auf ein solides und vertrauensvolles Fundament zu stellen, ist womöglich erst einmal gescheitert. Dabei wäre es zur strukturellen Veränderung von Theaterinstituten richtungsweisend, was in den letzten Monaten hier gemeinsam mit Jonas Zipf vorbereitet wurde. Wir befürchten, dass niemand kommen wird, der diesen Kurs mit uns fortführen kann und wird. Stagnation könnte die Folge sein, wir befürchten sogar den Rückfall in alte Zeiten des Neben - und Gegeneinanders. Das ist nicht in unserem Interesse. Es kann aber auch nicht im Interesse der kulturpolitischen Verantwortlichen dieser Stadt sein. Nach wie vor fehlt ein kluger Fachbeirat, der auf diese Stadt und ihre kulturellen Angebote evaluierend, innovativ und vermittelnd wirken könnte. Auch ist uns unverständlich, warum
die offiziellen Verlautbarungen der kulturpolitischen Akteure Darmstadts zur Causa Jonas Zipf so wortkarg und nichtssagend ausfallen. Ist das wirklich nur eine interne Angelegenheit der Intendanz? Geht das nicht uns alle an?
Ein Dank. Lieber Jonas Zipf, die Zeit mit Dir in Darmstadt war aufregend, herzlich und außerordentlich produktiv - aber leider viel zu kurz. Du hast so viele fesselnde Projekte angestoßen und warst an vielversprechenden Entwicklungen beteiligt, die nun gekappt zu sein scheinen. Wir sind enttäuscht, dass Du bereits nach einer Spielzeit aus dem Staatstheater Darmstadt ausscheiden musst. Wir wünschen Dir alles Gute auf Deinen kommenden Wegen. Die Hoffnung bleibt: Mögen sich auch zukünftig einige Deiner Wege mit den unsrigen kreuzen.
Adieu und Merci!
Ann Dargies, Gösta Gantner, David Gieselmann, Anette Neff, Viola Scheer, Roland Hotz, Felix Hotz, Klaus Lavies, Petra Gehring, Roland Dotzert, Karl-Eugen Schlapp, Stefan Kollmeier, Erika Krapp, Hannsjörg Lindemann, Tilman Döring, Uschi Morlang, Nicola Schößler, Alexander Marschall, Sarah Linder, Jörg Dillmann, Rainer Wieczorek, Susann Zschau, Stefanie Schöneberger, Kerstin Lau, Gabriele und Klaus Plischke, Kaja Langfinger, Kathrin und Pit Tränklein, Sven Deigentasch, luong, Ngọc Minh, Theodor Ludwig, Ute und Kalrheinz Sauter, Marianne Weiss, Thomas Best, Fabian Lorenz, Sabine Altmüller-Rippin, Mike Brandner, Regine Volk, Marco Dörsam, Jonas Lufft, Klaus D. Upmeyer,
Axel Röthemeyer, Daniela Ginten, Gisela Thiem, Thomas Zipf, Annette Bechtold, Ute Meißner-Ohl, Hans-Willi Ohl, Helmut Schleeger, Matthias Heinrichs, Ursula Schuy-Denke, Fokke Kappelhoff, Ralf Gerhard, Marga Hargefeld, Birgit Herold, Tatjana Surbeck, Ellen Eckhardt, Reiner Böttcher, Janne
Böckenhauer, Lea Jung, Nicole Helmke, Jörg und Coco Marleen Helmke, Thomas Bachmann, Heidemarie Kutzner, Christina Kondriniewicz, Anne Weindorf, Ursula Dräger-Hellwig, Anna Katharina Mentz, Katja Glock, Thomas Hechler, Bärbel Benzel, Gundula Schneidewind, Johann (Hans) Steingasser, Inna Wöllert, Christel Frank, Kerstin Neidhart, Jens Wehner, Uli Partheil, Michael von zur Mühlen, Susanne Brunnengräber, Fokke Kappelhoff, Sonja Moers, Tim Besserer, Waltraud Seipel-Bockholt, Heike Woydt, Brigitte und Heinz Neumann, Sarah Besserer, Ralf Oftring, Erich Maurer, Armin Schwarm, Helga Pooya, Renate Löckmann-Wabel, Tilmann Wabel, Johannes Gonné, Nadja Soukup, Gabriele Beckers, Evelyn und Hans Gantner, Susanne Buhlinger-Seipp, Michi Bode Böckenhauer, Michael Hudler, Ruth Kockelmann, Alexandra Besserer, Christine Langbein, Burkhard Röder, Peter W. Dinkel, Karla Leisen, Heike Stock, Sibylle Magel, Sascha L. Weitzel, Andreas Albert, Irmgard Habere-Six, Roland Held, Björn Lehn, Annette Partheil, Sabine Welsch
Einen Überblick zum Inklusionstheater und darüber, wie Schauspieler mit Behinderungen die großen Off-Bühnen erobern, gab Georg Kasch im November 2012.
Wir bieten profunden Theaterjournalismus
Wir sprechen in Interviews und Podcasts mit wichtigen Akteur:innen. Wir begleiten viele Themen meinungsstark, langfristig und ausführlich. Das ist aufwändig und kostenintensiv, aber für uns unverzichtbar. Tragen Sie mit Ihrem Beitrag zur Qualität und Vielseitigkeit von nachtkritik.de bei.
mehr debatten
meldungen >
- 28. März 2024 Berliner Theatertreffen: 3sat-Preis für Jenaer Arbeit
- 28. März 2024 Berlin/Bremen: Geschäftsführer Michael Helmbold verstorben
- 28. März 2024 Neues Präsidium für Deutsche Akademie der Darstellenden Künste
- 26. März 2024 Günther-Rühle-Preise vergeben
- 26. März 2024 Mülheimer Theatertage: Preisjurys berufen
- 26. März 2024 Theatertreffen der Jugend 2024: Auswahl steht fest
- 26. März 2024 Schauspieldirektor Maik Priebe verlässt Neustrelitz
- 25. März 2024 Dramatikerpreis für Correctiv-Autor:innen L. Lax und J. Peters
neueste kommentare >
-
hildensaga, Berlin Wo ist der Witz?
-
hildensaga, Berlin Feminismus
-
Chico Citrone, Schwerin Warnung!
-
hildensaga, Berlin Karger Männerblick
-
Preisjury Mülheim Um Himmels Willen
-
Auswahl Mülheim Liste?
-
Auswahl Mülheim Erwartbar + bieder
-
3sat Preis Frage
-
Reise des G. Mastorna Wahnsinn
-
Reise des G. Mastorna, Heidelberg Bildgewaltig
Kein guter Stil, Herr Kasch.
Zipf & Wiegand hatte er auch Zuschauerzahlen aufzuweisen, die sich sehen lassen konnten.
es liegt mir fern über die gegenwärtigen Vorgänge am Staatstheater Darmstadt zu reflektieren oder zu spekulieren, vielmehr möchte ich an Ihre journalistische Verantwortung appelieren. Dass Sie Ihren Komillitonen (Bayerische Theaterakademie) Jonas Zipf mentale Schützenhilfe leisten wollen, ist freundlich und auch Ihr Recht.
Ihre journalistische Pflicht jedoch ist die Wahrhaftigkeit: Dass Sie meine zehnjährige Amtszeit als "lähmende Jahre" bezeichnen, erscheint mir doch recht subjektiv, subjektiver als die Beurteilung von Kunst ohnehin schon ist. Ob Sie von den 173 Inszenierungen sehr viele gesehen haben, kann und will ich nicht beurteilen. Weder aus den Presselisten noch dem Pressespiegel ist mir Ihr Name erinnerlich. Sie beleidigen mit derartigen Behauptungen nicht nur ein sehr leistungsstarkes kontinuierlich arbeitendes Ensemble, sondern auch ca. 80.000 Zuschauer pro Spielzeit. Wären die gelähmt gewesen, wären sie ausgeblieben. Zunächst mussten sie sogar erobert und verführt werden. Dass Zuschauerzahlen nicht die Daseinsberechtigung des Theaters sind, ist klar. Aber ohne Zuschauer ist Theater genauso unwichtig wie Zeitungen ohne Leser.
Ich wünsche Ihnen Klarheit im Blick, mehr Objektivität und Achtung vor der Arbeit anderer. Martin Apelt
kaschs artikel ist klar als kommentar gekennzeichnet und jeder journalist hat auch das recht die EIGENE sichtweise auf sachverhalte darzustellen, sofern er dies kenntlich macht. lieber herr apelt, dass sie sich mit den worten herrn kaschs unwohl fühlen, ist nachvollziehbar. wenn sie diesem aber die journalistischen fähigkeiten absprechen oder gar das in schutz nehmen aufgrund privater verbindungen, müssten sie sich im umkehrschluss vielleicht auch den vorwurf gefallen lassen nicht gut mit kritik umgehen zu können.
das ministerium schweigt.
man darf gespannt sein, was nächste spielzeit in darmstadt noch stattfindet.
http://www.echo-online.de/nachrichten/kunstundkultur/Kommentar-Das-grosse-Schweigen-zum-Zipf-Abgang;art1161,6317283
in einem Punkt haben Sie Recht: Ich war während Ihrer Intendanz nicht in Darmstadt und habe mich in meinem Urteil auf Gespräche mit Kolleg*innen und Theatermache*innen verlassen, die diese Zeit erlebt haben und deren Meinung ich vertraue. Daraus ein Pauschalurteil abzuleiten, ist ein journalistischer Fehler, den ich bedaure. Die entsprechende Passage ist gestrichen.
In einem anderen muss ich Ihnen widersprechen: Jonas Zipf habe ich im November 2014 in Darmstadt bei einem Gespräch über Inklusion und sein Ensemble kennen gelernt. An der Bayerischen Theaterakademie haben die Kritik-Studierenden und die der künstlerischen Studiengänge so gut wie nichts miteinander zu tun. Das hat Nachteile, aber den Vorteil, dass Befangenheit den „Kommilitonen“ gegenüber keine Rolle spielt.
Mit freundlichen Grüßen
Georg Kasch
Ich war froh, das "eigene" Theater wieder als Alternative zu Frankfurt zu empfinden.
Mal sehen, ob das so bleibt...
vielen Dank für Ihre Antwort. Ich finde Sie haben hier sehr viel Mut und auch Größe bewiesen! Das ist nicht selbstverständlich. Mit meiner Spekulation zur Kommilitonenschaft zu Jonas Zipf bin ich von den intim-familiären Verhältnissen am Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaften ausgegangen, an dem ich in den achtziger Jahren studierte. Da kannten sich damals alle. München ist da natürlich einige Nummern größer. Irgendwann werden wir uns treffen und ich würde dann gerne mit Ihnen anstoßen.
Martin Apelt
Schade!
Herr Wiegand, Herr Zipf, Ihr offener Brief hinterlässt mehr Rätsel, als er lösen sollte. Ihr gegenseitig ehrenvoller Umgang erinnert aber bei aller bewunderungswürdigen Verweigerung des öffentlichen Waschens schmutziger Wäsche doch eher an einen Kodex, wie er von Gangstern und Mafiosi hochgehalten wird. Als Leiter öffentlich subventionierter Häuser kann ich nur hoffen, dass Sie doch noch die Karten auf den Tisch legen und die tatsächlichen Gründe und Vorkommnisse mitteilen. Theaterbesucher wie Steuerzahler haben ein Recht darauf, und dann müssen sich Gegner und Freunde alter und neuer Intendanz hier auch nicht öffentlich duellieren. Was hindert Sie eigentlich daran, die Grundlagen Ihrer Entscheidung zu veröffentlichen???
Frau Müller muss weg war von den Vorgängern und Die Blechtrommel ein Gastspiel aus Frankfurt, mit diesen "wunderbaren" Aufführungen hatte der Schauspiel nichts zu tun. Da bleibt nicht mehr viel...
Immer wieder interessant, wie kenntnisreich die Zipf-Fans sind: "Die Blechtrommel" wurde vom Schauspiel Frankfurt eingekauft, "Frau Müller muss weg" ist die einzige Produktionen aus der Apelt-Ära, die mit unveränderter Besetzung (das alte Ensemble war viel besser als die Zipf-Truppe) von der neuen Leitung übernommen wurde - und die einzige Inszenierung, die brummt und für die kaum Karten zu bekommen sind. Obwohl sie schon Ende vorletzten Jahres Premiere hatte. Mit "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik" haben Sie allerdings recht, der Abend ist ansehnlich. Was auch an der tollen Hauptdarstellerin liegt. Die wurde übrigens von Apelt geholt und hat als eine von ganz wenigen den Intendanz-Wechsel überstanden. Merken Sie was?
Das war aber wohl auch gar nicht gewollt, denn der Spielplan für die zweite Saison liest sich wie eine Abkehr vom angeblichen Mut der ersten Saison: Nur drei Wiederaufnahmen. Und als Neuproduktionen: Loriots Gesammelte Werke / Der nackte Wahnsinn / Bella Figura / Präsidentinnen. (Und daneben noch ein Liederabend und ein paar abofreundliche Titel) – und bevor jetzt die Antwort kommt, "wichtig ist, wie man es macht, und nicht was man macht" ... das trifft auf die genannten Stücke nicht zu, die entziehen sich weitgehend dem Zugriff der Regisseure.
Offensichtlich gab es weder ein gemeinsames Ziel von Zipf und Wiegand, wie sich das Schauspiel entwickeln soll, noch eine ehrliche Folgenabschätzung über den ersten Spielplan - von einer vernünftigen Organisation (abgesagte Premieren ...) ganz zu schweigen.
Also in Darmstadt so wie fast überall: im ersten Jahr macht man was los (ist ja ein Neustart, da schaut das Feuillieton genauer hin), das Publikum wird polarisiert, die Fachpresse lobt den Mut in den "Neustartartikeln" (schönes Material für die Bewerbungsmappe), ab der zweiten Spielzeit wird konsolidiert, der Fachpresse ist es egal (ist ja Abseits der Zentren), das Publikum beruhigt sich wieder.
Das ist so geschickt, wie Standard. Nur diese seltsame Panik-Rausschmiss-Aktion passt da nicht ins Bild. Für Zipf aber wird es schon so schlimm nicht werden: (...) er gilt jetzt als Opfer eines unberechenbaren oder überforderten Intendanten und über den stinknormalen Stadttheaterspielplan seiner zweiten Saison wird im Herbst keiner mehr sprechen.
Wer sagt denn, dass der Schauspieldirektor "gefeuert" wurde?! Das Problem ist doch, dass man es eben nicht weiß, wer wem warum... Nur das WAS weiß man: Zipf, und seine Dramaturginnen gehen geschlossen und Zipf und Wiegand wollen nicht darüber reden. (Hat eigentlich jemand die Dramaturginnen gefragt, ob sie sich auch einem eisernen Schweigen unterziehen, vielleicht könnte man dort ja etwas Erhellendes erfahren?!). Das ist schon ein sehr ungeschickter Vorgang, weil er spekulative Diskussionen wie diese hier ermöglicht. Meines Erachtens gibt es in Darmstadt eine gewisse rückwärtsgewandte Theatertradition, die seit Hans Bauer (in den 60ern!!!) keinen wirklichen Kontakt mehr mit Strömungen zeitgenössischen Theaters hat. Peter Girth hat vielleicht noch ein paar Akzente setzen können (in den 90ern), aber auch der hat sich am provinziellen Darmstädter Publikum die Zähne ausgebissen (und wurde für seine ehrliche aber unkluge Veröffentlichung dieser Einschätzung von den Darmstädtern ja auch folgerichtig auseinandergenommen und musste zurückrudern). Viele Kommentare in diesem Forum hier, die wie vom Hafer gestochen für das m.E. doch sehr bequeme, eine gewisse konservative Erwartungshaltung bedienende, absehbare und schauspielerisch meist unpräzis tönende Theater von Herrn Apelt eintreten, bestätigen meine Vermutung über eine Darmstädter Sehnsucht nach Behaglichkeit im Theater: Es soll nett unterhalten und einem vor allem nicht den anschließenden Handkäs und den Bembel Äbbelwoi verhageln. Ich habe den Eindruck, es gibt ein Lobby, die den alten Schauspielchef am liebsten zurück hätte und hier alle Hebel dafür in Bewegung setzen, dass alles schön beim Alten bleibt. Schön. Alt.
Ich bin immer hellhörig, wenn jemand von "dem provinziellen Publikum" spricht. Darmstadt ist (!) Provinz, so what ? Wo soll denn hier etwas nicht provinzielle erwartet werden können und warum ist "Provinz" so negativ bei Ihnen besetzt oder mit anderen Worten, wo kommen Sie denn her oder wohnen aktuell ? und was ist bitteschön eine "rückwärtsgewandte Theatertradition" ? und noch eine Frage: Welche "zeitgenössichen Strömungen" sind es , die sie vertreten sehen wollen ? ach ,und noch einmal zu Apelt. Es ist doch albern, hier Leuten zu unterstellen, sie betrieben insgeheim eine Re-Intrhronisierung. Fakt ist vielmehr, dass das Theater in Darmstadt unter Wiegand und Zipf in den (von mir aus) "nicht- provinziellen" Abgrund gerissen wurde, also von Leuten, die es bewiesenermaßen -noch nicht einmal in der Provinz- können. Und das geht in Darmstadt mit seinen noch provinizelleren Besuchern dann doch nicht ;-) .. .schreibt ein Münchner
http://www.echo-online.de/nachrichten/kunstundkultur/Sorge-in-freier-Szene-nach-Aus-fuer-Schauspielchef;art1161,6329551
Der Kafka-Doppel-Abend, Warten auf Godot, Geld & Gott und zuletzt der Daterich waren Abende, die bewiesen haben, in welche Richtung die Reise ging. Die zweite Hälfte der ersten Spielzeit war sehr vielversprechend.
Wie schade, daß das nun zu Ende ist!
"Ich kann verstehen, dass man einen hohen Anspruch hat an so eine öffentlich-rechtliche Institution. In Sachen Transparenz und Auskunft und in all dem. Aber manchmal darf es eine Theaterleitung arbeitsrechtlich einfach nicht. So sind die Gesetze und die sind in bestimmten Dingen auch sehr weise, weil sie auch Menschen schützen. Und das müssen wir jetzt einfach so handhaben."
http://www.deutschlandfunk.de/zoff-am-staatstheater-darmstadt-eine-kuendigung-mit-folgen.691.de.html?dram:article_id=323665