Abenteuerliches Argument
20. Juni 2015.Tobi Müller besucht für das Deutschlandradio Kultur das Festival Impulse (hier die Festivalübersicht) und sammelt dabei Argumente gegen die Thesen in Bernd Stegemanns Buch Lob des Realismus. "Natürlich gibt es auch künstlerische Moden im Freien Theater, aber die Vielfalt der Formen ist deutlich größer als im Stadttheater". Das Festival sei bislang ein "Kunstgebiet, das sich zum Stadttheater wie eine Parallelgesellschaft verhält. Mehr Ausländer, mehr Reibung, mehr vorgetragene Kritik, auch an den eigenen Formen, die man wählt".
Müller skizziert den "Kalten Kunstkrieg" zwischen Stadttheater und freier Szene und schlussfolgert: "In Deutschland fehlt ein durchfinanziertes Haus, das solche Kunst in die Mitte des Programms stellt und kontiniuerliche Entwicklung erlaubt. Es gibt nur Produktionshäuser wie etwa der Mousonturm in Frankfurt am Main, das Hebbel am Ufer in Berlin, kurz HAU, Kampnagel in Hamburg oder einzelne Festivals. Diese Strukturen sind in keinster Weise mit der Sicherheit der Stadttheater zu vergleichen."
Dass mit der Volksbühne unter Chris Dercon jetzt ein solches Haus geschaffen werden könnte, diese Veränderung werte das Stadttheater als Frontalangriff. "Das erinnert an die Mehrheitsgesellschaft, die panisch reagiert, wenn die ersten Einwanderer in der Hierarchie aufsteigen. Klar: die Kunst ist nicht anders als die Gesellschaft, die sie hervorbringt." Das abenteuerlichste Argument: "Die Projektkultur der Freien Gruppen sei die Speerspitze des Neoliberalismus, während im Stadttheater noch Widerstand gegen die Verhältnisse geleistet werde. In der Tat, Freie Gruppen müssen jedes Stück, jedes Projekt auf dem Markt der Fördertöpfe neu anbieten, weil sie selten regelmäßige Förderung kriegen oder diese nicht reicht. Deswegen dem Freien Theater eine Komplizenschaft mit dem Neuen Kapitalismus anzudichten, ist etwa so, als würde man frischen Hartz-IV-Empfängern in Bochum die Schließung der Opel-Werke vorwerfen."
(geka)
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