Machtfragen

von Dirk Pilz

21. Juli 2015. Diesmal ein kleiner Saisonrückblick. Was von einer Saison bleibt, kann naturgemäß niemand sagen. Jeder hat seine eigene hinter sich, und einen Kanon gibt es nicht, gab es nie. Aber es gibt Sachen, über die viel von vielen geredet wurde. Schaun wir mal, worüber.

kolumne dirkClaus Peymann hat über Tim Renner wegen Frank Castorf geschimpft: eins der theaterbetrieblichen Topthemen dieser überstandenen Saison. Es ging dabei um Postenlaufzeiten und Kulturpolitikkompetenzen, vor allem aber um die Frage, wem es warum gegeben ist, zu verfügen, wie lange sich wer auf welchem Posten samt entsprechender Bezüge niederlassen darf. Wer ist der Bestimmer und wer sind die Bestimmungsempfänger?

Nicht mehr im Parkett

Weiters wurde emsig über das berühmte Internet gestritten, und wie immer war dies an der Oberfläche zwar eine Debatte über eine spezielle Technik (diesmal Live-Streaming) und ihre Folgen (für die Kunst), tatsächlich jedoch eine der Zuständigkeit – darf denn dieses Internet dem Theater einfach die Vorspielhoheit streitig machen? Wo kommen wir hin, wenn Inszenierungen nicht mehr im Parkett sondern auf dem Sofa durchgesessen werden?

Außerdem hatten wir noch die Rostocker Geschichte. Sie handelt von einem Intendanten, den die weisungsberechtigten Politiker wegen Unbotmäßigkeit erst davonjagten, dann allerdings zurückließen, so dass man rückblickend den Eindruck haben muss, sie wissen in Rostock nicht, was das Theater überhaupt noch soll, womit sie freilich keine Sonderlinge, sondern Tendenzmacher sind.

Zudem ward darüber diskutiert, ob dieses seltsame Zentrum für politische Schönheit mit seiner Flüchtlings- und Gräberaktion Die Toten kommen und Milo Rau mit seinem Kongo-Tribunal jetzt entweder politische Größenwahndilettanten und entsprechend Theaterscharlatane oder aber die herbeigesehnten Retter des abendländischen Bühnenspiels vor dem Hinabsinken ins Relevanzlose und Dekorhafte sind, ob sie also überhaupt dürfen, was sie da treiben oder sich handgreiflicherweise anmaßen, etwas zu wollen, was das Theater vorgeblich nicht zu wollen hat, nämlich Politik zu treiben. Was wiederum mit jener eifrig diskutierten Frage zusammenhängt, ob die Politikbetroffenen, Flüchtlinge zum Beispiel, besser im Parkett sitzen oder mitspielen sollen, und wenn ja, wie.

Zeit für Optimismus

Lauter interessante Streitsachen, ziemlich viele für eine Saison. Ist es Zufall, dass sie allesamt mit Machtfragen zu tun haben? Eher nicht. Die Macht wird fraglich, wenn ihre Legitimation schwindet. Sie schwindet derzeit allerorten, politischer-, wie theatermacher- und kritikerseits. Ist das Theater übergriffig, wenn es aktivistisch wird oder sind es die Kritiker, die dieses dem Theater vorwerfen? Sind Politiker Machtmissbraucher, wenn sie Intendanten entfernen oder sind Intendanten notorische Selbstüberschätzer, wenn sie glauben, keine Herren dulden zu müssen?

Die einen werfen den anderen vor, Ideologen, Kompetenzheuchler, Pfuscher oder sonst zu sein, was verderblich ist. Es wird dabei viel mit einer hemdsärmeligen Moral hantiert und sehr viel urteilsmäßig aus der Hüfte geschossen. So ist das, wenn’s in den eingefahrenen Machtmaschinen knirscht: überall hektisches Geschrei, und jeder glaubt, recht haben zu müssen. Siehe Peymann & Co., siehe Rostock, siehe die Ruch-und-Rau-Debatten. Trauriges Saisonresümee.

Aber es ist Sommer, die Saison ist vorbei: Zeit für Optimismus. Das Schreien wird aufhören, weil niemand immerfort schreien kann. Das Machtgezerre wird aufhören, weil das Theater, so oder so, am Ende noch immer Theater gespielt und nicht nur um die Macht gestritten hat. Und wenn es gut geht, wird es nach all diesem Machtverhältnisse geben, die dem Theater dienen. Vielleicht.

 

dirk pilz5 kleinDirk Pilz ist Redakteur und Mitgründer von nachtkritik.de. In seiner Kolumne Experte des Monats schreibt er über alles, wofür es Experten braucht.


 

Experte des Monats Juni war das Zentrum für Politische Schönheit.

 

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