Nicht überlebensfähig

21. Juli 2015. Die Geschäftsführung des Volkstheaters Rostock hat am Montag in einem internen Papier die geforderte Komplettschließung des Musik- und Tanztheaters sowie die Halbierung des Schauspielensembles ins Spiel gebracht. Das berichten diverse Medien, darunter der NDR auf seiner Internetseite.

stapellauf titanic 280 thomashaentzschel uRostocker Totentanz? © Thomas HäntzschelMit dem Papier reagierte die Theaterleitung laut NDR auf die Forderung von Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling, bis zum heutigen Tag Vorschläge zu unterbreiten, wie die Zielvereinbarung zur Schaffung einer "tragfähigen Theater- und Orchesterstruktur" umgesetzt werden könnte. Die Theaterleitung habe jetzt die geforderten  Zahlen vorgelegt, schreibt auch die Ostseezeitung in ihrer heutigen Ausgabe.

91 Stellen verschwinden

Die Lage des Volkstheaters hat sich dem Blatt zufolge noch einmal verschärft:  weitere 1,4 Millionen Euro müssten eingespart werden. Aus heutiger Sicht müsse man im Jahre 2022 von einem Minus von 4,6 Millionen Euro ausgehen. Um bei steigenden Kosten und Tariferhöhungen mit den 18 Millionen Euro jährlich auszukommen, die Stadt und Land vereinbart haben, müssten (wie die Ostseezeitung schreibt) die kompletten Sparten Musik- und Tanztheater mit anteiligem Technikpersonal verschwinden, also 77 Mitarbeiter. Da dies nicht reiche, um den "schlimmsten Fall" bis 2022 zu beschreiben, sollen dem Papier zufolge auch 14 Stellen im Schauspiel verschwinden. Nur das durch Bürgerschaftsbeschluss geschützte Orchester wäre nicht betroffen. Laut Volkstheater-Geschäftsführer Stefan Rosinski bedeutet dies: 34 betriebsbedingte Nichtverlängerungen von Verträgen, 46 betriebsbedingte Kündigungen. Die Zahl der Vorstellungen am Theater würde im Jahr etwa auf ein Drittel sinken: 60 im Schauspiel, 40 des Orchesters. Besucherzahlen und Einnahmen würden dramatisch sinken, die Kleine Komödie in Warnemünde als Außenstandort müsste schließen.

Nur 7 von 15 Darsteller*innen

Verheerend wären, so die Ostseezeitung weiter, die Auswirkungen auch im künstlerischen Bereich. Intendant Sewan Latchinian spreche von einem "irreparablen Schaden für das Volkstheater", käme es zur Umsetzung. Tanz- und Musiktheater wären abgeschafft. Das Schauspiel würde verstümmelt, wenn nur sieben von jetzt 15 Darsteller*innen erhalten blieben. Viele wichtige Stücke wären so gar nicht mehr möglich. Unter den Mitarbeitern fürchtet Latchinian bereits ab 2016 eine "panikartige Flucht von Leistungsträgern" des Theaters. Im Herbst kommenden Jahres müsste die Entlassungswelle starten.

Den Medienberichten zufolge hat Theater-Aufsichtsratschefin Eva-Maria Kröger (Die Linke) gefordert, die Politik müsse sich das Thema Volkstheater "noch einmal auf den Tisch ziehen": Wenn es zur Umsetzung der Zielvereinbarung gezwungen werde, sei das Volkstheater "nicht überlebensfähig".

Nachtrag vom 22. Juli 2015: Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling bezeichnet das von der Volkstheater-Leitung vorgelegte Papier laut Website des NDR als "eine einzige Bankrotterklärung". Es sei "unverständlich, dass die Theater-Geschäftsführung sich nicht an dem orientiert habe, was Gutachter zuvor aufgezeichnet hätten", so wird Methling weiter zitiert. "Stattdessen wird ein Papier vorgelegt, das eine einzige Inszenierung auf der Basis der größtmöglichen Provokation zu sein scheint."

Volkstheater-Geschäftsführer Stefan Rosinski begegnet der Kritik auf NDR 1 Radio MV: "Wir haben seit Monaten über den Sachverhalt diskutiert. Auch das Actori-Papier, was ja die Grundlage der Darstellung ist, zeigt sehr deutlich auf, in welche Richtung die Umstrukturierung des Hauses zu gehen hätte. Das haben wir vertiefend nachgearbeitet."

(NDR / OZ / sle / chr)

 

Zur Chronik der Causa Volkstheater Rostock hier.

 

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Kommentare  
Sparkonzept Rostock: Latchinians Warnung
Aber Latchinian schreibt am Ende auch eindeutig, dass vor einer Umsetzung solcher Szenarien nur gewarnt werden kann und solcherlei explizit nicht zu empfehlen ist.
Das scheint mir noch wichtig dokumentiert zu werden.
Sparkonzept Rostock: Hoffnung
Es handelt sich nicht um ein radikales Sparkonzept der Theaterleiung, sondern um die radikale Darstellung des Sparkonzepts von OB und Teilen der Bürgerschaft und des Kulturministers.
Hoffentlich wird das ein heilsamer Schock für die Stadtgesellschaft.
Sparkonzept Rostock. Kann man mit auskommen
bei aller Betroffenheit über das Ausmaß der Kürzungen: 18 Millionen Euro für ein Theater mit einem Orchester und sieben Schausspielern scheint mir als Zukunftsszenario doch im europäischen Vergleich nicht mehr zu sein als eine demagogisch- populistische Milchmädchenrechnung. In Anbetracht etlicher Drei- und Vierspartenhäuser die mit intakten Sparten und weniger Etat auskommen und erheblich mehr Zuschauer anziehen als das Volkstheater Rostock, ist diese Berechnung leider weder seriös noch überzeugend.
Sparkonzept Rostock: lächerliche Politik
Wer muss nun weg? Der Oberbürgemeister, der Kulturfeind.
Das ist so eine lächerliche Politik, wie sie kaum in Deutschland anderswo zu finden ist.
Sparkonzept Rostock: höchstselbst kaputt gespart
ich stelle mir die gleiche frage wie 3. habe zwar wenig verständnis dafür, wie in vielen städten mit kulturförderung umgegangen wird und welche ausmaße sparmaßnahmen mancherorts annehmen, aber 18 millionen... würden sich da einige andere häuser nicht ziemlich drüber freuen? sollte damit nicht mehr gehen als ein orchester, 7 schauspieler, technik und verwaltung? nur so ne frage. wäre es nicht sinnvoller wenn das haus andere, weniger radikale (das theater in rostock nicht total verschmetternde) sparvorschläge machte? oder hofft die leitung, dass die stadt bei androhung solcher aussichten von ihrem sparwahn abstand nimmt? und wäre das tatsächlich klug davon auszugehen, denn wenn die stadt auf ihrem standpunkt beharrte und diese sparvorschläge in die tat umgesetzt sehen wollte hätte die aktuelle theaterleitung das theater in rostock dann nicht höchstselbst kaputt gespart?
Sparkonzept Rostock: Unsinn
Tja, wären die 18 Millionen für die Kunst da, dann ginge damit so manches. Der Unsinn ist jedoch, dass davon schon Millionen für den Theaterneubau bis 2023 angespart werden sollen und urplötzlich Tarifanpassungen trotz des Austritt aus dem Bühnenverein, die kaum ein Kollege um diesen Preis fordert gezahlt werden sollen - und Rostock seinen Zuschuß absenken will und, und, und.
Das Volkstheater und seine Leitung sind ganz gewiß nicht der eigene Totengräber.
Sparkonzept Rostock: weinen
@Alina
Nein..Rostock ist das am geringsten subventionierte Mehrspartenhaus in unserem Land...jedes andere Haus würde bei dieser Summe weinen..
Sparkonzept Rostock: andere Etats
Darf hier eigentlich jeder, wie in Kommentar #7, von der Redaktion unwidersprochen Unwahrheiten veröffentlichen? Es gibt nachweislich zahlreiche Mehrspartenhäuser mit geringerem Etat!
Sparkonzept Rostock: mehr Zahlen und Städte
#7
Wenn Sie mit Land MV meinen:
Die Kolleginnen und Kollegen in Greifswald und Neustrelitz mussten mit deutlich geringerem Zuschuss arbeiten.

Wenn Sie die Bundesrepublik meinten:
(Sorry die Zahlen sind 4 Jahre alt, deshalb hier nur Mehrsparten-Theater mit einem Zuschuss unter 18 Mio)
Aachen, Annaberg/Buchholz, Brandenburg, Bremerhaven, Coburg, Dessau, Erfurt, Freiberg, Gera/Altenburg, Gießen, Heilbronn, Kaiserslautern, Koblenz, Lübeck, Meiningen, Münster, Nordhausen, Osnabrück, Regensburg, Rudolstadt, Schleswig, Trier, Ulm, Wuppertal, Zwickau
Sparkonzept Rostock: mehr aus dem Geld machen
Ich kann denen nur zustimmen, die darauf verweisen, dass man mit
18 Millionen mehr machen kann, als von der Rostocker Theaterleitung behauptet. Dass ein Theater aber Geld für einen
Neubau ansparen soll, ist andererseits eine unerfüllbare Vorgabe.
Worüber man ernsthaft nachdenken sollte, ist eine Veränderung
der Einstufung. In Schleswig-Holstein arbeiten alle Theater und
Orchester in der Einstufung B. Und sie sind mindestens so gut
wie die Rostocker, was ich schreiben darf, da ich beide Länder
aus eigener Berufserfahrung kenne.
Sparkonzept Rostock: buchstabengetreue Umsetzung
Wer lesen kann, ist klar im Vorteil: deswegen nämlich steht im Papier "das durch Bürgerschaftsbeschluss geschützte Orchester". Die Personalgrösse und damit die Honorarhöhen und damit die Einstufung ist festgeschrieben. Von daher funktionieren Vergleiche nicht. Das Papier rechnet quasi vor, was bei einer buchstabengetreuen Umsetzung der Beschlüsse rauskommt.
Sparkonzept Rostock: schwer nachvollziehbar
@11
Natürlich lässt sich trefflich über Sinn und Unsinn der Orchestereinstufungen streiten. Ob Rostock ein A-Orchester braucht,kann man sicher diskutieren. Allerdings wäre der Partner für Verhandlungen über einen Wechsel von A zu B ohnehin die DOV - und das Volkstheater hat durch den Austritt aus dem Bühnenverein seine Position ziemlich geschwächt.
Außerdem Tarifverträge sind zu erfüllen - Gott sei Dank. Die Diskussion nähert sich einer Gegenüberstellung: böse (teure) Musiker - gute Theaterleitung... Damit wird/bleibt es ideologisch und eine sachliche Debatte wird verhindert.
Ich behaupte nicht, dass die Spartenschließungen sinnvoll oder nötig sind. Dazu fehlt mir das Detailwissen über das VTR. Aber dieses Horrorszenario das die Theaterleitung beschreibt, ist schwer nachvollziehbar, wenn das Theater wirklich "nur" noch die Sparten Schauspiel und Orchester umfassen sollte.
Auch wenn von den 18 Mio die Hälfte auf das Orchester entfiele (was ich bei 72 Musikern bezweifle), sollte es Spielraum für das Schauspiel geben. Zum Vergleich die Betriebszuschüsse einzelner nur Schauspielhäuser: Aalen 1,2 Mio, Bamberg 3,5 Mio, Berlin (Gorki) 9,7 Mio, Bautzen 5,8 Mio, Celle 3,0 Mio, Erlangen 3,1 Mio, Göttingen 6,7 Mio, Ingolstadt 6,8 Mio, Jena 1,9 Mio, Konstanz 5,7 Mio, Moers 1,5 Mio, Oberhausen 8,5 Mio, Potsdam 9,6 Mio, Senftenberg 4,3 Mio, Stendal 3,3 Mio.
Von den genannten Theatern haben nur Aalen und Moers Ensembles mit sieben oder weniger Mitgliedern...
Sparkonzept Rostock: gegeneinander
lieber 20 streicher als 20 schauspieler? wie weit ist die welt gekommen, dass die kunst so gegeneinander ausgespielt wird.
Sparkonzept Rostock: Drohkulisse
@12: Alles richtig, wir gehen nur von unterschiedlichen Annahmen aus: Ich vermute, das buchstabengetreue Horrorszenario soll vor allem die Tür zu weiteren Gesprächen öffnen (mehr Geld, andere Einstufung) und es handelt sich um das, was in der Politik m.E. "Drohkulisse" genannt wird. Gegenwärtig ist gar keine Diskussion um die Einstufung möglich, da laut Beschluss offenbar das Orchester nicht angetastet werden darf.
Sparkonzept Rostock: Warum nicht Orchester + Musiktheater?
Ich befürworte diese ganze Sparpolitik mit allen Nebenerscheinungen keineswegs - doch es drängt sich mir als Aussenstehender eine Frage auf: Wenn nun tatsächlich in diesem Umfang gespart werden muss, und wenn das Orchester eine stärkere Lobby hat als alle anderen und sich durch einen Bürgerschaftsbeschluss rechtzeitig hat absichern lassen - warum denkt man dann eigentlich über eine Abschaffung des Musiktheaters nach und will ein Rumpf-Schauspiel erhalten, das nichts mit dem Orchester gemein haben wird außer das Haus? Wäre es nicht weit sinnvoller, auf Orchester und Musiktheater zu setzen? Auch wenn eine Schließung der Sparte Schauspiel sicher sehr unschön wäre - die Lösung, die hier aufgezeigt wird, käme dem ja quasi gleich...
Sparkonzept Rostock: gerade noch gefehlt
Zu Felix.
Das hat noch gefehlt, dass wir auf nachtkritik.de noch Vorschläge zu Spartenschliessungsvarianten machen und diese diskutieren, während am Volkstheater noch immer um den Erhalt aller 4 Sparten gerungen wird.
Sparkonzept Rostock: desinteressiertes Publikum
Zu Rostocker: Zum Trauerspiel gehört zuerst ja die desinteressierte Haltung der RostockerInnen, die kein Theater brauchen und daher kein Theater für sich reklamieren. In Rostock mal auf die Strasse gehen, mal Flagge zeigen??? Höchstens gegen Asylbewerber. Da sind so die Potenziale. Theater hat sich hier keine keine Notwendigkeit erspielt, und das wissen auch alle, die es momentan riskieren.
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