Brauch ich nimmer

von Dirk Pilz

13. März 2008. Josef Bierbichler sitzt in einem abgewetzten Sessel am Fenster. Die Kamera schaut ihm direkt ins Gesicht, auf die Stirnfalten und seine Hände, die immer den Mund umspielen, als müssten sie die Worte aus dem Innern mühsam heraufziehen. Er spricht von "Holzschlachten. Ein Stück Arbeit", seinem selbst inszenierten Solo-Abend an der Berliner Schaubühne im Juni 2006. Eine Inszenierung, in der er die Erinnerungen des KZ-Arztes Hans Münch mit einem Traumtext von Florian List verband.

Bierbichler trug damals Schlafanzugshose und Stiefel. Er nahm sich Baumstümpfe her und zerhackte sie. Und Bierbichler wagte mutige Bilder, legte sich nackt auf einen Stapel Holzscheite zur Musik von Gustav Mahler, drängte den Nebel ab, der von hinten durch die auf die Bühne gestellten Holzstümpfe schlich.

Vor der Premiere hatte Bierbichler gesagt, er habe für diesen Abend nicht geprobt, nur den Text gelernt. Er wollte die falschen Töne verhindern, indem er sich körperlich überanstrengt. Holz hacken und Assoziationen erzeugen – darum ging es ihm. Und den Theaterleuten auch mal zeigen, was wirklich Arbeit ist: Holz hacken eben. "Das Einzige, was ich wirklich kann."

Am See und auf der Bühne

Jetzt sitzt er erschöpft in seinem Sessel und denkt an die Kritiken. Alle hätten sie in dem Holzstapelbild etwas Katholisches, Religiöses gesehen. "Das hat mich schon sehr irritiert". Und, "ja, Kritiken können verletzen". Vor allem die ständigen Vergleiche mit Tieren. Bierbichler, der Löwe. Bierbichler, der Bär mit den großen Tatzen. Er schaut traurig aus, müde: "Egal, ich werd’ trotzdem wieder was machen."

Holzhacken. Das ist die zentrale Metapher in diesem sehr intimen, berührenden, auch komischen und zugleich betont spröden Porträtfilm von Regina Schilling. In der ersten Szene schwitzt Bierbichler im eigenen Wald beim Holzhacken, in der zweiten Szene singt und spricht er in Heiner Goebbels’ szenischem Konzert "Eislermaterial" von 1998 Brecht-Texte.

Das ist die Spannung, den diese Bierbichler-Annäherung ausmacht: Sie erzählt von dem Privatbayern Bierbichler auf seinem Ambacher Anwesen am Starnberger See, und sie beobachtet den Künstler bei Theaterproben, in Filmen, auf der Bühne.

Von Herzog zu Schlingensief

Und so wie Bierbichler ein Schauspieler ist, der das Private und Künstlerische immer in eine sehr besondere, dialektische Liaison zu verwickeln versteht, folgt dieser Streifen den untergründigen, brüchigen Verbindungslinien zwischen Leben und Kunst. Mit harten Schnitten wechselt die Kamera von Bierbichler am Wohnzimmertisch zu Bierbichler bei der Arbeit. Von den einstigen Weggefährten Werner Herzog zu Herbert Achternbusch. Von Szenen aus Herzogs "Herz aus Glas" zu Schlingensiefs "Atta Atta"-Abend an der Berliner Volksbühne.

Und dazwischen Einsprengsel aus Bierbichlers eigenem Videotagebuch. Er filmt das Ambacher Haus, seinen Traktor, den Blick über den See. Dazu die verstreuten Erinnerungen an den Vater und dessen Tod, die Schulzeit, erste Theaterarbeiten und frühe Lieben. Es ist auch ein insiderischer Film.

Wenn Achternbusch von seiner frühen Liaison mit Bierbichlers Schwester erzählt, wird dem Zuschauer nicht verraten, dass da Achternbusch spricht. Die einst enge Freundschaft, das Zerwürfnis – vieles wird angedeutet, vieles ist nur dem Kenner verständlich. "Wir werden uns nie wieder verstehen", sagt Achternbusch über Bierbichler; "Brauch ich nimmer", sagt Bierbichler über Achternbusch. Woher dieser Groll, die Wut und Bitterkeit rührt – es bleibt unklar. Vielleicht lässt es sich auch nicht klären.

Ein denkender Schauspieler

Schillings Film wahrt die Distanz und meidet das Klatschhafte, jeden Anflug von Voyeurismus und Seelenaufdringlichkeit. "Andauernd reden" grummelt Bierbichler. "Da brauch’ mer net redn", erwidert er einmal auf die Frage von Regina Schilling nach dem Leben im Elternhaus. Dass er dann dennoch Einzelheiten erzählt, lässt den Film so sympathisch unfertig, bewusst schrundig wirken.

Hier wird nicht nur ein Schauspieler gewürdigt, sondern das gewisse Etwas Bierbichlers erforscht: die Bierbichlerhaftigkeit. Ihr Kennzeichen ist garstige Widersprüchlichkeit, das Querköpfige. Deshalb das betont Rohe der Kamerabilder, die schroffe und zugleich zärtliche Machart. Man sieht: einen denkenden Schauspieler, der mit dem Theater, der ganzen Schauspielerei überhaupt immer gerungen hat. In seinem Brief an Frank (das ist: Frank Castorf), den er vorliest, heißt es, er wolle sich nicht mehr verstellen. Dieses ganze Bühnen-Getue, das ginge für ihn nicht mehr. Danach hat er "Holzschlachten" gemacht. Bierbichler wird nicht fertig damit, gegen das Theater selbst anzurennen. Im April wird er 60 Jahre alt.

Am Ende biegt der Holzlaster auf den Hof der Schaubühne und liefert die Stämme für "Holzschlachten". Bierbichler lacht. "Zum Theater passen Streichhölzer, aber keine echten Bäume." Dann sitzt er auf der Probe und murmelt: "Wahrscheinlich wird’s furchtbar peinlich, aber des macht nix."

 

Bierbichler
Regie: Regina Schilling, Deutschland 2007, Länge: 90 Minuten, ab 13. März in wenigen ausgesuchten Kinos u.a. in München, Starnberg, Köln und Berlin.

Informationen: RealFictionFilme und kino-zeit.de

 

Kritikenrundschau

Andreas Rossmann fragt sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (14.3.2008) mit Bezug auf Regina Schillings Film-Porträt "Bierbichler": "Wie passt dieser Berserker, Querkopf und Außenseiter in eine Landschaft, die dem bayerischen Postkartenidyll – mit Zwiebelturmkirche auf der Anhöhe und Lebkuchenholzhaus inmitten satter Wiesen – so mühelos entspricht?"  Aus dieser Spannung ziehe der Film "nicht nur reizvolle Kontraste, vielmehr erscheint sie geradezu existentiell für einen, der sich als Teil dieser Natur versteht, in sie eingreift und sie kultiviert." Und für den "Schauspieler zu sein ... immer auch heißt, Kunst und Leben in Übereinstimmung zu bringen." Der Film gehe "diesem Zusammenhang mit einer auch ästhetischen Konsequenz nach".  Es sei letztlich "ein eindringlicher, schwarz gerahmter Film entstanden, der, episodisch und sprunghaft, Josef Bierbichler näher kommt als ein abgerundetes Porträt."

Einem Bierbichler lasse sich nicht "so ohne Weiteres zu Leibe rücken oder sich gar in die Seele blicken", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (14.3.2008). "In manchen Szenen sieht man, wie er mürrisch abwiegelt und sich sträubt zu reden. Dann wieder bricht es aus ihm heraus, etwa wenn er von der letzten Nicht-Kommunikation mit seinem Vater an dessen Sterbebett erzählt." Nicht von ungefähr steuere "der Porträtierte die intimsten, vielsagendsten Szenen des Films selber bei: Bilder aus seinem privaten Ambacher Kosmos, die er mit einer digitalen Handkamera aufgenommen hat, unterlegt mit knappen Kommentaren und seinem schweren Atem. ... Bierbichlers gesamtes künstlerisches Schaffen, das wird in diesen persönlichen Aufnahmen klar, hat hier seinen Ursprung. Diese Gegend hat ihn gemacht, und man merkt es ihm an." Nur wenige Weggefährten kommen zu Wort, und so stelle sich "ein Gefühl von Lückenhaftigkeit und Unschärfe" ein. "Zur Würdigung des Theaters und des großartigen Theaterberserkers Bierbichler tritt niemand an, nicht einmal Bierbichler selbst. Aber es sind eben zunehmend die selbstbestimmten Wege, die er einzuschlagen gedenkt ..."

Laut Matthias Heine (Die Welt, 14.3.2008) erzählt dieser Film "eine Geschichte, die auch für Leute interessant sein könnte, die Bierbichler als Schauspieler gar nicht so sehr mögen". Bierbichler ist ihm zufolge dabei "ein Fremdling im Bühnen- und Kinobetrieb". Das Wort 'bodenständig' würde diesen Umstand gut beschreiben, "wenn das - bezogen auf den urbayerischen Sohn eines Bauern und Dorfgasthofsbesitzers aus Ambach - nicht so ein Klischee wäre. Außerdem impliziert "bodenständig" auch, dass sich einer nicht bewegt - und bewegt hat sich Bierbichler immer viel: politisch (als er mit einer allabendlichen Anti-Apartheidskundgebung im Theater die CSU gegen sich aufbrachte), geistig, künstlerisch."