Straßenlaterne oder Kaktus?

von Sophie Diesselhorst

Berlin, 4. September 2015. Ist das noch die Figur Sergej/Stefan, die zu uns spricht und uns von einer kurzen Kindheit im Gerade-noch-Sowjet-Kasachstan erzählt, von der Aus- und Einwanderung der Familie nach Deutschland, davon, wie an ersterer die Eltern zerbrechen und er selbst in letzterer aufblüht – oder ist das schon der Schauspieler Dimitrij Schaad, laut Besetzungszettel wie Sergej/Stefan 1985 in Kasachstan geboren? Und in dieser Szene so verdammt, ja, dieses Wort muss sein, authentisch?

Auch bei den fünf anderen (palästinensischen, syrischen, israelischen) Akteur*innen, die Yael Ronen in "The Situation" zusammen in einen Deutschkurs in Berlin-Neukölln steckt, gibt es diese kleinen Gemeinsamkeiten zwischen Figuren- und Besetzungszettel-Biografie, die man ja aus anderen Arbeiten von Yael Ronen schon kennt; in Common Ground, wo die Schauspieler*innen ihre echten Namen behalten, wird dieses Spiel durch einen Namens-Tausch auf die Spitze getrieben. Auch in "The Situation" also diese Schlüssel-Momente, in denen es oszilliert zwischen Theater-Schein und Lebens-Sein, in denen konkret fühlbar wird, wie das eine vom anderen abhängt – und von denen sich dann stets alle zusammen mit neuer Energie abstoßen in die nächste Szene voller Sprach-, Sprachlosigkeits-, musikalischer und Körper-Akrobatik.

Das fehlende Vokabular

Sergej/Stefan versucht als Deutschlehrer Ordnung in den Nahost-Konflikt zu bringen, verkörpert zunächst durch seine ersten beiden Schüler, das Noch-Ehepaar Noa (Orit Nahmias) und Amir (Yousef Sweid, Ex-Mann der Regisseurin Yael Ronen); eine Israeli und ein Palästinenser (mit israelischem Pass), die irgendwann in seltener Einmütigkeit feststellen, dass ihre Flucht vor "der Situation" ins friedliche, multikulturelle Berlin ihre Ehe ruiniert hat. Indem "die Situation" sich vom Politischen, Öffentlichen, auf der sparsam eingerichteten Bühne symbolisiert von einer Straßenlaterne, ins Private verlagert hat, für das auf der anderen Bühnenseite ein überdimensionaler Kaktus steht.Thesituation1 560 UteLangkafel maifoto uDeutschstunde: Orit Nahmias, Maryam Abu Khaled, Youssef Sweid,
Ayan Majid Agha, Karem Daoud und Dimitrij Schaad. © Ute Langkafel/Maifoto

"Die Situation" steht für viele mögliche, nur unter hoher Selbstentäußerungs-Bereitschaft erklärbare Gründe dafür, warum es passieren kann, dass man in Berlin-Neukölln in einem Deutschkurs sitzt. Während Noa und Amir nur (?) vor einem ständigen Rechtfertigungsdruck geflohen sind, berichten Laila (Maryam Abu Khaled) und Karim (Karim Daoud) aus Palästina von Krieg und Diskriminierung. Dementsprechend weniger bereit sind sie zunächst, die andere Seite, also Noa, anzuhören. Zu diesen vieren gesellt sich noch der Syrer Hamoudi (Ayham Majid Agha) auf die beiden sonnengelben beweglichen Treppen, auf denen der Deutschkurs stattfindet. Er tut sich am schwersten damit, auf die Frage "Woher kommst du?" zu antworten. Denn für seine "Situation" gibt es noch am wenigsten Beschreibungs-Vokabular; egal, in welcher Sprache.

Voyeurs-Teufelchen und Empathie-Engelchen

Es geht in diesem Deutschkurs sowieso ziemlich bald um eine andere Art gemeinsamer Sprache, und es wird munter zwischen hebräisch, arabisch, englisch und deutsch hin- und hergeswitcht. Während die Schüler*innen alle die Flagge ihres Herkunftslandes im Kostüm tragen, ist der Lehrer Stefan mit einem auf die Farbe der Sitz-Treppen abgestimmten gelben T-Shirt als Außenseiter gekennzeichnet. Dimitrij Schaad karikiert ihn auch zunächst aufs heftigste als bio-deutschen Gutmenschen Marke Stock-im-Arsch, der dem Syrer Hamoudi seine Hilfsbereitschaft – und sei's mit Gewalt – aufdrängen will. Dass er sich dann durch die Erzählung seines ersten Lebens als Sergej in Kasachstan aus dieser undankbaren Rolle emanzipieren darf, ist ein genialer Schachzug der in von "Wer bist du?" über "Wenn-Dann" bis "Vergangenheit" und "Konjunktiv" streng nach Lektionen gegliederten Inszenierung. Denn, siehe da: Die Verständigung funktioniert auch ohne kleinsten gemeinsamen Schenkelklopfer.

Und so groß ist die Freude darüber, dass das Ende ein bisschen arg pathetisch gerät; mit der kollektiven Hoffnungsüberzeugung, dass all diese "Situations" doch lösbar sein mögen, kommt man nach der Durchschüttelung der vergangenen anderthalb Stunden nicht mehr so ganz mit. Ja, es ist eine Durchschüttelung, so ronenesk unterhaltsam und pointensicher es daherkommt. Dafür sorgen vor allem diese oszillierenden Momente, bei denen sich einem das Voyeurs-Teufelchen in die linke und das empathische Engelchen in die rechte Zuschauer*innen-Schulter krallen. Abgesehen davon ist es wohl (hoffentlich: vorerst) einzig, wie offen und unverkrampft das Thema der Stunde hier auf einer Theaterbühne verhandelt wird.

 

The Situation
von Yael Ronen & Ensemble
Regie: Yael Ronen, Bühne: Tal Shacham, Kostüme: Amit Epstein, Musik: Yaniv Fridel, Ofer Shabi, Licht: Jens Krüger, Dramaturgie: Irina Szodruch.
Mit: Karim Daoud, Maryam, Abu Khaled, Orit Nahmias, Dimitrij Schaad, Yousef Sweid, Ayham Majid Agha.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

 

Kritikenrundschau

Peter Kümmel hat in der Zeit (1.10.2015) ein Interview mit den sechs Schauspieler*nnen geführt, in dem er sich über die "Situation", das heißt die unübersichtliche Lage in Nahost und das Leben in Deutschland unterhält. Der Theaterabend ende mit den Worten "keine Hoffnung", "weil wir nicht naiv sind", so Orit Nahmias. Es werde keinen Frieden geben, solange Amerikaner und Europäer ihr Waffen an Assad und den IS verkaufen wollen, sagt Ayham Majid Agha. Weiter geht es in dem Gespräch wie man mit künstlerischen Mittel kämpfen kann, ums Zusammenleben in Berlin, darum, dass syrische Flüchtlinge kommen, nicht weil Deutschland ein sicherer Platz sei.

"Die Regisseurin Ronen hat sich darauf spezialisiert, kulturelle, nationale und sexuelle Klischees so rasant aufeinander krachen zu lassen, dass sie sich in die pure Absurdität auflösen. Oder als hilflose Orientierungsversuche in einer absurden Situation kenntlich werden", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (7.9.2015). Zum Spiel gehöre die ironische Brechung. Bewegend, wenn Dimitri Schaad erzählt, wie er mit seiner Familie als Achtjähriger aus Kasachstan nach Deutschland kam. "'Ich will zeigen, dass wir in diesem Leben mehr Möglichkeiten haben', sagt Maryam Abu Khaled. In einem anderen Rahmen wäre das kitschiges Pathos. Hier ist es eine klare Ansage."

Wie politische Konflikte in privates Reden einfließen, sei auch hier wieder Prinzip, schreibt Simone Kaempf in der taz (7.9.2015). "Ronen scheut sich nicht, Verdrängtes und Unerwünschtes anzupacken. Klischees werden durchlaufen – unverkrampft, mit Witz und Galgenhumor." Am Ende schicke einen die Inszenierung sogar in optimistischen Stimmung nach Hause, da einst die Berliner Mauer fiel, ein Schwarzer als Präsident der Vereinigten Staaten amtiert und Frauen zur Staatsoberhäuptern gewählt werden. Alles ist möglich, auch Frieden in Nahost. Die Hoffnung stirbt nicht.

"Ronen bleibt Ronen (...), weil kluger Humor wahrscheinlich wirklich das wirkungsvollste Konfliktentkrampfungsmittel ist", so Christine Wahl im Tagesspiegel (7.9.2015). Dass die Regisseurin die Konfliktparteien nicht nur in Berlin, sondern speziell in einem Deutschkurs aufeinandertreffen lässt, erweise sich als ziemlich genialer Schachzug. Sie, die theatrale Konfliktmanagerin par excellence, habe wieder den Abend gemeinsam mit dem Ensemble entwickelt. "Und wie immer bei Ronen stößt sich der Text von mehr oder weniger künstlerisch überformten Erfahrungen der Akteure ab und beginnt mit der Pointensicherheit einer gehobenen Screwball-Comedy."

Dagegen ist Irene Bazinger (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.9.2015) ziemlich kritisch mit dem Abend: "Ronens Inszenierungen haben mit der seriellen Herstellung inzwischen beträchtlich an Schwung und Biss verloren." Die Personen leiden an Vergangenheit und Gegenwart und sehen keine Perspektiven, weshalb ihnen im Sprachkurs wie in der Realität nur der Konjunktiv bleibe. "Vor einem Jahr hätte man diesem so anbiedernden wie larmoyanten Smalltalk womöglich aufgeschlossen zugehört. Aber da jetzt die Not der Flüchtlinge aus aller Welt zur Tagesaktualität geworden ist, wirkt er lediglich kalkuliert und schal." Fazit: Gut gemeint, und so schlechtes Theater.  

Tobias Becker verrät auf Spiegel Online (7.9.2015) das "Erfolgsrezept der Inszenierung": "Die Dominanz der Fremdsprachen ermöglicht die unverfrorene Oberflächlichkeit, die nötig ist, um über die ganz großen Probleme zu sprechen und sich einander anzunähern." Der Abend offenbart für den Kritiker auch, was "Ronens Theater" im Ganzen "ausmacht: Es ist in einem Moment klamaukig – und im anderen klug. In einem Moment komisch – und im anderen kitschig. Ronens Inszenierungen bieten das vielleicht beste politische Kabarett, das es zurzeit in Deutschland zu sehen gibt, aber sie bieten noch mehr: Pathos."

"Wenn Schauspieler aus aller verfeindeter Herren Länder auf deutscher Bühne miteinander spielen, hat die Utopie wohl schon begonnen", so Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (6.9.2015). Ronen jongliere in ihrem Abend "mit Klischees wie in einer Sitcom", streue schwarze Pointen, die nur insofern politisch korrekt seien, "als dass alle Seiten ihr Fett abkriegen". Im langen Monolog des Sergej alias Dimitrij Schaad entstehe ein "Moment, in dem Ronen den Abend dramaturgisch zerfließen lässt, in dem sie ihre Routinen und Gewissheiten über den Haufen wirft, als hätte sie keine Lust mehr auf Pointen, als wäre Humor doch kein Erkenntniswerkzeug, sondern nur eine Methode, mit der man der Wirklichkeit ausweicht."

"Multikulti von einer durchaus unspaßigen Art" hat Eberhard Spreng gesehen und führt im Deutschlandfunk (5.9.2015) aus: "Das Theater ist mit 'The Situation' zu einem deutsch-englisch-hebräisch-arabisch-sprachigen Labor für Flüchtlingserzählungen ohne den Anspruch auf eine geschlossene dramatische Formgebung geworden." Der Titel sei Programm: "Die geopolitische Situation und die erzwungenen Strategien des Überlebens bestimmen im 21. Jahrhundert die Identität und das Denken", so Spreng: "Aber auch Situationen ändern sich, wie ein auf der Treppe versammeltes Ensemble mit etwas zu pathetischem Optimismus im Schlussbild kundtut." Gleichwohl lasse das Gorki-Theater mit diesem Abend spüren, "was das etwas verklemmte deutsche Wort Willkommenskultur bedeuten könnte".

Die Trennung zwischen Fiktion und Wirklichkeit werde "folgerichtig immer wieder durchbrochen", schreibt Dirk Pilz in der NZZ (17.11.2015). "Der Nahost-Konflikt, die Beziehungskrisen, der Berliner Alltag: Nichts lässt sich hier voneinander trennen. Daraus entsteht der die Empathie fördernde Witz dieses Abends, auch wenn die Erkenntniskraft des Humors eher beschränkt bleibt", so Pilz. "Eine Szenenanordnung auf der Suche nach Leichtigkeit im Umgang mit unsicheren Identitäten: das Augenzwinkern als Erzählprinzip, die Selbstironie als Spielweise. Ronens Leitfrage ist auch diesmal wieder, wie zeitgenössisches, wirklichkeitssattes Theater möglich wird."

 

Kommentare  
The Situation, Berlin: rassistisches Vokabular
Immer dieses rassistische Vokabular: "bio-deutschen Gutmenschen Marke Stock-im-Arsch" - hat die nachtkritik.de-Redaktion zu viel von "Mein Kampf" gelesen oder was?
The Situation, Berlin: danke für Informationen
Ich wusste gar nicht, dass die Figur des Amir von dem Ex-Ehemann der Regisseurin gespielt wird. Leider hatte ich es verpasst, einen Besetzungszettel mitzunehmen. Aber jetzt wird mir einiges klar in dieser Inszenierung. Danke Nachtkritik für diese Informationen.
The Situation, Berlin: Herkunft wichtig?
@ Dr.Schäfer: Da stutzte auch ich. Wen interessiert, dass Yousef Sweid der Ex-Mann von Ronen ist? Und steht das etwa auch auf dem Besetzungszettel? Oder ist das vielleicht Teil der Inszenierung, in welcher die Protagonisten zugleich sich selbst und andere spielen?

Ist es denn wichtig, woher ich komme? Oder geht es nicht vielmehr darum, wohin wir gehen. Auch in Bezug auf die Figurenentwicklung in einem Theaterstück.
The Situation, Berlin: auf Herkunft reduziert
Da kritisieren die Figuren auf der Bühne (und mit ihr die Regisseurin), dass sie allein auf ihre Herkunft reduziert werden – und dann reduzieren sie sich selbst auf ihre Herkunft, indem sie über nichts anderes sprechen. Man würde in diesem Stück tatsächlich mal gern mehr über jemanden erfahren, als dass er aus Syrien/Israel/Gaza kommt.
Selten so etwas Untheatrales gesehen: Anderthalbstunden lang sieht man den Schauspielern dabei zu, wie sie auf einer Treppe rumsitzen. Yael Ronen mag eine gute Gruppentherapeutin sein – eine gute Regisseurin ist sie (in dieser Arbeit) nicht.
The Situation, Berlin: Zuschauer selber Schuld
Sehr geehrte Katrin,
ich habe ein ganz anderes Theater erlebt und eine Bitte, wenn man etwas nicht versteht und keinen Zugang findet, liegt es nicht an einer schlechten Regisseurin, sondern an den Zuschauern.
In dieser Inszenierung saßen die Schauspieler nicht auf der Bühne rum. Das ist eine infame Unterstellung. Ich habe an diesem Abend sehr viel über die Menschen, ihr Leben, ihre Wünsche und Sehnsüchte erfahren. Aber davon steht in allen Rezensionen etwas. Außer bei meiner "Verehrten" ewig grollenden Frau Bazinger. (...) Gut gemeint hat es die Frau, aber (...) ich kenne auch so gute Rezensionen von ihr. Sie sollte nur noch über klassische, aus ihrer Sicht gut gemachte Theaterabende schreiben. An den restlichen Abenden sollte sie sich nicht ärgern und diese anders genießen.
The Situation, Berlin: Pointen für die Fangemeinde
Gibt es noch Hoffnung für den Nahen Osten? – Yael Ronens „The Situation“ in einer Sprachschule in Neukölln

Yael Ronen feuert ihre Stückentwicklungen mittlerweile fast so schnell ab wie die Pointen in ihren Dialogen: am Pfingstwochenende hatte das "Kohlhaas-Prinzip" Premiere, zur Eröffnung der neuen Spielzeit legt sie schon "The Situation" nach.

Eine tragende Rolle spielt wieder Dimitrij Schaad: diesmal aber nicht als coole Rampensau, sondern als das krasse Gegenteil, als das personifizierte, verkrampfte, schlechte Gewissen.

Er spielt Stefan, einen Lehrer an einer Sprachschule in Neukölln. Bevor sich am Ende alle wieder auf der großen gelben Showtreppe versammeln, laviert er sich durch mühsame Einzelgespräche mit seinen Schülern, immer peinlich darauf bedacht, nicht anzuecken, keine religiösen Gefühle zu verletzen oder weltanschaulichen Streit vom Zaun zu brechen.

Zunächst trift er auf Noa (Orit Nahmias) und ihren Ex-Mann Amir (Yousef Sweid, der nicht nur in früheren Yael Ronen-Abenden mitwirkte, sondern auch schon in israelischen Kinofilmen und der Serie Homeland zu sehen war). Während er stottert und angesichts von Holocaust und Nahost-Konflikt um die richtigen Worte ringt, sind die beiden vor allem mit ihrem privaten Scherbenhaufen beschäftigt und sehnen sich in Berlin vor allem nach einer Auszeit von der Politik.

Mit dem syrischen Flüchtling Hamoudi (Ayham Majid Agha) diskutiert er über Geschäftsideen als Humus-Fahrrad-Verkäufer und ein Land, das seit Jahren in einem Bürgerkrieg zwischen Assad-Regime und IS versinkt. Eigentlich geht es ihm aber vor allem darum, ihn endlich ins Bett zu bekommen.

Solange das nicht klappt, wendet er sich Laila (Maryam Abu Khaled) und Karim (Karim Daoud) zu, die sich über die israelische Besatzung palästinensischer Gebiete beklagen und Parkour-Künste vorführen.

Mit mehr Monologen, als wir es von Yael Ronen gewohnt sind, aber mit reichlich kleinen Pointen, die ihr eine treue Fangemeinde bescherten, gehen die knapp neunzig Minuten ihrem Ende entgegen. Zunächst darf auch der Lehrer Stefan seinen Migrationshintergrund darlegen, er heißt eigentlich Sergej und kommt aus Kasachstan.

Schließlich kommen alle an der großen Treppe zusammen, um Bilanz zu ziehen: Orit Nahmias, die schon in "Common Ground" für die heiteren Momente zuständig war, gibt die Optimistin. Wer hätte gedacht, dass die Berliner Mauer fällt? Sie zählt weitere Beispiele ganz unwahrscheinlicher historischer Entwicklungen auf und meint, dann muss es doch sicher auch eine Lösung für die Krisen im Nahen Osten geben, die nur als The Situation umschrieben werden.

Gibt es Hoffnung für den Nahen Osten? Der Abend endet am Gorki im Gemurmel der Schauspieler, die zwischen „bestimmt“ und „auf keinen Fall“ schwanken.

http://kulturblog.e-politik.de/archives/25802-25802.html
The Situation, Berlin: komplizierte Vermischung
Wo ist die Rezension aus der Berliner Zeitung? Da wurde die Situation mit dem Ex-Mann noch anders geklärt als ich es hier verstand. Zitat:

"Amir (Yousef Sweid) versucht Noa zu stoppen, macht die Sache aber nur noch schlimmer, denn erstens ist er israelischer Palästinenser und zweitens ihr Ex-Mann. (Für Fortgeschrittene sei erwähnt, dass Sweid der Vater von Yael Ronens Sohn ist und Orit Nahmias ihr erprobtes Bühnen-Alter-Ego spielt)."

Ist Yousef Sweid jetzt der Ex-Mann von Ronen oder spielt er "nur" Amir, den Ex-Mann von Noa? Und was heisst "Vater von Yael Ronens Sohn"? Vater und nicht mehr Partner oder Vater und Partner? So schnell vermischen sich Realität und Bühnenrealität.
The Situation, Berlin: überquellender Abend
The Situation ist ein vor Ideen, Gedanken und Ironie zu so überquellender Abend, der Fragen nach Identität schneller ad absurdum führt, als er sie stellen kann, der munter und gutgelaunt mit Klischees um sich wirft und keine Mühe hat, den Blick auf den ernsten Untergrund tatsächlicher Lebenswirklichkeiten jenseits des Schwarz-Weiß zu richten. Und er tut das in der Ronen-typischen Verschränkung von Fiktion und Realität. Stefan-Sergejs Geschichte ist eben auch die des Schauspielers Dimitrij Schaad, Leilas die der ebenfalls aus dem Flüchtlingslager Jenen stammenden Maryam Abu Khaled, der arabische Israeli und Schauspieler Youssef Sweid spielt den arabischen Israeli und Schauspieler Amir, der 19-jährige Parcours-Sportler und Rapper Karim Daoud den Parcours-Sportler und Rapper Karim. The Situation ist ein Hochgeschwindigkeits-Spiel von Distanz und Nähe, beißender Ironie und bewegender Wahrhaftigkeit, Spott und Ernst, brüllender Komik und stiller Trauer. Er ist auch ein migrantisch-deutscher Abend: perfekt strukturiert und anarchisch, didaktisch geordnet und chaotisch aus dem Ruder laufend, ein Abend, der in seiner Spielhaftigkeit, seinem Gestus des Ausprobierens und Verwerfens soviel Wahrheit transportiert, dass einem schwindelig wird. Es ist keine Wahrheit, die sich für Soundbites in Tweet-Länge eignet, sondern eine, die so verwirrt und verwirrend ist wie die seltsame Welt, aus der dieser großartige Abend herüberschwappt.

Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2015/09/21/hoch-auf-der-gelben-treppe/
The Situation, Berlin: Alltäglich. Treffend. Sensationall
Wenige Minuten vor Vorstellungsbeginn warteten geschätzte hundert Menschen vor der Kasse des Berliner Gorki Theaters, sie alle wollten noch eine Karte für die seit Wochen ausverkaufte Vorstellung. Fast alle mussten erfolglos weiter durch die Nacht ziehen. "The Situation" beschreibt (nichts liegt näher...) die Situation. In diesem Land. In dieser Stadt (also Berlin). Im Jetzt. Now! Alltag in einer multikulturellen (zum Glück fällt dieses Wort nicht ein einziges Mal) Stadt, in der es frische Flüchtlinge und andere Zuwanderer mit Integration versuchen sollen – was schwierig ist, weil sie letztlich die Probleme, die sie in ihrer Heimat untereinander – mit anderen Religionen und anderen Völkern – hatten, mitgebracht haben. Was soll eine Frau aus Israel auf die Frage sagen, wie sie sich in der "Hauptstadt des Holocaust" fühlt – wo sie doch mit ihrem (inzwischen Ex-)Mann (einem Palästinenser) und dem gemeinsamen Kind (das sich zwischen mindestens drei Sprachen entscheiden muss) hier ein besseres Leben erhofft hatte?! Eine Frau aus Israel und ein Palästinenser – die von einem vermeintlich Deutschen in einem Integrationskurs ausgefragt und aussprachlich korrigiert werden: Das Tor zu wunderbar unterhaltener politischer Unkorrektheit steht ganz weit offen! Das Publikum kommt in der ersten halben Stunde nicht aus dem Lachen heraus! Die Autorin und Regisseurin hat einen Weg gefunden, sich einem ganzen Sack voller Tabuthemen und -wörter anzunehmen. Sie schüttet ihn einfach aus! Während man sich noch fragt, wie so viel bittere Realität so unglaublich lustig sein kann, wird der Ton des Stücks immer nachdenklicher. Die Geflüchteten bringen ganz andere Probleme mit in die für sie neue Welt – und sie haben selbst auch ganz andere. Der Syrer, der seinem "Integrationshelfer" glaubhaft erzählt, dass er erst zu Al Qaida und dann zum ISIS gehörte und dass er die Kontakte nach wie vor pflegt... Scherz! Nicht? Der schwule Deutschlehrer und Integrationshelfer, der sich als Kasache mit einem ganz besonders großen Herz ("I want to integrate you...") outet: Sergej, nicht Stefan... und die Diskussion, samt Beispielen, um die Frage, was arabischen und deutschen HipHop unterscheidet, finden ihren Ausklang in Monologen bei frisch zubereitetem Hummus. Viel Beifall am Ende für 90 Minuten in Deutsch, Englisch, Hebräisch und anderen Sprachen, deutsch/englisch Übertitelt. Fesselnd. Real. Die Situation beschreibend. Jetzt. In diesem Land, das nie wieder so sein wird, wie es einmal war. Sechs Schauspielerinnen und Schauspieler. Zwei bewegliche Treppen. Ein Fahrrad. 90 Minuten reale Unterhaltung auf bestem Niveau. Anspruchsvoll. Alltäglich. Treffend. Sensationell.
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