Die Wupper fließt nicht nach Galiläa

von Sascha Westphal

5. September 2015. Intendant an einem deutschen Schauspielhaus zu sein, ist wahrlich kein einfacher Job. In Zeiten immer knapper werdender öffentlicher Mittel für Kultur und Theater gleicht jede Spielzeit mehr und mehr einem Drahtseilakt. Die Politiker und die Kritiker, die Zuschauer und natürlich die eigenen Mitarbeiter, sie alle haben ihre Vorstellungen und Sehnsüchte, die sich gelegentlich nicht einmal überschneiden. Und trotzdem muss der Intendant sie irgendwie zusammenbringen und zugleich noch einen Ausgleich zwischen den Polen finden. Dabei nicht das Gleichgewicht zu verlieren, ist ohne Zweifel eine Kunst, selbst wenn alle Beteiligten ihn nach Kräften unterstützen.

Theater Am Engelsgarten Foto Sebastian KlementTheater am Engelsgarten in Wuppertal
© Sebastian Klement
Davon kann in Wuppertal jedoch wahrlich nicht die Rede sein. Hier zerrt die (Kultur-)Politik nun schon seit Jahren am Seil, und wenn das nicht reicht, schlägt sie gleich noch ein paar Mal mit aller Macht drauf, damit es kräftig auf und ab federt. Das hat Christian von Treskow in den fünf Jahren seiner Intendanz immer wieder erlebt. Nun ereilt seine Nachfolgerin Susanne Abbrederis, die zur Saison 2014/15 die Leitung des Theaters und damit eines auf neun Schauspieler*innen zusammengeschrumpften Ensembles übernommen hat, wohl das gleiche Schicksal.

Ein Fest des "Trotz allem"

Vom einstigen Glanz des Wuppertaler Schauspiels war schon nicht mehr allzu viel übrig, als 2009 Christian von Treskow kam. Das 1966 mit einer flammenden Rede Heinrich Bölls eröffnete Schauspielhaus in Elberfeld, die Wirkungsstätte Pina Bauschs, war gut 40 Jahre später schon derart vom Zahn der Zeit angenagt, dass Oberbürgermeister Peter Jung im November 2009 die baldige Schließung und Abwicklung des Hauses verkünden ließ. Die verschuldete Stadt konnte sich die notwendigen Sanierungen nicht leisten. Außerdem sollten die Zuschüsse für die Wuppertaler Bühnen um zwei Millionen Euro gekürzt werden. Ein Tod auf Raten, der vor allem die Schauspiel-Sparte ereilte.

Als das Schauspielhaus am 30. Juni 2013 dann endgültig geschlossen wurde, beschrieb Christian von Treskow die ersten vier Jahre seiner Intendanz als einen "Tanz in den Ruinen einer großen Vergangenheit". Für das Publikum war es ein aufregender und anregender Tanz, ein wunderbares Fest des "Trotz allem", das aber von Peter Jung brutal beendet wurde. Von Treskows Vertrag wurde praktisch ohne eine Erklärung nicht verlängert. Die Zuschüsse strich man, ohne mit der Wimper zu zucken, zusammen. Selbst die Ruinen wurden also noch einmal von Jung und seinem Kulturdezernenten Matthias Nocke geplündert. Was danach übrig blieb, gut 900.000 Euro an städtischen Zuschüssen, ein junges neunköpfiges Ensemble und eine neue, zwischen einer Umgehungsstraße und dem Engelshaus versteckte Spielstätte, das "Theater am Engelsgarten", die alleine mit Spenden- und Sponsorengeldern finanziert worden war, würde schon reichen für das Schauspiel.

Ein kleines Wunder

Angesichts überall stagnierender oder gar sinkender Publikumszahlen galt dieses kleine Haus mit seinen gerade einmal 152 Plätzen bei seiner Eröffnung vor einem Jahr in den Kreisen der Wuppertaler Kultur(vernichtungs)-Politik sogar als geradezu zukunftsweisend. Man hatte den Patienten schließlich nicht einfach sterben lassen und erklärte nun sein zu erwartendes und auch in Kauf genommenes Siechtum frech zu einer Wiederauferstehung. Und tatsächlich ist Susanne Abbrederis ein kleines Wunder gelungen. Trotz widrigster Umstände konnte sie ihre erste Spielzeit mit einer Auslastung von 80 bis 85 Prozent abschließen.

Ein voller Erfolg, sollte man meinen, aber nicht in den Augen der lokalen Politik. Nun ist die neue Spielstätte zu klein, die Zuschauerzahlen sind zu gering, und die sechs Produktionen, die Abbrederis mit ihrem Ensemble gestemmt hat, reichen natürlich auch nicht. Die Intendantin, die sich Matthias Nocke wünscht, müsste mindestens eine Zauberin, aber besser noch ein Theater-Messias sein. Hatte Jesus nicht am Galiläischen Meer 5.000 Menschen mit nur zwei Fischen und fünf Broten, von denen dann noch zwölf Körbe mit Brocken übriggeblieben waren, gespeist? Eine derartige wundersame Vermehrung sollte einer Intendantin, der immerhin 900.000 Euro zur Verfügung stehen, doch auch gelingen.

 

Vor einem Jahr kommentierte hier Andreas Wilink die Causa Wuppertal.

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