ShabbyShabby Apartments - Die Münchner Kammerspiele laden zur Eröffnung der Intendanz von Matthias Lilienthal zum Schlafen auf Verkehrsinseln, in Badewannen und Unterführungen
Tolle Abwechslung, klasse Hotelidee, jederzeit wieder
von Steffen Becker
München, 12. September 2015. Shabby Chic bezeichnet Dinge, die bewusst abgeranzt dargeboten werden. Die zusammengestöpselten Möbel, die zerrissenen Jeans sind jedoch so kunstvoll angegriffen, dass dem Betrachter klar ist: Das ist ein hippes, kostbares Produkt. Nach dem gleichen Prinzip verfahren das Büro raumlabor und die Münchner Kammerspiele bei ihrem urbanen Experiment "ShabbyShabby Apartments". Für maximal 250 Euro Materialeinsatz sollten im öffentlichen Raum temporäre Schlafplätze entstehen, über die man redet, weil sie cool und außergewöhnlich sind.
Bei der Premierenfeier mit den beteiligten Teams wird das Prinzip mustergültig umgesetzt: Zwei Abbruchcontainer funktionieren als Wasserfälle, Gartenschläuche machen Spritzspiele, die man aus einer Pressholz-Sauna beobachten kann. Münchner Schickeria-Clubs würden sich den Effekt teuer bezahlen lassen. Bei "ShabbyShabby Apartments" kostet der Cocktail drei Euro, das Essen nichts. Ein Traum von Stadtleben – abseits der eingetretenen Pfade der Konsumgesellschaft. Darum soll es bei dem Projekt gehen. "Was wäre, wenn alle ihre Wohnungen verließen und sich an den unwahrscheinlichsten Orten der Stadt Buden bauen?", fragt der Programmflyer. Darauf gibt es eine intellektuelle und eine, nun ja, emotional-wahrhaftige Antwort.
Benjamin Foerster-Baldenius von raumlabor Berlin gibt zur Auftaktführung entlang an Hochbauten auf Verkehrsinseln, Liebesnestern in der Winterverkleidung eines Brunnens und eines Schrottbootes im Autokreisel beide: Man suche nach einer größeren Vision für München, wünsche sich einen Impuls zur Mitgestaltung der Stadt durch ihre Bürger, wolle eine Lagerfeuergesellschaft von Meinungsbildung und -austausch schaffen, et cetera.
Das Shabby Shabby Apartment "Yellow Submarine" auf der Schwindinsel mit erwachtem Nachtkritiker © Steffen Becker
Das klingt gestanzt und nach Zeug, das man halt so in Anträge zur Förderung durch die Bundeszentrale für politische Bildung (die das Projekt fördert) schreibt. Die realistischere Antwort folgt aus der Exegese des Projekts. Zum Start der Intendanz von Matthias Lilienthal suchten die Kammerspiele nach einem Ur-Münchner Thema. Foerster-Baldenius erzählt, dass man hier auf keine Party gehen kann, ohne dass das Gespräch schnell darauf kommt, wer wie wohnt und wie man sich das alles in der teuersten Stadt Deutschlands überhaupt noch leisten kann.
Ohnmachtsgefühl der gebildeten Mittelschicht
Kern dieser Partygespräche ist aber nicht der Impuls, nach völlig neuen Wohnformen zu suchen. Das merkt man an sich selbst, wenn man dann im Bett liegt: im "Yellow Submarine", einer Konstruktion aus elf knallgelben Badewannen, platziert auf der Praterinsel in der Isar. Eine Nacht im öffentlichen Raum fühlt sich an wie ein Abenteuer, prickelnd, tolle Abwechslung, klasse Hotelidee, jederzeit wieder. Wir pinkeln mit Blick auf das Maximilaneum, also quasi Horst Seehofers Hilfstruppen in den Vorgarten. Coole Sache, aber dauerhaft als Künstlernomade die Grenzen zwischen privatem und öffentlichen Raum austesten? Die Vision wird sich in den Köpfen der Teilnehmer an der Shabby-Führung (junge Männer mit Bart und junge Frauen mit Dutt) eher nicht festsetzen. Fürs Leben will man das gewohnte – eine schicke Wohnung in guter Lage, nur halt für weniger perverse Preise, als sie in München aufgerufen werden.
Aus diesem Ohnmachtsgefühl der kulturell gebildeten Klasse, sich das gute Leben in der gewünschten Umgebung nicht leisten zu können, speist sich die Faszination der "ShabbyShabby Apartments". Die tatsächlich sehr kreativen Ideen bieten ihren Nutzern ein Vehikel um den wirklich Reichen symbolisch einen Haufen vor die Tür zu setzen. Viele der Behausungen finden sich in der Maximiliansstraße, DER Nobel-Shopping-Meile. Foerster-Baldenius weist bei seiner Führung extra darauf hin, dass die Apartments den Nobelkarossen die Parkplätze wegnehmen (HäHä). Beim Zimmer vor dem Gucci-Store redet er über die "ästhetische Kohärenz" der beiden Objekte. Die Sachen des Apartments wurden aus der Erbmasse einer Oma zusammengestellt und sähen oft ähnlich aus wie die X-Tausend Euro Stücke in den Schaufenstern der Umgebung (Ätsch – und tatsächlich hängt im Apartment ein Leoparden-Bademantel, der einem 4.900 €-Teil von Dior sehr nahe kommt). Die Shabby-Behausungen geraten so zur künstlerischen Rache dafür, dass andere über Ressourcen verfügen, die man selbst gerne hätte.
Noch im Dienst: Nachtkritiker Steffen Becker
© Steffen Becker
Nichts für Penner
Das raumlabor irritiert den Luxus-Kosmos aus der Perspektive der Mittelschicht. Eine Auseinandersetzung mit der Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich findet weniger statt. Es gibt zwar Apartments mit einer tieferen Geschichte – etwa die Erdhütte vor der Oper. Die Arbeiter, die diese Pracht vor Jahrhunderten schufen, hausten dafür in mit Moos überzogenen Kabuffs – was das "ShabbyShabby"-Projekt wieder ins Bewusstsein ruft. Foerster-Baldenius erzählt in diesem Zusammenhang von Gesprächen aus der Jury, in der auch Vertreter der Stadt saßen. Dort ist das Phänomen von "Waldmenschen" bekannt, die arbeiten, aber ohne genug Auskommen für eine Wohnung. Sie hausen wieder so wie ihre Vorfahren, die die Residenz erschufen. Aber das bleibt Randnotiz.
So wie der Obdachlose in der Unterführung mit Apartment. Die Bewohner trinken ihr Bier und genießen die parallel stattfindende Vernissage des Maximilianforums. Der Penner schläft. Für ihn kommt das Angebot eines Shabby Apartment ohnehin nicht in Frage. Fragt man Obdachlose am Bahnhof, erfährt man, dass eine Übernachtung im städtischen Asyl nur ein Fünftel kostet. Unser Apartment auf der Praterinsel ist aus Sicht der Straßenprofis eh ungünstig gewählt. Abends ist da niemand, ergo schläft man da nicht. Dazu braucht es belebte Orte, die das Risiko minimieren, ausgeraubt zu werden (bei "ShabbyShabby Apartments" gibt es allerdings auch Vorhängeschlösser und eine Sicherheitspatrouille).
Zu dieser Wirklichkeit haben die Apartments wenig Bezug. Spaß machen sie trotzdem. Als abgefahrene Übernachtungsalternative, entworfen und gebaut mit viel Liebe und witzigen Einfällen. Einen Diskurs über Architektur, Stadtsoziologie und Lebensqualität werden sie eher nicht auslösen. Wer unbedingt dauerhaft in München leben will, wird weiterhin zahlen und nicht im Yellow Submarine den Sound der Isar genießen.
ShabbyShabby Apartments
von raumlabor Berlin
bis 13.10. - 35 Euro, erm. 28 Euro pro 2-Personen-Apartment pro Nacht (inkl. Frühstück), Ermäßigungen gelten für IKEA FAMILY Mitglieder sowie alle anderen Ermäßigungsberechtigten.
raumlabor.net
www.muenchner-kammerspiele.de
Kritikenrundschau
Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (14.9.2015) hat sich Patrick Bahners auf ein Boot begeben und reflektiert nach einer weitestgehend ungestörten Nacht: "Von der allerhöchsten Dringlichkeit, die das Thema der Notunterbringungen bekommen hat, müssen Lilienthal und seine Leute nicht sprechen. Ohne didaktische Umbauten regen die aus Europaletten zusammengenagelten Nachtquartiere die politische Phantasie an." Die kritische Einschätzung steuert ein anderer Performanceteilnehmer bei: "Ein solches Schiff müsse auf jedem Platz aufgestellt werden, fordert mit bewegter Stimme und Gestalt gegen halb acht in der Früh der letzte Gast, der sich dankbar die Tür weisen ließ; für die Flüchtlingshilfe sei es das perfekte Symbol."
Von einem "möglicherweisen nutzlosen, tollkühnen, mindestens aber revolutionären" Experiment berichtet Gerhard Matzig in der Süddeutschen Zeitung (14.9.2015). Mit der Einmietung in eines der Appartements werde man zum "Teil einer Inszenierung, die man als Theaterkritiker vielleicht verreißen müsste; als Stadtmensch muss man sie sich wünschen. Zumal in München." In einem Brunnen nächtigend hat der Kritiker "in die Stadt hineingehört" wie "in einen Dschungel voller wilder Tiere. Sonst ist die Welt einem ja nicht so nah, sonst bleibt sie hinter dem Zaun in der Vorstadt weggesperrt." Konsequenz der Erfahrung: "Man kann sich die Welt auch anders vorstellen."
Für den Bayerischen Rundfunkt BR2 (14.9.2015, hier im Podcast) übernachteten Katharina Altemeier und Joana Ortmann im Fortuna-Brunnen und berichten im Gespräch mit Knut Cordsen von einer überraschend gemütlichen Behausung: "Die Stadt rückt einem auch akustisch ganz nah auf den Pelz." Viele Besucher*innen hätten sie in dieser Nacht am Brunnen getroffen. Die Journalistinnen stufen die Arbeit mithin als gelungenes soziales Experiment ein.
In der Münchner TZ (13.9.2015) stellt Matthias Bieber eine ganze Reihe der ShabbyShabby Apartments vor und urteilt im Anreißer zu seinem Bericht (dem auch ein Interview mit Matthias Lilienthal beigestellt ist): Das Projekt sei ein "Paukenschlag" und weise "ebenso witzig wie nachdenklich auf den Miet-Wahnsinn hin."
K. Erik Franzen erlebte einen "krassen Fall von Diskurswohnen", er berichtet darüber in der Frankfurter Rundschau (15.9.2015): wegen eines als Kunst getarnten Hammer-Spiels nebenan heißt seine Qual "Ich wache immer wieder auf, schlafe ein, wache auf". Die meisten Shabbyshabby Apartments orientierten sich an einer "prekären Paar-Struktur: zwei Matratzen auf engem Raum, kein Wasser, keine Toilette, kein Strom". Kein Komfort, aber "Erlebnisse". "Fremde und befreundete Menschen kommen", klopfen oder rufen, "möchten sich die Unterkunft ansehen". Ein "wenig abenteuerlich" sei das, manchmal beängstigend. Franzens Apartment ist vergleichsweise luxuriös, abschließbar, mit Strom, Stühlen und Besen. Die Anweisung der Kammerspiele laute, man solle Gäste empfangen, das geschieht. Vor der Türe mache sich derweil ein "Tango-Flashmob für die einsamen Stadtseelen" breit, "geredet wird hauptsächlich über zwei Themen: über bezahlbares Wohnen in München, das für viele immer schwieriger wird, und über die in München am Hauptbahnhof ankommenden Flüchtlinge". Die Kraft der Aktion liege in "ihrer kommunikativen Positionierung". Lilienthals Einstieg mit "Shabbyshabby" sei ein Eindringen in das "soziale Gewebe der Stadt". "Listig" habe er "die Münchner mit ins Boot gezogen".
"'Shabby Shabby Apartments' ist eine absurd-liebenswert-anarchische Aktion, eine gelungene Mischung aus DIY-Kunst, Weltverbesserungsidealismus, Zeltlager und Selbsterfahrung", schreibt Annette Walter zum Schluss ihrer Reportage über das "Stadtraumexperiment" in der taz (30.9.15). An den horrenden Mieten in Deutschlands teuerster Stadt und der häufig monatelangen Suche nach einer Wohnung werde das leider nichts ändern. Was "ShabbyShabby" aber wohl bewirke: "Wildfremde kommen miteinander ins Gespräch, Jung und Alt, Reich und Arm, Konservativ und Alternativ."
Presseschau vom 14. Oktober 2015
Scheitern an den eigenen Ansprüchen
München, 14. Oktober 2015. Künstlerisch sei das Projekt ShabbyShabby Apartments "genial", indem es "den Finger in die Wunde der Münchner Selbstgefälligkeit" lege, leitet Antonia Goldhammer ihren Beitrag für den Bayerischen Rundfunk (Bayern 2, 12.10.2015) ein. Damit habe sich der neu gestartete Kammerspiel-Intendant Matthias Lilienthal gleich zu Beginn "als sozial und gesellschaftskritisch" positioniert. Leider scheitere allerdings "an der Erfüllung seiner eigenen politischen Ansprüche". So wären die 120 Künstler, die die Apartments bei dem Projekt "ShabbyShabby Apartments" entworfen und gebaut haben, "unbezahlt beschäftigt" gewesen. Sie seien "als Ehrenamtliche verpflichtet" worden und hätten weder Aufwandsentschädigung noch Fahrtkosten erhalten.
Bedauerlicherweise sei außerdem der Sponsor Ikea "in der öffentlichen Darstellung" präsenter gewesen als diejenigen, die die Apartments geschaffen haben. "Künstlern, die notgedrungen dauernd unbezahlte Jobs annehmen, drohen Verarmung, soziale Selektion und letztlich Altersarmut. Übrigens alles Probleme, um die sich 'ShabbyShabby' dreht. An den Systemfehler 'Nichtbezahlung' aber, der im Kulturbetrieb gern 'Praktikum' oder 'Ehrenamt' genannt wird, hat man sich an fast allen Häusern gewöhnt." Und auch Medien und Publikum fragten nicht nach den Produktionsbedingungen.
Das Künstlercamp, in dem die "ShabbyShabby"-Künstler während der Aufbauzeit untergebracht waren, habe aus einem "Massenlager" aus "Europaletten und Matratzen" bestanden, das, auf einem Baugerüst befindlich und lediglich von einer Folie umgeben, keinen Schutz vor Kälte geboten hätte –"Davon wurden Künstler krank." Das sei vor allem "inkonsequent": "Die sozialen Missstände, die Lilienthal anprangert, führt er selbst mit herbei." Dabei könnte er es anders machen, "zum Beispiel, sich nicht mit unfinanzierbaren, nur durch Ausbeutung zu realisierenden Projekten zu übernehmen, sondern kleinere zu machen, die aber fair." Weniger "öffentlichkeitswirksam, aber dafür wirklich sozial" wäre es, "in einem Kulturbetrieb (...) Leistung, die erbracht wird, zu bezahlen."
(ape)
"Ist das richtig: Künstler arbeiten an @M_Kammerspiele unbezahlt, keine Reisen, keine Unterkunft?", fragte @PavelKrok1 am 15. Oktober via Twitter. Hier die Antwort-Tweets der Kammerspiele.
Antwort von Benjamin Foerster-Baldenius und Matthias Lilienthal
Wir haben für eine Atmosphäre gesorgt, in der es Spaß macht ...
München, 15. Oktober 2015. "Das Projekt Shabbyshabby Apartments spricht Studenten und junge Kollektive an, die nach einer Möglichkeit suchen, ihre Ideen umzusetzen und damit unzufrieden sind, wie Wohnarchitektur in der Öffentlichkeit und in der Fachwelt diskutiert und praktiziert wird. Ein Ideenwettbewerb sammelte Vorschläge, wie man in der Stadt München Wohnen anders verstehen kann. Im Anschluss boten raumlaborberlin und die Münchner Kammerspiele an, die Umsetzung in der Stadt möglich zu machen. Wir füllen so eine Lücke, die es in der Ausbildung zum Designer, Architekten oder Künstler gibt: das direkte Experimentieren in der Stadt. Die Leute vom raumlabor sind zudem selbst Architekten und wissen, wie schwer es ist, erste Arbeiten so zu platzieren, dass diese und die Haltung dahinter wahrgenommen werden.
Für die elf Tage der Umsetzung in München haben wir den Teams sowohl alles Material und Werkzeug zur Verfügung gestellt, als auch professionelle Unterstützung, beste Arbeitsbedingungen und Genehmigungen für alle Bauten. Uns war wichtig, dass man bei Shabbyshabby Apartments dazulernt: so gab es Vorträge zu Statik, Stadt und Produktionsbedingungen im öffentlichen Raum sowie künstlerische und szenische Beratung für alle Teilnehmer. Wir haben für eine Atmosphäre gesorgt, in der es Spaß machte zu arbeiten, in der sich Gleichdenkende kennenlernen konnten und neue Netzwerke entstanden. Deshalb gab es die Bar, tolles kostenloses veganes Essen und eine super lustige kostenlose Unterkunft. Eine Unterkunft, wie eine riesige Almhütte, mit Spaßbad und kollektivem Zähneputzen. Das war kein Hotel Vier Jahreszeiten, kein Motel One, keine Jugendherberge oder sonst eine sterile, lustlose Bettenburg, sondern ein Camp mitten in der Stadt neben der teuersten Straße Deutschlands. Und das in einer zwar nicht perfekten und gegen jedes Wetter gewappneten aber einzigartigen Architektur, gestaltet und gebaut von Architekturstudenten der TU München.
Dass die Künstler nicht genannt werden stimmt übrigens nicht, sowohl an den Apartments als auch auf unseren Websites, in den Videos von Arte creative und auch unter allen Fotos finden sich die Namen der Entwurfskollektive. Jeder Übernachtende bekam außerdem eine Informationsbroschüre mit den Namen überreicht."
Presseschau vom 17. Oktober 2015
Robin Hood als Sheriff von Nottingham?
"Hören sich so Geschundene an?" springt Gerhard Matzig für die Süddeutsche Zeitung (16.10.2015) Kammerspiel-Chef Matthias Lilienthal und Raumlabor-Macher Benjamin Förster-Baldenius zur Seite, und präsentiert einige O-Töne der "Elenden", also der unbezahlten Architekt*innen, die bei der Realisierung der ShabbyShabby-Apartments mitgewirkt haben: "Völlig lächerlich, absurd", findet einer die Vorürfe. Ein anderer sagt: "Alles war total okay." Sei "großartig" gewesen.
Auch aus der Ausschreibung wird zitiert, in der folgende Warnung schon enthalten gewesen sei: "im Fall, dass Ihr den Wettbewerb gewinnt, übernehmen Raumlabor und die Kammerspiele München Eure Kosten für Unterkunft, Verpflegung, Werkzeuge und Baumaterialien, aber keine Reisekosten." Hernach macht der SZ-Text eine Rechnung auf: Weil Matthias Lilienthal "sich gern (und gut auch im PR-Sinn) als Rächer der Entrechteten" inszeniere, als "Utopist einer besseren Welt", müsse der BR auf eine interessante Idee gekommen sein: "Was wäre, wenn sich Robin Hood als Sheriff von Nottingham entlarven ließe? Als jemand, der genau jenes Prekariat schafft, dem er im Theater eine Stimme gibt? Das wäre ja ein Skandal!" Im Bayrischen Rundfunk hatte Antonia Goldhammer vor einigen Tagen in einem Beitrag zuerst auf die Widersprüche des Projekts aufmerksam gemacht.
Matzig sieht ein großes Missverständnis sowie "die virtuelle Empörungsbereitschaft und Prangerkultur der Gegenwart" am Werk. Tatsache sei, so Matzig weiter: "Lilienthal arbeitet schon lange mit einem partizipativen, öffentlichen Format, dessen ausdrückliche Lowbudgethaftigkeit konstitutiv ist." Den Teilnehmern sei das bekannt gewesen, "sie willigen ein, sie sind ein Teil dieser Verabredung. Benjamin Foerster-Baldenius von Raumlabor sagt: 'Niemand hat sich je darüber beschwert. Niemand.'"
(sle)
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Theater ohne Schauspieler.
Ich hoffe, dass die weiteren Arbeiten weniger sarkastisch sind,
und dass Lilienthal endlich einmal beweist, dass er zu Unrecht aus der Volksbühne verdammt worden ist.
Und ich hätte mir mehr Mut vom Kritiker gewünscht, die Arbeit einzuordnen, zu bewerten, ein Urteil zu fällen. Kleine Fotos einer in lustigen Gefäßen verbrachten Nacht???
Wieso mehr Mut vom Kritiker? Hat er doch super eingeordnet.
Da fällt einem nichts mehr ein. Zynismus pur.
Auch ein Weg sich selbst abzuschaffen.
ich habe selbst mit einer Gruppe von Freunden und Kolleginnen ein shabby apartment entworfen (im März) und selbst in der letzten Woche vor Ort gebaut.
Die shabby apartments sind nicht alle nur "Wohnkapseln" es gibt auch einige, welche öffentliche Bereiche beinhalten, auf die Gegebenheiten der Nachbarschaften reagieren und einen Treffpunkt für Austausch / Aktion bieten. Es geht auch darum, gefundene Materialien weiter zu verwerten, welche sonst in den Müll wandern würden.
Ich persönlich kann nicht so richtig nachvollziehen, warum hier die mit dieser Aktion bezweckte Kritik an den hohen Miet-/ Wohnungspreisen und einem offeriertem Diskurs mit allen zum Thema "wie leben wir die Stadt" so kritisch gesehen wird? Dieser Diskurs kann doch einhergehen mit Themen wie "sollten alle öffentlichen Plätze für Flüchtlingsunterkünfte genutzte werden" und ähnliche Fragestellungen... Es geht nicht nur darum ein fancy-design-ding zu machen (auch wenn designer und Architekten nun mal dazu neigen zu designen nech)
Diese Arroganz von "erfolgreichen" Künstlern, festgefahren in ihrem persönlichem Luxus, pseudopolitisch sozial unterwegs, ist wirklich inzwischen unerträglich.
als ästhetische provokation im öffentlichen raum fand ich die hütten schon sehr interessant, aber ich bin dankbar, dass ich durch die reflexion hier im forum einen erheblich kritischeren blick darauf gewonnen habe.
so bleibt die aktion doch eher harmlos, konsumfreundlich und schicky statt shabby.
(Lieber Peter, wir haben gestern eine Anfrage an die Münchner Kammerspiele geschickt und warten auf Antwort. Herzliche Grüße aus der Redaktion, Esther Slevogt)
Die Fachpresse und die Hauptstattpresse haben diesen Menschen jahrelang gefeiert. Das jetzt der Bayrische Rundfunk (vielleicht als erstes Medium) einfach mal mit nüchterndem Blick die Perfidität der Angelegenheit beschreibt, ist eigentlich unglaublich. Ich hoffe sehr, daß der Beitrag Denkanstöße provoziert, die weit über die konkrete Aktion hinausgehen. Ich wage zu behaupten, dass die Vermischungen von "freier Szene" und institutionellem Theater, so wie sie in den letzten Jahren mit beinahe naiver Euphorie praktiziert wird, oft nicht funktioniert, nicht auf Qualität und Tiefe beruht, sondern auf einem oberflächlichen und manchmal lächerlichen Aktionismus. Der verkauft sich als politische Aktion, während gleichfalls die kleine politische Einheit der Theatermacher zerfällt. Und dafür ist diese Shabby-Aktion paradigmatisch.
(Liebe/r Stritter, noch keine Antwort – beste Grüße aus der Redaktion, Sophie Diesselhorst)
Es ist lächerlich, einen Kurator seiner Art ans Stadttheater zu holen, das in einem strukturellen, nicht in einem künstlerischen Reformstau steckt. Wir wollen dort die ungerechte Bezahlung der Künstler auflösen, und müssen nun mit ansehen, wie der Kurator den Keil der Ungerechtigkeit weiter in seine kleine Phantasiewelt treibt. Es ist ungeheuerlich.
Dazu gab es Workshops & Beratung. Organisation, Öffentlichkeitsarbeit & Beschaffung der Genehmigungen durch uns & raumlabor."
"Das Projekt Shabbyshabby Apartments spricht Studenten und junge Kollektive an, die nach einer Möglichkeit suchen, ihre Ideen umzusetzen und damit unzufrieden sind, wie Wohnarchitektur in der Öffentlichkeit und in der Fachwelt diskutiert und praktiziert wird. Ein Ideenwettbewerb sammelte Vorschläge, wie man in der Stadt München Wohnen anders verstehen kann. Im Anschluss boten raumlaborberlin und die Münchner Kammerspiele an, die Umsetzung in der Stadt möglich zu machen. Wir füllen so eine Lücke, die es in der Ausbildung zum Designer, Architekten oder Künstler gibt: das direkte Experimentieren in der Stadt. Die Leute vom raumlabor sind zudem selbst Architekten und wissen, wie schwer es ist, erste Arbeiten so zu platzieren, dass diese und die Haltung dahinter wahrgenommen werden.
Für die elf Tage der Umsetzung in München haben wir den Teams sowohl alles Material und Werkzeug zur Verfügung gestellt, als auch professionelle Unterstützung, beste Arbeitsbedingungen und Genehmigungen für alle Bauten. Uns war wichtig, dass man bei Shabbyshabby Apartments dazulernt: so gab es Vorträge zu Statik, Stadt und Produktionsbedingungen im öffentlichen Raum sowie künstlerische und szenische Beratung für alle Teilnehmer. Wir haben für eine Atmosphäre gesorgt, in der es Spaß machte zu arbeiten, in der sich Gleichdenkende kennenlernen konnten und neue Netzwerke entstanden. Deshalb gab es die Bar, tolles kostenloses veganes Essen und eine super lustige kostenlose Unterkunft. Eine Unterkunft, wie eine riesige Almhütte, mit Spaßbad und kollektivem Zähneputzen. Das war kein Hotel Vier Jahreszeiten, kein Motel One, keine Jugendherberge oder sonst eine sterile, lustlose Bettenburg, sondern ein Camp mitten in der Stadt neben der teuersten Straße Deutschlands. Und das in einer zwar nicht perfekten und gegen jedes Wetter gewappneten aber einzigartigen Architektur, gestaltet und gebaut von Architekturstudenten der TU München.
Dass die Künstler nicht genannt werden stimmt übrigens nicht, sowohl an den Apartments als auch auf unseren Websites, in den Videos von Arte creative und auch unter allen Fotos finden sich die Namen der Entwurfskollektive. Jeder Übernachtende bekam außerdem eine Informationsbroschüre mit den Namen überreicht."
Ebenso wurde mit A. Giesche zunächst einer von einigen (sehr fähigen!) Hausregisseuren verlautbart - ein Luxus den man sich mit gut augestattetem, städtischen Millonen-Budget leisten kann. Bei der nächstbesten externen Fördermöglichkeit wurde dieser dann als "Freie Szene" umdeklariert, um ihn und sein Team doch besser von der Kulturstiftung des Bundes bezahlen zu lassen. Damit wurde der eigentlichen Freien Szene ein bestens dotierter Posten vorenthalten.
Das ist dann wohl wirklich (kultur-)politisches Theater, nur leider kein gutes.
"Wir haben für eine Atmosphäre gesorgt, in der es Spaß machte zu arbeiten, in der sich Gleichdenkende kennenlernen konnten und neue Netzwerke entstanden. Deshalb gab es die Bar, tolles kostenloses veganes Essen und eine super lustige kostenlose Unterkunft. Eine Unterkunft, wie eine riesige Almhütte, mit Spaßbad und kollektivem Zähneputzen."
Und das sagt jemand, der eine sechsstellige Jahresgage bekommt?
Kein Sozialneid! Aber das ist zynisch.
(Werter Peter,
die Information erreichte uns auf unsere Anfrage per Mail von den Münchner Kammerspielen.
MfG, Georg Kasch / Redaktion)
@38 Kulturstiftung des Bundes ist ein interessanter Punkt, die hat doch auch Shabby Shabby gefördert? Gibt es von denen ein Statement oder kann man einsehen, wie viel Geld die (wofür?) bezuschusst haben und wie hoch die Gesamtausgaben waren?
(Werte(r) @Nachtkritik,
in der Mail der Kammerspiele heißt es zum Statement: "ein Text von Benjamin Foerster-Baldenius und Matthias Lilienthal".
MfG, Georg Kasch / Redaktion)
bitte geben Sie den jungen Menschen eine anständige Bezahlung.
Wir können Sie sonst nicht mehr ernst nehmen.
Wer auch immer diese Pressemitteilung geschrieben hat,
ist eine große Zynikerin oder muß noch mal nachsitzen.
Wir alle hier würden uns freuen, wenn Sie das Problem bald lösen.
Mit freundlichen Grüßen A. Perliger
Naja und das Statement macht's halt nicht besser - ich kenne wen, der mitgemacht hat und die Studierenden der TU die das Camp gebaut haben, wurden halt auch nicht bezahlt und das vegane Essen gabs einmal am Tag...
Natürlich gibt es Zusammenhänge in denen ein unbezahltes Praktikum kein Problem ist. Und die sind mittlerweile im MiLoG abschließend geregelt:
"§22 (...) Praktikantinnen und Praktikanten (...) gelten als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes, es sei denn, dass sie
1. ein Praktikum verpflichtend auf Grund einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung, einer hochschulrechtlichen Bestimmung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie leisten,
2. ein Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten,
3. ein Praktikum von bis zu drei Monaten begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung leisten, wenn nicht zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Ausbildenden bestanden hat, (...)
Praktikantin oder Praktikant ist unabhängig von der Bezeichnung des Rechtsverhältnisses, wer sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses für eine begrenzte Dauer zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung
auf eine berufliche Tätigkeit unterzieht, (...)."
Ich halte das für sinnvoll. Denn so wird die gern geübte Praxis verboten, jemanden als Hospitanten anzustellen (und nicht zu bezahlen) und ihn/sie die Arbeit der Assistenten machen zu lassen. Auch die gern gesehenen Kettenhospitanzen sind nicht mehr möglich und die furchtbaren (unbezahlten) Jahrespraktika in den Marketingabteilungen / Dramaturgien ebensowenig.
Aber hier geht es ja eigentlich nicht um Hospitanzen, sondern um sowas wie eine Residence. Und auch sowas lässt sich ordentlich organisieren, sei es über die beschriebenen Aufwandsentschädigungen (Tagegelder), Paten, Stipendien etc. Nur es muss eine Form der Anerkennung der geleistetetn Arbeit geben, die über einen feuchten Handschlag und "kollektives Zähneputzen" und eine Foto-Op mit dem Intendanten hinausgeht.
Aber bleiben wir fair. Die Kammerspiele sind jetzt aufgeflogen, aber ich bin mir sicher, dass fast jedes Festival und eine große Zahl der Theater ähnliche Beschäftigungsverhältnisse anbieten. Da hilft nur eins: Hinschauen, Benennen und die einen Rechtfertigung der Verantwortlichen verlangen.
Näher werden sie an eine Innenstadt-Adresse nicht herankommen, diese veganen Prekariats-Flexiblen die auf unbezahlbaren Bauplätzen Häuser aus Müll bauen.
Damit demaskiert der Kurator das ganze Projekt. So funktioniert Kapitalismus. Marktwert hat die Aktion in dem Fall nur für den Intendanten, den Kurator und die Social und Cultural Compliance Abteilung von IKEA - aber nicht die Künstler.
Ich stimme Langstrumpf zwar in allen Punkten zu und viele haben sich über die Münchner Doppelpass-Volte geärgert, aber fairerweise muss man wirklich sagen, dass die Doppelpass-Jury hier die Entscheidungen fällt. Lilienthal hat "nur gescheit gewirtschaftet". Das ist ein Unterschied. Und es gibt viele große gut ausgestattete Häuser, die diese Förderung bekommen haben. Außerdem ist Giesche zumindest in seiner Ästhetik im Gegensatz zu anderen geförderten Gruppen sicherlich kein Stadttheater, sondern sehr viel innovativer, auch wenn er in Bremen und kurz (vielleicht in der Vorbereitung) in München strukturell als "Hausregisseur" gehandhabt wurde. Besser als kein Doppelpass in München.
Und zu Lilienthal und Förster-Baldenius möchte man sagen:
NACHDENKEN - ENTSCHULDIGEN - HAUPT NEIGEN - AUFWANDSENTSCHÄDIGUNG NACHZAHLEN - NÄCHTES MAL BESSER MACHEN - FERTIG
Natürlich sind die Umständen an anderen Häusern auch nicht besser! Und natürlich ist ein Projekt in der Dimension der Teilnehmerzahl und im öffentlichen Raum, das sich darüber hinaus an junge Menschen in der "Ausbildung" (und sich als wertvoller Beitrag dazu versteht) adressiert dazu prädestiniert wenig bis gar nichts zu zahlen. Aber nicht mal die Reisekosten? Srsly?
Vor Jahren war ich Teil des Organisationskomitees eines kleinen studentischen Theaterfestivals. Wir alle haben ehrenamtlich gearbeitet, die eingeladenen internationalen Künstler (die sich ebenfalls bewerben mussten) haben bei uns zwar auch keine Gage erhalten, aber wir haben sie in richtigen Gebäuden untergebracht, sie verpflegt und tatsächlich ihre Reisekosten erstattet. Wieso sind die Kammerspiele nicht zu Leistungen in der Lage, die selbst ein kleines studentisches Theaterfestival erbringen kann?! Und unser Budget lag damals bei einem Bruchteil von den 300.000 € die von der SZ als Budget genannt werden.
Lilienthal und die Kammerspiele bekommen es jetzt voll ab. Natürlich wird da zu Beginn der Intendantentätigkeit schnell der Verdacht einer Kampagne wach. Aber wer das denkt, der macht es sich zu einfach. Oder er will, ob Profiteur oder nicht, den status quo möglichst erhalten. Tatsache ist doch, dass dies eben ein so krasser Fall ist, gerade weil hier Extreme aufeinander prallen: Lilienthals gesellschaftlicher Anspruch an seine Arbeit und sich selbst, die widrigen Umstände der Künstlerwertschätzung, München als Spielfeld, die Flüchtlingskrise, etc.
Dies bietet eine großartige Angriffsfläche und eben diese wurde vom BR (so überraschend es ist, dass dies vom konservativen BR und nicht von der eher linken Presse aufgegriffen wurde) genutzt. Ähnlich wie VW im Abgasskandal oder Armstrong im Doping: vermutlich tun es viele, aber hier wurde ein Prominenter erwischt.
Die Frage ist, was davon übrig bleibt: sollte die Kritik Lilienthal tatsächlich weh tun, so liegt es auch an ihm, ausbeuterische Umstände, die es in der deutschen Theaterlandschaft zweifelsohne gibt, zu thematisieren und zu ändern.
Es ist ja alles schon gesagt - die Subventionen für die Kammerspiele, das dämliche Ikea-Sponsoring, die Diskrepanz zwischen einem Intendantengehalt und der Ausbeutung des Fußvolks, die regelrecht peinliche neoliberal und ironisch daher kommende Erklärung... aber auch wenn alles gesagt ist, ist der Skandal zu groß, als dass man zur Tagesordnung übergehen dürfte.
Aber Matzig hat leider den Grund für die Kritik nicht verstanden ... Die Aussage: "Den Teilnehmern ist das bekannt, sie willigen ein, sie sind ein Teil dieser Verabredung." verdeutlicht das. Es gibt "Verabredungen", die offensichtlich nicht zwischen gleichberechtigten Partnern geschlossen werden. "Ich will deine Kreativitität, und ich biete dir dafür ein kollektives Zähneputzen." Das ist nicht wirklich ok. Außerhalb des Theaters nennt man das "sittenwidrig" - innerhalb des Theaters nennt man das ???
Kleiner Versuch einer Rechnung mit Schätzungen:
Materialkosten: 6.000 EUR (250x24)
Werkzeug / Transporte / Genehmigungen: 20.000 EUR (großzügig geschätzt)
Verpflegung: 15.000 EUR (großzügig geschätzt für 1x veganes Essen am Tag)
Bau/Betrieb "Camp": 50.000 EUR (großzügig geschätzt für Matratzen und Europaletten)
Betrieb "Bar": 10.000 EUR (5 Leute * 12 Stunden * 12 Tage * 8,5 EUR + Nebenkosten)
Das wären dann bis hierher: 101 TEUR ... (was habe ich vergessen???)
Wenn das Gesamtbudget wirkl. 300 TEUR betrug, bleiben also 2/3 noch für alles andere, aber was war das?
Das Rahmenprogramm kann so teuer nicht gewesen sein (vor allem Stadtführungen und Podiumsdiskussionen). Marketing? Gagen/Honorare?
Aber wahrscheinlich sind ist das Stellen dieser Frage auch Teil einer Kampagne, bzw. Ausdruck meiner "virtuelle(n) Empörungsbereitschaft".
Noch ein Hinweis: wenn 300 TEUR für ein Projekt Ausdruck der "Lowbudgethaftigkeit" (ist das eigentlich ein Wort?) sind, kann ich Matzig wirklich nur attestieren, dass er keine Ahnung von Theater hat.
Zahlen würden insgesamt der ganzen Diskussion um Bezahlung / Nichtbezahlung, auch an anderen Häusern, gut tun. Lächerlicherweise ist es ja quasi die öffentliche Hand, die einerseits etablierte Künstler und gewerkschaftlich-organisierte Mitarbeiter relativ gut, andererseits den Nachwuchs und die künstlerische Mittel- und Unterschicht relativ schlecht bezahlt. Die sozialdemokratische Initiative eines Mindestlohns hat sicherlich in vielen Theatern zu größeren Herausforderungen bei der Abrechnung von Praktikanten, Hospitanten, etc. geführt. Wenn nicht gleichzeitig die Banner von Kapitalismus- und Neoliberalismus-Kritik stramm wehen würden, wäre das noch irgendwie zu ertragen. Mit Primark und Kinderhand-genähten Fußbällen kommen wir ja auch klar. So aber eher nicht. Schön, daß die SZ ebenfalls Stellung bezieht.
Das BR-Stück is ein Kommentar, ein Meinungsbeitrag (in der Sendung als solcher angekündigt) Da gehts aus journalistischer, medienrechtlicher Sicht die Meinung des Autors. Nicht um die Meinung Beteiligter.
Und die im Text genannten Fakten (Keine Bezahlung von 120 Leuten, das Camp und Lilienthals Anspruch) sind ja von den Kammerspielen in deren Antwort sogar bestätigt worden - das geht medienrechtlich also alles durch. (der Hinweis der Kammerspiele und der SZ, die Künstler seien erwähnt worden, ist nebenbei keine Berichtigung des Kommentars, der sagt nämlich nur, Ikea sei "präsenter" gewesen und nicht, keiner sei erwähnt worden...)
Was mir bloss nicht einleuchtet: warum kommt in jeder Debatte ein - sagen wir mal - inkonsequenter Reformer, der in den Strukturen festhängt, die er zu ändern vorgibt, soviel schlechter weg, als ein sich wegduckender Zyniker, der alles (schlimmstmöglich) beim alten belässt. An der Doppelmoral allein kann das nicht liegen, eher an der im Raum stehenden Unverschämtheit, dass der eine offenkudnige Fehltritt nachher noch das ganze System erodieren lassen könnte. Diesen Fehler macht der zynische Duckmäuser alias Intendantenmanager, wie er allerorten an den großen Häusern regiert, nämlich nicht.
Ich würde mir einen ähnlichen Aufschrei wie dem hier wünschen, und zwar über das im konkreten Umgang weitaus miesere Verhalten diverser Spitzenintendanten ihren Untergebenen gegenüber. Oder bezüglich der Vermietung von durch Steuergeldern subventionierten Produktionen zu Schleuderkonditionen an Firmenevents, so etwa gängige Praxis unter O. Reese am Schauspiel Frankfurt. Genau analysiert hat das S. Kirsch in Theater der Zeit: "Sekt in der Panoramabar" (TdZ 09/2015). Vom satten Reingewinn dieser tatsächlichen Eventbuden (bald am BE!) dürften weder die unbezahlten Praktikant*innen noch die Schauspieler*innen was sehen.
Wie? Das gehört nicht zur Debatte? Ganz was anderes? So machen es doch alle? Nein, wenn man einmal mit Systemkritik anfängt, kann man eben nicht beim Business-as-usual inklusive Premierenumtrunk wieder die Klappe halten. Aber dass eben die traute Gewohnheit hier einigen der Komentator*innen dann doch so lieb ist, dass sie diese trotz lautstarken Echauffierens über ShabbyShabby/Lilienthal nicht opfern wollen würden, wird schnell ersichtlich.
Wer die Debatte außerhalb von Nachtkritik und über die Kammerspiele hinaus weiterführen will, der sollte sich an Kommentar #51 halten: "Hinschauen, Benennen und [...] Rechtfertigung der Verantwortlichen verlangen." Lilienthal steht nach wie vor in der Bring- und Zahlschuld, aber es wäre lächerlich, ihn angesichts der herrschenden Verhältnisse als Einzigen in die Mangel zu nehmen.
(Hinweis der Redaktion: Hier der Link zum Text von Jan Fleischhauer: www.spiegel.de/politik/deutschland/lob-der-monarchie-kolumne-von-jan-fleischhauer-a-1028453.html)
Habe eben eine öffentliche Ausschreibung für eine Theater-Hospitanz eines rennomierten Hauses gelesen: 300 Euro gesamt für zwei Monate Vollzeitarbeit. Mit genau bezifferten Arbeitszeiten.
Apropos wehren - es gibt keine Berufs-Vertretung für diese gesetzlos Beschäftigten. Das ist der Sinn von
Hier geht es ja eigentlich um etwas anderes, aber nun gut.
Es ist ganz praktisch, dass im NV-Bühne für die Beschäftigten in der Tarifgruppe SOLO (Darsteller, Assistenten, Dramaturgen etc.) die wöchentliche Arbeitszeit nicht festgelegt ist. In §5 heißt es "Die Arbeitszeit ergibt sich aus der Dauer der Proben und der Aufführungen oder der Ausübung der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit." (Das ist klasse, oder?)
Das bedeutet, dass für diese Mitarbeiter allein das Arbeitszeitgesetz gilt. Und damit ist es in Aussnahmefällen möglich ein Wochenarbeitszeit von 70 Stunden zu erreichen. Eigentlich ist eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden vorgeschrieben, allerdings kann sie auf 10 Stunden am Tag verlängert werden, sofern im Durchschnitt von sechs Monaten die acht Stunden nicht überschritten werden. Natürlich überprüft das niemand ...
Es ist außerdem möglich einen Mitarbeiter 19 Tage ohne Unterbrechung zu beschäftigen (Arbeit an einem Sonntag muss in den auf diesen Sonntag folgenden 14 Tagen ausgeglichen werden) ... Arbeit an einem Feiertag innerhalb der folgenden acht Wochen. Außerdem: die acht "festen freien Tage" im NV-Bühne dienen dem Ausgleich von Sonn- und Feiertagsarbeit.
Eine tägliche Arbeitszeit von mehr als zehn Stunden ist nicht zulässig. Allerdings vorsicht: Pausenzeit ist ungleich Arbeitszeit. Vier halbe Stunden Stunden Pause erhöhen die Anwesenheitszeit im Betrieb auf 12 Stunden ...
Nebenbei: Kein Arbeitgeber darf eine längere Arbeit anordnen. Falls ein Mitarbeiter "selbst entscheidet" länger zu bleiben ...
Noch eine Kleinigkeit, die gern vergessen wird: Der Sonnabend ist ein Werktag. Eine sechs-Tage-Woche ist völlig unproblematisch: 48 Wochenstunden sind ohnehin die Regel im Theater.
Die schönste Bestimmung gilt übrigens für leitende Angestellte: Für sie findet das Arbeitszeitgesetz gar keine Anwendung - (und mit ganz ganz wenig argumentativer Verrenkung ist jeder Dramaturg ein leitender Angestellter. vgl. §18 ArbZG iVm §5 BetrVG)
@78
Auch für Praktikanten gilt das Arbeitszeitgesetz nutzt aber nicht viel, s.o.
Damit wären wir mal wieder beim Unvermögen des NV-Bühne, die Interessen der Beschäftigten zu wahren.
Das Problem ist eher der Wille zur Durchsetzung dieser Ansprüche.
Und deshalb gilt auch: Da § 3 Satz 2 ArbZG eine vorübergehende Verlängerung der werktäglichen Arbeitszeit auf bis zu zehn Stunden erlaubt, ist ausnahmsweise eine Arbeitswoche von (6 x 10 =) 60 Stunden erlaubt. Voraussetzung ist hier allerdings wie schon erwähnt, dass innerhalb des gesetzlichen Ausgleichszeitraums (sechs Kalendermonate oder 24 Wochen) im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.
Da ich selber nicht an Theatern arbeite habe ich leicht reden. Dennoch: shit or get off the pot.
Definitiv nicht, ein Dramaturg ist kein leitender Angestellter, nicht einmal ein Chefdramturg. Der Intendant und der Verwaltungsdirektor sind es.
Über die Dokumentationspflicht der Arbeitszeiten für NV Bühne wurde bereits viel gerechtet. Es gilt der aktuelle Tagesplan als Dokumentation der täglichen Arbeitszeit. Wenn eine Kritik nach der Probenzeit angesetzt wird oder eine "freiwillige" Probe am Sonntag, die dem Arbeitszeitgesetz widerspricht, schenkt der Schauspieler oder Assistent dem Theater Zeit, die er ihm nicht schenken müßte.
Den KBB und den jüngeren Regisseuren fehlen oft die banalsten rechtlichen Kenntnisse und einigen Intendanten die Empathie für Ihre Künstler.
Natürlich lässt sich die Tätigkeit eines Dramaturgen so beschrieben werden, dass sie leitenden Angestellte sind: gem. §5 (3) Satz 3: "(Leitender Angestellter ist, wer) regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebs von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt, wenn er dabei entweder die Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflusst; dies kann auch bei Vorgaben insbesondere auf Grund von Rechtsvorschriften, Plänen oder Richtlinien sowie bei Zusammenarbeit mit anderen leitenden Angestellten gegeben sein."
Ich bin übrigens nicht der Meinung, dass man dieser Argumentation folgen sollte. Und natürlich ist die Behauptung, dass die Tagespläne die Arbeitszeit von Dramaturgen oder Assistenten dokumentierten schlicht eine (gelungene) Täuschung.
Aus Ihrem Post ist das Missverständnis zu lesen, dass nur die Geschäftsführer leitende Angestellte seien, das ist nicht der Fall.
@80
Stimmt alles. Ich dachte das auch so geschrieben zu haben. Und sorry, mir ist ein Fehler unterlaufen, denn an Sonntagen ist die Verlängerung auf 10 Stunden nicht zulässig. Also können es max. 68 Stunden werden.
Auch hier ist natürlich die Krux: Arbeitszeiten werden nicht, bzw. nur unzureichend dokumentiert.
www.muenchner-kammerspiele.de/bar
Ein ernstgemeinter Recherchewunsch an nachtkritik.de: Herauszufinden, was die Studenten dabei verdienen. Oder ob es auch wieder l'art pour l'art ist bzw. ihnen die Möglichkeit gegeben wird, sich schon mal auf eine Zukunft in der brotlosen Kunst vorzubereiten und mit einer "Arbeitsprobe" als Barkeeper vielleicht auf sich aufmerksam zu machen...
(Lieber Salvan, wir haben die kritische Diskussion um die Shabby Shabby Apartments seinerzeit aufgenommen, nachgefragt, und die Antwort der Kammerspiele ist ja in der obigen Stellungnahme auch wiedergegeben. Wir verstehen, dass es ein berechtigtes Interesse gibt, die Arbeitsbedingungen der Theater und eben hier der Kammerspiele weiter auch im Detail kritisch zu beleuchten. Aber leider fehlen uns für eine ganze Reihe von Recherchen zu diesem Komplex die Kapazitäten. Die Arbeit der Kammerspiele haben wir abseits unserer Rezensionen und der kulturpolitischen Berichte etwa auch in Bezug auf die Freie Szene Münchens diskutiert (siehe: bit.ly/2SUlH57). Ob es noch einmal eine Schlusseinschätzung der Gesamtleistung dieses exponierten Hauses unter Matthias Lilienthal geben wird, werden wir diskutieren. Eigentlich machen wir solche Resümees eher nicht. Aber Ihren Anstoß nehmen wir gern auf und bedenken ihn. Herzliche Grüße aus der Redaktion, Christian Rakow)