Auf zum Himmelfahrtskommando!

von Christian Rakow

Berlin, 12. September 2015. Tuschelei im Parkett, Reihe 14: "Ich glaube, ich geh, das ist jetzt über zwei Stunden, ich werd' langsam bekloppt." – "Nach zwei Stunden sollte eigentlich Pause sein." – "Das ist hier Warten auf Godot." Wenn die besten Pointen eines Abends im Zuschauerraum fallen, dann muss oben auf der Bühne etwas gehörig schief laufen. Oben, wo sie gerade eine Hochzeit mit Büchsenbier feiern und Karla Sengteller als Vorstadtgirlie in gedämpfter Feierlaune wie aufs Stichwort sagt: "Man geduldet sich gern, solange es Bier gibt." Kein Satz von Brecht. Schade eigentlich.

Machen wir es kurz, schon weil der Abend nach der dann doch gewährten Pause noch satte zwei Stunden weiterging: Regisseur Leander Haußmann ist zurück am Theater, was eigentlich ein Segen ist. Viele Jahre hatte er die deutsche Kinokomödie erlöst und zuletzt mit dem Trashjuwel Haialarm am Müggelsee den Beweis angetreten, dass auch im knietiefen deutschen Binnensee ein trockener britischer Humor zu fischen ist. Das Berliner Ensemble hat Haußmann in den letzten zwei Spielzeiten mit seinen choreographisch furiosen, spielwitzigen Klassikerdeutungen Hamlet und Woyzeck aus seinem Dornröschenschlaf geküsst.

Ersehnter Befreier

Fehlte nur noch, dass er nun mit "Der gute Mensch von Sezuan" den Hausgeist Bertolt Brecht aus seiner Untotenunruhe befreite, zu der Veteranenabende wie Furcht und Elend des Dritten Reiches (Regie: Manfred Karge) ihn letzthin verdammt hatten. Dass Haußmann dafür allemal das Herz am rechten Regierüpelfleck hat, bezeugte er im Februar, als er im "Baal"-Urheberrechtsstreit wacker Partei für seinen alten Weggefährten Frank Castorf gegen die Werktreue-Ansprüche der Brecht-Erben ergriff: "Warum darf der Autor nicht tot sein, da auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, und warum darf er auf der Bühne nicht leben, indem er sich ständig erneuern und befragen lässt?", schrieb er damals in der Tageszeitung Die Welt. Er schrieb auch, dass Brecht "zu inszenieren einem Himmelfahrtskommando gleichkommt". Oh düstere Vorahnung! Jetzt also Himmelfahrtskommando, Kamikazeflug, nicht in den Theatertod, aber doch zur Bruchlandung.

Sezuan1 560 Lucie Jansch u Matthias Mosbach, Antonia Bill  © Lucie Jansch

Weisheit perdu

Dem Abend fehlt praktisch alles, was Haußmann auszeichnet. Schnoddriger Witz (ausgenommen Norbert Stöß als abgerissener Wasserträger Wang und Traute Hoess als kantige Frau von Nebenan), freie Improvisation, Tempo, tänzerische Leichtigkeit. Stattdessen klappert man die längliche Parabel ab, deren Quintessenz locker in ein paar Faustformeln aufgehen würde: "Gib Leuten den kleinen Finger und sie nehmen die ganze Hand", lernt "die gute" Shen Te, als sie vom Geld der Götter einen Tabakladen erwirbt, der sogleich die Nachbarschaft wie Schmeißfliegen anzieht. "Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht" wäre das Credo, mit dem sich Shen Te bald in der Verkleidung als "böser" Vetter Shui Ta den Armen und Gierigen erwehrt. Dass man sich besser nicht in einen Hallodri verlieben sollte, der als Flieger in den Himmel aufsteigen will, erfährt sie auch noch auf dem Lehrpfad. "Drum prüfe, wer sich ewig bindet...". Wahrlich, es steckt Weisheit in dem Werk.

Es ist die Weisheit einer Zeit, als sittliche und ökonomische Werte irgendwie konträr gesehen wurden. Wenn Vetter Shui Ta eine Fabrik aufmacht, muss er sogleich den herzlosen Ausbeuter geben. Dabei hat, historisch gesehen, die Schaffung von Arbeitsplätzen ethischen Fortschritt nun wirklich ermöglicht. Haußmann interessiert sich für das Unzeitgemäße des Brechtschen Gefüges ebenso wenig wie seine Akteure. Antonia Bill gluckst anfangs noch ironisch das Gutherzige ihrer Shen Te heraus, ehe sie sich bald forsch ins schwarzweiß schematisierte Rollenbild hineinspielt: mit beherztem Griff in den Schritt (vulgo "Sackkraulen") als Vetter Shui Ta, mit weinerlicher Weichheit als verzückte Shen Te. Matthias Mosbach gockelt ihren geliebten Flieger so wacker auf die Bretter, dass man meint, Sezuan müsse für ihn auf Capri liegen. Gern greift er zur Klampfe; mitunter erspart auch chinesische Popmusik das Gesäusel oder den Paul Dessau.

Sezuan3 560 Lucie Jansch u Karla Sengteller, Anke Engelsmann, Antonia Bill, Roman Kaminski, Luca Schaub, Detlef Lutz
© Lucie Jansch

Bankrott ausgeschlossen

Um die Helden herum hat Haußmann eine bunte Vorstadt-Nachbarschaft im Lichtkegel von Grenzlaternen angelegt, wie in seinem Brussig-Film Sonnenallee. Aber anders als der Film hat Brecht leider nicht genug Futter für kauzige Typen. Da wären Fremdtexte oder Probenimprovisationen vonnöten gewesen. Mal zwängen sich die Schmarotzer um die baumlange Anke Engelsmann in einen winzigen Glas-Bungalow, der als Tabakladen fungiert (Bühne von Künstler Via Lewandowski). Dann kugelt sich Michael Kinkel als wonniger Polizist herein. Mehr "Sonnenallee"-Feeling ist nicht.

Ginge es in all dem wie für die Heldin Shen Te wirklich um Mitgefühl und Mitleid, dann müsste die Brecht Erben GmbH (jetzt unter neuer Leitung) erlauben, dass Haußmann wenigstens 90 Minuten aus diesem Abend rauskürzt. Überhaupt gehört dieses Parabelstück für die gymnasiale Oberstufe dringend auf den Prüfstand beziehungsweise in die ungebundene Hand eigenmächtiger Regiekünstler*innen. Begnadete Köpfe wie Friederike Heller vor einigen Jahren an der Schaubühne sind mit "Sezuan" schon mächtig gestrandet. An den Regisseur*innen liegt es am allerwenigsten.

"Wir können es uns leider nicht verhehlen: Wir sind bankrott, wenn Sie uns nicht empfehlen!", heißt es im legendären Epilog ans Publikum. Einzige gute Nachricht aus dem Berliner Ensemble: Der Bankrott dieser Unternehmung ist praktisch ausgeschlossen. Schon der auch heute wie stets am BE vehemente Schlussapplaus lässt erahnen: Ein Brecht am Schiffbauerdamm, das ist wie "Dinner for one" am Neujahrsabend, oder das Vaterunser in der Kirche. Muss einfach.

 

Der gute Mensch von Sezuan
Parabelstück von Bertolt Brecht
Musik: Paul Dessau
Regie: Leander Haußmann, Bühne: Via Lewandowsky, Kostüme: Janina Brinkmann, Musikalische Leitung: Tobias Schwencke, Dramaturgie: Steffen Sünkel, Licht: Ulrich Eh.
Mit: Antonia Bill, Norbert Stöß, Traute Hoess, Swetlana Schönfeld, Ursula Höpfner-Tabori, Matthias Mosbach, Anke Engelsmann, Detlef Lutz, Luca Schaub, Marko Schmidt, Karla Sengteller, Roman Kaminski, Peter Luppa, Felix Tittel, Michael Kinkel, Axel Werner, Claudia Burckhardt, Boris Jacoby, Gerd Kunath, Marvin Schulze und Oliver Gabbert, Marcus Hahn, Raik Hampel, Franz Jarkowski.
Dauer: 3 Stunden 50 Minuten, eine Pause

www.berliner-ensemble.de

 

Kritikenrundschau

Ein schwer enttäuschter Bernhard Doppler schreibt auf der Website von Deutschlandradio Kultur (12.9.2015), zwar gelinge es Haußmann, "viel Spiellust bei seinen Schauspielern herauszulocken", doch "das Stück" ziehe sich "fast schon qualvoll". Haußmann lasse Brechts Werk "ungeschoren", mache aber eine "rührselig-sentimentale Berlin-Operette" daraus. Die sehr theaterwirksame Titelrolle meistere Antonia Bill "bewunderswert", am "berührendsten" wenn sie singe. Doch würden "Kalauer und Pointen" bis zum Überdruss wiederholt, die saloppe Wendungen ermüdeten. Trotz der eindrucksvollen Bühnenbildinstallation von Via Lewandowsky stellten sich "poetische naive Momente" nur selten ein.

Es werde viel Bier getrunken, geraucht, gestolpert, gesungen, "es ist, als wäre die Welt nichts als eine Farce, als gäbe es nichts zu entscheiden, nichts zu lernen, nichts zu tun", so Dirk Pilz in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau (14.9.2015). Herausgekommen sei eine Inszenierung ohne jeden politischen Biss. Dialektik lebe hier nicht hoch, "sie ist abgeschafft". Haußmanns "Sezuan" wirke, als wolle er den Spaßerfolg von "Sonnenallee" wiederholen. "Es ist ein einziger Krampf. Zäh, langweilig."

In dem Ausmaß hätte man nicht damit gerechnet, dass Haußmann zum "Guten Menschen" einfach gar nichts einfalle, schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (14.9.2015). "In überraschender Biederkeit zieht sich die bühnenbildlich vom Künstler Via Lewandowsky illustrierte Story über knappe vier Stunden dahin." Und weiter kritisch: "Dass sich der Regisseur nicht entscheiden kann, ob er den Plot karikieren oder auf ein rührseliges Girl-meets-Boy- und-wird-verarscht- Melodram herunterbrechen soll, ist da im Grunde auch egal: So oder so entstammen die Inszenierungsmittel dem tiefen Griff in die Mottenkiste."

"Der Aufwand einer sich mühsam über vier Stunden ziehenden Inszenierung wäre nicht unbedingt nötig gewesen", findet Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (14.9.2015). Biedere Witze wollen den Abend so fürchterlich bemüht wie vergeblich auflockern und so erst recht seine schwerfällige Kitsch-Seligkeit vorführen. "Ehrlicherweise baut Haußmann irgendwann nur noch Operetten-Tableaus mit einem vor buntem Himmel schwebendem Flieger, einem possierlich choreografierten Chor der Armen und Entrechteten, tanzenden Straßenlaternen und einer überdimensionalen, stoisch ins Publikum winkenden, goldenen chinesischen Glückskatze wie aus dem China-Restaurant."

 

Kommentare  
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Dialektik des Kassenschlagers
Stimmt. Selten so gelangweilt bei Haußmann. Und trotzdem wird das ein Kassenschlager am BE. Das ist Peymann'sche Dialektik.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Korrektur
Sehr geehrter Herr Rakow, der Satz von Karla Sengteller, von dem Sie behaupten er sei nicht von Brecht, ist von Brecht. Nur der Ordnung halber. mit freundlichen Grüssen Leander Haußmann
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: In welcher Welt leben Sie?
"Es ist die Weisheit einer Zeit, als sittliche und ökonomische Werte irgendwie konträr gesehen wurden. Wenn Vetter Shui Ta eine Fabrik aufmacht, muss er sogleich den herzlosen Ausbeuter geben. Dabei hat, historisch gesehen, die Schaffung von Arbeitsplätzen ethischen Fortschritt nun wirklich ermöglicht."

Lieber Herr Rakow - in welcher Welt leben Sie? Wieviele Arbeitslose, Niedriglohnempfänger, Aufstocker, arme, hungernde, abhängige Menschen muß es noch geben, bevor auch Sie einsehen, daß "die Schaffung von Arbeitsplätzen" für diejenigen, die auf den Arbeitsplätzen schaffen, alles andere als "ethischen Fortschritt" bedeutet? Brechts Stück ist hochaktuell. Im Übrigen verweise ich auf meinen kleinen Nachruf zum Tod von Barbara Brecht-Schall.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Wein statt Dosenbier
Wenn Sie jetzt schon den Brecht-Erben raushängen lassen müssen, dann bitte Wein, Herr Haußmann. "Man geduldet sich gern, solange es Wein gibt." Nicht Dosenbier.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Weltsicht
@3. Lieber Frank-Patrick Steckel, ich dächte doch in der gleichen Welt wie Sie. Nur interpretieren wir sie in diesem Punkt offenbar unterschiedlich.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: nochmal OXFAM-Bericht zitieren?
"Nicht interpretieren, verändern", wie der, äh, na, der Dings, der Kumpel von dem Wuppertaler Fabrikantensohn, der aus Trier, na, Sie wissen schon, irgendwo von der Welt sagt. Und "die Weisheit einer Zeit, als sittliche und ökonomische Werte irgendwie konträr gesehen wurden", also irgendwie ist mir so, als wäre die Zeit doch nicht so komplett vorbei, wie Sie uns glauben machen wollen, lieber Herr Rakow, im Jejenteil. Muß ich den Oxfam-Bericht nochmal zitieren?
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: über Schreibtischrand schauen, bitte
Soso...sittliche und ökonomische Werte laufen sich heute also nicht mehr zuwider? Da war ich wohl mal kurz draußen.
Gucken Sie sich vieleicht mal ein wenig außerhalb Ihrer Schreibtischwelt um. Sie werden aus dem staunen nicht herauskommen, Herr Rakow. Befragen Sie dazu vielleicht mal eine Näherin in Bangladesh, einen Fließbandarbeiter im heutigen China oder auch nur den Fleischzerteiler in deutscher Leiharbeit um die Ecke. Der reinste Ethikerlebnispark!
Brechts Stück unterstellen Sie mäßigen Erkenntnisgewinn? Dann erstmal vielen Dank für Ihre tiefen und differenzierten Einsichten in die Ursachen der Lebensverhältnisse auf dieser Welt!
Durch das hineininterpretieren englischen Humors in die schlichte Typenkomödie "Haialram am Müggelsee" beleidigen Sie zudem ein ganzes Inselvolk (dem ich angehöre, btw). Konzilliant formuliert: Da hat der Kollege Haußmann schon weitaus bessere Filme gemacht!
Er hat gestern jedoch eines grandios bis genial geschafft: Er hat dieses hochaktuelle Stück auf die Höhe der Zeit gebracht, ohne es zu verfälschen, zu verbiegen oder textlich aufpeppen zu müssen. Chapeau! Mehr Haußmann am Theater bitte! Er hat fantastische Hauptdarsteller zu bisher nicht gesehenen Höhen getragen und Luft in diesen sperrigen Klassiker der Moderne gelassen.
Davon vielleicht etwas zu viel - da stimme ich mit Ihnen überein. Eine Stunde weniger wäre auch genug gewesen.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: solche Kritik schwächt das Theater
Ich kenne die Vorstellung gar nicht - und trotzdem stört mich die herablassende Haltung der Rezension, in politischer Hinsicht (siehe den Einwand von Steckel), in der Herabwürdigung älterer, historisch zu erklärender Inszenierungen bzw. lebender Traditionalisten und in dem respektlosen Frozzeln über das Stück selbst und seinen Autor.
Nicht nur misslungene Inszenierungen schwächen das Theatersystem, auch diese Art von Theater-Diskurs. Wenn der thüringische Kultur-Minister und der Präsident des thüringischen Rechnungshofes solche Kritiken lesen, bestätigt sie das nur in ihren Schließungsphantasien und Streichungsorgien. Ich wage mal den Gedanken, dass auch einmal das Berliner Ensemble geschlossen werden könnte, wenn solch ein Schicksal schon der Oper in Weimar droht. Wenn das Theater und die Autoren Ihnen als Kritiker und Ihnen nahestehenden Regisseuren nichts mehr zu sagen haben - lassen Sie es doch hinter sich. Aber achten Sie mehr auf Ihre Worte. Vielleicht sind sie dabei, etwas zu zerstören, was sie möglicherweise zu heiß lieben. Übrigens schadt es auch Jugendlichen am Gymnasium nicht, sich mit der Dialektik der Güte auseinanderzusetzen, gerade in unseren Tagen. I
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: wirtschaftlicher Fortschritt
@6. Lieber Frank-Patrick Steckel, aber dass wirtschaftlicher Fortschritt sinkende Kriminalitätsraten, höhere Bildung etc. produziert, gehört doch nun fast schon in den Bereich der Binsenweisheit. Womit nicht gesagt sein soll, dass sich an der institutionellen Verfassung der Märkte wie der Betriebe nichts zu verbessern wäre. Und wenn wir hier schon Lektüreempfehlungen austauschen, dann lautet meine: Steven Pinker: Gewalt.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: der nächste Haußmann
@7: Juhuu, im Dezember schon gibt's die nächste Premiere von Haußmann am BE ("Sommergäste")!
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: schülerunfreundliche Zeiten
Nur schade, dass ich nicht mit der Schulklasse hineingehen kann. Wenn um 23:20Uhr Schluss ist mit der Vorstellung, wird mein Schulleiter wohl keine Erlaubnis erteilen...
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: keineswegs unzeitgemäß
Lieber Herr Rakow -

das Bedenkliche ist, daß Sie den Brecht in die eigens dazu mitgebrachte Pfanne hauen wollen, indem Sie sein Stück als „unzeitgemäß“ bezeichnen, und das zu einer Zeit, in der die im Stück entwickelten Widerspruchszusammenhänge (spätestens seit 1989) klarer vor Augen stehen als je zuvor. „Der Feind wird zum zahlenden Kunden. Die gesamte Europäische Union, die als Wirtschaftsgemeinschaft demokratischer Staaten begann, ist auf diesem Gedanken aufgebaut...“ sagt Prof. Pinker in einem Interview (SPIEGEL 42/2011). Na, großartig! Und wenn der Kunde nicht zahlen kann, dann ist er eben wieder der Feind, Demokratie hin oder her, wie das Beispiel Hellas zeigt. Dieses Beispiel belegt doch mehr als deutlich, daß von einem “ethischen Fortschritt“ als direkter Folge wirtschaftlicher Entwicklung keine Rede sein kann, solange diese Entwicklung selbst von allen nur denkbaren Symptomen nackter Gewalt durchsetzt ist. Das wirtschaftlich entwickeltste Land Europas führt sich auf wie ein Straßengangster. Der Gutmensch A.M., Deckname "Mutti", hat derzeit reichlich Armeleutebesuch in seinem bundesdeutschen Tabakladen, kündigt aber schon mal vorsorglich an, daß „Wirtschaftsflüchtlinge“ nicht bleiben könnten - da tritt wer gleichzeitig als Gut- wie als Bösmensch an! Das ist natürlich auch eine Variante... da können dann die zu 60% arbeitslosen Jugendlichen Griechenlands, trotz ihres Visums, die Badehosen gleich anbehalten! Kurz, wie man es auch dreht und wendet, es ist dem Brecht seine Aktualität immer noch nicht auszutreiben, leider, leider, easy rider. Sie sind aber mit Ihren diesbezüglichen Bemühungen nicht allein, lieber Herr Rakow. In der zweiten Brechtrezension des Wochenendes (DREIGROSCHENOPER, Hamburg) lesen wir: "...einen Satz wie "Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" beispielsweise zur Analyse der Finanzkrise zu nutzen, ist auf eine so läppische Weise naheliegend, dass es erfrischt, wie deutungsfrei (der Regisseur) sich auf die Räuberpistole, die der "Dreigroschenoper" zu Grunde liegt, einlässt“, und wir lesen: „...dass die Brecht-Moral zutiefst verbraucht sei.“ Die Banker haben einfach keine, da ist folglich nichts zu verbrauchen! Die Logik hinter diesem abschätzigen Oberflächengequassel lautet: Macht wer eine kritische Bemerkung, die nicht zur Folge hat, daß der oder das Kritisierte sich prompt zum Schöneren wendet, steht die Kritik ab wie altes Bier. Aber: „Laßt uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind.“ (Brecht, 1952) Und was die „Räuberpistole“ angeht: ein kleiner Gangster, über den abenteuerliche Gerüchte kursieren (zündet Kinderheime an!) vergreift sich heimlich und mit deren Zustimmung an der Tochter eines betrügerischen Großunternehmers und hofft dabei, absurderweise, auf die Unterstützung des korrupten Polizeichefs, weil der ein ehemaliger Kriegskamerad ist. Woraufhin er erfährt, wo der Hammer hängt. „Erzählen Sie das mal deutungsfrei, Spitta!“ möchte man mit Direktor Hassenreuter rufen.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Kapital lesen
Wenn Sie verstehen wollen, was Ihr "wirtschaftlicher Fortschritt", bedeutet, Herr Rakow, dann habe ich ebenfalls eine Lektüreempfehlung für Sie: Das Kapital, Band 1, zumindest die ersten vier Kapitel. Davon könnten sie lernen, dass die jener Fortschritt, nämlich die "Verwertung des Werts" (Marx) auf immer höherer Stufenleiter, ein tautologischer Selbstzweck ist, dem gegenüber die Lebensinteressen der Einzelnen nur zufällig als Mittel zur Geltung kommen. Und dass eine Fabrik nicht nur zu eröffnen, sondern auch offen zu halten, ohne Ausbeutung schlichtweg unmöglich ist. Das aber spricht nicht für die Fabrikbesitzenden, sondern gegen die gesellschaftliche Ordnung, der Sie sich an den Hals werfen.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Brecht mit Realität abgleichen
Werter Kritiker. Wirtschaftlicher Fortschritt alleine senkt weder Kriminalitätsraten noch erhöht er den allgemeinen Bildungsstand. Das geschieht einzig durch sozialen und demokratischen Fortschritt. Sprich: Umverteilung von oben nach unten. Das können Sie bequem bei Brecht selbst nachlesen.
Da Sie ja seine Analysen für überholt halten, steht es Ihnen frei, Ihre "Binsenweisheiten" mit den Realitäten in Ländern mit exorbitanten Wachstumsraten wie etwa Mexico, Somalia oder der Republik Kongo abzugleichen. Wenn Ihnen das zu weit hergeholt erscheint, empfehle ich das Herkunftsland Ihres empfohlenen Autors: die USA.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: being wild
Öde und furchtbar. Im Castorf/Neumann Volksbühnen- Bühnenbild verschnitt stehen schlechtsprechende Schauspieler herum und versuchen ab und zu wild zu sein. Hab mich unendlich gelangweiligt. Herr Haussmann, Sie enttäuschen.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Marxismus at its best
Das Wunderbare ist, daß eine kritische Besprechung eines Brechtstücks ausreicht, um ein ganzes Heer untoter Cryptomarxisten aus den leider viel zu flachen Gräbern auferstehen zu lassen. Besondere Kennzeichen: viel Zeit, die genutzt wird, ein Zitate und Selbstzitate-Feuerwerk abzubrennen, und Verbitterung, weil die ach so bestechende politische Theorie real-existierend nicht viel zustande gebracht hat, jedenfalls nichts nennenswert Positives (wenn man mal von der verwässerten Form namens 'Sozialdemokratie' absieht). Dann reicht es natürlich, daß es immer noch Probleme auf der Welt gibt, um wider alle Empirie die Überlegenheit der eigenen Überzeugung zu behaupten und 'den Fortschritt' zu verteufeln. Meine Empfehlung: umziehen nach Sezuan in die Volksrepublik China. Da ist alles super, Marxismus at its best.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: übers Vater-unser
Merkwürdigerweise bedeutet der große Brecht, aus österreichischer Sicht
nicht ALL-zuviel - warum wohl? Schlecht ist er ja nicht, würde man sagen
aber - im Vergleich zu Horvath zum Beispiel...liegt uns dieser näher?
(eben Geschichten aus dem Wienerwald)- Nein, Brecht ist nicht - unser
Vater-unser in der (Theater)Kirche, wenn ich da nicht falsch gehe...
Bei uns muss man Brecht einfach nicht - Horvath schon mehr. Und -
außerdem Leander Haußmann muss man auch nicht unbedingt (vielleicht aber
doch Filme, die ich nicht kenne) . . .
Deutsches Nationaltheater 1988 (Verfilmung) - sehr gut, ausgezeichnet:
da kommt einem das Brechtstück nahe, näher . . .
Und moderner, zeitgemäßer inszeniert? - warum sollte man mit dem Stück nicht ex-peri-ment-tieren? - es sollte aber auch gelingen!
Auf das Gute geduldet man sich gerne, wenns nach der Vorstellung
A-gutes Bier giebt!
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Shen-Te-Tage sind vorbei
Sehen Sie, lieber Herr Rakow, nun sind Muttis schöne Shen-Te-Tage schon wieder zu Ende, und der - aus Abschreckungsgründen bayerisch sprechende - Shui-Ta schwingt das Szepter.

Und zu #16: Glauben Sie, die Befreiungsgeschichte des Menschen verliefe weniger verknäult als seine Unterdrückungsgeschichte? Als die DDR noch realexistierte, lautete die der Ihren entsprechende Empfehlung "Geht doch rüber!" Wir hätten ihr vielleicht massenhaft folgen sollen...
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Erfolg garantiert
zu #18: das wäre sicherlich gut gewesen, am besten wenn gleichzeitig die weniger überzeugten Marxisten in der DDR ebenfalls ins andere Drüben hätten gehen können. Damit wäre die reine Lehre weniger kontaminiert und der entsprechend der Erfolg garantiert worden.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: offenbar gegangen
Sind sie ja offenbar gegangen. Deshalb gabs dann erfolgreich EingkeitundRechtusw. Nu machen wa wat draus.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Menschenfluss folgt Geldfluss
Lieber Frank-Patrick Steckel,

der Menschenfluss folgt dem Geldfluss. Ihnen muss ich nicht sagen, woher dieser Satz stammen könnte.

Warum wehren sie sich so sehr gegen die Erkenntnis von Herrn Rakow?

Ohne Zweifel kommen viele Menschen hierher, weil sie sich „hier“ ein besseres Leben erwarten dürfen und das hat etwas mit einer prosperierenden Wirtschaft zu tun, die mehr Bildung, mehr Erfolg im Anerkennungstransfer versprechen kann, als viele andere Gesellschaften. Natürlich kommen sie auch aus Gebieten, die durch amerikanische und europäische Politik destabilisiert wurden. Unter dem Balken aber bleibt der Fakt, dass ihre Chancen auf ein menschlicheres Leben hier momentan höher sind. Wirtschaftlicher Reichtum produziert heute nicht allein Unsittlichkeit, auch wenn der Zustrom der Flüchtenden ein neues Heer an Berufsarbeitssöldner werden könnte oder wird. Ihrer Wahrheit steht eventuell auf der anderen Seite eine andere große Wahrheit gegenüber.

Können sie damit nicht leben?

Noch ist die neue Wirtschaftsordnung, die, welche die Jetzige ablösen könnte nicht erfunden. Oder wollen sie tatsächlich in selektiv zusammengesetzten Nationen Gesinnungsbürger homogen zusammenfassen, die dann eine neue DDR und eine neue BRD gründen?
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Gesinnung definieren
Was ist ein Gesinnungsbürger? Lieber Herr Baucks, könnten Sie für uns interessierte Mitlesende nochmal das Wort Gesinnung genauer definieren, dass Sie hier in mehreren Threats so inflationär bemühen, und das auch noch in verschiedenster Konnotation. Was bedeutet denn für Sie, eine Gesinnung zu haben. Rein philosophisch gesehen kann ich mir das Wort ja ganz gut erklären. Aber wie sieht es denn damit in der Praxis unseres Landes aus? Gäbe es eine Gesinnung, auf die wir uns alle berufen könnten, und wenn ja, wie sehe die in etwa aus?
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: gegen Fortschrittsglauben
Zu #21: „Im Übrigen muss ich gestehen, dass ich überhaupt nicht damit einverstanden bin, wenn Sie sagen: "die westliche, das heißt fortschrittsgläubige Philosophie". Mir ist kein ernst zu nehmender Philosoph bekannt, der sich als progressiv, als fortschrittlich bezeichnet hätte. Jeder informierte Historiker weiß, dass die Fortschrittsideologie nichts anderes ist als eine der beiden Seiten – gleichsam die linke Hand – der kapitalistischen Ideologie, deren Todeskampf wir gerade beiwohnen. Fatalerweise fällt er mit ihrer aberwitzigsten und furchterregendsten Ausprägung zusammen: der Idee eines unendlichen Wachstums des Produktionsprozesses.“ (http://www.zeit.de/2015/35/giorgio-agamben-philosoph-europa-oekonomie-kapitalismus-ausstieg/komplettansicht)

So, und jetzt nehme ich eine Pille gegen die Kommentarschreiberitis. Wenn Sie wollen, Herr Baucks, gebe ich Ihnen eine ab!
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Sinnen eine Richtung geben
Gesinnung ist, wie einer gedenkt, seinem Sinnen und seinen Sinnen eine Richtung zu geben. Was Herr Baucks meint, ist Gesinnungsgesinnung. Das ist, wenn jemand meint, er müsse einem anderem vorschreiben oder sich von anderen vorschreiben lassen, welche Richtung genau er nun seinem Sinnen und seinen Sinnen geben müsse oder sollte. -
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: die der reinen Lehre folgen
@22. Frei nach 'dabeigewesen' stefan, solche die der reinen Lehre folgen.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: für Musik + Gefühl
Oh je, eine neue DDR? Nein, danke. Die ist ja nunmal gescheitert. Das wusste auch das Neue Forum sehr gut. Und ausserdem, die "reine Lehre"? Die gibt es nicht. Wer nicht auch einen Sinn für die Musik hat, und die wirkt bekanntlich auf das Gefühl, der ist für mich ein abstrakt-verkopfter Rationalsozialist bzw. Maßnahmenkommunist.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Wieso alternativlos?
Ach Herr Baucks, jetzt speisen Sie mich aber nicht mit einem Halbsatz ab. „...die der reinen Lehre folgen.“ Wer lehrt denn heute so, und vor allem was wird gelehrt? Das scheint mir so vielgestaltig wie die Gesinnungen selbst. „...seinem Sinnen und seinen Sinnen eine Richtung zu geben.“ Das könnte die Sache schon eher treffen. Setzt es doch voraus, dass man dafür seine Sinne beisammen haben sollte. Wie haben Sie eigentlich ihre Überzeugung gewonnen, dass die herrschende Wirtschaftsordnung (wie sie es nennen) so alternativlos ist? Eine neue müsse also erst erfunden werden. Ist das Logik, Vernunft, Einsicht, oder wollen Sie es sich schlicht nicht anders erklären? Man ist ja nicht davor gefeit zu irren. Ich rede jetzt noch nicht über politische Willensbildung, sondern frage nach rein ethischen Gesichtspunkten. Gut und Böse und die Konsequenz der jeweiligen Handlung. Shen Te als reine Gesinnungsethikerin, Shui Ta als eine Art Erfolgsethiker. Er wägt zumindest die Konsequenzen seines Handelns für sich selbst ab, während Shui Ta aus reiner Überzeugung gut ist, trotz der drohenden Konsequenzen. Wäre das nun die Gesinnung einer reinen Lehre, die in die Irre und den sicheren Ruin führt? Dagegen nennt sich das, was als Grundlage der heute vorherrschenden Gesinnung (als willentliche Motivation zum Handeln) dient, gern Verantwortungsethik oder eben auch Realpolitik. Was ist der ethische Wert der guten Gesinnung heute wert? Und was ist die Gesinnung der von ihnen so vehement verteidigten „besorgten Bürger“ und neuen Rechten, die sie in „eine europäische und demokratische Politik integrieren“ wollen? Das macht mir wiederum Sorge. Nun, wie Sie die bei einem Glas Schampus überzeugen wollen, sind sie uns zu berichten noch schuldig. Versuchen Sie es mal mit Dialektik. Brecht könnte helfen. Ansonsten Henkel(l) trocken, oder Rotkäppchen Sekt.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: sterbender Patient Kapitalismus
Manchmal habe ich das Gefühl, sie denken gar nicht, Steckel, sie werden gedacht. Agamben heißt also ihre Pille für mich. Nun, und wenn ich ihnen jetzt einfach sagte, interessiert mich nicht. Der Kapitalismus ist wohl der am längsten sterbende Patient den ich kenne und er schillert so schön im Todeskampf und er ernährt auch seine Feinde. Alle, die von seinem Untergang träumen, wollen immer erst Kontinente, ganz Europa in Agonie sehen, bis ihre Welt errichtet werden kann. Und sie umlauern ihren hassgeliebten Patienten mit allerlei Theorien und messen damit sein Ableben. Aber nebenan liegen die wahren Leichen ihrer vergangenen Hoffnungen und warten darauf seziert zu werden. Aber die Herren vertreiben sich ihre Zeit mit der Vivisektion des Kapitals. Und den Alternativen fröstelt draußen vor der Tür, weil man lieber den Herzschlag des Kapitalismus abhorcht, statt seine eigenen Leichen gründlich zu untersuchen, um mit den Erkenntnissen der Leichenschau den Alternativen eine Chance zu geben.
(...)

P.s.: Lieber Stefan, ich betrachte die Debatte über den „rechten Krieger“ als beendet. Wenn sie sie fortsetzen wollen, dann an geeigneter Stelle. Hier einfach mal so nach treten, finde ich etwas unfein und auch missverständlich, den hier befinden wir uns in einem neuen Zusammenhang.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Zusammenhänge
Herr Baucks, ich trete nicht zurück, ich weise Sie auf ein paar Zusammenhänge hin, die Sie in Ihren ellenlangen Abhandlungen über das demokratische Europa vergessen haben. Wenn Sie zwei Sachen nicht zusammendenken können, ist das nicht mein Problem. Übrigens die Leichen des Kommunismus, die Sie Herrn Steckel nachwerfen wollen, hat Heiner Müller schon ausgegraben, u.a. in einer schmerzhaften Auseinandersetzung mit Brecht. In der Linie steht auch Castorfs Baal-Inszenierung, die Sie ja sicher gesehen haben. Da werden auch gleich die Leichen des Westens mit ausgegraben. Die können wir ja dann weiter gegeneinander aufrechnen, anstatt an die echten Probleme dieser Zeit rangehen zu müssen. Viel Spaß an den Erkenntnissen Ihrer Leichenschau. Derweil schwimmen bereits neue Leichen an die Ufer Europas, Herr Baucks. Bla, Bla, Bla...
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Wie von den Widersprüchen befreien?
Na dann ist ja alles klar Herr Stefan und sie werden uns sicherlich gleich sagen, wie unser zukünftiges Wirtschaftssystem aussehen wird, das uns von allen Problemen erlöst.

Das mit den Leichen haben sie wohl gründlich missverstehen wollen, um an mein Gewissen zu rühren. Schade. Ich wollte eigentlich nur verstehen, warum Herr Steckel den Kritiker so barsch anging, das wollte mir nicht ganz einleuchten.

Aber sie halten die Lösung ja in ihrer Hand. Teilen sie ihre Erkenntnisse mit uns, ruhig ellenlang, denn nichts wäre mir lieber, als zu wissen, wie man sich von den Widersprüchen in der Weltwirtschaft befreien könnte.
Sezuan, Berlin: Pinker und die globale Gerechtigkeit
Lieber Herr Baucks, ich halte keine Lösungen in Händen, verfalle deswegen aber nicht wie Sie in Fatalismus und rede dem herrschenden System das Wort. Der Einwand von Herrn Steckel war vollkommen richtig, auch mir ist der Satz von Christian Rakow ungut aufgefallen. Eine Wirtschaftsordnung, die einerseits unbegrenzten Fortschritt verheißt (übrigens hat das auch das sozialistische Wirtschaftssystem getan), anderseits aber sagt: Für alle reicht es nicht, kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Die, für die es nicht reicht, haben sich jetzt ganz zu Recht auf den Weg an die versprochenen Töpfe gemacht. Wir werden Sie auf Dauer nicht daran hindern können. Wir bekommen ja nicht einmal die Widersprüche innerhalb Europas in den Griff. Wer im Zusammenhang mit dem Sezuan davon spricht, es habe "...historisch gesehen, die Schaffung von Arbeitsplätzen ethischen Fortschritt nun wirklich ermöglicht", muss sich auch fragen lassen, was mit denen geschieht, die auf Dauer an diesem "ethischen Fortschritt" nicht teilhaben können. Ich kann sicher feststellen, dass es mir persönlich gut geht und ich im Rahmen der Spielregeln und bei bester Gesundheit keinen Mangel leiden werde. Wahrscheinlich sogar bis ich irgendwann mal tot umfalle und ohne jemanden selbst dafür töten zu müssen. Die Feststellung Pinkers, dass der westliche Humanismus moralischen Fortschritt gebracht hat und auch weiter bringen wird, halte ich für sehr verkürzt dargestellt. Das so zu verallgemeinern, ist in meinen Augen fahrlässig und ignoriert komplett die momentane globale Wirtschaftssituation. Die nachweisliche Zunahme der demokratischen Staatsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg ist noch kein Garant für globale Gerechtigkeit. Verteilungskämpfe, Kämpfe um Ressourcen und Absatzmärkte wird es immer geben, wenn dabei auch die Anzahl der Toten hier bei uns kaum noch merklich ist. "Der Feind wird zum zahlenden Kunden." (siehe Interview mit Pinker im Spiegel) Ich halte das für zynisch. Aber vielleicht hat Pinker ja auch eine ganz einfache Lösung. Ich habe das Buch leider nicht gelesen und Christian Rakow sollte dazu mal Näheres ausführen, wenn er ihn so ins Spiel wirft.
Sezuan, Berlin: Besorgte versorgen
Lieber Stefan,

nun fängt das Gespräch an spannend zu werden. Lassen mich, der ich vielleicht ja wirklich ein lakonischer Fatalist geworden bin, ich hoffe nicht, einen Augenblick träumen. Nur für einen Moment, dann dürfen sie wieder auf mich einschlagen.

Seitdem ich mich von einer sozialistischen Revolution verabschiedet habe und mich den Möglichkeiten einer evolutionären Entwicklung zuwandte, träume ich nicht mehr von einer Dialektik. Ich träume von einem dualen System, einem Dualismus, der zwei Gedankenwelten zusammen bringen möchte.

Mit dem Ende revolutionärer Ideen waren ja die Probleme, die sie lösen wollten nicht beseitigt, im Gegenteil, sie lebten zu neuer Form auf. Ich wünschte und wünsche mir immer noch, und das klingt einfach, und ist so schwer zu machen, dass bestimmte Produkte vom kapitalistischen Kreislauf ausgenommen werden. Eben alle Produkte zur Grundversorgung eines humanen Daseins. Grundnahrungsmittel zum Beispiel. Ich verstehe den kapitalistischen Handel mit Wasser, Reis oder auch Zucker nicht. Er ist mir zu wider.

Trotzdem erkannte ich für mich, dass es immer einen konkurrierenden Handel mit Produkten geben wird, bei denen eine Gesellschaft ihre technische Leistungsfähigkeit demonstrieren möchte. Dieser Handel erschien mir plausibel, weil es nicht nur um konkurrierende Produkte, sondern auch um eine Konkurrenz der Erkenntnisse geht, die sich hinter diesen Produkten verbergen und die erheblich zum Fortschritt einer Gesellschaft beitragen. Diese Produkte einem kapitalistischen Handel zu überlassen erachtete ich als gut.

Demzufolge, wäre ich ein reicher Mann, würde ich mir sofort ein Auto von Tesla kaufen. Aber meinen Reis möchte ich nicht bei Monsanto erwerben.

Wenn ich mich recht schlicht ausdrücke, so bitte ich das zu entschuldigen. Meine Zeit ist leider gerade sehr knapp. Aber ein duales Wirtschaftssystem erschien mir und erscheint mir immer noch ein erstrebenswertes und erreichbares Ziel.

Naiv? Mag sein. Aber die Demokratien wurden unter anderem erfunden den Markt zu bändigen und hier will ich sie auch weiterhin in die Pflicht nehmen. Wie weit sie es auch schaffen „besorgte Bürger“ zu integrieren, wird entscheidend davon abhängen, wie sie ihre Bürger versorgen kann. Das die Opfer unserer Politik die Zäune überwinden wollen, erscheint mir in dem Zusammenhang nur als gerecht.
Sezuan, Berlin: verlangt starken Staat
Lieber Herr Baucks, das klingt ja recht interessant, nur verlangt das einen starken Staat und die Beschränkung von Konzernen. Wie wollen Sie das durchsetzen? Auch das Duale System ist ja schon praktiziert worden und meist gescheitert (Beispiel Japan). In den Ländern Afrikas wird es nach und nach zurückgedrängt. Öffnung der Märkte ist das Zauberwort. Ein Zurück zu dualen Wirtschaftsformen (Griechenland versuchte das gerade und wird gezwungen Verstaatlichungen wieder rückgängig zu machen, sonst kein neuer Kredit) wird kaum noch möglich sein, weil das auch bedeutet, globale Verflechtungen wieder aufzubrechen und eventuell in Europa wieder Landeswährungen einzuführen. Wir müssten die Wirtschaft wieder viel kleiner denken, das widerspricht sich mit dem neoliberalen Zielen der Deregulierung und des wirtschaftlichen Wachstums. Das im Dualen System Ungerechtigkeiten und Ungleichverteilungen vollständig beseitigt werden könnten, halte ich unter den gegebenen Umständen für kaum möglich. Außerdem, wer in der Politik würde heute Wahlen gewinnen wollen mit der Parole des Verzichts. Private Kleinwirtschaft und verstaatlichte Konzerne, ein subventionierter Markt für Lebensmittel etc., etc. wird den meisten auch wie die Vorstufe zum Kommunismus vorkommen. Ich bin leider kein Volkswirtschaftler oder Ökonom, aber beim Wort Minuswachstum oder Verstaatlichung geht mit Sicherheit einigen Dax-Managern und Bankern das Messer in der Tasche auf. Trotzdem eine überlegenswerte Variante, vielleicht ein Beginn zum Umdenken.
Sezuan, Berlin: es braucht starke Bürger
Lieber Stefan,

in aller Kürze, ich bin ja beeindruckt von den Flüchtlingen, die einfach den Zug von München nach Berlin zweimal mit der Notbremse stoppen, weil sie sagen, wir wollen gar nicht nach Berlin. Deshalb sag ich, es braucht keinen starken Staat, es braucht starke Bürger. Die muss man stärken und ihnen Mut machen, den Satz, alle Macht geht vom Volk aus umzusetzen.
Sezuan, Berlin: Citoyens an Notbremse
Lieber Herr Baucks,
natürlich machen nur starke Bürger einen Staat erst stark. Etwas anderes meine ich ja auch nicht mit dem Satz vom starken Staat. Ein Staat für die Bürger von mündigen Bürgern (auch mit einer entsprechend starken "Gesinnung", um das Wort nochmal zu bemühen). Die Notbremse ziehen ist in diesem Zusammenhang auch eine schöne Metapher. Allerdings meine ich damit natürlich nicht die "besorgten Bürger" von Heidenau.
Sezuan, Berlin: hinter starke Bürger stellen
Lieber martin Baucks, hinter starke Bürger muss man sich vielleicht einfach nur stellen, wenn sie von einem starken Staat behindert werden oder angegriffen werden für ihre Willensäußerungen oder gar kriminalisiert. Mut machen braucht man denen nicht. Den haben sie ja.Weil die ja sonst keine starken Bürger wären.
Sezuan, Berlin: gefährliches Kategorien-Denken
Lieber Stefan,

was wollen sie denn mit den „besorgten Bürgern“ von Heidenau machen? Sie ausbürgern?! Man kann sich seine Mitmenschen eben nicht aussuchen und eine Regierung kann sich seine Bevölkerung nicht aussuchen und nach gut dünken zusammen sammeln.

Was haben sie vor?

Unter dem Druck der Ereignisse lagert Shen Te, die unter dem göttlichen Zwang steht „gut zu sein“, ihre scheinbar schlechten Eigenschaften auf den Vetter Shui Ta aus, um überleben zu können. Mindestens so heterogen wie dieser Bühnencharakter ist auch eine heutige Bevölkerung. (Das Volk gibt es ja nicht mehr, das lernen wir bei Agamben.)

Stellen sie sich die Bevölkerung nur einmal als einen Organismus vor, dann lagern „wir“ doch all unsere Bedenken gegen „Fremde“ auf die „besorgten Bürger“ aus. Sie sind nun unser böser Vetter. Aber wohin führt das. Im Sinne der Unschärferelation können Shen Te und Shui Ta nicht zugleich auftreten, so dass zum Schluss natürlich der böse Vetter angeklagt wird und unter erneutem Druck seinen guten Kern offenbart.

Glauben sie denn tatsächlich, es gibt diese saubere Verteilung zwischen „hell“ und „dunkel“, Dreck, Pack und dem mündigen Bürger? Ich lebe doch nicht in einem Märchen, wo die dunklen Kräfte walten, und lediglich durch eine paar böse Buben vertreten werden, oder eine Hexe. Ich lebe auch nicht vor der französischen Revolution, wo der Adel das Taschentuch zückt vor dem Pöbel, dem Pack, dem Dreck. In Kategorien wie gut und böse zu denken, dass sind doch die Grundpfeiler rechten Denkens und denen möchte ich nicht erliegen.

Deshalb sehe ich, wie in der Dynamik einer Gesellschaft, die immer nur „gut sein“ möchte, die „besorgten Bürger“ in die Shui Ta Ecke gedrängt werden. Dort sind sie auf dem besten Weg kriminalisiert zu werden und vor Gericht zu Enden oder ausgebürgert zu werden, wie sie wollen.

Ich wähle diese einfache Beschreibung, um einmal zum Stück zurückzukehren. Steckel hat vollkommen recht, die schönen Tage der Shen Te von Frau Merkel waren ziemlich schnell vorbei.

Und nun?
Sezuan, Berlin: kein Verständnis
Lieber Herr Baucks, hier hinkt ihr Vergleich mit Brechts Gutem Menschen, der gutes und schlechtes, wie jeder normale Mensch, in sich vereint. Ganz so hat Brecht das auch nicht gemeint. Es geht schon um die Verhältnisse, die das Handeln des Menschen beeinflussen. Dazu müsste man dann aber auch beim Betrachter eine materialistische Sichtweise voraussetzen. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. So einfach ist das Ganze dann aber auch wieder nicht. Was die Flüchtlinge betrifft, kann man sich ganz klar zu einer bestimmten Haltung bekennen. Ich muss nicht ausländerfeindlich sein. Das ist eine ganz klar selbst gewählte Gesinnung. Außerdem geht es nicht um Ausgrenzung, sondern um klare Abgrenzung gegenüber rassistischem, nationalistischem und chauvinistischem Gedankengut. Nur so können Sie den Menschen, die diese Gedanken haben, auch signalisieren, dass sie falsch sind und nicht in eine aufgeklärte, demokratische Gesellschaft passen. Da braucht es dann eben auch Menschen, die das vorleben und nicht Menschen, die Verständnis haben. Ich habe da kein Verständnis und Punkt.
Sezuan, Berlin: absurde Maxime
Ihr Verständnis, in dem Menschen falsch sind, also „falsche Menschen“ sind, kann ich nicht nachvollziehen. Und überhaupt, was ist das denn für eine absurde Maxime: Ihr Verständnis?!

Manchmal denke ich, ich lebe in einem Asterix und Obelix Heft. Da kommt jemandIn daher und sagt: Jeden Tag ein neues Dorf bauen, das schaffen wir!

Achthundearttausend Flüchtende pro Jahr, dass heiß fast 1200 Zuwanderer pro Tag. Ein kleines, bis mittleres Dorf. Wer soll diese 365 Dörfer pro Jahr bauen. Und dann können wir ja die Flüchtlinge dort nicht zwangsansiedeln.

„Außerdem geht es nicht um Ausgrenzung, sondern um klare Abgrenzung gegenüber rassistischem, nationalistischem und chauvinistischem Gedankengut.“ sagen sie. Träumen sie denn?

Wann wollen sie endlich verstehen, dass unter den Flüchtenden genau soviel Rassisten, Nationalisten und Chauvinisten sein könnten? Es ist eine wohlfeile Hoffnung, Flüchtende seien a priori „gute Menschen“.

Und, dass das Knäuel zwischen Sein und Bewusstsein nicht so einfach gestrickt ist, wem sagen sie das. Aber vielleicht räumen sie ihrem Bewusstsein ja mal ein, dass diese Zuwanderung die BRD verändern wird, und das über solche Veränderungen die Bürger entscheiden sollten, und nicht eine schadhafte Kanzlerin, die tatsächlich sagt, wenn ich mich für ein freundliches Gesicht entschuldigen muss, dann ist dies nicht mehr mein Land.

Erinnern sie sich daran, wie Hitler sein Volk aufgab?

Die Kanzlerin trägt doch nicht die Veränderungen fort. - Aber sie fordert für sich die Definitionshoheit, was Deutschland ist. Den Rest überlässt sie Shui Ta.
Sezuan, Berlin: Gedanken befragen
Lieber Stefan B., um sich klar abzugrenzen von rassistischem, nationalistischem und chauvinistischem Gedankengut, muss man eine Definition von Nationalismus, Rassismus und Chauvinismus haben und das nicht nur durch ein menschenfreundliches Vorbild signalisieren, sondern notfalls auch Menschen, die ein solches Gedankengut verbreiten, erklären können, was sie da eigentlich verbreiten. Ich bin überzeugt davon, dass viele das nämlich gar nicht wissen, dass sie nationalistische oder rassistische und am wenigsten wissen, wenn sie chauvinistische Gedanken haben. Und dafür, dass einer, der Gedanken hat, nicht weiß, was genau für welche das sind, habe ich sehr wohl Verständnis. Mir geht das permanent so, dass ich meine Gedanken erst befragen muss um herauszufinden, was für welche das überhaupt sind und warum die so sind wie sie sind - und da bin ich froh, wenn das auch verstanden wird... Ich glaube, darauf reagieren Leute, die möglicherweise also rassistische usw. Gedanken haben empfindlich, wenn man ihnen unterstellt, dass die genau solche Gedanken auch haben WOLLEN!
Sezuan, Berlin: das Recht
#39
Jeder Mensch sollte das Recht haben, dort zu leben, wo er Leben möchte.
Ich komme auch nicht aus Deutschland. Aber das ist nicht relevant. Du würdest nicht einmal mehr meinen Akzent hören. Nur weil Du das Glück hattest, hier groß zu werden, darfst Du es niemandem verwehren.

Wenn jeden Tag tausende kommen, sollten wir sie empfangen, und ihnen neue Häuser, Schulen und Theater bauen.
Sezuan, Berlin: Asylpolitik der Monarchin
Die Gedanken, Herr Baucks, nicht die Menschen. Die Gedanken sind falsch. Sie wollen mich aber auch immer falsch verstehen. Aber sie (die Gedanken) sind natürlich auch frei. Und es steht jedem frei sie in die Tat umzusetzen, mit den entsprechenden Konsequenzen. Was ist, wenn ich nicht weiß, was ich da überhaupt für Gedanken habe? Interessanter Einwurf, lieber Stritter. Denken ist aber auch so was von schwer. Ich will mich nicht lustig machen. In der Bibel steht irgendwo: Wer von euch ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Man könnte auch sagen: Wer ohne bösen Gedanken ist... Wer die Steine wirft, wissen wir. Also nach ihrer Meinung alles Unwissende, oder auch Menschen im Glauben, die richtigen Gedanken zu haben. Dass Sie, lieber Stritter, sich eingestehen, nicht immer zu wissen, welche Wege Ihre Gedanken gerade gehen, ehrt Sie. Sie beweisen damit erst die Fähigkeit nachdenken zu können, die Fähigkeit zur Selbstreflexion zu besitzen. Kann ich den Menschen, die sich dafür entscheiden, keine Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, oder was auch immer dagegen tun, dass die Flüchtlinge bei ihnen in der Stadt untergebracht werden, die Fähigkeit zu denken absprechen? Drücken diese Menschen damit berechtigte Sorgen aus, oder machen sie nur ihrem Unmut Luft, bisher nicht gehört worden zu sein? Herr Baucks führt ins Feld, dass die Menge der Flüchtlinge genauso breit gefächert ist in ihren Gedanken, wie die deutsche Gesellschaft selbt. Vermutlich hat er sogar Recht damit. Der Anerkennung des Rechts auf Asyl in Deutschland geht in den meisten Fällen die fast peinigliche Befragung über die Gründe voraus. Die wenigsten werden wohl tatsächlich auch anerkannt werden. Nur, ist das tatsächlich ein Argument, Menschen in Not (auch wirtschaftlicher Not) das Asylrecht von vornherein zu verwehren? Shen Te würde sagen: Nein. Shui Ta würde sagen: Denke zuerst an dich selbst, für die Verhältnisse kannst du nichts. In beiden Fällen wohl ein gewisser Mangel an Selbstreflexion, und im zweiten Fall sogar ein reflexartiger Drang zum Selbstschutz. Jeder hier mag das für sich selbst entscheiden. Meine Beweggründe habe ich dargelegt.
Nun noch etwas zur Asylpolitik von Angela Merkel, wenn man das überhaupt so nennen kann. Ich würde es eher ein spontanes Wohlwollen nennen. Die Laune einer Monarchin, die ihre Gnade im nächsten Moment von ihren Untertanen auch wieder abziehen kann. Man muss die Gunst der Stunde nutzen, bevor die Grenzen wieder geschlossen werden. Ihr Vergleich mit Hitler, Herr Baucks, ist da gar nicht so provokativ, wie Sie vielleicht denken. Tatsächlich habe ich die Beiden heute auf der „Berliner Liste“ als Kunstwerke einträchtig nebeneinander hängen gesehen. Queen Angela in einem Strahlenkranz aus Messern als Krone und Adolf Hitler in einer Korona aus Blüten mit der Umschrift „Arschloch“. Auf die Frage, was das bedeute, sagte der Künstler: „Früher haben die Deutschen Adolf Hitler geliebt. Heute nennen sie ihn ein Arschloch.“ Wie wird es Angela Merkel ergehen? Die Rufe aus Heidenau kennen wir. Damit soll es dann auch gut sein mit meinen Ausführungen.
Sezuan, Berlin: Asylpolitik weg von der Teenie-Party
Damals wurde Andorra von Frisch gestrichen, wegen einer dringenden "Probe" - dem Text nach zu beurteilen, hat sich nichts von dieser vierstündigen Farce gekürzt oder geändert. Es war ein mühsamer Abend und man hatte Kopfschmerzen, denn zum Einschlafen wars zu laut, die Zeit hätte gereicht. Eine Dame, die nach mir das Haus verliess, denn nach zwei ein viertel Stunden erlaubte ich mir neben dem Bertolt Brecht eine Tabakpause zu machen, sagte so schön: "ICH muss morgen noch arbeiten", als ob sie eine Teenie-Party verlassen hätte. Ja das Thema ist aktuell, gute Kunst ist alte Liebe, rostet nicht, aber die alte Liebe zu "vergewaltigen" dürfte dann wohl doch zur Oxidation führen.

aus Zürich
Sezuan, Berlin: Denken ist schwer
Lieber Martin Baucks - ich muss mich wundern: einerseits sagen Sie, dass "Wir"(also ich habe das da nicht gelernt) von Agamben lernen würden, dass es kein Volk mehr gibt. Dann aber finden Sie einen Merkel-Hitler-Vergleich nicht ganz abwegig, mit der Begründung, dass sie ebenso wie einst Hitler sein Volk aufgegeben habe??? Rin inne Kartoffeln, raus aus de Kartoffeln?
Lieber Stefan B. - ich habe an keiner Stelle behauptet, dass das alles Unwissende, verlorene "Gesinnnungsschäfchen"?, seien. Sondern räume die Möglichkeit ein, dass es unter denen, die wir so selbstgewiss für Rassisten, Chauvinisten usw. halten, sehr viele gibt, die eben nicht selbstreflexiv zu denken gewöhnt sind. Die halten wir nicht dazu an, ihr Denken zu reflektieren mit seinen Auswirkungen auf ihr und anderer Handeln, wenn wir ihnen unterstellen, sie seien alle sehr bewusst auf ihren konkreten Argumentationswegen - Und: Ja! Denken ist schwer! Es ist eine Lust, aber eine, die nicht so einfach als Lust zu erkennen und erfahren ist. Das Einfache halt, das schwer zu - naSiewissenschon... Zu denken, da gebe ich Martin Baucks recht, unter den Flüchtlingen gäbe es keine Nationalisten, Rassisten, Chauvinisten ist doch vielleicht extrem nationalistisch??? - Ich selbst habe Sie allerdings nie so verstanden - der Martin Baucks antwortet mitunter wie eine noch nicht hinreichend geschulte App - Und der weiß das ja.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Hinweis Byung-Chul Han
War gerade eben falsch platziert, sorry.

Nochmal ein schöner Kommentar zur Mitschuld des Westens an den derzeitigen Flüchtlingsströmen von Byung-Chul Han im Tagesspiegel: http://www.tagesspiegel.de/kultur/fluechtlinge-und-die-schuld-des-westens-woher-kommen-die-fluechtlinge/12329466.html
"Der Wohlstand des Westens beruht auf dem Elend der anderen, eine für den globalen Kapitalismus konstitutive Asymmetrie. Gewalt und Ungerechtigkeit sind systemimmanent. Globaler Wohlstand würde der Logik des Kapitals widersprechen."
Und weiter zur Willkommenskultur in Europa: "Die gefeierte Willkommenskultur, das applaudierende Mitgefühl oder der Vorwurf fehlender Solidarität an manche EU-Staaten lösen das eigentliche Problem nicht. Und Gefühle sind kurzsichtig und ebben schnell ab. Weitsicht hat nur die Vernunft, gefragt ist nun die politische Vernunft. Die endlose Quoten-Diskussion ist nur ein Alibi für die fehlende Politik. Und Grenzzäune zu errichten, ist eine Politik als Polizeiaktion, die Flüchtlinge zu Verbrechern erklärt. Nur ein entschlossenes, vernunftgeleitetes Handeln kann den Stellvertreterkrieg in Syrien und das unsägliche Elend der Flüchtlinge beenden. Europa sollte in diesem Sinne selbstbewusster werden und aus seiner Geschichte heraus mehr politische Verantwortung für die Welt übernehmen. Sonst gibt es irgendwann ein böses Erwachen."
Das muss man nicht alles für bare Münze halten, bezahlt werden muss aber trotzdem. Wenn nicht im Voraus, dann eben später. Und indem ich nun den Flüchtling zum bösen Menschen erkläre, verweigere ich nicht nur zum wiederholten male die Zeche, sondern spiele dem Kapital in die Hände und züchte weiter den "Mob", der sich in seinen Ressentiments bestätigt fühlt. So gelingt kein Umdenken, Herr Baucks.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Misstrauen den eigenen Gedanken
"Nur so können Sie den Menschen, die diese Gedanken haben, auch signalisieren, dass sie falsch sind und nicht in eine aufgeklärte, demokratische Gesellschaft passen."

Ich zitiere Sie hier, sie meinen also, lieber Stefan, lediglich die Gedanken sein falsch, die Menschen aber "richtig"? Nein, das meinen sie nicht. Zumindestens könnte man annehmen, dass sie denken, auch die Träger der Gedanken seien falsch und passten nicht in eine demokratische Gesellschaft. Wie dem auch immer sei, sie weichen der Frage aus, was sie konkret mit den Trägern dieser falschen Gedanken als Bürger machen wollen. Sie fragen sich nicht, wie die Gedanken in die Köpfe gekommen sind, im Gegenteil, sie äußern die Überzeugung, dies sei eine freiwillige, freie Leistung der Gedankenträger.

Ich gehe da mehr mit Stritter und halte ein konstruktives Misstrauen den eigenen Gedanken gegenüber für angebracht, denn der Übergang von Abgrenzung zur Ausgrenzung dürfte fließend sein.

Grundsätzlich werde ich mich keinen Gedankenmustern hingeben, die mit hell und dunkel, oder gut und böse, oder auch falsche und richtige Menschen arbeiten, denn diese Muster sind Grundlage einer rechten und rassistischen Gedankenstrutur und Denkweise. Für mich gibt es keine "falschen Menschen", sondern nur Menschen, das schließt auch die "besorgten Bürger" von Heidenau ein, so unlieb sie mir sind und so kritisch ich sie auch sehe, denn erst indem ich sie als Menschen behandele, kann ich sie auch zum Umdenken bewegen.

Auch erkläre ich Flüchtlinge nicht zu schlechten Menschen, sondern anerkenne für mich, dass sie genauso gut oder schlecht oder beides sind, wie wir auch.

Lieber Simon Alertes, sie machen mich wirklich traurig, denn sie haben Recht, ich habe nicht nur nicht das Recht jemanden zu verweigern hier zu leben, ich habe auch nicht die Möglichkeit und den Willen dazu, denn ich bin nur ein einfacher Bürger und sie überschätzen meine Möglichkeiten. Ob es ein Glück war für mich hier geboren worden zu sein, dass sehe ich kritisch. Alles worauf ich aufmerksam mache, ist, dass die Feinde des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit ähnliche oder vergleichbare Denkweisen auf ihre Feinde anwenden. Dass diese Denkweisen tief in uns verwurzelt sind und das wir sie im Sinne Stritters überprüfen sollten. Ansonsten würde ich mir wünschen, sie hätten gegenüber der Realität etwas mehr Respekt und würden anerkennen, dass eben Menschen nicht frei entscheiden können, wo sie leben, und das der Weg dort hin lang ist, und das man für ihn werben muss, und das die jährliche Integration von vielleicht einer Million Menschen auch scheitern kann.

Gestern sagte Frau Göring Eckhardt völlig euphorisch: Die Kanzlerin denke dieses Land neu und es werde sich durch die Zuwanderung verändern, sogar drastisch verändern. Und sie zeigte sich begeistert über diese zukünftige Veränderung. Ich aber gebe zu bedenken, dass es nicht ausreicht, wenn ein Mensch, die Kanzlerin dieses Land neu denkt, sondern, dass dies das Ergebnis einer politischen Willensbildung in einer Demokratie sein sollte, und stelle fest, dass sich in dieser taumelnden Euphorie von Frau Göring Eckhardt, Anne Will musste sie erst einmal in die Realität der Sendung zurückholen, eine ebenso monarchische Denkweise verbirgt, die sehr kritisch zu sehen ist.

Erst wenn wir unsere Denkweisen kritisch überprüfen, sind wir wirklich zu einem Umdenken und Überschreiten der alten Strukturen in der Lage. Euphorie und Jubel sind in diesem Zusammenhang schlechte Ratgeber.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: schwammig
Ich kenne den Kommentar im Tagesspiegel nicht, erkenne aber Han'sche Argumentation, bedauerlicherweise. Deshalb möchte ich zu bedenken geben: Gefühle können nicht kurzsichtig sein, weil sie nicht sehen können. Ebenso wenig, wie die Vernunft sehen und deshalb weitsichtig sein kann. Diese momentane Grenzen Auf-Zu-Hektik ist sehr sehr schlecht. Sie schadet dem Ansehen der Möglichkeit einer vernünftigen Politik. Gleichwohl ist der Gedanke eines geordneten Einzuges mit Registrierungen sehr richtig, wenn wir die - selbstverständlich lange verabsäumt geplanten Einwanderungs-Hilfe! - notwenigen Einbürgerungsmaßnahmen effizient organisieren wollen! Haben wir denn wirklich eine Quoten-Diskussion oder wollen wir eine sinnvolle Lastenverteilungs-Diskussion eher hinter einer vermeintlichen Quoten-Diskussion verstecken??? Im Moment haben wir keine fehlende Politik, sondern eine schlechte. Auf mehreren Gebieten. Und das darf man doch bitteschön so nennen!! - Ich finde, wenn das Zitat stimmt, was ich mir in Kenntnis einiger Schriften von Byung-Chul Han vorstellen kann, ist das unglaublich schwammig und deshalb praktischer Politik und einer sinnvollen Meinungsbildung die in solides politisches, bürgerschaftliches Handeln führt, wenig hilfreich. - Aber der Tagesspiegel wird schon wissen und Sie, Herr B. wohl auch, warum Sie aus diesem Artikel zitieren... Auch würde ein globaler Wohlstand dem Kapital genau dann nicht widersprechen, wenn es sich für das Kapital lohnte, solchen herzustellen. DAS ist seine ihm immanente Eigendynamik. Ob die dann noch Kapitalismus genannt werden könnte, weiß ich nicht. Wie soll Europa selbstbewusster werden, wenn es zwar schon merkt, dass es Einwanderungs-Union geworden ist, wie früher die USA Einwanderungsstaaten geworden waren, aber nicht in ihm eine gerechte Verteilung der Einwanderer innerhalb der Union angemahnt werden darf??? - Byung-Chul Han wird es uns sagen. Und er wird gewiss dafür bezahlt werden. Anders als wir hier. - Auch wenn viele hier oft besser, tiefgründiger argumentieren.
Sezuan, Berlin: nach Sachsen
Sie schwimmen argumentativ, Herr Baucks. Natürlich beschäftigt sich zum Beispiel die Kunst ständig mit der Frage, "Wie kommt die Scheiße in die Köpfe?" (Zitat Ronald M. Schernikau), und das fast ausschließlich. Leider ist das auf Dauer langweilig. Wie sie wieder rauskommt, wäre wesentlich interessanter. Und auch da haben Sie kein Rezept, außer das der Umarmung der braunen Soße. Ihre Haltung zu Victor Orban haben Sie hier mehrfach kundgetan. Ich hatte bereits geschrieben, dass nur dadurch, dass man die Scheiße eben immer wieder beim Namen nennt und anderes vorlebt, irgendwann der Mief aus den Köpfen verschwindet. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis und behaupten nicht immer wieder, dass ich dazu keine Ideen hätte. Gehen Sie hin nach Sachsen und reden Sie mit den Leuten auf der Straße und in den Kneipen. Schampus muss es ja dann nicht immer sein.
Sezuan, Berlin: etwas zu aggressiv
Lieber Stefan B.,

wenn sie meine Einlassungen zum "rechten Krieger" tatsächlich gelesen hätten, wüßten sie, dass ich nicht schwimme. Sie werden übergriffig, mein Lieber, und dafür bin ich an sich dankbar. Da kann man deutlich ihre Methodik erkennen. Nun, ich habe nicht vor "braune Soße" zu armen.
Aber ich bedanke mich für ihren Verdacht. Zeigt er doch deutlich, dass sie zu einer differenzierten Auseinandersetzung nicht fähig sind. Vorbildfunktionen, wie sie sie vorschlagen, funktionieren nur bedingt, sonst gebe es das Problem schon lange nicht mehr. Auch meine Herangehensweise, die "besorgten Bürger" wie Menschen zu behandeln, was ja auch Christoph Schlingensief in Zürich versuchte, ist nur vorsichtig positiv zu beurteilen. Um es mit Hegemann zu sagen, man darf sich nicht der Illusion hingeben, man könne Rechtsradikale tatsächlich bekehren. Aber die besorgten Bürger aus Heidenau sind nicht zwingend rechtsradikal. Und sie sind nur die Spitze des Eisberges. Denn auf Europa hochgerechnet, müssten sie fast ganz Osteuropa von seinen Sorgen befreien, Flüchtende aufzunehmen, und dort beginnt das eigentliche Problem, nicht in Sachsen.

Orban ist ein sehr kritisch zu sehender Rechtspopulist. Ich gehöre nicht zu seinen Anhängern. Im Gegenteil. Meine Einlassungen damals bezogen sich auf die ungarische Bevölkerung, der ich gerne, und damit stehe ich nicht allein, eine Chance geben würde, sich zu Europa und zur Demokratie zu bekennen.

In Sachsen, genauer in Dresden habe ich zweimal inszeniert. Ich kenne mich dort ein wenig aus. Mich zieht es dort nicht mehr hin. Übrigens habe ich auch zweimal in Rumänien gearbeitet und kenne mich ebenso ein wenig mit der Mentalität auf dem Balkan, und auch in Ungarn aus.

Ich weiß nicht, was sie ermächtigt mich nach Sachsen als Sozialarbeiter zu verdammen, noch weiß ich nicht, welches "wir" den die Zeche für die Verfehlungen der Wirtschaft zahlen soll. Wenden sie sich doch bitte in dem Zusammenhang an die verantwortlichen Konzerne. Und auch Sachsen dürfen sie gerne besuchen und dort wirken. ich stelle mich ihnen da nicht in den Weg

Das Gespräch mit ihnen bekommt leider einen etwas unangenehmen Zug, deshalb erlauben sie mir bitte mich zurückzuziehen, denn ich bin nicht verantwortlich, für die "Scheiße in den Köpfen" , wie sie es nennen, und ihren ebenso rabiaten Methoden die Scheiße wieder aus den Köpfen zu "prügeln", mochte ich mich nicht anschließen, denn ich vertarue ihnen nicht, dass sie dort nur als Vorbild agieren wollen, dafür zeigen sie sich etwas zu aggressiv. Ich nehme weiterhin an, dass sie Menschen mit Scheiße im Hirn gerne aus dem Land jagen würden. Nur zu. Da kommt dann ordentlich Arbeit auf sie zu in Osteuropa, aber auch in Frankreich, den Niederlanden usw.. Ich werde sie dann an ihrer Methodik messen, nehme aber an, dass sie schnell aufgeben werden, da wahrscheinlich auch dies auf Dauer schnell für sie langweilig werden dürfte.

Ach so, Schampus in Sachsen vielleicht nicht, aber einen guten sächsischen Weißwein habe ich dort hin und wieder gerne getrunken.

Viele Grüße

Ihr

Martin Baucks
Sezuan, Berlin: Europa nie verstehen
Sorry, Herr Baucks, das "Prügeln" schieben Sie mir jetzt unlauter unter. Davon habe ich nie geschrieben. Prügeln tuen andere, siehe Ungarn. Von der "Scheiße" schrieb ich schon. Ein Zitat aus der Wendezeit, ich habe es namentlich kenntlich gemacht. Sie scheinen zart beseitet, wenn Ihnen das schon zu viel ist. Und dass es Sie nicht nach Sachsen zieht, wo ich mehrfach im Jahr unterwegs bin, spricht leider auch nicht für Sie als Koriphäe der ostdeutschen Befindlichkeiten. Aber Sie haben Recht, lassen wir das. Sie sind ebensowenig diskussionsfähig wie ich. In diesem Punkt, Herr Baucks, das gebe ich zu, verstehe ich keinen Spaß. Bleiben Sie in Berlin und schreiben Sie weiter von der europäischen Demokratie, Europa werden Sie vermutlich nie verstehen.
Sezuan, Berlin: Einladung nach Dresden
Ihre Humorlosigkeit in Ehren, aber sie können hier gerne ihr Europabild darlegen, wenn es die Redaktion erlaubt und dann sieht man weiter. Was das mit 'Sezuan' zu tun hat, weiß ich nicht. Wenn sie meinen eine Rechnung mit mir auf zu haben, können sie mich gerne nach Dresden einladen und wir tragen das dort aus.
Sezuan, Berlin: Bitte aus der Redaktion
Als diensthabende Redakteurin möchte ich mich an dieser Stelle einmal höflich einmischen und die Herren Baucks und Stefan B. bitten, doch langsam voneinander abzulassen. Denn es scheint mir alles gesagt und die Debatte bewegt sich nicht mehr vom Fleck. Und andere Leser*innen leiden womöglich schon, weil das Stimmungsbarometer in diesem Thread unter Null gefallen ist.

Herzliche Grüße
Sezuan, Berlin: Ulrike Meinhof der Rechten
(...)

Aber ich werfe ihnen einmal einen anderen Ball hinter her.

Von was werden die Menschen eigentlich verfolgt? Sind es wirklich nur Regierungen, die ihnen politisch nachstellen? Nur Regierungen, die ihnen, aus religiösen oder anderen Gründen, den Zugang zur Verwirklichung ihrer persönlichen Ziele verweigern?

Werden die Menschen nicht ebenso von der Omnipräsenz einer Gruppe von Konzernen verfolgt? Wer regiert uns wirklich? Ist eine Verfolgung durch eine Wirtschaftsform denkbar? Und ist ein Asyl zum Schutz vor Verfolgung von wirtschaftlichen Systemen denkbar?

Und wenn ja, haben die sogenannten „besorgten Bürger“ nicht auch schon eine Flucht angetreten? Eine Flucht nach innen?

„Innere Emigration“ nannten wir das früher. Kurzzeitig brechen sie diese innere Zelle auf und rebellieren, aber dann müssen sie sich wieder unter die wirtschaftlichen Verhältnisse beugen, die auch die Zuwanderer verwerten wollen. Der nach außen sichtbaren Flucht steht eine Flucht nach innen gegenüber.

Eine Ikone dieser Flucht nach innen, dieser inneren Emigration ist Beate Zschäpe. Sie ist die schweigende Ulrike Meinhof der Rechten. Sie bildet das Stumme dieser Verkapselung perfekt ab.

Fast man den Begriff „Flüchtende“ etwas weiter, versteht man vielleicht die Wanderung von Menschen in Europa und nach Europa hinein, aber auch die Flucht europäischer Bürger in die eigene Person hinein, etwas besser.

Nun scheinen alle gleichzeitig temporär in einen Zustand der Rebellion zu verfallen. Das ist nachvollziehbar. Denn der Druck auf das erzwungene Prekariat steigt überall, aber auch innerhalb Europas. Die, welche schon längst in einer prekären Situation leben, wissen, dass sie demnächst mit Flüchtenden, um ein und die selben Wohnungen und Jobs kämpfen werden, das ist unstreitbar, sagt zumindest Herr Oppermann von der SPD. Und niemand kann in dieser Situation seine Flucht noch weiter optimieren. Weder diejenigen, die nach innen fliehen und nun rebellieren, noch diejenigen, die tatsächlich wirtschaftliche Grenzen überwinden wollen, in dem sie nach Europa einreisen.

Diese Flucht nach innen erlebt Shen Te und kann sich davon nur als Shui Ta befreien. Wobei die Gender Verteilung hierbei fragwürdig ist. Aber soweit war Brecht noch nicht.
Sezuan, Berliner Ensemble: Hamster im Klo
Entschuldigung verehrte Redaktion,

aber gestern befand sich glaube ich an dieser Stelle noch ein hochinteressanter Kommentar von Herrn Baucks mit völlig neuen Ansätzen zur "Flucht nach Innen" im Zusammenhang mit dem Komplex Meinhof/Zschäpe beziehungsweise Shen Te/Shui Ta, Schlingensief hätte seine wahre Freude gehabt, und ich finde ihn nicht mehr. Wo ist er hin? Hat das Internet ihn verschluckt oder sie ihn gelöscht?

Ich würde ihn gerne noch einmal lesen, wenn sie erlauben. Bräuchte ihn zur Weiterentwicklung meiner Arbeit.

viele Grüße

Philippa Huch

P.s.: Stattdessen überall dieser Unfug aus Dortmund. Ich versenke ja auch nicht meinen Hamster im Klo um das Morden in Syrien zu beenden.

(Anm. Redaktion. Die Absätze, die Sie interessieren, sind wieder freigeschaltet.)
Sezuan, Berlin: matter Abend
An den Berliner Bühnen jagt weiter eine Premiere die nächste, dennoch ist noch zu viel Sand im Getriebe.

(...)

Zähe vier Stunden lang, die nicht nur Deutschlandradio Kultur „fast qualvoll“ fand, schleppte sich die Inszenierung dahin.

An diesem matten Abend war nichts von dem Drive übrig, mit dem Haußmann und sein "Woyzeck"-Soldatenchor vor einem Jahr die Bühne erzittern ließen. Kaum zu glauben, dass diese ideen- und farblose Brecht-Nacherzählung vom selben Regisseur stammt, der zur letzten Spielzeiteröffnung gezeigt hat, wie ein fulminanter Theaterabend aussehen kann.

Den "Guten Menschen von Sezuan" kann man nach den einhelligen Verrissen getrost schnell abhaken und lieber noch mal Haußmanns Repertoire-Inszenierungen am BE besuchen, seinen Woyzeck (2014) oder seinen Hamlet (2013).

(...)

http://kulturblog.e-politik.de/archives/25926-25926.html
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Lanze brechen
Nach soviel Expertenschelte und einem in der Tat etwas ablenkenden Duell der Herren Stefan und Baucks will ich zur Abwechslung eine Lanze für die Inszenierung brechen. Erstmalig den "guten Menschen" besuchend, hat mich der Abend durchweg überzeugt: eine Regie, die die nicht einfache Geschichte verständlich und plausibel erzählt, die ihre Aktualität unaufdringlich in Szene setzt. Etwa durch die eigenwillige - und gänzliche BE-untypische - zwischen modernem China und Marzahn changierende Unterklassen-Ästhetik; oder durch eindringlich-aktuelle Bilder wie den durch die Großzügigkeit Shen Te´s schnell übervollen Tabakladen oder den labilen, mit Absturzgedanken spielenden Piloten; vor allem aber die Schauspieler, allen voran die großartige Leistung von Antonia Bill, deren Doppelrolle mehr Würdigung verdient hätte.

Ja, knapp vier Stunden waren lang, doch der lange, begeisterte Applaus der 80% die nach der Pause (in der dritten Vorstellung) blieben, sprach dafür, dass eine Menge "rüber gekommen" ist!
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: keine Längen
Antonia Bill & drei Ausrufezeichen. Danke für dieses famose Spiel. Und übrigens keine Länge verspürt, obwohl Brecht nicht gerade mein Liebling ist.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: keine Haltung
Da ist keinerlei Haltung zu spüren – nicht zum Text und schon gar nicht zu der Welt, aus welcher der Zuschauer doch gerade erst gekommen ist, und in welcher der Umgang mit einer wachsende Zahl hilfsbedürftiger Menschen ein nicht gerade vergessenes Thema ist. Selbst wenn gegen Ende die fatale Aussage fällt, es seien der Bedürftigen einfach zu viele, weshalb man – wie der imaginäre Vetter es tut – ihnen irgendwann den Rücken kehren müsse, wird das unwidersprochen wegignoriert. Und so sehen wir einem seltsamen Zwitterabend zu: auf der einen Seite alberner Klamauk, der sich mit der Vorlage kein bisschen auseinandersetzt, sondern sie einfach als Spielmaterial gebraucht (ist das eigentlich im Sinne der gestrengen Brecht-Erben?), auf der anderen todernstes Deklamieren eines Texts, der es sich schon zu seiner Entstehungszeit viel zu einfach machte und auf die unsere nun rein gar keine Antworten mehr hat. Leider stellt Haußmann an ihn auch keinerlei Fragen. Nein, da kann Gerd Kunath am Ende noch so launig den Epilog rezitieren, es bleiben keine “Fragen offen”, denn es wurden nie welche aufgeworfen. Außer vielleicht der vom Anfang: Warum um Gottes (oder der Götter) Willen findet dieser Abend statt. “Man geduldet sich gern, solange es Bier gibt”, heißt es unmittelbar vor der Pause. Vielleicht sollte man die Dosen einfach im Publikum verteilen.

Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2015/09/30/klamauk-und-dosenbier/#more-4739
Sezuan, Berlin: Befindlichkeiten
Ach, ich bin traurig, gehts um das Beschreiben dieses Abends oder gehts nur um blöde dumpfsinnige Befindlichkeiten? Was ist noch eine Kritik? Was ist noch das Können derselben? Ich finde es sehr schade, dass darüber nicht diskutiert wird. Besonders über den Abend. Was wurde erreicht und was nicht. Wer hat gespielt überhaupt? Wie wirkte das Bühnenbild? Die Kostüme? Es ist mittlerweile, ganz toll, wenn ein Kritiker, der nichts erzählt außer Befindlichkeiten seiner selbst, am Ende seines nichtssagendendes Artikels, empfiehlt nicht hinzugehen. Ich empfinde das, als eine Bankrotterklärung an das Kritikergerdasein und überhaupt an die Liebe zum Theater ohne das mit Verlaub kein Kritiker überleben kann. Und diese selbstgefälligen Diskussionen sind auch sehr traurig.
Sezuan, Berlin: der Kritiker als unsichtbarer Flüchtling
Wie weit ist es her mit der Liebe des Kritikers zum Theater, wenn der Kritiker es nicht mehr wahrnehmen möchte? Das ist eine SEEEHR gute Frage. Man kann sie leicht beantworten, wenn man den Kritiker etwa nicht ernst nimmt in seinem Beruf und dessen Bedingtheiten untersucht. Der Kritiker ist nur dann wirklich Kritiker, ja KANN es nur sein, wenn seine formulierten kritischen Betrachtungen, Erörterungen, von Kritik getragenen Empfehlungen veröffentlicht werden. Und zwar nicht nur durch ihn selbst, sondern medial vermittelt, in gewisser Weise also mediativ beglaubigt in ihrem Mühen um Objektivität. Diese mediale Vermittlung fällt heute in rasant steigendem Tempo zunehmend aus. Das liegt vor allem an den ständig wachsenden Möglichkeiten, in Medien journalistische inhaltlich/formal subjektiv angetriebene Arbeit durch die Anwendung von Spracherstellungssoftware und Recherche-Apps zu ersetzen. Was zunächst als Hilfs-Mittel journalistischer Arbeit gedacht war und dies auch bleiben sollte, wird aus ökonomischem Interesse der Medienbesitzer als lediglich nachlektorierende, journalistisch geschulte Ausputzerarbeit zunehmend ersetzt. Das heißt, der ehemalige Kritiker, der subjektive Auswerter und Beschreiber von Wahrgenommenem, wird gar nicht mehr veröffentlicht, sondern kontrolliert nur noch, dass und ob etwas veröffentlicht wird, was und das aussieht WIE Kritik, ihr ähnlich ist, als subjektive Wertung „rüberkommt“, das Trugbild von Subjektivität, die der Rezipient erwartet, erfüllt… Solange dieser Vorgang von Leser-/Hörerschaft und Zuschauern nicht bemängelt wird durch Abschalten in jeder Beziehung, wird sich dies nicht ändern. Das bringt die guten Theaterkritiker in ein großes Dilemma: WENN sie das Theater wirklich lieben, und von ihm berichten wollen, MÜSSEN sie sich auf diese Ent-Menschlichung zum Schein-Urteil einlassen und wenn sie gleichzeitig ihren Beruf lieben, KÖNNEN sie es nicht guten Gewissens tun, und zunehmend nur immer widerwilliger. Den Widerwillen spürt man im Tonfall der Kritiken, der immer einheitlicher wird: zynisch, sexistisch, unangemessen schwärmerisch oder lieblos. Wo die Möglichkeiten der subjektiven Eingriffe in Sprache immer geringer werden, werden sie quantitativ reduziert und qualitativ extremer…Der eigentlich beste Kritiker wird also seinen Beruf fliehen, und er wird dazu ein unsichtbarer Flüchtling sein... Er kann seine Hoffnung nur setzen auf ein Publikum, dass den Medienbetrug an ihm zunehmend erkennt und seiner überdrüssig wird bis zum Boykott. Das den subjektiv aus vielen Gründen ins Theater getriebenen Kritiker zurückfordert. Und den nur aus persönlich ökonomisch-existenziellen Gründen öffentlich wahrnehmbaren, in den Medien präsent verbleibenden Kritiker ablehnt. Wer bleibt, kann sich wehren durch den Gebrauch einer Viel- bis Unzahl von benutzten Pseudonymen. Die er verteidigen muss mit einer möglichst überzeugend aussehenden Extra-Identität. Das wird ihm eine Zeitlang Spaß machen, weil es ihm die Illusion der Macht über sein Ich und die Manipulation der Wahrnehmung anderer gibt – bis er an den Grenzbereich gelangt, wo er veranlasst ist zu fragen, ob und als wer er selbst überhaupt noch existiert: das ist der Bereich, in dem er merkt, das seine Täuschung und seine Manipulation entweder funktioniert ODER hingenommen wird – eine sehr schwierige Lage. Für das Theater, das seine Kritiker braucht und sie öffentlich kaum mehr überzeugend findet. Und für die Kritiker, die Veröffentlichung ihrer Kritik brauchen, um ihre spezielle Liebe zeigen zu können… Und so finden wir heute Journalisten eher in Theater-Jurys, im Theater-Selbstbetrachtungs-Saft, als Journalismus-Lehrer in eher privaten Institutionen oder Stücke schreibend, die wegen der guten ehemaligen Verbindungen gute Chancen haben, gespielt zu werden usw. Der Theaterbetrieb, das Theater, muss ihnen ihr Medium ersetzen. Und das KANN es nicht, das DARF es nicht einmal …
Guter Mensch von Sezuan, Berlin: Leute, vergesst die Kritiker
Extra aus Schleswig-Holstein angereist, haben wir uns die Vorstellung des "Guten Menschen" am 11.10. in der Inszenierung von Haußmann angesehen.
Es ist uns absolut schleierhaft, welches Stück die sogenannten Kritiker gesehen haben wollen.
Wir haben einen kurzweiligen, spannenden, lehrreichen Theaterabend erlebt. Die großartige Antonia Bill spielt atemberaubend, ein überzeugendes Ensemble trägt das Stück, das in den letzen Wochen noch mehr an Aktualität gewonnen hat, und die originelle, sinnreiche Inszenierung.
Wohlverdienter, minutenlanger frenetischer Beifall!

Leute, überzeugt Euch selbst und seht Euch das empfehlenswerte Stück an, vergesst die Kritiker ...
Guter Mensch von Sezuan, Berlin: Berufsnörgler vs. Publikum
Ich kann REINER nur zustimmen. Zwischen der veröffentlichten Theatermeinung der Berufsnörgler und der tatsächlichen Theaterrealität herrscht oft ein eklatanter Widersprüche! Das Wunderbare aber am Theater ist, Aufführungen setzen sich durch, nicht Kritiker entscheiden, es ist das Publikum!
Guter Mensch von Sezuan, Berlin: keine Liebe zum Stoff
61,62

aufführung vom 11.10. gesehen, und schwer enttäuscht gewesen. nachdem ich die diskussionen hier verfolgt habe, wollte ich mir doch eine eigene meinung bilden. einige schauspielerische leistungen unbenommen, ist das regiekonzept doch sehr dünn. es gibt zwei wichtige grundregeln beim regieführen. liebe deine schauspieler, und liebe den stoff, an dem du arbeitest. vor allem letzteres konnte ich nicht sehen. lange weile.
Sezuan, Berlin: Publikumsabstimmung
@62 Richtig, das Publikum entscheidet. Und in der von mir besuchten Vorstellung zumindest ist es in Scharen geflohen. Das ist die "Theaterrealität", von der sie sprechen.
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: hellwach
In der Regel gehe ich ins Theater und schlafe ein. Beim "Guten Menschen von Sezuan" war ich hellwach. Und das vier Stunden. Chapeau!
Der gute Mensch von Sezuan, Berlin: Mitleid
@65 Das tut mir ehrlich Leid für sie.
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