Jenseits von Eden - Am Theater Bonn geht Alice Buddeberg mutig die Familiensaga von John Steinbeck an
Raus aus der Mütter Blümchenhölle
von Friederike Felbeck
Bonn, 17. September 2015. In langen Spalieren sind durchsichtige mit frisch geernteten Äpfeln prall gefüllte Säcke hintereinander aufgereiht. Die Felder scheinen so weit wie das Auge reicht. Dieser Umzug sollte einer ins Freie sein – raus aus der Enge und den niedrigen Zimmern einer winzigen Farm in Connecticut hinaus in die Weite Kaliforniens in einen üppigen Garten Eden. Das Bühnenbild von Sandra Rosenstiel macht es uns eindrucksvoll klar: Gerade noch heben sich die Figuren kaum gegen eine bis in die letzte Ecke mit Blümchentapete ausgelegte Puppenstube ab, da stehen sie schon verloren in der sengenden Sonne auf weiter Flur. Am Ende rollen die ungezählten Äpfel auf uns zu, und das verheißungsvolle Paradies wird zu einer gefährlichen Schlitterpartie für die, die sich es erträumten.
Alice Buddeberg, nach starken Anfängen am Schauspiel Frankfurt, in Hamburg und Luzern seit der Spielzeit 2013/2014 Hausregisseurin am Theater Bonn, kreiert eine kräftig verschachtelte und klug komprimierte Fassung von John Steinbecks Mammutroman "Jenseits von Eden". Dabei wandert sie mutig durch die einen Zeitraum von fast sechzig Jahren umfassenden vier Teile des Romans, der drei Generationen der Familie Trask vor der Geschichte Amerikas vom Bürgerkrieg bis zum Ersten Weltkrieg spiegelt.
Die Äpfel rollen nicht weit vom Stamm
Steinbecks Roman von 1952 wurde bereits mehrfach für die Bühne adaptiert, u.a. 2011 von Ulrike Syha und Peter Kastenmüller als epische US-Revue für das Theater Basel eingerichtet. In Bonn wird er zu einem dichten Kammerstück. Dabei entdeckt Buddeberg die heimliche Hauptfigur, die schon in Elia Kazans Verfilmung mit James Dean machtvoll in ihren Bann zog: Cathy alias Kate, die totgeglaubte Mutter der Zwillinge Cal und Aron, die als der wahre Antipode des ewig guten Adam Trask (Wolfgang Rüter) als langgliedrige Schwarze Witwe wie eine große Spinne auf der Blumentapete krabbelt.
Sören Wunderlich in den Apfelfeldern von Eden © Thilo Beu
Konzentriert auf fünf Schauspieler lässt Buddeberg das gescheiterte Paar Adam und Kate sich selbst und ihre eigene Herkunft betrachten: Die Darsteller der Söhne (Sören Wunderlich und Hajo Tuschy) sind auch ihr eigener Vater und Onkel, die Verlobte Arons spielt auch die junge Kate. Buddeberg durchbricht bewusst die von Steinbeck vorgegebene mathematische Formel vom Prinzip Gut für alle Figuren, deren Namen mit einem A beginnen, und dem Prinzip Böse, wie bei Charles, Caleb und Cathy.
Abgefackeltes Elternhaus
Wie zur Erinnerung stellt sie dem Abend die biblische Geschichte von Kain und Abel voran, die sich wie ein Fluch über das Schicksal der Familie gelegt hat. Die sechzehnjährige Cathy, verdorben durch die Lektüre von "Alice im Wunderland", fackelt das eigene Elternhaus ab – Mutter und Vater gleich mit. Sie wird zwangsprostituiert, und als sie von ihrem Sugar-Daddy fast zu Tode geprügelt wird, rettet sie der ziellose Kriegsheimkehrer Adam, der sich nicht nur die eigene Biografie schönredet, sondern auch seine Frau durch eine rosarote Brille anschaut. Die wird so zum zweiten Mal vergewaltigt und rebelliert erneut.
Sophie Basse als reife Kate und Sina Martens als junge Cathy spielen im Duo die eigene Geschichte: Selbstironisch, bissig und zart inszenieren sie sich nach einer gescheiterten Do-it-yourself-Abtreibung bei der Geburt der Zwillinge als Mater Dolorosa. Aber sobald die beiden Adams aufgeregt debattierend vor der Tür geparkt sind, schlürfen sie zusammen eine Dose Bier und rauchen, was das Zeug hält. Aus ihren Unterröcken werden Aron und Cal, die Kate dem verzückten Vater in den Arm legt, um sich dann mit einem Gewehrschuss aus ihrem drohenden Mutter-Gefängnis und dem vorzeitigen Ende ihres unabhängigen Lebens zu befreien. Ihre Existenz wird von nun an totgeschwiegen, die beiden Söhne wachsen bei dem Vater auf, und das Ringen um ihre wahre Identität und Bestimmung vergiftet auch die nächste Generation.
Herrlich unamerikanisch und hintersinnig feministisch
Buddebergs Zugriff ist so herrlich unamerikanisch, wie man es sich nur wünschen konnte. Das Salinas Valley könnte auch ein x-beliebiges Apfelparadies an Niederrhein oder Bodensee sein. Nur glücklich konnte Kate dort nicht werden – von dem einengenden Elternhaus rutscht sie in eine ebensolche Ehe und befreit sich zweimal mit Gewalt, nur um Karriere als selbstbestimmte Unternehmerin und erfolgreiche Puffmutter zu machen. Der eine Sohn, Cal, macht es ihr nach.
Die Stunde der Schwarzen Witwen: Hajo Tuschy, Sören Wunderlich, Wolfgang Rüter, Sophie Basse und Sina Martens © Thilo Beu
Das Böse in Kate ist ihr unbedingter Freiheitswille. Das macht sie zur modernsten und interessantesten Figur des Abends: Wie die Unabhängigkeit von Frauen etikettiert wird und welches verkappt konservative Blümchenideal noch immer an die Töchter von heute weitergegeben wird, rufen einem aktuelle Studien über Mütter, die lieber keine geworden wären, oder über versandete Arbeitsbiografien und ausgesetzte Lebensentwürfe junger Frauen eindringlich in Erinnerung. So gerät der Abend zu einer fast feministischen Inszenierung, die nach der anfänglichen Irritation, wie unzeitgemäß Buddeberg allein der Suggestivkraft der Sprache vertraut, umso mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht und mit Sogwirkung in den heillosen zeitlosen Mikrokosmos Familie zieht.
Jenseits von Eden
nach dem Roman von John Steinbeck
für die Bühne bearbeitet von Alice Buddeberg und Nina Steinhilber
Regie: Alice Buddeberg, Bühne: Sandra Rosenstiel, Kostüme: Martina Küster, Musik: Stefan Paul Goetsch, Licht: Max Karbe, Dramaturgie: Nina Steinhilber.
Mit: Wolfgang Rüter, Sophie Basse, Sören Wunderlich, Hajo Tuschy, Sina Martens.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
www.theater-bonn.de
Von Romanbearbeitungen, die es am Theater Bonn jetzt in Hülle und Fülle gebe, hält Dietmar Kanthak vom Bonner General-Anzeiger (19.9.2015) nicht viel. Die Schauspieler*innen hätten "mal wieder ein richtiges Stück verdient". An diesem Abend seien die Äpfel "so etwas wie heimliche Hauptdarsteller", die Spieler hingegen monologisierten viel, wobei "die Darsteller nebeneinander stehen und ihre Texte aufsagen", so die Kritik. "Eindringlich wird es allerdings immer erst dann, wenn die Schauspieler ihr Kerngeschäft betreiben und Menschen in all ihrer Komplexität darstellen. Dann zeigt sich, was für ein tolles Ensemble das Theater besitzt."
"Große Gefühle wirken nicht über große Distanzen", genau dies habe Buddeberg versucht, scheitere aber trotz einer brillanten Bearbeitung in weiten Teilen, schreibt Thomas Kölsch in der Rhein-Zeitung (18.9.2015). Zwischen dem übertriebenen Spiel mit Äpfeln lassen die Schauspieler viel zu oft die erwartete Intensität von brodelnder Leidenschaft, Missgunst, Neid, Abscheu und Hass vermissen. Fazit: "Auch das beste Figurenkonzept und ein kongenial zusammnegestrichener Text funktionieren nicht ohne glaubhafte Gefühle."
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 29. Mai 2023 Alfred-Kerr-Darstellerpreis 2023 an Dominik Dos-Reis
- 29. Mai 2023 Cannes-Preise für Filme mit Sandra Hüller
- 29. Mai 2023 Margit Bendokat ist Ehrenmitglied des DT Berlin
- 26. Mai 2023 Mülheimer Kinderstücke-Preis an Roland Schimmelpfennig
- 25. Mai 2023 Die Schauspielerin Simone Thoma ist gestorben
- 25. Mai 2023 Auszeichnung für Schauspielerin Vivienne Causemann
- 25. Mai 2023 Preise für Schweizer Schauspieler*innen
Ein kreuzbieder runtergespielter, konzeptloser, biederer Abend war das, der an finsterste Zeiten der Weise-Intendanz erinnerte.
Die Intendanz sollte sich die Frage stellen, ob ein Haus, das dermaßen mit Kürzungen zu kämpfen hat - dessen Existenz quasi auf dem Spiel steht ! - sich solch' ein Niveau leisten kann.
Ich verstehe nicht, wie Sie dieses Urteil aus ebenjener Inszenierung nehmen können. Ich sah ein fantastisches Ensemble in einer sehr klugen Fassung des Romans und einer gut gewählten Setzung. Der Aufbruch der Bühne, der Wechsel der Figuren und Generationen: Toll!