Auf dem Präsentierteller der Illusionen 

von Harald Raab

Kaiserslautern, 20. September 2015. Déjà-vu in der Werkstattbühne des Pfalztheaters Kaiserslautern. In Anne Leppers Stück "Käthe Hermann" – 2012 in Bielefeld uraufgeführt – spielt die einzige real-verlässliche Hauptrolle ein Zimmer, ein letzter, jedoch vom Abriss bedrohter Rückzugsort für Menschen auf der Verliererseite. Die agierenden Figuren, eine Mutter mit ihren zwei Kindern, oszillieren zwischen Schein und Sein, zwischen Hoffen und Bangen. Sie wagen ein Tänzchen auf schwankendem Boden, reden sich die reale Existenz schön. Sie haben sich aus ihr längst verabschiedet. Man wartet auf ein Wunder.

Meisterin des Revivals

Aber hallo, hatten wir das nicht schon einmal? Harold Pinters "The Room" spielt mit denselben Verlustängsten um eine Bleibe und mit den Abgründen menschlicher Seins- und Bewusstseinszustände. Anne Lepper, die mit dem Label "Hoffnung des neuen deutschen Theaters" und diversen Preisen versehen ist, hat sich nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal als Meisterin des Revivals erwiesen. Sie de- und rekonstruiert gern, verwendet kulturelle und soziale Versatzstücke, auch die des absurden Theaters. Beckett, Ionesco, Arrabal und eben Pinter – Anne Leppert hat eine respektable Ahnenreihe.

Kaethe 07 560 kaiserslautern uPrekariatstrio in der Pfalz: "Käthe Hermann" mit Hannelore Bähr, Manuel Klein, Geertje Nissen 
© Hans-Jürgen Brehm Seufert

In dem ohne Punkt und Komma gebauten Einakter "Käthe Hermann" bedient sich die gern rätselhaft auftretende Autorin auch einiger Nazi-Reminiszenzen. Sogar aus einer berüchtigten Himmler-Rede vor seinen Mordschergen wird zitiert. Die Gegenwart der deutschen Familie als kleinste Einheit der Gesellschaft gebiert halt immer noch Monster.

Hamsterrad, Präsentierteller, Rollstuhl

Die Bühne ist zum Zuschauerraum hin mit grauen Dämmplatten abgeschottet, eine Innen- und eine Außenwelt trennend. Eine lange, gezackte Öffnung, wie mit einer Abrissbirne geschlagen, gibt den Blick frei auf das Bühnengeschehen. Mutter Käthe, eine stattliche Matrone, posiert im Ballettröckchen überm Hauskleid als klassische Tänzerin auf einem roten, runden Podest. Tochter Irmi marschiert im großen Hamsterrad, das mittels eines Keilriemens den Präsentierteller samt Mutter zum Liedchen "Heimat, süße Heimat . . ." rotieren lässt. Derweil kurvt Sohn Martin in einem Rollstuhl in der kleinbürgerlichen Stube herum.

Während vor dem Haus bereits die Bagger auffahren, führt Mutter Käthe mit ihren Sprösslingen Dialoge, die eigentlich Monologe sind. Man redet aneinander vorbei, wenn man sich nicht gerade verbal niedermacht. Fragen und Antworten wollen nicht immer zusammenfinden. Trotz all des Palavers – ich quatsche, also bin ich – herrscht geistige Sprachlosigkeit. Jede Bühnenfigur ist Gefangene ihres Schicksals. Die ganze Absurdität des Lebens wird im Mikrokosmos Familie zur Schau gestellt. Regisseur Wolfgang Hagemann wagt in seiner schlüssigen Konzeption des Stücks einen Balanceakt im Bermudadreieck von Komödie, Tragödie und Banalität. Große Gesten, Action und abrupte Brüche. Es darf gelacht werden. Mitleid soll nicht aufkommen.

Kaethe 04 560 pfalztheater u© Hans-Jürgen Brehm Seufert

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Träume von Verlierern

Die Käthe von Geertje Nissen ist Muttertier und Möchtegern-Dame, herrschsüchtig, kokett und lächerlich, große Pose und traurige Figur. Sie gibt vor, ihre Tänzerinnen-Karriere für die Aufzucht ihrer Brut hingegeben zu haben. Deren Erzeuger, Hans, ein gestandener Nazi, hat sich in die ewigen Jagdgründe aus dem Staub gemacht. Sie gibt sich der Illusion hin, endlich noch die gefeierte Ballett-Diva werden zu können. Sohn Martin (Manuel Klein), ein Krüppel, wäre gern ein schwarzes Pferd und ein ganzer Kerl wie Roco, seine Traumfigur. Schwesterchen Irmi sieht sich als weißes Pferd, weil die uns Menschen am ähnlichsten seien. Irmi, von Hannelore Bähr als betulich naives Mädchen komödiantisch gestaltet, hat wohl dereinst ein Kind zur Welt gebracht und weggegeben oder ausgesetzt. Sie halluziniert sich spätes Mutterglück. Der Junge werde als berühmter Arzt zurück in Mamis Arme finden. Dieses Prekariatstrio träumt vom Auftritt in einer Reality-Show im Fernsehen. Alle Welt soll ihre Existenz bewundern. Auch die Bundeskanzlerin müsste der Schein-Familienidylle gratulieren.

Das Spektakel läuft deckungsgleich in Form und Inhalt, besser gesagt Inhaltslosigkeit ab. Die Scheinrealität ist im Theater des Absurden ein offenes System. Es gibt keine Moral von der Geschichte. Licht aus und alle Fragen offen. Der Applaus, der vor allem wohl der schauspielerischen Leistung galt, wurde von einem eher ratlosen Publikum gespendet. Wie sagt doch Anne Lepper selbst: Man solle nicht in ihre Stücke gehen, um etwas zu lernen. Derweil darf, wer sich bei diesem Theaterabend alleingelassen fühlte, vielleicht sich mit Wolfgang Hildesheimer trösten: "Der Dramatiker des Absurden schreibt Stücke und wartet darauf, dass man sie ihm erkläre."

 

Käthe Hermann
von Anne Lepper
Regie: Wolfgang Hagemann, Bühne und Kostüme: Oliver Kostecka, Dramaturgie: Andrea Wittstock.
Mit: Hannelore Bähr, Manuel Klein, Geertje Nissen.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.pfalztheater.de

 

 

Kritikenrundschau

Theo Schneider besprach das Stück im SWR2 Journal (22.9.2015): Genau genommen passiere nichts in diesem "Quirl aus Klagen und Elend, aus großen Frustrationen und kleine Fluchten, aus hochfahrenden Hoffnungen und vergeblichen Träumen". Mit seiner "deftigen Sprache im rauen Milieu der Unterschicht" erinnere das Stück zum einen an "den sozialen Realismus" von "Sarah Kane und Kollegen". Die "symbolisch-bizarre, düster-komische und sehr stimmige Ausstattung" dagegen rücke es in "die Nähe des absurden Theaters". Zwischen beiden Polen halte die Inszenierung von Wolfgang Hagemann eine "gute Balance, die ganz auf Spiellust und Kunst der Schauspieler" setze. Die schraubten sich ganz in diese Figuren hinein, beulten sie "gleichsam von innen aus" und seien wirklich "drei gute Gründe, diese Aufführung anzusehen".

Hans-Ulrich Fechler schreibt in der Rheinpfalz (22.9.2015): Das Stück erinnere an die Familiendramen eines Tennessee Williams versetzt mit einem " Schuss Bösartigkeit der hinterfotzigen Charaktere Thomas Bernhards". Es sei gut, dass die frühere Opernsängerin Geertje Nissen die Käthe spiele, die 72-Jährige fülle die Rolle "trefflich mit jener Herrschsucht aus, die sich affektiert hinter dem Geschwafel von Kunst und Kultur versteckt". Auch Hannelore Bähr gebe mit ihren "linkischen Bewegungen" überzeugend die Irmi als "ewiges Mauerblümchen". Wolfgang Hagemann habe das Stück "als Groteske" inszeniert, bei der "den Zuschauern am Ende das Lachen im Halse stecken bleibt. Langer Beifall".

 

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