Blog - Kleidungsempfehlungen einer deutschen Schauspielschule
Dünne Frauen im Rock
30. September 2015. Es kommt hin und wieder vor, dass auch so ein niederes Wesen wie eine Theaterkritikerin einen Telefonanruf von einem Theaterintendanten erhält. Zwar gelten Kritiker*innen meist als eher minderbemittelte Kreaturen, die kaum in der Lage sind, ein Kunstwerk zu beurteilen. Trotzdem ist es den hohen Vertreter*innen der Zunft immer wieder wichtig, uns bei nachtkritik.de wortreich davon zu überzeugen, dass an ihren jeweiligen Häusern gerade einmal wieder eine weltbewegende Arbeit im Entstehen begriffen ist.
Manchmal aber betätigen sich die Herren und Damen Intendant*innen auch als, ja, whistleblower, um auf diesen oder jenen Missstand im System zu verweisen. Auf eine verdächtige Formulierung in den Aufnahmebedingungen für die Schauspielprüfung an der Hochschule für Musik und Schauspiel Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig zum Beispiel.
auf Seite 4 steht da unter der Überschrift "Informationen und Tipps für die Vorbereitung auf den Eignungstest für ein Schauspielstudium in Leipzig" folgendes zu lesen: "Bewerberinnen bitten wir, auf der Bühne Kleid oder Rock sowie Schuhe mit halbhohem Absatz zu tragen; Hosen, Stiefel oder Turnschuhe nur, wenn es die Rolle verlangt." Suchend streift nun das Auge durch den Infotext und fahndet nach einer entsprechenden Bitte an männliche Bewerber, nur in (langen?) Hosen zu erscheinen und Kleider und Röcke nur dann zu tragen, wenn es die Rolle verlangt.
Und wirklich,Aber nichts davon. In Leipzig dürfen männliche Bewerber den, sagen wir Ferdinand aus "Kabale und Liebe" (der auf der Liste der empfohlenen Vorsprechrollen steht), im Kleid oder Rock vorsprechen. Ja! Auch an eine rollengemäße Fußbekleidung werden in den Hinweisen keinerlei Ansprüche gestellt.
Warum aber werden Bewerberinnen hier so unziemlich eingeschränkt, was die kostümliche Gestaltung ihrer Vorsprechrolle betrifft. Und vor allem: was verspricht sich die Hochschulleitung von dieser Bestimmung? Freie Sicht auf adrette Schauspielstudentinnenbeine am Ende, die darüber hinaus noch durch eine gewisse vorgeschriebene Absatzhöhe veredelt wird? Ist am Ende dann gar die Beinform ausschlaggebender für die Entscheidung, eine Probandin schließlich zum Schauspielstudium zuzulassen, als deren Vorsprechleistung?
Fragen über Fragen. Da müsste man als antisexistische Maßnahme bei der Aufnahmeprüfung eigentlich glatt für eine genderneutrale Einheitsburka plädieren.
(Esther Slevogt)
Mehr zu diesem Thema: Theater und Sexismus – Bestandsaufnahme einer vernachlässigten Diskussion von Leopold Lippert (7/2015)
Nachtrag vom 4. Oktober 2015: Die Redaktion hatte die Hochschulleitung um eine Stellungnahme gebeten. Die blieb zwar aus. Aber der Satz wurde mittlerweile stillschweigend aus dem Infotext gestrichen.
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Und sie kommen gar nicht auf die Idee, ihrem Ferdinand einen Rock umzuhängen! Schade eigentlich! Danke für den Hinweis.
Und viele Frauen kämen nicht auf die Idee, ihre weibliche Seite zu zeigen! Auch schade!
Es lebe die Gleichstellung! Her mit den Toiletten und Garderoben für Homosexuelle!!!
Haben wir keine wirklichen Probleme?
(Lieber J.A.,
wir haben nachgefargt und warten nun auf Antwort. Freundliche Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt)
Danke! Besser mal nachfragen warum sowas existiert anstatt gleich irgendeinen Schwachsinn zu unterstellen.
Ich muss zugeben, daß mir die Formulierung "Haben wir keine wirklichen Probleme?" zunehmend auf den ... geht. Das ist ein Totschlagargument, das immer wieder gerne gebracht wird, wenn irgendjemand keine Differenzierungen machen möchte. Ihr wollt das N-Wort in Kinderbüchern verbieten? Habt ihr sonst keine Probleme? Ihr wollt eine Frauenquote? Ist das Flüchtlingsproblem nicht dringender? Herr xy hat seine Doktorarbeit mit falschen Zitaten befüllt, na und? Ist die Bundeswehr nicht wichtiger als das?
Punkte, an denen leicht etwas zum Besseren, nämlich zum politisch Korrekten zu ändern wäre (bzw. nicht zum politisch Korrekten, sondern schlicht zum Richtigen), werden aus dem Blick genommen, weil ja die Weltkrise doch eine Größere ist. Dabei wird aber die Weltkrise mit Dingen in Bezug gesetzt, die gar nichts mit ihr zu tun haben. Egal, wieviele Flüchtlinge kommen, egal, wie drängend Griechenlands Finanzsituation sein mag, egal, wie es VW geht - wenn ich eine Blase am Fuß habe, werde ich mir ein Blasenpflaster draufkleben. Die "wirklichen Probleme" habe ich dann vielleicht auch noch, aber trotzdem habe ich ein Problem weniger. Und übrigens: Sexismus an Hochschulen könnte ein größeres Problem sein als meine Blase am Fuß.
der wohlbekannte Kadergeist der Ostschule spricht aus Ihnen. Bloß keine Kritik oder auch nur den Anschein von kritischer Nachfrage. Warum verurteilen Sie so schnell und aggressiv, wenn Sie von der "althergebrachten" Tradition von Darstellungskonventionen so gut behütet werden?
Ist da vielleicht doch ein Nachfragen angebracht?
Ich war auf einer Westschule und habe immer wieder gestaunt welche Gewissheiten viele meiner ost-ausgebildeten Kollegen beim Schauspielschultreffen und später im Beruf so mit sich rumtrugen; wie "man" dieses oder jenes darstellt. Finde ich bis heute fragwürdig.
Und ja, ich bin sehr dafür die Ausdruckskraft der Beine zu überprüfen, bevor man jemanden ins Schauspiel-Studium aufnimmt. Der Rocksaum und was darunter hervorlugt, ist seit Jahrhunderten ein Stilmittel auf der Bühne.
Die Beinbegabten kommen dann in die Klasse für Wasserballett.
ich hoffe genau so wie Sie, dass auch bald die Rassismus-debatte, die Kapitalismus-debatte, die Gerechtigkeits-debatte, natürlich auch die Gender-debatte bald wieder aus dem Theater ausziehen, damit ich schöne Labor-kunst sehen kann.
GEHT'S NOCH???
um noch mal auf die debatten zurück zu kommen. wir können das theater auch in den debattierclub verlagern, und nur noch dokumentartheater und nachgestellte tribunale machen. das ist alles gut und schön. alle schreien auf, wenn inhaltlich etwas nicht korrekt ist, aber dass die strukturen des theaters durch und durch nicht korrekt sind, dass es keine diversity, keine gender gerechtigkeit gibt, sondern herrschaftliche verhältnisse, das ist für dich offensichtlich völlig uninteressant. engagiere dich für bessere strukturen, sie sind die voraussetzung für all die sehnsüchte, die sich nicht einlösen.
Erklärt aber so manche Einfallslosigkeit.
watt enne Stuss.
Ich war selber auf einer Schauspielschule. Ich weiß recht gut, was Schauspielschüler brauchen und was nicht. Das scheint uns beide fundamental zu unterscheiden.
Inhaltlich habe ich Deine Aussage ironisiert, dass es gut wäre ohne Gender-debatte Theater zu machen. Wie Du auf die Idee kommst, für mich wäre eine strukturelle Arbeit in den Theatern uninteressant, bleibt mir schleierhaft. Das muß Dir ein Vöglein gezwitschert haben. Aus dem, was ich geschrieben habe, kann ich es nicht herleiten.
Ich sehe es absolut genau so, dass die Theater strukturell - Stichwort Mafia Bühnenverein - mindestens 30 Jahre hinter der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung hinterherhinken und dringend von Seiten der Kulturpolitik reformiert gehören. Aus sich selbst heraus wird da NICHTS passieren, weil die Entscheider untereinander Erbhöfe verwalten und verschachern und kein Interesse an Veränderung haben.
Hinsichtlich dem, was auf der Bühne passiert, erscheint es mir aber ebenso geboten Zeitgenossenschaft herzustellen. Und das überkommene und abwertende Frauenbilder abgeschafft gehören, ist doch sicher konsensfähig, oder? In diesem Sinne werte ich zumindest implizit die Kleidervorschriften der Hochschule in Leipzig.
Siehst Du es anders? Wenn ja, warum?
es gibt Vorsprechrollen für eine Frau, die z.B. einen Brautschleier als Requisit (sie spielt damit) benötigen. Ich nahm damals in meinen blutigsten Anfängerjahren ein normales Tuch mit...und weil ich sehr türkisch aussehe, es aber nicht bin, wurde ich andauernd auf den Schleier/das Kopftuch angesprochen - obwohl es im Text eine Bayerin war und eindeutig von einem Brautschleier geredet wurde ... und : zippeln Sie mal vor einer zehnköpfigen Jury an ihrer Jeans über oder unterm Rock rum ... spielen Sie ne klassische Rolle in Jeans als Frau oder eine Verführungsszene in Birkenstock ... kann man machen, wird aber oft moniert ... die Entscheidung ist: gnadenlos/schamlos alles zeigen und fruchtlos auf offener Bühne umziehen und dabei Witze machen...oder verschämt hinter n Stellwand huschen und die Ungeduld der Prüfer hören, denen das Umziehen zu lange dauert ohne dass was da vorne auf den Brettern passiert ... oder..offen rumzippeln und vielelicht auch noch mit Rolli/Ganzkörperbody und vielleicht für verklemmt gehalten zu werden....oder nur in Jeans und schwarzem T-Shirt kommen und das Risiko einzugehen, daß die Damen und Herren den Unterschied der Figuren nicht so an-erkennen (wollen/können) ... alles Dinge, um die sich frau kümmern soll/muss .. .anstatt einfach loszuspielen und pur an die Rolle zu denken ... einfach nur anstrengend und ja, ich fühlte mich oft diskriminiert und habe die Unterschiede gemerkt zu männlichen Kollegen die selbstbewußt und in Alltagskluft ihre Rollen runterrockten ... ohne peinliche, ungewollte Unterwäschezeigenmüssenmomente....
Entschuldigung wegen der Nachfrage, aber: meinten Sie wirklich "fruchtlos" auf offener Bühne umziehen...?
Danke dass Sie mit uns Ihre Erfahrungen teilen, wie die spielenden Frauen von Beginn ihrer Tätigkeit an auf die entsprechenden Geschlechter-Rollen hintrainiert werden.
Laut darüber sprechen darf man offenbar erst amm Ende der Karriere....
http://derstandard.at/2000001852808/Erni-Mangold-Die-Herren-waren-ohne-jede-Scheu
herzlichen Dank für de Link!!
Ja, vielleicht kann man erst später darüber offen reden, was schade ist...Fakt ist:die Besetzungscouch existiert erschreckenderweise teilweise immer noch.....beim Film und beim Theater...ich wüßte da auch ein paar Anekdoten zu erzählen...mache es aber nicht...und treibe mich nicht so oft auf diesen Polstern herum...was sehr karriereschädlich sein kann..- ich würde auch gerne wissen, ob es auch solche Sofas für Männer gibt mittlerweile , da nur ja auch ein paar Frauen in Machtpositionen sind?? Aber niemand will darüber reden....;-)
Die Biographie von Erni Mangold "Lasst mich in Ruhe" kann ich wirklich empfehlen. Die Schauspielerin bezeichnet ihr Rollenfach in den 50igern als "Sexerl". Sie hat selber am Reinhardt Seminar unterrichtet und beschreibt die Situation der jungen Schauspielerinnen dort.
Besetzungscouch für Männer? Im Tanzbereich wird das schon zum Thema: Ivo Dimchev
https://www.impulstanz.com/archive/2014/performances/id661/
@zackig.
Das sehen Sie mal, was Beine so alles auslösen können.
habe nur auf den link samt Inhalt von "Schade" geantwortet..sie haben zu zackig reagiert und nicht das wunderbare Interview mit Frau Mangold gelesen.....- aber, ja, doch.. manchmal schließen machthabende Theatermenschen ganz zackig von Rollenkleidung und/oder Alltagskleidung der unschuldigen Untergebenen auf bestimmte Sofabegegnungen, die dann über Dein weiteres Rollenschicksal zu entscheiden haben sollen...das geht oft schneller und überraschender als die (oder, ja, wahrscheinlich auch der!)Rocktragende vermutet hatte.......