Papa, wie geht das mit dem Mann-Sein?

von Hartmut Krug

Frankfurt / Oder, 7. Oktober 2015. Schüchtern und verklemmt hockt Fred, ein mit Ranzen sowie Brust- und Turnbeutel ausgestatteter pubertierender Junge, in der Ecke eines klaustrophobischen Zimmers auf der leeren Hinterbühne des Kleist-Forums. Er wirkt eingeschlossen, in sich und zwischen den Sperrholzwänden der Bühne. Doch dann explodiert er und spielt eine Krimiszene, ganz allein. Er wird sowohl zur Auftraggeberin für die Suche nach dem Ehemann wie zum Privatdetektiv. Der Kopf des Gesuchten, den er hervorkramt, ist allerdings ein Kuscheltier.

Der Schauspieler Felix Axel Preißler schont weder Stimme noch Körper, wenn er hin und her springt zwischen beiden Figuren. Ein furioser Auftakt, wie er so nicht im Text steht. Dort sind es zwei Figuren. Doch Regisseur Marc Lunghuß hat Lukas Linders eher bravem "Coming of Age"-Stück "Der Mann aus Oklahoma" eine Schrillheitskur verschrieben – und damit einem Stück, das sich bei der Lektüre kaum heraushebt aus der Menge von Neuer Dramatik zu diesem Thema, durchaus Kraft und grelle Komik gegeben.

Kein Erklär-Stück

Seitdem es in Frankfurt an der Oder kein Theater und Ensemble, aber mit dem Kleist-Forum ein Mehrzweckgebäude für allerlei Kultur gibt, werden die Gewinner-Stücke des Kleist-Förderpreises für junge Dramatik von anderen Bühnen für die Uraufführung eingerichtet, die bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen stattfindet. Für die Preisverleihung gastiert die Uraufführungsinszenierung schließlich in Frankfurt / Oder, in diesem Fall mit Laudatio von Philipp Löhle. Danach zieht sie weiter ans Schauspiel Leipzig.

der mann aus oklahoma1 560 RolfArnold uEltern, was ist los mit euch? Felix Axel Preißler (rechts mit Ranzen) spielt den pubertierenden Fred
© Rolf Arnold

Wenn man Linders Text liest, ist man aber doch etwas erstaunt über die Aufmerksamkeit, die das Stück erfahren hat. Nicht nur den Kleist-Förderpreis, auch den Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts hat es bekommen. Dabei sind weder die Figuren noch ist die Story besonders aufregend. Immerhin, und das mag die große Zustimmung zu Linders Stück begründen, hat der Autor kein sensibel psychologisierendes Erklär-Stück geschrieben. Bei ihm geht es nicht nur um die Probleme von Fred und anderen Jugendlichen, sondern um fehlgeleitete Lebensentwürfe auch der Eltern. Und die werden nicht psychologisch ausgemalt, sondern als überzeichnete Witzfiguren und gescheiterte Existenzen auf die Bühne gestellt.

Wild bis zur Erschöpfung

Regisseur Marc Lunghuß übersteigert diese Komik: Seine Inszenierung ist grell, grotesk und wild bis zur Erschöpfung. Er kennt keine Ökonomie der Mittel, was der Wirkung seiner Inszenierung im zweiten Teil durchaus auch schadet. Doch der talentierte junge Darsteller Felix Axel Preißler vermag seinem Fred ein breites Spektrum von Haltungen zu geben, wechselt zwischen Schrill- und Zartheit, zwischen Ausbruch und Verschlossenheit. Ihm schaut man gern zu, wenn sein Fred darunter leidet, dass sich sein Vater aus dem Staub gemacht hat. Nun möchte der Junge ihn finden, um zu wissen, wie er zum Mann werden kann. Aber der Vater geistert nur in der Vorstellung des Jungen als Saxophonspieler hinterm Gazevorhang herum.

Alle anderen Figuren sitzen hinter Schiebetüren in ihren Isolier-Klappen, um von dort leibhaftig ins Geschehen zu treten. Die Mutter, sexsüchtig und knallharte Egoistin, die es als Katastrophe empfand, das Kind zu bekommen, hat sich einen neuen, erotomanischen Typen in Haus und Bett geholt. Doch sie verachtet, siezt und kommandiert ihn herum. Die Lehrerin, die ihren Schülern das Projekt "Vater Du Idol" verordnet hat, lässt sich von Fred mit Schokolade bestechen. Bloß Ersatzbefriedigung, denn unter ihrem mächtigen Pelz(?)mantel brodelt die unerfüllte Leidenschaft. Wenn sie sich einmal die Kleider vom Leibe reißt, ist diese Klischee-Szene nicht unbedingt ein Höhepunkt der Inszenierung.

Das Sieben-Hamburger-Menü

Natürlich gibt es auch ein Mädchen, das Fred aus heimlicher Zuneigung piesackt, bis es sich zum Schluss mit schüchtern offenen Gefühlen an ihn heranmacht. Fred seinerseits tut sich mit einem luxusverwöhnten und -verwahrlosten Jungen zusammen, und beide begeben sich als Ray und Jack in eine Phantasiewelt, in der die Eltern tot sind. Meine Lieblingsfigur aber ist der Vater des Mädchens – ein gescheiterter Ringer. Wunderbar, wie dieser stille, traurige Clown in der Schule vergeblich sein Kunststück probiert, eine Französisch-Grammatik durchzureißen. Sein versprochenes Sieben-Gänge-Menü verkommt zum Sieben-Hamburger-Menü, und eine Tischbombe, die Stimmung machen sollte, explodiert ihm.

Es ist ein parodistisches, auch surreales Bildergewimmel, das Lunghuß hier auf die Bühne bringt. Dabei zielt jede Szene auf Wirkung – nicht immer mit Erfolg. Wenn Fred schließlich wie eine Filmfigur mit Regenmantel, Hut und Pfeife auftritt, um einem Männlichkeitsklischee zu genügen, wird das gekontert, indem man ihn auszieht und ihm auf sein Krankenhaushemd die Schale mit Erdbeeren und Sahne stellt, die sein luxusverwöhnter Schulkamerad immer bekommen hatte. Ruhiggestellt?

Der offene Schluss der Inszenierung verzichtet klugerweise auf einen längeren Auftritt des Manns aus Oklahoma, wie er im Text steht. Insgesamt eine muntere Inszenierung eines, nun ja, nicht überragenden Stückes.

 

Der Mann aus Oklahoma
von Lukas Linder
Uraufführung
Regie: Marc Lunghuß, Bühne & Kostüme: Tobias Schunck, Musik: Simon Bodensieck, Dramaturgie: Christin Ihle.
Mit: Anne Cathrin Buhtz, Jonas Fürstenau, Hartmut Neuber, Felix Axel Preißler, Annett Sawallisch, Runa Pernoda Schaefer, Florian Steffens.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

Koproduktion des Schauspiel Leipzig mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen und dem Kleist Forum Frankfurt / Oder
www.schauspiel-leipzig.de

 

Mehr zu Lukas Linder und seinem Mann aus Oklahoma auf dem Festivalportal von nachtkritik.de zum Heidelberger Stückemarkt.

 

Kritikenrundschau

"Der Inszenierung gelingt es unterhaltsam, eine eher alltägliche Pubertätsstory ungewöhnlich zuzuspitzen", schreibt Dimo Riess in der Leipziger Volkszeitung (13. 10.2015). Der Regisseur überzeiche die Figuren konsequent, was aus Sicht des Kritikers oberflächlich zu schrillem Witz führt, "untergründig aber ein scharf gezeichnetes Koordinatensystem ergibt", in dem sich der Protagonist zu verheddern drohe. Diese Vater-Sohn-Geschichte wolle nicht psychologisieren sondern verallgemeinern. "Und das gelingt gut."

Auch wenn die Art, wie Regisseur Marc Lunghuß die Figuren des Stücks übereichne, die Inszenierung manchmal an den Rand des Klamauks bringe, schreibt Stephanie Lirasch in der Märkischen Oderzeitung (9.10.2015), bleibe der Grundton stets melancholisch. Die Inszenierung findet die Kritikerin grundsätzlich überzeugend.

 

 

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