Das verlorene Lächeln der Killer

von Elisabeth Maier

Tübingen, 9. Oktober 2015. Sie ertränken Asylbewerber in der Badewanne und reden ständig übers Ficken. Der Spanier Carlos Eugenio López lässt in seinem Roman "Abgesoffen" zwei Berufskiller sprechen. Ihr Auftrag ist es, jede Woche einen Flüchtling umzubringen. Das soll andere Fluchtwillige abschrecken. Die Toten karren sie im Kofferraum nach Gibraltar, um sie ins Meer zu werfen.

Lars Helmer hat den Text, der die kranken Fantasien seiner Protagonisten nach außen kehrt, in der Werkstatt des Landestheaters Tübingen in Szene gesetzt. Auf einer staubigen Landstraße denken sie zwischen Leitplanken und einem Mülleimer aus Metall über ihre Existenz nach: "Alle Jobs haben etwas gemeinsam. Du tust etwas, das Dir nicht gefällt, weil man Dich dafür bezahlt." Besser als Klobürsten verkaufen sei das Morden allemal. 29 Nordafrikaner aus Marokko, die sie abfällig "Moros" nennen, haben die abgebrühten Verlierer schon getötet.

Die Toten im Mittelmeer

In einer Zeit, da an manchen Tagen hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, hat die Wirklichkeit die konstruierte Lebensbeichte der Schlächter aus dem Jahr 2000 längst überholt. Der Diskurs über die Flüchtlingskrise ist an deutschen Bühnen in vollem Gange. Lopez' Text, dessen eiskalter Pragmatismus in Susanne Mendes Übersetzung befremdet, spitzt die allgegenwärtigen Abwehrreaktionen auf das Eintreffen der "Fremden" zu. Zugleich behandelte er seine Protagonisten nicht als Thesenkonstrukte, sondern will ihnen eine abgründig menschliche Seite abgewinnen. Darin liegt sein Reiz.

Abgesoffen2 560 LTT DavidGraeter uSo kalt wie ihre Umgebung: Heiner Kock und Thomas Zerck spielen Killer in "Abgesoffen" am Landestheater Tübingen © LTT / David Graeter

Die menschliche Dimension kehren die Schauspieler Heiner Kock und Thomas Zerck, im Personenverzeichnis namenlos nach dem Schriftbild als "kursiv" und "gerade" geführt, stark nach außen. In Kay Anthonys Bühne irren sie zwischen Leitplanken, Warnbaken und einer riesigen Spiegelwand umher, die ihnen die eigene Widerwärtigkeit vor Augen führt. In blinder Wut schlagen sie mit ausgerissenen Leitpfosten um sich.

Kock in der Rolle des Killers, der die wehrlosen Flüchtlinge so lange unters Wasser drückt, bis ihnen die Lunge platzt, erschrickt für einen Augenblick, wenn er sich selbst betrachtet. Die Augen seiner Opfer lassen ihn nicht mehr los. Sein liebeskranker Partner, der seiner kaputten Beziehung zu Traumfrau Elena nachtrauert, plappert nationalsozialistische Gedanken nach und äußert sich zum Rassismus. Solche intellektuellen Schlenker, mit denen Lopez nicht geizt, wirken aufgesetzt.

Keine Tabus

Regisseur Helmer schafft das Kunststück, dem Text, der immer wieder in pathologischen Sackgassen versandet, Leichtigkeit einzuhauchen.Der Abend überzeugt mit starken Körperbildern und Zornausbrüchen. Weniger kreativ zeigt er sich im lieblos zusammengeflickten Musikszenario. Da reiht die Technik Saitenklänge und Autobahnlärm aneinander. Ein Sound, der die Hölle in den Köpfen der Männer reflektieren soll, aber bloß zerhackt wirkt.

Eindringlicher gerät der Spagat zwischen tragischen und komischen Momenten. Wenn sich Heiner Kock verzweifelt an die Leitplanke klammert und über sein verpfuschtes Leben weint, weckt das Sympathien. Und Thomas Zerck offenbart entsetzliche Hilflosigkeit, wenn er von seinem verlorenen Lächeln spricht. Tabufrei bringt Heiner Koch mit einer zum Brüllen komischen Onanie-Show das Publikum zum Lachen bringt. Ein Abend, im besten Sinn aufwühlt.

 

Abgesoffen
nach dem Roman von Carlos Eugenio López
Aus dem Spanischen von Susanne Mende
Regie: Lars Helmer, Bühne und Kostüme: Kay Anthony, Dramaturgie: Kerstin Grübmeyer.
Mit: Heiner Kock, Thomas Zerck.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.landestheater-tuebingen.de

 

Kritikenrundschau

"Das Böse ist, man weiß es längst, nicht selten sehr banal – 'Abgesoffen' aber rückt diese Einsicht in unangenehme Nähe", so Thomas Morawitzky im Reutlinger General-Anzeiger (12.10.2015). "Heiner Kock und Thomas Zerck spielen die Killer – und geben ihnen überzeugend ein allzu alltägliches Gesicht." Man glaubt sie zu kennen, den einen, der von Prostituierten schwätzt und die Trennung von seiner Freundin nicht verschmerzt, den anderen, der nachdenkt, fragt, und doch bei seinem Job bleibt.

"Die beiden Schauspieler bieten erst einmal eine leicht künstlich wirkende Performance, als eine Art Erkan und Stefan in Semiintellektuell", so Kathrin Kipp in den Reutlinger Nachrichten (12.10.2015). "Das wirkt leicht unnatürlich, alles andere wäre aber eventuell auch ins Billig-Comedyhafte gedriftet." Vielleicht stelle die Inszenierung so aber auch die Frage, wer mit diesen beiden Killern denn eigentlich gemeint ist, wie sie sich da so elaboriert dem allgemeinen Flüchtlings- und Weltdiskurs widmen. "Am Ende gar wir selbst, das Publikum? Sind wir die Killer? Kapitalismus tötet und so?" "Das Ganze ist mit Zwischenwand und Riesenspiegel versehen und so tricky aufgebaut, dass die beiden in immer neuen Blickwinkeln stehen, verspiegelt und bis in alle Unendlichkeit vervielfältigt werden, was einen sehr hübschen optischen und auch vielsagenden Reiz setzt im ansonsten eher wortlastigen Dialogstück." 

"Helmers wohltuend unspektakuläre Regiearbeit sucht weniger den Höllentrip, eher den therapeutischen, (er)läuternden Seelenstrip", schreibt Wilhelm Triebold im Schwäbischen Tagblatt (12.10.2015). Die Täter geben etwas von sich preis, wenn auch nicht das allerletzte dunkle Geheimnis. Und doch gibt es am Ende so etwas wie Trost oder wenigstens Mitgefühl. "'Wenn wir sie ins Wasser werfen', sagt der eine 'habe ich manchmal Lust, mit ihnen unterzugehen. Er hat dazugelernt." Fazit der Kritik: "Hier werden keine Totschlagargumente ausgetauscht (...) Ein starkes Stück in einer nicht minder starken Version mit zwei sehr präsenten Schauspielern."

 

 

Kommentare  
Abgesoffen, Tübingen: schlecht gesprochen
Ich habe am Freitag das Stück gesehen. Der "Große" hat gut gesprochen, man hat ihn verstanden. Der "Kleine" hat beim Sprechen oft nicht richtig den Mund bewegt und genuschelt, man müßte ihn nochmal auf die Schaulspielschule schicken, weil das war für das Publikum eine Zumutung. Schade um das Stück. Ich hoffe sehr, dass diese Kritik auch weitergereicht wird. Seit vielen Jahren gehe ich ins Theater, aber so schlecht gesprochen hat selten jemand.
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