Helden in Zipfelmützen oder Warum sind die Russen schuld?

von Matthias Schmidt

Dresden, 11. Oktober 2015. Als der Anruf aus Damaskus kommt, nach der Pause, ist der Abend gescheitert. Spätestens hier. Die Nibelungen sitzen bei Etzel, der bei Sebastian Baumgarten ein Russe ist, brechen das Brot mit ihm, nicht wissend, dass er sie damit gerade radioaktiv vergiftet. Da klingelt das Telefon. Damaskus ist dran.

Am A..., im Rhein

Gespielt wurde Hebbel, siehe Titel. Klingt hanebüchen? Kann man nicht ernst nehmen? Ja, ist es. Nein, kann man nicht. Was ja nicht schlimm wäre, Theater darf frei spielen, soll es sogar. Man muss es noch nicht einmal ernst nehmen, selbst wenn es so daherkommt, als müsste man es. So gesehen, ist diese Inszenierung eine echte Chance und unbedingt zu empfehlen. Das Tragische an dem Wirrwarr im dritten Teil des Abends – mit einem tschechisch herumkaspernden Rüdeger, einem Dietrich von Bern als Steve Jobs-Look-alike, einer Kriemhild als (böser) russischer Märchenprinzessin und einem nicht enden wollenden Herumgefuchtel mit allerlei Schusswaffen – ist, dass die Inszenierung damit dort landet, wo der Nibelungenhort schon liegt.nibelungen2 560 Matthias Horn uZiemlich klein, ziemlich weit hinten: Die Nibelungen-Zwerge Cathleen Baumann, Christian Erdmann, André Kaczmarczyk, Thomas Braungardt  © Matthias Horn

Eine Inszenierung, die in den ersten beiden Teilen unglaublich unbeschwert und erhellend und originell und heiter war. Die sich die Mühe spart, nach den Gründen und Abgründen und dem Deutschen in diesem Stoff zu suchen. Die die Nibelungen dekonstruiert, ihre Überhöhung ignoriert, sie zu Allerweltsknallchargen macht, sie zerlegt in all ihre lächerlichen Bestandteile inklusive der bedingungslosen Treue. Die raffiniert mit den Geschlechter-Archetypen bricht, indem sie beispielsweise Hagen von Tronje mit einer Frau besetzt (Rosa Enskat) und Ute, die anfangs leicht merkelhafte Königin Mutter, mit einem Mann (Jan Maak). Zudem ist es einfach äußerst unterhaltsam, die Burgunder-Gang als sich ständig verklemmt am Geschlecht reibende Pimpfe zu sehen oder als großspurig-komische Cowboys, die den wilden Westen klarmachen wollen. In jedem Akt kommen sie anders daher. Und werden dadurch nicht heldenhafter. Auch Siegfried wird vom Sockel geholt: Der Drachentöter ist ein prolliger Söldnertyp mit Flachmann in der Hand – der trinkende Holländer.
Selten so gelacht.

Im Verschlag, unter Zipfelmützen

Baumgarten schrumpft die ach so großen Helden auf Gartenzwerg-Format, er holt sie aus dem Mythenhimmel und steckt sie allesamt in einen unterirdischen Verschlag, in dem die Zipfelmützen von der Decke hängen und mit primitiver Gewalt Geschichte gemacht wird. Die Zeit der Helden ist vorbei, und Hebbel gibt die Stichworte. Hartmut Meyers Bühne, in deren Zentrum zwei riesige Baumstämme liegen, mit einem überdimensionierten Beil darin, auf dem die winzigen Menschen wie auf einer Gangway auf und ablaufen, betont diese Idee kongenial.

Großes Kino sind auch die Begegnungen der beiden Hilden: Yohanna Schwertfeger als Kriemhild und Cathleen Baumann als Brunhild, die eine ausgebufft zwischen Püppi und Biest changierend, die andere urkomisch im transparenten Ganzkörperfell, beide sich immer ihrer Macht über die Männer bewusst. Eine latente Komik ohne Angst vor Kalauern beherrscht die Szene. Die Seherin Frigga, gespielt je einmal von den beiden Frauen der Berliner Electro-Punkband Cobra-Killer, gießt sich – irgendetwas singend, das man nicht versteht – roten Burgunder (!) über den Kopf. Selten so gelacht bei diesem deutschen Trauerspiel.

nibelungen3 560 Matthias Horn uAllerlei Herumgefuchtel mit allerlei Schusswaffen: Thomas Braungardt, Philine Menzel, André Kaczmarczyk, Rosa Enskat, Christian Erdmann, Thomas Eisen, Sascha Göpel © Matthias Horn

Bunt und klug, immmer Hebbel

Fast permanent laufende Filmschnipsel - mal Riefenstahl-, mal Kriegsbilder, mal einfach nur Leerfilmgeflacker – geben dem Geschehen eine historische Dimension. Die Macht der Bilder eben. Wie konnte es passieren, denkt man sich, dass dieser Haufen dummer Jungs (und Mädchen), die allesamt Karikaturen sind, macht- und/ oder geldgeil, solch eine Faszination auslösen konnten? Und: das sollte vorbei sein. Ist es aber leider nicht, es gibt sie noch. Überall. Wir erfahren es leidvoll jeden Tag aus den Nachrichten. Das hätte genügt, das war bunt und klug, immer noch Hebbel und nur ein bisschen belehrend.

Selten so geärgert

Doch das reicht Sebastian Baumgarten nicht, er will, wie auch schon in seiner Dresdener Antigone, mehr sagen beziehungsweise zeigen. Am liebsten alles! Was auch immer es sein mag, die Zeichen und Codierungen werden nach der Pause ebenso wie immer neue Stilmittel – das ständige "Vorspulen" der Handlung oder eine gespielte Stummfilmeinlage mit Übertiteln – zunehmend zu einer Belastung. Für das ja immerhin "Die Nibelungen" genannte Vorhaben.

Da ist zum Beispiel die Frage, warum in diesen "Nibelungen" an allem "die Russen" schuld sind. Immer wieder wird das gesagt, und es wird dann auch gelacht im Publikum, aber was soll das eigentlich? Sind das die Nachrichten? Ist das Propaganda? Oder ist das irgendwie ironisch? Siegfried, zeitweise Siggi genannt, schießt auf der Jagd einen russischen Kampfjet vom Himmel. Später agieren die Nibelungen vor den Bildern russischer Militärparaden (welcher Zeit eigentlich?) als Springerstiefelträger. Vielleicht hat es ja damit zu tun, dass ganz am Anfang "Für alle reicht es nicht" auf die Kulissen projiziert wurde. Oder mit Nietzsche, aus dem gelesen wird. Oder mit Jethro Tull. Oder mit Steve Jobs. Dann jedenfalls kommt der Anruf aus Damaskus. Ganz ehrlich, es nervt, dieses professionelle, postmoderne Auftürmen von Zitaten und Anspielungen mit darin enthaltenen Interpretationen und Botschaften, die vorsätzlich klüger sind als der Zuschauer.

 

Die Nibelungen
von Friedrich Hebbel. In einer Bearbeitung von Sebastian Baumgarten und Janine Ortiz
Regie: Sebastian Baumgarten, Bühne: Hartmut Meyer, Kostüm: Christina Schmitt, Video: Meika Dresenkamp, Musik: Cobra Killer – Gina V. D’Orio und Annika Line Trost. Dramaturgie: Janine Ortiz.
Mit: Christian Erdmann, Rosa Enskat, Thomas Braungardt, André Kaczmarczyk, Jan Maak, Yohanna Schwertfeger, Thomas Eisen, Sascha Göpel, Cathleen Baumann, Gina V. D’Orio, Annika Line Trost, Annabella Klepzig / Philine Menzel.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.staatsschauspiel-dresden.de

 

 
Kritikenrundschau

Sebastian Baumgarten überziehe den Hebbel-Text "mit einer weitmaschigen Schutzfolie aus Running Gags, Fremdtexten und Klangeinspielungen. Und nimmt ihm damit jede Wirkkraft, macht ihn belanglos und völlig ungefährlich." So berichtet Simon Strauss in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (12.10.2015). Als "das Schmerzhafteste an dieser Inszenierung" empfindet der Kritiker, wie sie den Frauen Spielraum raube und "sie in plakative Rollenbilder zwingt, ohne ihren archaischen Hass, ihr Verlangen nach Blutschuld und geheime Lust am Untergang je in den Blickpunkt zu nehmen."

Auf einer "permanenten Gratwanderung zwischen Klamotte und Ambitioniertheit" sieht Michael Bartsch in den Dresdner Neuesten Nachrichten (12.10.2015) diesen Abend. Baumgarten gebe "dem Affen reichlich Zucker", rücke das Geschehen in die Nähe von "Monty Python"; einzig die Frauenrollen würden etwas ernster genommen.

Baumgarten setze auf "Effekte und plakative Einsichten“ und biete "ironisches Unterhaltungstheater mit dick aufgesetzten aktuellen Bezügen", schreibt Rainer Kasselt in der Sächsischen Zeitung (12.10.2015). "Die Nibelungentruppe tritt mal im Stil der Olsenbande, mal als fettgewordene Säufertruppe, mal als Mördergang auf. Immer auf Gewalt, nie auf Vernunft setzend."

"Grandios" findet Stefan Petraschewsky vom MDR Figaro (12.10.2015) im Kritiker-Gespräch Baumgartens "Nibelungen"-Deutung. Der Regisseur behandle die Protagonisten Brunhild (aus Island) und Siegfried (aus den Niederlanden) als "die Fremden", "die Flüchtlinge und Asylanten als Sinn- und Heilsbringer für eine deutsche Zukunft“. Der Abend biete "zynisches Holzschnitttheater, wo einem das Lachen im Halse stecken bleibt." Bis zur Pause "ist das wirklich eine Inszenierung, die zum Berliner Theatertreffen eingeladen gehört", so der Kritiker, "aber dann, im zweiten Teil, geht es bergab – und mit Baumgarten die Phantasie so durch, daß man regelrecht sprachlos und enttäuscht aus dem Theater geht, weil er sich die Sache so sehr vermasselt".

 

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