Vorrücken auf Los!

von André Mumot

Berlin, 15. Oktober 2015. Eigentlich wollten wir doch bloß spielen. Wir denken das alle, das ganze so genannte Publikum, das sieht man uns an. Wir wollen doch nicht nur kurz hier sitzen und zuhören und ein bisschen was lernen und ein bisschen lächeln und dann wieder fix nach Hause gehen. Denn mit den Gonzos kann man ganz hervorragend spielen – was ja bekanntlich nicht nur der erste Platz beim Nachtkritik-Theatertreffen belegt. Also richten sich die Hoffnungen auf eine neue Runde, in der wir lebende Spielfiguren werden und irgendwo zwischen Schlossallee und Gefängnis unser Glück suchen. Schließlich haben die Damen und Herren Erfolgsperformer ihre aktuelle Produktion erst kurz vor der Premiere umbenannt – von "Conquista" in "Monypolo". So frisch ist diese Neubetitelung, dass sie es nicht mal auf den Programmzettel geschafft hat. Aber sie ist offiziell und lässt darauf schließen, das hier wieder ein veritabler und nur leicht buchstabenverdrehter Brettspielklassiker Pate gestanden hat.

Den Kapitalismus lieben lernen

Doch, Achtung: Es folgt auch noch ein Zusatz, denn das "Prinzip Gonzo" hat gleich eine ganze "Serie" im Sinn – in mehreren Staffeln. Fünf Ausgaben soll es erst einmal geben, jeden Monat eine neue, und das heißt, wir brauchen viel Geduld. Und müssen uns an diesem Kurz-und-Bündig-Abend darauf einstellen, nur einige Grundsätzlichkeiten erklärt zu bekommen. Dazu werden wir, die knapp dreißig Neugierigen, in einen kleinen Raum im Berliner Ballhaus Ost geleitet, der (wohl um Azteken-Schätze leuchtend zu versinnbildlichen) komplett mit Goldfolie ausgekleidet ist und in dem wir Platz nehmen, um einem zweigeteilten Referat von Tim Tonndorf zu lauschen.

Monypolo 560 PrinzipGomzo uGoldfolie und Kerzenschein: Tim Tonndorf und Robert Hartmann © Prinzip Gonzo

In der ersten knappen halben Stunde geht es, grob zusammengefasst, um den Unterschied zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation, und in der zweiten um den sagenumwobenen Karrierebeginn des Mexiko-Eroberers Hernán Cortés, dessen Leben von 1485 bis 1547 dauerte und in der gesamten Reihe Kapitel für Kapitel nacherzählt werden soll. Weil er den Beginn des kapitalistischen Welteroberungsstreben markiert zum Beispiel, und weil er ein früher "Start-Up-Unternehmer" war. Und weil wir von ihm lernen können, unser System, den Kapitalismus, wieder zu lieben.

Maschmeyer'sche Durchhalteparolen

Wir sollen, gibt man uns leutselig zu verstehen, wieder eins werden mit unserer psychischen Disposition zu Wachstumsbegeisterung und Gewinnmaximierung. Während sein Kollege Robert Hartmann hinter ihm ziemlich untätig am Rechner sitzt (und angeblich für die Performance-Evaluation verantwortlich ist), gibt Tim Tonndorf all das in launigem Moderatoren-Sermon zum Besten, mit strahlenden Begeisterungsaugen und größter Eloquenz. Er albert auch ein bisschen, imitiert kurz Norddeutsche, Rheinländer und Spanier. Und immer mehr steigert er sich in Maschmeyer'sche Durchhalteparolen für angehende Kampfkapitalisten hinein.

Das ist in seiner durchtriebenen Ironie durchaus pfiffiger und informativer Frontalunterricht, aber vorläufig auch nicht mehr. Zwischendurch singen wir alle gemeinsam ein Lied, schmettern hoffnungsvoll Zeilen wie: "Ich fühle mich in meiner Haut so richtig wohl! Ich freu mich auf den Tag!" Das war’s dann aber auch schon. Der dramatischste Moment ist vielleicht erreicht, wenn Tonndorf nach einer kurzen Pause wieder durch den Goldvorhang tritt und unter einem krass gemusterten Kurzarmhemd eine ausgewaschene Jeans trägt, die, hochgezogen bis über den Bauchnabel, auf so spektakuläre Weise schlecht sitzt, dass sie fast als Theaterkostüm durchgehen könnte.

Irgendwann wird doch noch gespielt

Nach einer guten Stunde endet die Pilotfolge mit einem ziemlich unverschämten Cliffhanger. Nein, wir erfahren heute nicht, welchen eklatanten Fehler Cortés auf seinem Feldzug machte. Vielleicht in der nächsten Episode. Die gute Nachricht lautet übrigens: Irgendwann wird doch noch gespielt. Im Sommer 2016 folgt ein so genannter Sandbox-Game-Theater-Abend, bei dem wir selber zu Eroberern werden dürfen. Aber ob es uns genügt, bis dahin bloß die einzelnen Referatsteile zusammenzupuzzeln? Eigentlich wollen wir jetzt schon würfeln und direkt vorrücken bis auf Los und 4000 Euro einziehen und das alles überspringen. Es steht uns, während wir unsere Abschiedskerzen entzünden, ins Gesicht geschrieben. Uns allen.

 

Monypolo – Liebe dein System!
1x01 Die Vision
Von Prinzip Gonzo (Alida Breitag, David Czesienski, Robert Hartmann, Holle Münster, Tim Tonndorf)
Mit: Robert Hartmann, Tim Tonndorf
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.ballhausost.de

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