Hommage an einen genius loci

von Eva Maria Klinger

Wien, 19. März 2008. Amtsrat Melzer hat zu sich und zu einer Frau gefunden! Heureka! Auf die gute folgt die schlechte Nachricht: Folge zwölf war die letzte der Sitcom "Die Strudlhofstiege" nach Heimito von Doderers 1951 erschienenem Sittengemälde, das zur Grundausstattung österreichischer Literatur zählt. Von solchen Weihen unbeeindruckt folgten vier Schauspieler und zwölf RegisseurInnen mit großer Spiellust den epischen Mäandern.

Seit Silvester pilgerte eine zunehmend enthusiasmierte Truppe jede Woche in die Schneiderei des Wiener Schauspielhauses, um auf engstem Raum Episoden aus einem verzweigten Wiener Gesellschaftsgeflecht vor und nach dem Ersten Weltkrieg zu folgen. Dass solch zurückliegende Begebenheiten am an zeitgenössischer Autorenschaft interessierten Schauspielhaus zur Sprache kommen, liegt am Ort des Geschehens. Die Strudlhofstiege und die großbürgerlichen Wohnungen von Melzer und seinem unübersichtlichen Bekanntenkreis liegen unweit vom Theater. Durch Doderer wurde diese grün umrankte Treppe zum magischen Ort. Dort wird geküsst, geohrfeigt und fallweise auch nur geredet.

Wiener Gesellschaftsgeflecht oder die ganze Welt 

Dort passieren zufällige und denkwürdige Begegnungen und so mancher kompromittierender Skandal. Während in Berlin die wilden 20er Jahre tobten, duckte sich in Wien die neue Freiheit noch hinter den Paravents der Tradition. Aber historische Reminiszenzen hat die schräge Neubetrachtung nicht aufgetischt. Die 45-Minuten-Portionen wurden mal als Trash oder Comedy, mal als Monty Python-Jux oder als Kabarett verabreicht, einzige Konstante blieb die unbändige Spielfreude. 
Die vier Schauspieler dieser allwöchentlichen Tour de Force muss man sich merken: Angela Ascher, Marion Reiser, Christian Dolezal, Johannes Zeiler. Ihre sekundenschnellen Wechsel von Sprechweise, Hut, Perücke oder Dekolletee, um dem ausgedehnten Personenarsenal zu entsprechen, erhöhte den Spaßfaktor, ohne in Klamauk abzugleiten. Die schöne Angela Ascher schenkt der vergnügungssüchtigen Etelka Stangeler, die ihren Lebens-und Liebesdurst zu Tode stillt, eine freche Nonchalance und der einfältigen, aber herzlichen Thea Rokitzer entwaffnende Naivität. Schließlich bezaubert deren schlichtes Gemüt den bis Folge elf erotisch unangreifbaren Amtsrat Melzer.

So lebens- und liebesdurstig kommen sie nie wieder zusammen 

Johannes Zeiler wird man künftig als diesen höflichen, immer ein bisschen verlegenen Einzelgänger im Gedächtnis bewahren. Liebt man ihn trotz oder wegen seiner Unsicherheit? Bis in der letzten Folge dem promiskuitiven Treiben ein Ende gesetzt wird, war Marion Reiser das Luder Editha Pastré, die ihren Spaß dran hat, ihre sanfte Zwillingsschwester zur Männertäuschung einzusetzen.

Christian Dolezal ist der richtige Typ für den schlaksigen, charmanten Womanizer René Stangeler, den seine Affären nicht von den Vorzügen der Zweisamkeit überzeugen können. Obwohl die vier Akteure jede Woche ein anderes Regiekonzept zu befolgen hatten, hielten sie ihren wohltuend kommentierenden Stil durch. Schauspielhauschef Andreas Beck hat zwölf Regisseure zum Testlauf angesetzt.

Neben der Schutzherrin des Projektes, Daniela Kranz, haben sich vermutlich Julie Pfleiderer, Eike Hannemann, Lukas Bangerter, Alexander Charim, der Filmregisseur Florian Flicker, Alice Buddeberg und Tomas Schweigen für weitere Arbeiten empfohlen. Beziehungsvoll zitierte Marion Reiser in der letzten Folge zwei Zeilen aus der dem Roman vorangestellten Widmung: "Viel ist hingesunken uns zur Trauer/und das Schöne zeigt die kleinste Dauer". Zwölf Wochen Kult. Es ist vorbei.


Die Strudlhofstiege 12
nach Heimito von Doderer
Regie: Harald Brückner. 
Mit: Angela Ascher, Marion Reiser, Christian Dolezal, Johannes Zeiler.

www.schauspielhaus.at
 

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