Suche nach der eigenen Handschrift

von Susann Oberacker

Hamburg, 20. März 2008. Was macht eine Inszenierung zu einer guten Inszenierung? Im Thalia in der Gaußstraße traf sich der Theater-Nachwuchs beim Körber Studio Junge Regie, mittlerweile bereits zum fünften Mal. Und weil der Mensch in seiner Natur ein Wettkämpfer ist, wurde am Ende dieses Treffens ein Sieger gekürt, wählte eine Jury aus drei Dramaturgen, einer Intendantin und einem Kulturjournalisten die beste Nachwuchsregisseurin. Heike Marianne Götze heißt sie. Geboren 1978 in Osnabrück. In der Schweiz studierte sie Regie – an der Zürcher Hochschule der Künste, im Departement Darstellende Künste und Film. Inszeniert hat sie "Spieltrieb" – nach dem gleichnamigen Roman von Juli Zeh, bearbeitet von Bernhard Studlar.

Festival für die Absolventen der Regie-Schulen
Die Initiatoren der jährlichen Regie-Werkschau sind die Universität Hamburg, die Körber-Stiftung, das Thalia Theater und der Deutsche Bühnenverein. Die Erfinderin ist Dr. Barbara Müller-Wesemann (Uni Hamburg). Die Ziele sind zwei. Erstens die Vielfalt junger Regie-Visionen zu zeigen, zweitens jungen Regisseuren ein Forum des gegenseitigen Austausches zu bieten. Kurzum: das "Körber Studio Junge Regie" ist das Festival der Jüngstregisseure von Hamburg bis Zürich.

Dreizehn Talente von zehn Instituten gingen in diesem Jahr an den Start, zeigten ihre Studienprojekte oder Diplom-Inszenierungen und stellten sich den Kriterien der Jury. Jörg Bochow (Staatsschauspiel Stuttgart), Amelie Deuflhard (Intendantin Kampnagel Hamburg), Gerhard Jörder (Die Zeit), Thomas Laue (Schauspiel Essen) und Ute Scharfenberg (Theater Magdeburg) wollten vor allem eines: eine eigene, subjektive Handschrift. Sie stellten die Frage, inwieweit jemand dem gestellten Stoff dramaturgisch gerecht wurde, und schauten auch aufs Handwerk – die Führung der Schauspieler, den Einsatz von Licht und Musik.

And the winner is Heike Marianne Götze
Die Nase vorn hatte am Ende die einzige Inszenierung eines Texts aus dem 21. Jahrhundert. Und: Heike Marianne Götzes "Spieltrieb" war die einzige Regiearbeit, die einen wirklich angriff. "Die Regisseurin hat mit ihren Schauspielern eine komplexe Spielstruktur entwickelt, die Narratives und Szenisches in schneller Folge aneinander reiht. Eröffnend mit einem Tableau komisch-zeichenhafter Typen, entwickelt die Inszenierung nach und nach eine dichte, bedrängende Geschichte, in der die Figuren zunehmend aus ihren Schalen hervortreten" – das liest sich abstrakt in der Begründung der Jury.

Zu sehen war: die körperbetonte, theatralische Umsetzung eines Romans. Es geht um zwei Schüler, Ada (Angela Falkenhan) und Alev (Stefan Graf), die jenseits der Grenzen von Moral und menschlichem Mitgefühl in eine Abhängigkeit voneinander geraten. In dem Lehrer Smutek (Krunoslav Sebrek) finden sie ihr gemeinsames Opfer, das sie mit einem perfiden Sex-Spiel erpressen. Eine spannende, präzise ausgetanzte Inszenierung mit prima Schauspielern.

Viele brav gespielte Klassiker
Und der Rest? Ungewöhnliches, das Spaß machte: Melanie Hinz, Marc-Oliver Krampe, Sinje Kuhn und Claudia Mayer von der Universität Hildesheim zeigten ihre erfrischend-leichte Gender-Performance "Bodycheck", Boris Nikitin (Gießen) seine performativen Ideen zu Büchners "Woyzeck". Vieles schien unter dem Motto zu stehen: "Wie inszeniere ich meinen Klassiker richtig". Wolfgang Türks vom Max-Reinhardt-Seminar Wien ging Calderons "Das Leben ein Traum" rein formal an. Er stopfte die Schauspieler in Fräcke und stellte sie auf Stühle. Heraus kam ein originelles Hörspiel.

Susanne Inkiow (Mozarteum Salzburg) übersäte die Bühne für Goethes "Clavigo" mit Zeitungspapier. Darin aber ließ sie brav das Stück aufsagen. Eine runde Sache war Ibsens "Hedda Gabler" in der Lesart von Franziska Marie Gramss. Die Absolventin der Folkwang-Hochschule machte das Innere der Figuren in der Körperhaltung ihrer Schauspieler sichtbar, ließ aber den Bezug zur Gegenwart vermissen. Den versuchte Jan-Christoph Gockel von der Berliner Hochschule "Ernst Busch" mit Shakespeares "Hamlet" herzustellen und scheiterte.

Wovon wird auf der Bühne erzählt?
Einen spannenden Ansatz zeigte Nina Mattenklotz (Theaterakademie Hamburg) mit Hugo von Hofmannsthals "Elektra". Aus grauen Planen stellte sie eine Art Gummizelle her, in der sich die Figuren in ihrer Einsamkeit und Verzweiflung abarbeiteten. Fehlen noch zwei. Anständige Arbeiten, aber völlig harmlos: Werner Schwabs "Eskalation ordinär" von Evelyn Becker (Theaterakademie Frankfurt) und Martin Crimps "Auf dem Land" von Moritz Schönecker (Bayerische Theaterakademie August Everding).

Im Rückblick bleiben drei Fragen: Warum inszenieren Menschen um die 25 vorwiegend Klassiker? Warum unterstützen manche Hochschulen die Eigenständigkeit ihrer Studenten und andere nicht? Was wollen junge Regisseure mit ihren Inszenierungen heute erzählen? Diese Frage beantworteten nur zwei: die Hildesheimer mit "Bodycheck" und die Siegerin Heike Marianne Götze. Und das machte ihre Inszenierungen zu guten Inszenierungen.

 

Körber Studio Junge Regie
Ein Projekt der Universität Hamburg, des Thalia Theaters, des Deutschen Bühnenvereins und der Körber-Stiftung
Thalia in der Gaußstraße
15. bis 20. März 2008

www.koerber-stiftung.de

Mehr vom Körber Studio Junge Regie 2007 hier.

 

Kritikenrundschau

Klaus Witzeling beobachtet im Hamburger Abendblatt (22.3.), dass einzelne Stadttheater heute Experimenten gegenüber aufgeschlossener und "damit so manchem Ausbildungsinstitut um Längen voraus" seien. "Allein das Verhältnis 2:8 der Projekte zu Inszenierungen bekannter Repertoire-Stücke von Shakespeare bis Werner Schwab spricht für sich." In seiner Abschlussrede habe Thalia-Intendant Ulrich Khuon das allerdings positiv vermerkt als "eine Sehnsucht nach bewährten Texten". Sie vermochten immerhin - wie die "Hamlet"-Paraphrase (Ernst Busch Berlin), Calderóns "Der Traum ein Leben" (Max Reinhardt-Seminar Wien), Büchners "Woyzeck" (Gießen) oder Hofmannsthals "Elektra" (Theaterakademie Hamburg) - durch eigenständigen Zugriff zu überraschen. "Dass der ungezähmt ausgelebte, doch von Heike Marianne Götze regielich genau kalkulierte 'Spieltrieb' nach Julie Zehs Roman als beste Inszenierung gekürt wurde, überraschte nicht", so Witzeling.

 

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