Das Innere des Systems

11. November 2015. Der Performance-Künstler Pjotr Pawlenski hat in Moskau die Tür des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB in Brand gesetzt, um gegen staatlichen Terror zu protestieren. Nach der Aktion am 9. November 2015 wurde Pawlenski festgenommen.

Ein 37 Sekunden langes Video von der Aktion wurde im sozialen Netzwerk Vimeo (und auch von der Luzerner Zeitung) veröffentlicht. Dort ist zu sehen, wie Pawlenski vor dem FSB-Gebäude und der Tür mit den lodernden Flammen steht. Das Gebäude ist in Russland als "Lubjanka" bekannt und bereits seit den frühen Jahren der Sowjetunion ein Synonym für Geheimdienstterror und staatliche Unterdrückung.

Die nächsten Wochen werde Pawlenski voraussichtlich in Untersuchungshaft verbringen, teilte das Festival Nordwind auf Nachfrage von nachtkritik.de mit, wo er Ende November aus Anlaß einer ersten Retrospektive seiner Arbeit auftreten sollte.

PjotrPawlenski 280 twitter uNackt in Stacheldraht, Aktion in St. Petersburg 2013 © Twitter.comPjotr Pawlenski hat in den vergangenen Jahren immer wieder durch spektakuläre Aktionen auf sich aufmerksam gemacht. Aus Protest gegen die Inhaftierung  der MItglieder der Band "Pussy Riot" ließ er sich 2012 den Mund zunähen. Im vergangenen Oktober schnitt er sich in Moskau ein Stück Ohr ab, um gegen die politische Instumentalisierung der Psychiatrie zu demonstrieren. Im April 2014 hatte Pawlenski sich nackt mit einem Hoden auf den Moskauer Platz angenagelt: als "Metapher für die Apathie der russischen Gesellschaft", wie es in einem Bericht des östereichischen Nachrichtenmagazins News.at heißt, das auch eindrucksvolle Fotos von den Aktionen des 1984 in Leningrad (heute: St. Petersburg) geborenen Künstlers zeigt.

Über den Twitteraccount der russischen Zeitung "Grani" verbreiteten Informationen zufolge hat Pawlenski einem Untersuchungsrichter gegenüber gefordert, die Brandstiftung als terroristischen Akt zu ahnden. "Ich denke, das ist logisch für Ihr System", wird aus dem Verhör zitiert. "Solange diese Forderung nicht erfüllt wird, verzichte ich, bei allen Ihren Gerichtsrituale mitzumachen. Solange mein Fall nicht umqualifiziert worden ist, erkläre ich einen Schweigeprotest."

Der Künstler Dimitri Vrubel (von dem u.a. das berühmte Bild "Bruderkuss" auf der Berliner East Side Gallery stammt) erklärte auf seiner Facebook-Seite (wo es auch ein Video von Pawlenskis Auftritts vor dem Untersuchungsrichter gibt): "Der Brandanschlag von Lubjanka war überhaupt keine Aktion. Nur Untertitel. Das Kino beginnt erst jetzt. Pawlenski hat beschlossen, seinen Aktionismus aus der materiellen Welt in die metaphysische zu schmuggeln. Direkt von der Straße in das Innere des Systems. So wie der Staat das Rechtssystem in eine Farce verwandelt hat, so verwandelt Pawlenski jetzt eine Farce in Kunst."

(sle)

 

Presseschau

"Laut einer Studie des unabhängigen Lewada-Zentrums stuften 41 Prozent der befragten Russen die Aktion als Sachbeschädigung ein, 28 Prozent als Protest gegen die Methoden des FSB, und nur gerade 14 Prozent mochten darin einen künstlerischen Akt erkennen", schreibt Ulrich M. Schmid am 28. November 2015 in einem lesenswerten Porträt in der Neuen Zürcher Zeitung über die Rezeption von Pawlenskis Lubjanka-Brandstiftung in Russland.

Mittlerweile sei klar, dass Pawlenski wegen 'Vandalismus aus ideologischem Hass' angeklagt wird. Vergehen gegen diesen Artikel würden in Russland mit bis zu drei Jahren Haft bestraft.

Kunst gegen Putin: Pjotr Pawlenski in Hamburg – ein kleines Fernseh-Portrait der ARD nach der Verhaftung von Pawlenski  (verfügbar bis 23.02.2016)

 

 

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