Othello - keine Theaterkritik aus Freiberg
Ein Fall von Rassismus
von Dirk Pilz
Freiberg, 22. März 2008. Dies ist keine Theaterkritik. Es geht hier zwar um eine Inszenierung des "Othello" am Mittelsächsischen Theater in Freiberg, aber eine Auseinandersetzung mit der Ästhetik, dem Regie-Zugriff, der Figurenanlage, der Szenengestaltung macht keinen Sinn. Denn was in Freiberg, der kleinen Stadt zwischen Chemnitz und Dresden, geboten wurde, ist ein Fall von Rassismus. Darüber ist theaterkritisch nicht zu berichten, das lässt sich nur vermelden.
Beherzt gefummelt
Die erste Szene ist noch so, dass man glaubt, einer Provokation beizuwohnen: Auf der Bühne thront ein schwarzer Kriegermann. Beine breit, Rücken durchgedrückt. Die Frau an seiner Seite: weißes Flatterkleidchen, lange Beine. Sie umschlängelt ihn, er fummelt ihr beherzt zwischen die Beine. Sie räkelt sich, er packt furchtlos zu. Links schmettert derweil eine Sopranistin die Begleitarie zu dieser Begattungsetüde, aus dem Hintergrunde trommelt es. Und vorn schimmern die Kerzen. Die Sopranistin ist die veräußerlichte Seele Desdemonas, der Trommler diejenige Othellos. Die Sopranistin macht auf Europa-Hochkultur (Verdi! Oper!), der Trommelmensch auf afrikanisch.
Wenn der Gaze-Vorhang sich nach diesem Prolog hebt, glaubt man eine Exotismus-Show gesehen zu haben, die von den primitiven Klischees die billigsten aussucht, um sie als eben das auszustellen. Die Wahrheit ist aber: das war noch gar nix.
"Hu! Ha! Ha!"
Denn hier wird hemmungslos die Klischeeschleuder angeworfen. Othello trägt Kriegsbemalung, Desdemona Goldsandaletten. Wenn er mit den Seinen in den Krieg zieht, machen sie "Hu! Ha! Ha!" im Chor und meinen das ganz ernst; wenn sie mit der Gattin des Jago spricht, wird mit den Einkaufstäschchen gewedelt und den Hintern gewackelt, wird ganz auf Tussen-Sprech und Weibchenart gemacht und auch das vollkommen ernst gemeint. Die Geliebte des Cassio: bei Bianca ein italienisches Weibsding, das faucht und schmust und drollig dämlich in die Welt schaut; die Einheimischen auf Zypern: singen "lei-la-lei-la-la", tragen Fladenbrot und komische Hüte.
Wohin man schaut in diesen drei Stunden: Menschen, die auf Äußerliches reduziert sind. Man sucht Hände ringend nach dem Bruch, nach der Lücke und wird schon vom nächsten Klischee-Holzhammer erwischt. Es ist wirklich arg.
Vom Vorurteil zum Urteil
Noch ärger aber, dass sie hier tatsächlich "den Neger" als "den" Fremden, Anderen, Unerforschlichen hinstellen. Es ist nämlich so, dass Jago an diesem unseligen Abend nicht nur ein Schmierenschurke ist, wie er in keinem Buch steht, er ist vor allem ein Intrigant in Reinkultur, weshalb Othello nur die Rolle des bloßen, armen, traurigen Opfers bleibt. Und weil in dieser Inszenierung des Intendanten Manuel Schöbel keine Gelegenheit ausgelassen wird, den Neger einen Neger zu schimpfen und dieser zudem mit lauter Attributen versehen wird, die ausmalen, was man, also die Regie, sich unter einem Neger eben so vorstellt (Trommeln, Kriegsbemalung:"Hu! Ha! Ha!"), wird das Vorurteil zum Urteil über Othello: ein Schwarzer, ein Fremder, eine Bedrohung. Der Neger als einer, in dessen Seele es trommelt, in dessen Kopf und Herz es spukt. Das Beste, was man, also als Weißer, diesem armen Würstchen geben kann, ist Mitleid. Das allerdings zementiert die Differenz zwischen den Weißen hier und den Schwarzen dort erst recht.
Der Vorwurf wiegt schwer, ja, aber der Abend erlaubt keine andere Deutung: er bedient unverhohlen rassistische Denkmuster. Er missbraucht Shakespeares Text, um billige Gefühle und dumpfes Vorurteil zu befördern.
Es sei denn, man verstünde das alles als Trash und also als hintersinnige Klischee-Kritik. Nur leider deutet nichts darauf hin.
Othello
von William Shakespeare
Deutsch von Werner Buhss
Regie: Manuel Schöbel, Ausstattung: Marlit Mosler, Choreografie: Yoshiko Waki, Dramaturgie: Roland Dreßler.
Mit: Michael Berger, Klaus Schleiff, Jürgen Petereit, David Zimmering, Urs-Alexander Schleiff, Michael Winkler, Andreas Jendrusch, Andreas Pannach, Christian Weber, Maren Borrmann, Katharina Wingen, Conny Grotsch, Julia Klawonn.
www.mittelsaechsisches-theater.de
Kritikenrundschau
In der Freien Presse (27.3.2008) fragt Reinhold Lindner: "Verstehen – oder wenigstens vertragen – wir Shakespeares Sprache nicht mehr?" Die Geschichte des "Mohren von Venedig", wie der englische Dichter sein Trauerspiel im Untertitel nannte, werde in Freiberg "in der Sprache unserer Zeit erzählt", bis zum "völlig heruntergekommenen Jargon des Straßenalltags". Von "Shakespeares vielschichtiger Poesie" habe der Übersetzer Werner Buhss "nicht viel übrig gelassen." Der Geradezu-Text habe aber "unbestreitbar den Vorteil einer direkten, geradlinigen Handlung, die ohne Umschweife auf die Katastrophe zuläuft." Jede Absicht, jedes Motiv werde in der Inszenierung von Anfang an enthüllt. Jago halte das "Publikum immer auf dem Laufenden, tritt wie ein Ansager an den Bühnenrand". Der Abschaum habe viele Dimensionen in diesem Stück, und "er hat seine Herkunft, seine bleibende Geschichte." Das Einvernehmen des Publikums mit dieser Inszenierung sei deutlich und nicht nur an dem dankbaren, beinahe ausufernden Schlussbeifall abzumessen.
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Trotzdem zeigt sich ein echtes Inszenierungsproblem des Stückes: Wenn ich - wie es gerne geschieht - den Othello als vollkommen assimiliert erscheinen lasse, wird eine gewisse Brisanz einfach beiseite geschoben. Die Möglichkeit nämlich, dass ich tatsächlich auf etwas "Anderes" stoße, eine fremde Kultur, die sich weigert, ganz genau so zu werden wie "unsere" Kultur. Die Frage ist dann: Wie gehe ich mit dieser sozusagen grundlegenden Fremdheit um?
Bei der Schweriner Diskussion drängte sich damals der Eindruck auf, dass die besonders politisch Korrekten Schwierigkeiten hatten, etwas wie kulturelle Fremdheit überhaupt wahrzunehmen. "Alle Menschen sind gleich" wurde zu einem Kampfruf, der Ungleiches (nicht zu verwechseln mit Minderwertigem) gar nicht erst gesehen hat. Die Spannung besteht doch aber darin, dass Othello anders i s t , und trotzdem akzeptiert werden muss. Und nicht erst dann, wenn er sich assimiliert hat.
Habe ich mich verständlich ausgedrückt?
Ich habe jedenfalls eine gelungene, stimmige Inszenierung gesehen - zumindest vor der Pause.
Roland Dreßler
Chefdramaturg Mittelsächsisches Theater
offenbar habe ich mich missverständlich ausgedrückt: nicht, weil einige Figuren Othello als "Neger" bezeichnen, sah ich einen Fall von Rassissmus, sondern in der Art und Weise, wie in der Inszenierung das/der Fremde gestaltet und dargestellt wird, und zwar nicht nur in Bezug auf Othello, sondern auch auf die Bewohner Zyperns und der Figur Biancas. Vom "Neger" ist auch bei Shakespeare die Rede, die Reduktion auf (Klischee-)Attribute, finde ich dort nicht. Im Anschluss an "luckypepsi" denke ich auch, dass die Herausforderung des Stückes (und auch generell) darin besteht, zu versuchen, das "Fremde" zu denken, anzuerkennen, wahrzunehmen ohne es als "das" Fremde hinzustellen.
Sehr geehrter Schauspieler,
ich habe ausdrücklich geschrieben "dies ist kein Theaterkritik". In manchen Fällen macht die "höflich differenzierte Kritik" keinen Sinn; die "Othello"-Inszenierung ist für mich ein solcher Fall. Im übrigen richtet sich meine Kritik ausdrücklich gegen die Regie, nicht gegen die Schauspieler.
Herzlich,
Dirk Pilz
Ich bin kein Kritiker von Bühnenstücken, fühle mich weder dazu berufen, noch habe ich das notwendige Detailwissen, um eine fundierte Bewertung eines Stücks abzugeben. Deshalb halte ich auch bei Kritiken lieber meinen Mund. Aber wenn andere ihre Meinung äußern (was sie ja dürfen und nachgerade, wenn es um Theater geht, auch sollen), und es entspricht so gar nicht meiner Meinung, kann ich nicht anders und lege meine Sicht der Dinge dar:
Nun, ich war auch in der Premiere vom Freiberger „Othello“ und bin beim ersten Mal, als das Wort „Neger“ – offensichtlich als Schimpfwort eingesetzt – fiel, zusammengezuckt. Wurde damit doch meine ganze Erziehung auf den Kopf gestellt, weil ich als Kind lernte, dass man so etwas ja nicht sagen darf. Doch recht bald war mir klar, dass es völlig egal ist, welche Person da auf der Bühne agiert, solange sie nur anders ist. Man kann so gut sein wie man will, sobald man aus den gängigen Vorstellungen gerade festgelegter Regeln menschlichen Seins heraus fällt, ob behindert, AIDS-krank, schwul, taubstumm oder Jude, mit zu langen oder zu kurzen Haaren– ganz egal - ist beim Großteil der Bevölkerung Misstrauen da. Wohlgemerkt nicht unbedingt in den Gesetzen, denn die propagieren - zumindest in unserem Land - die Gleichberechtigung aller Bürger. Und dieses Misstrauen gegenüber dem Unbekannten ist es, das für mich die Benutzung eines Schimpfwortes zur Artikulierung der inneren Einstellung handelnder Personen rechtfertigt. Hier wird noch ausgesprochen, was gedacht wird. Wehe uns vor denjenigen, die Handeln ohne zu sprechen, durchaus fein gekleidet, mit der richtigen Haar- oder Körperfarbe, mit einem steten Lächeln im Blick. Wohlgemerkt, ich verachte Rassismus in jeder Art und Weise. Und kann mir jemand widersprechen, dass bei uns in mancher Beziehung unbegründete Vorurteile sehr wohl auf dem Vormarsch sind? Was ist also passiert? Das Theater hat uns den Spiegel vorgehalten. Au weia!
Worum ging es denn in diesem Stück außer um ein Scghimpfwort (denn schließlich war das Stück ja nach dreimaligem „Neger“ rufen nicht zu Ende)? Um die fraglose Übernahme von Meinungen anderer, die es erst möglich macht, Menschen wie Jago vorwärts zu bringen. Aus purem Eigennutz spielt er mit den Urinstinkten der Menschen: Misstrauen, übereiltem Vertrauen oder auch fehlendem Mut, den anderen auf von Dritten Gehörtes anzusprechen. Gäbe es all diese Eigenschaften der Menschen nicht, hätte Jago keine Chance gehabt. Ja, es war beängstigend, diese in einer Person versammelten schlechten Eigenschaften agieren zu sehen, beängstigend und gleichzeitig faszinierend. Und keiner hat ihm Einhalt geboten – kennen wir das nicht von irgendwoher? Ach je, schon wieder der Spiegel …
Und was das Trommeln betrifft: Mag sein, dass es passend klischeehaft ausgelegt werden kann, ebenso aber auch als eine zeitgemäße Darstellung innerer Zerrissenheit, Wut, Ratlosigkeit, die sich in Aggression ausdrückt. Sicherlich hätte man Othello auch einen Wutzettel in die Hand geben können, der bei Bedarf zerknüllt werden kann, aber ob das bis in die letzte Reihe hätte wahrgenommen werden können?
Was bleibt nun? Man redet über Themen, über die sonst lieber geschwiegen wird: Rassismus, Intoleranz, Misstrauen und Egoismus. Bravo! Wird auch langsam Zeit!
Dass dieser Grat so schmal ist, zeigt eigentlich nur, wie unbewältigt das Rassismus-Problem ist: Hier muss ich meinem Vorredner Thomas Recht geben.
Ein guter Lackmustest wäre, ob das Ensemble guten Gewissens die Aufführung vor einem überwiegend schwarzen Publikum spielen würde. Wenn nicht, dann läge das daran, dass die Schauspieler in diesem Moment der Klischeehaftigkeit ihrer Darstellung inne würden. Wenn doch, dann vertrauen Sie auf die aufklärende Wirkung ihres Tuns und sind vom Rassismus-Vorwurf freizusprechen.
Es stimmt ja, was Luckypepsi zu bedenken gibt: Othellos Fremdheit ist nicht wegzuassimilieren. Vielmehr ist er dezidiert als ein "Fremder" darzustellen – in keinem Fall eine leichte Aufgabe. Gerade dieses Stücke böte ja allerdings auch zahlreiche aktuelle Anschlusspunkte, wenn man das "Neger"-Sein denn übersetzen wollte (muss man aber nicht - klar); einige verheutigende Beispiele für das Nicht-Assimilierte, das Nicht-"Normale" in unserer Gesellschaft hat ja z.B. Thomas genannt.
Was allerdings in Freiberg passierte: Der "Fremde" wurde mit den plattesten und gängisten, also gerade NICHT-fremden Attributen bzw. Stereotypen behängt. Dirk Pilz beschreibt das ja genau. Es wurde mit diesem Othello sozusagen ein Bilderbuchneger auf die Bühne gestellt: schwarz gefärbte Haut, Kriegsbemalung, Trommeln, Sich-auf-die-Brust-Schlagen, Stampftanzkampfschritt. Nichts Fremdes wurde dem Publikum vorgesetzt, sondern allzu Bekanntes - das, was man von einem "Neger" eben schon zu wissen glaubt.
Der Kritiker hat ebenfalls beschrieben, wie dies nicht nur Othello, sondern auch die anderen im Stück auftauchenden Figuren betrifft. Die Zyprioten eben oder Bianca, die zur fauchenden, erotisierten, ziemlich dümmlichen Italo-Braut aufgemotzt ist. Zunächst darf sie „Amore mio“ säuseln, später ausgiebig „Vaffanculo“ und „Bastardo“ schreien. So dass der Zuschauer wie bei Othello ganz getrost wieder erkennen darf, was er längst vermutete: ‚Ja ja, so sind sie, die Italienerinnen.’ Nichts, rein gar nichts, was dem Zuschauer signalisieren könnte, dass das vorgefertigte Bild, das wir womöglich von einem Schwarzen / einem Griechen / einer Italienierin haben, gefährlich stereotyp sein und so gar nicht der Realität entsprechen könnte.
Dass die Inszenierung mit diesen Klischees nur spielt, dass sie sie in ihrer Fragwürdigkeit und Stereotypie ausgestellt oder kritisiert bzw. der Zuschauer als Klischee-Produzent hinterrücks entlarvt werden soll, wollte man nur allzu gern glauben. Eventuell mag dies ja auch durchaus die Intention des Regisseurs gewesen sein, nur hat er das schlichtweg nicht inszeniert. Denn so sehr man auch danach suchte, fand sich in der ganzen Inszenierung keinerlei Hinweis auf eine Kritik des Klischees. Das heißt: kein Bruch in der Darstellungsweise, kein Sich-Distanzieren des Schauspielers von der Rolle, keinerlei Verfremdungszeichen, kein ausstellendes Überzeichnen, kein Kommentar, sondern ernstnehmende, einfühlende Identifikation der Darsteller mit ihren Abziehbild-Figuren, die sie uns mit aller Wahrhaftigkeitsanstrengung nahe zu bringen suchten. Wie gesagt, die Verantwortung dafür hat der Regisseur, haben nicht die Schauspieler zu tragen.
Das Problem lag nicht nur in der Darstellung des Schwarzen Othello, sondern – und das ist so irritierend – die Sache hatte Methode, betraf auch, wie in diesem Forum schon mehrfach beschrieben, etwa die Zyprioten oder Bianca (mein Gott, Bianca!). Ich kann nicht sehen, dass Pilz, der Kritiker des Desasters, hier Theaterspiel mit Realität verwechselt hätte. So gruselig es ist, bei der Freiberger Inszenierung kommt man um den Begriff Rassismus leider nicht herum.
Natürlich wäre es blauäugig, die Augen zu verschließen vor einem mindestens unterschwelligen Rassismus, der in Teilen der bundesdeutschen Öffentlichkeit durchaus konsensfähig ist. Das ist schlimm, aber nicht nur ein deutsches oder gar ausschließlich ostdeutsches Phänomen. Doch dass das Theater keine bessere Idee hat, als jene Stereotype zu bedienen, die es bei seinem Publikum vermutet, das ist finster.
Irgendwie ist mir die Sache ziemlich unangenehm. Was hab ich nur angestellt, dass man mich für derart blöd halten muss?
Sehr geehrter Herr Pilz, angeregt von der Diskussion habe ich mir den Othello spontan nun doch selbst angesehen (Aufführung Döbeln), obwohl ich nicht mehr gern in Freiberger Inszenierungen gehe und lieber nach Chemnitz oder Dresden ausweiche. Was mich mindestens genauso genervt hat wie das ständig in den Raum geschleuderte Wort NEGER war die Art, Frauen zu zeigen, permanent NutteHureSchlampe genannt. Besonders die 2 weiblichen Hauptfiguren mußten hier frauenverachtende Altmännerphantasien bedienen: vom kleinen Dummchen, nichts im Kopf, wenig an, Scheinerotik, Einkaufstütchen und dummes Getue. LIEBE konnte ich nicht sehen. Dafür gibt es zwischen der ganzen schlichten Zotensprache (eine Frage der Übersetzung oder der Regie?) auch gar keinen Raum.
Einziger Lichtblick: Der Gesang bis in die Bruststimme zu blutrotem Licht. Ein ganz kleiner Trost.
Dass nun bei der Kritik des klischeehaften Blicks auf Frauen ausgerechnet die Nebenrolle Bianca so attackiert wird, statt die Sprache und den Blick insgesamt auf Frauen, der sich in ALLEN Frauenrollen findet, zu kritisieren, macht mich stutzig. Wird diese Kritik-Plattform hier vielleicht sehr privat missbraucht für persönliche Feindschaften?
Politisch korrekt muss das Theater nicht sein, aber es darf nicht rassistisch sein. Da ist eine Grenze überschritten. Es darf natürlich provozieren. Aber - man kann es nur gebetsmühlenartig wiederholen - irgendwo muss, wenn man einen solchen Othello präsentiert, die distanzierende Geste eingebaut sein, die sagt: Wir zeigen/spielen das, wir stellen es dar. Die sagt: Wir meinen nicht, dass Othello/der "Neger" tatsächlich so ist (so aber wird in Freiberg gespielt).
Um es mal konkret zu machen: Wenn diese Inszenierung die von ihr auf die Bühne gebrachten Klischees hätte kritisieren oder den Zuschauer / uns alle der Klischeeproduktion hätte überführen wollen, so hätte sie - das ist jetzt mal ein ganz simples, plakatives Beispiel - z.B. am Anfang den "Neger" schminken können, um das danach Gezeigte als Konstruktion zu kennzeichen, oder ihn am Ende abschminken oder was weiß ich.
um es noch mal zu verdeutlichen, weil meiner Meinung nach ein riesiger Unterschied klafft zwischen Schöbel in Freiberg und den Regisseuren, die sie aufzählen. Wiewohl man deren Inszenierungsweise im einzelnen natürlich befragen kann.
Die Othello-Darstellungsweise in Freiberg unterscheidet sich himmelweit von dem distanzierten Spiel etwa eines Samuel Finzis bei Gotscheff, z.B. in "Anatomie Titus". In Freiberg spielen sie auf Einfühlung, ohne (sichtbare) Distanz zur Rolle: ungebrochenes Als-Ob-Spiel, der Schauspieler tut so, als SEI er Othello und als SEI Othello tatsächlich der trommelnde Bilderbuchneger. Finzi hingegen zeigt seine Figur her. Spielt mit, dass es die anderen sind, die ihn als "Neger" sehen, indem er z.B. in einer Szene das äffische Gehampel mit wegwerfender Handbewegung abtut, als er sieht, das er dafür keine Zuschauer mehr hat (für die allein er den "Neger" gibt).
Außerdem zur Auffrischen des Gedächtnisses: Wo kommt in Bosses "Viel Lärm um nichts" noch mal ein schwarzgeschminkter Schauspieler vor?