Die Pointenschlepper

von Martin Krumbholz

Köln, 11. Dezember 2015. "David Schalko ist in Österreich weltberühmt." Das ist ein guter Satz, ein sehr guter Satz (er steht im Programmheft für "Kimberly"). Schalko ist in Österreich dafür weltberühmt, dass er das Fernsehen revolutioniert und verbessert hat, zum Beispiel mit der Serie Braunschlag und mit Talkshows.

Nun hat das Schauspiel Köln den in Österreich weltberühmten Österreicher gebeten, ein sogenanntes Singspiel zu verfassen (gemeinsam mit dem Musiker Kyrre Kvam), basierend auf einer sogenannten wahren Begebenheit, der zufolge eine junge Frau zwei Liebhaber getötet, zerspalten und in ihrem Eissalon eingemauert hat – in Österreich ist diese Story weltberühmt. Die getöteten Männer waren nicht sehr nett zu der Frau. Wenn man sich nun vorstellt, wie Menschen, Österreicher vermutlich, nach der verheerenden Tat noch lustig Eis lutschten in jenem veritablen Eis-Mausoleum, nichts ahnend von den Tücken des Lebens, dann hat diese wahre Begebenheit tatsächlich das Zeug zu einer Grusel-Groteske, meinethalben zu einem Singspiel im Geist der Rocky Horror (Picture) Show oder auch des Black Rider.

Gute Sätze gehen zu Bruch

Und in Schalkos Text mit seinen rund 100.000 Pointen und Apercus stehen tatsächlich ein paar wirklich gute Sätze vom Schlag des zitierten Programmheftsatzes, zum Beispiel: "Jede Familiengeschichte ist eine Geistergeschichte!" Nur erliegt der Autor mit seinem ersten Theatertext dem fatalen Irrtum, zu glauben, so ein Text sei eine ununterbrochene Folge von brillanten Sätzen, die auf dem Rücken von Schauspielern durch einen Abend zu schleppen seien, ohne dass es dabei auf sonst etwas ankäme, zum Beispiel auf Dramaturgie. Und die Schauspieler müssen zudem noch befürchten, dass Schalkos kostbare Sätze, wenn sie ihnen unterwegs vom Rücken fallen, schlechterdings zu Bruch gehen. Oder zerplatzen wie Knallerbsen.kim1berly 2 560 david baltzer xSabine Waibel (links) als rauchende Psychologin © David Baltzer

Die erwähnte Story kommt in "Kimberly" gar nicht vor, wird nicht mal angedeutet. Überhaupt ist die eigentliche Hauptfigur entwertet zugunsten eines gewissen Konrad, Jungdichter, der seine Frau fast zu Tode gefahren haben soll und nun mit der haftentlassenen Mörderin anbändelt; gespielt wird er von dem betont schlaksigen Yuri Englert. Es gibt noch ein paar Figuren, darunter eine verliebte Psychologin (Sabine Waibel), mindestens so aus der Spur geraten wie die von ihr betreute Mörderin (Yvon Jansen), sowie Konrads verrückte Mutter, die als Chef-Pointentante durchs Stück stapft (die immer sehr lustige Sabine Orléans). Zu einer Geschichte – oder auch einer Anti-Geschichte – verbinden sie sich nicht.

Und warum überhaupt ein Singspiel? Die Songs von Kyrre Kvam, der von zwei weiteren Musikerinnen begleitet wird, wachsen mit ihren Emotionen nicht aus den Situationen heraus, sondern sind ihnen aufgesetzt. Eigentlich ist hier für Gefühle auch gar kein Raum. Man nimmt sie den überdrehten Figuren nicht ab, sie sind – siehe oben – viel zu sehr damit beschäftigt, Pointen zu schleppen.

Wer lutscht schon gern am Trockeneis?

"Meine Frau ist gestorben, ich hoffe, das stört Sie nicht", bemerkt der Mann mit der Trompete, als er seinerseits mit Kimberly anbändeln will. Ja, das könnte ein witziger Satz sein, beiläufig serviert, mit österreichischem Charme (oder Schmäh, wie man sagt), aber er zündet nicht. "Darf ich noch was spielen", sagt der Mann mit der Trompete, "wenn’s nicht zu laut ist", antwortet Konrad, und dann spielt der andere natürlich erst recht zu laut. Derart tautologisch funktioniert der Humor an diesem Abend, wie bei einer schlechten Clownsnummer. Nächste Szene, nächste Situation. So foltert man sein Publikum.kim1berly 3 560 david baltzer xYvon Jansen mit Lost-Highway-Frisur und Sabine Waibel © David Baltzer

Yvon Jansen als Kimberly sieht mit ihrer platinblonden Pagenschnitt-Perücke aus wie Patricia Arquette in Lost Highway, dem Gruselklassiker von David Lynch. Vielleicht wollte Schalko auf so etwas hinaus, auf eine mysteriös-vertrackte, immer undurchschaubarer werdende und vor allem unheimliche Geschichte. Aber "Kimberly" ist kein bisschen gruselig. Und als Regisseur ist der Autor vollends überfordert. Die Figuren agieren planlos nebeneinander her, finden nie in ein Zusammenspiel. Diesen Personalschaden können weder irgendwelche Lichteffekte noch Unmengen von Trockeneis oder der donnernde Zusammenbruch der Bühnenbauten ausgleichen.

Man dämmert weg an diesem grausamen rheinischen Regenabend und träumt von der wahren Kimberly, wie sie in ihrem Eissalon Eis lutschend ihrer unwürdigen Männer gedenkt. Bis zum nächsten Trompetenstoß.

 

Kimberly
Ein Singspiel von David Schalko. Musik von Kyrre Kvam.
Uraufführung
Regie: David Schalko, Musik: Kyrre Kvam, Bühne/Video: Peter Baur, Kostüme: Anna von Leen, Choreografie: Sabina Perry, Video: Nazgol Emami, Licht: Hartmut Litzinger, Dramaturgie: Sibylle Dudek.
Mit: Yvon Jansen, Sabine Waibel, Yuri Englert, Annika Schilling, Franziska Hackl, Sabine Orléans, Stefko Hanushevsky, Yvonne Forster, Agneta Olivia Hanappi, Susann Sinnemann. Musiker*innen: Doro Bohr, Kyrre Kvam, Ella Rohwer.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.schauspielkoeln.de

 

 
Kritikenrundschau

Im Theater sei Schalko leider kein Profi, "und das merkt man", schreibt Anke Dürr für Spiegel Online (12.12.2015). Dass er "die Verortung in der Provinz, dieses für seine Story grundlegende Element, in der Inszenierung drangibt, ist ein grober Fehler." In "Schalkos stirilem Nicht-Raum" fänden "die Anklagen an die Enge kein Echo". Dem Stück fehle "der Kitt, inhaltlich und ästhetisch und musikalisch. Es fällt so krachend in sich zusammen wie die Pappwand am Schluss der Inszenierung."

Das dekorative Singespiel bleibe letztlich "trotz der schönen Effekte holzschnittartig, behauptet und wirklichkeitsfremd", so Dorothea Marcus im Deutschlandfunk (12.12.2015).  "Den Charme von Schalkos morbiden Fernsehserien holt es leider nicht ein."

Die Figuren, die sich Schalko für seine erste große Theaterarbeit ausgedacht hat, führten "nicht nur Schattenexistenzen, sie sind auch selber nie so richtig anwesend", findet Christian Bos im Kölner Stadtanzeiger (14.12.2015). "Was ihn zumindest teilweise rettet, sind die Songs des Norwegers Kyrre Kvam."

 

Was ihn zumindest teilweise rettet, sind die Songs des Norwegers Kyrre Kvam.

Schauspiel in Köln: David Schalkos „Kimberly“ feiert Uraufführung | Kultur - Kölner Stadt-Anzeiger - Lesen Sie mehr auf:
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Kommentare  
Kimberly, Köln: österreicher-bashing kleinkariert
mag sein, es kann auch mal etwas danebengehen- aber seht euch "altes geld" an- das beste, das deutschsprachiges fernsehen seit jahrzehnten hervorgebracht hat- und das österreicher-bashing ist doch etwas kurz gefasst und kleinkariert- immer noch der beste literarische output im deutschsprachigen raum kommt von den "schluchtenscheissern"- eine preussin
Kimberly, Köln: toller Abend
ich fands klasse. teilweise schön grotesk, zuweilen banal, mal philosophisch. hatte nen tollen abend.
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