Presseschau vom 14. Dezember 2015 – Die Medien beschäftigen sich weiterhin mit Alvis Hermanis

Das Andere, das Abgehobene, das Undenkbare

Das Andere, das Abgehobene, das Undenkbare

14. Dezember 2015. Gleich in zwei Medien erscheinen gerade Verteidigungsschriften für Alvis Hermanis, der aktuellen Persona non grata des Theaterbetriebs. Im Tagesspiegel schreibt der Ressortleiter Medien des Blattes Joachim Huber, dass Hermanis' Ausstieg aus seiner Thalia-Inszenierung notwendig sei. "Theater hat sich in einem, seinem Konformismus eingerichtet, wo das Gute und das Böse immer feststehen. Pegida und Vergleichbares – das ist dann viel Böses." Deshalb fordert Huber: "Holt den Letten-Ungeist auf die Bühne. Die Flüchtlinge, die Stadt und den Tod inklusive."

Huber bedauert das Berliner "Eventbüdchentheater", wo es "Selbstbestätigung bis Selbstbefriedigung" gebe, und kaut auf seiner These in immer neuen Worten herum: "Das Theater hat sich den Feinkostabteilungen dieser Gesellschaft anverwandelt." Während sich das bessere Fernsehen nicht länger vor dem Theater schämen müsse, sei das Theater sozial und solidarisch, nur "eines nicht: Theater, das die Zeit braucht; Theater, das die Zeit aufsaugt; Theater, das die Zeit ein- und ausatmet; Theater, das kein Zeitvertreib ist."

In der Welt erinnert sich Leander Haußmann an seine Staatsbürgerkunde, um dann festzustellen: "Ja, es ist die Zeit der Ideologien. In solchen Zeiten heißt es: Nerven behalten. Das Erste, was im Krieg stirbt, ist die Wahrheit." Hermanis' Absage-Begründung klinge "wie ein verlorenes Kind, das wütend die Tür hinter sich zuschlägt". Dennoch: "Ich verstehe ihn. Ich teile jedoch nicht seine Meinung. Demokratie muss das aushalten."

Haußmann hätte die Absage-Gründe jedenfalls nicht öffentlich gemacht, auch wenn er selbst an Angela Merkels "Wir schaffen das" festhält. "Aber müssen wir uns im Theater wirklich für unser Gutsein feiern? Uns politischer Zeigefingerkunst aussetzen? Das Theater als moralische Anstalt, aber sicher nicht als Ort der Besserwisserei. Theater muss über die Gegenwart hinauswachsen, es muss noch gelten, wenn die Gegenwart längst zur Vergangenheit geworden ist."

Seine Forderung: "Mit der Absage von Alvis Hermanis wurde der Spot auf einen großartigen Theaterregisseur gerichtet, um ihn auszuleuchten. Ich setze mich für ihn ein, denn es wäre schade, wenn er an keinem Theater in Deutschland mehr arbeiten kann. Theater muss der Ort sein, an dem die Gegenwart auch mal Hausverbot hat und der Vorhang den Blick für das andere, das Abgehobene, das Undenkbare freigibt. Aber natürlich darf die Kunst auch einfach nur da sein und faul in der Sonne liegen, die auch ein Scheinwerfer ist."

(geka)

 

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