Mephisto in der Mottenkiste

von Valeria Heintges

Zürich, 15. Januar 2016. Klaus Manns "Mephisto" ist das Drama des Ehrgeizlings, des Emporkömmlings, das Drama des Schauspielers, der einen Bund mit dem Teufel schließt, nur um Mephisto spielen zu können. Eigentlich.

Nicht so bei Dušan David Pařízek, nicht im Zürcher Pfauen. Hier ist es – ja, was? Am Anfang ein Stück vielversprechendes Musikkabarett. Fünf Schauspieler, alle züchtig in grau, mit Musikinstrumenten, die keine sind: Löffel geben den Takt, eine Kuhglocke hängt einem Menschen um den Hals und wird sanft geschlagen, ein Miniakkordeon seufzt wie ein Blasebalg. Dazu ein Chor aus deutschsprachigen Dialekten, Kölsch, Sächsisch, Schweizerdeutsch. Und Italosprech. Locker, luftig, dieser Beginn. Wir befinden uns auf dem 43. Geburtstag des Ministerpräsidenten, auf dem natürlich auch sein Hofschauspieler Hendrik Höfgen, Intendant des Preußischen Staatstheaters, nicht fehlen darf. Dann erscheint der Propagandaminister. Und die Stimmung fällt unter den Gefrierpunkt.

Lethargische Egozentrik

Rückblende nach Hamburg, wo Höfgens Karriere ihren Anfang nimmt. Das Musikkabarett ist vorbei. Schluss mit lustig, Beginn der Schwere. Pařízek hat aus Klaus Manns Roman eine neue Textfassung erstellt. Die gießt die Handlung nicht wie in Ariane Mnouchkines Dramatisierung von 1979 in Dialogform, sondern belässt über weite Strecken den erzählenden Prosa-Stil. Mit Wechsel zwischen Ich- und Er-Perspektive und langen, sich windenden Sätzen, die den Text in zusätzliche Distanz rücken. Schwer auch Pařízek Bühnenbild: Graue Stelen formen ein spitzwinkliges Dreieck, erinnern an das Holocaust Mahnmal in Berlin.

Mephisto 560 Toni Suter TT Fotografie uLethargische Egozentrik statt brennendem Ehrgeiz: Michael Neuenschwander als Hendrik Höfgen
© Toni Suter / T+T Fotografie

Wird jetzt Mephisto der Ehrgeizling, der er eigentlich ist? Nein, nur in den Worten ist er der Mann "im Käfig aus Ehrgeiz", aber Pařízek lässt Michael Neuenschwander das nicht spielen. Aus dem brennenden Ehrgeiz wird lethargische Egozentrik. Nichts von der lodernden Begierde, nach oben zu kommen, wenig Zweifel am eigenen Tun und Wollen. Dafür hechelndes Behaupten, larmoyantes Gerede, unmotivierte Ausbrüche aus dem Spiel, Dialog mit dem Publikum, Theaterspielchen.

Witzfiguren und zwei Glanzlichter

So wenig wie dieser Höfgen sich für seine Mitmenschen interessiert, so wenig tut es der Regisseur. Bei Klaus Mann ist da etwa die zerstörerische, von Psycho-Komplexen getriebene Liebe zu der dunkelhäutigen Tanzlehrerin Juliette Martens, die mit Höfgens sadistische Spielchen spielt. In Zürich zwingt Miriam Maertens Michael Neuenschwander in die Ballettschuhe und an die Stange. Das wirkt nicht zwanghaft, nicht beängstigend, sondern einfach nur lächerlich. Am Ende liefert Höfgen die ehemalige Geliebte aus, als die Beziehung zu einer Schwarzen im nationalsozialistischen Deutschland gefährlich wird. Oder Dora Martin, die Jüdin, deren Star-Auftritt in der Provinz Höfgen aus Eifersucht schier um den Verstand bringt und die als die erste seiner Bekannten nach Frankreich fliehen wird. Von ihr bleibt in Zürich die Karikatur einer überkandidelten Diva. Vor der sollte sich Höfgen in der Kabine verstecken? Aber warum denn?

So könnte man es weiterführen. Pařízek nimmt vor allem Höfgen, aber auch vielen der Nebenfiguren die dramaturgische Bedeutung, degradiert sie zu Witzfiguren, lächerlichen Erscheinungen. Verschont davon wird Barbara Bruckner, die Höfgen heiratet, und Otto Ulrichs, der kommunistische Schauspieler. Elisa Plüss gibt Barbara jung, feurig, unverfälscht, Siggi Schwientek lässt die Schilderung von Ulrichs von der Folter entstelltem Körper zum leisen, ergreifenden Höhepunkt der Aufführung werden. Doch zwei Personen können nicht das Gerüst einer ganzen Aufführung tragen, heißt die bittere Erkenntnis. Was weniger an den fünf Akteuren liegt, die in alle Rollen schlüpfen, als vielmehr am Regiekonzept.

Hitler schnarrt auf Schweizerdeutsch

Ach ja, es bleibt natürlich auch noch der Nationalsozialismus, der viel beschworen und besungen wird, mit dem Horst-Wessel-Lied und falschen Strophen des Deutschlandliedes. Und mit einem chaplinesk schnarrenden Hitler, natürlich, den gibt der Griff in die Mottenkiste ja immer noch her, hier sogar auf Schweizerdeutsch.

Klaus Mann schrieb mit "Mephisto" das Drama des Ehrgeizlings, des Schauspielers, der einen Bund mit dem Teufel schließt? In Zürich bleibt davon ein dreistündiges Drama, dem sogar die Pause verwehrt wird, weil sich alle auf offener Bühne zum Mephisto schminken. Ein Blick in ein verstaubtes Museum der deutschen (Theater-)Geschichte. Warum den die Zürcher im Januar 2016 werfen sollen, bleibt Pařízeks Geheimnis. Ein Gang durch die originalen Eisenman-Stelen in Berlin ist diesem Abend in jeder Hinsicht überlegen.

 

Mephisto
von Klaus Mann
Fassung von Dušan David Pařízek
Regie und Bühne: Dušan David Pařízek, Kostüme: Kamila Polívková, Licht: Christoph Kunz, Dramaturgie: Gwendolyne Melchinger.
Mit: Michael Neuenschwander, Siggi Schwientek, André Willmund, Miriam Maertens, Elisa Plüss.
Dauer: 3 Stunden, faktisch keine Pause

www.schauspielhaus.ch

 

Kritikenrundschau

Pařízek mache "alles wett" an Klaus Manns "Hochkontrast-Roman, dem die Zwischentöne fehlen", ist Jan Küveler in der Welt (18.1.2016) schwer begeistert. Nur fünf Schauspieler, "einer toller als der andere", ließen "ein monumentales Dunkel-Deutschland" auferstehen. "Dieser Abend tänzelt durch einen kleinen Raum mit großer Wirkung." "Wie schon in der faszinierendsten Inszenierung des vergangenen Jahres 'Die lächerliche Finsternis'" verfüge Pařízek souverän über Text und Timing. "Für das Größte – echte Gefühle, echte Menschen – braucht er fast nichts."

Pařízek sei "mit 45 Jahren kein Jungregisseur mehr, aber eigentlich noch nicht alt genug, um sich selbst zu zitieren", ist Barbara Villiger Heilig in der Neuen Zürcher Zeitung (18.1.2016) streng. In "Mephisto" krame er aber nun doch einige "Versatzstücke" aus seiner "Requisitensammlung". "Was interessiert ihn an dem Stoff, den Ariane Mnouchkine 1979 auf die Bühne und István Szabó 1981 ins Kino brachte (mit Klaus Maria Brandauer)?", fragt Villiger Heilig und antwortet sich selbst: "Gute Frage. Pařízek, dessen Fassung am Gesellschafts- und Beziehungsgerangel der ersten Romanhälfte festklebt, beantwortet sie nicht."

Der letzte Teil der dreistündigen Aufführung habe "eine Dringlichkeit, die sich in den ersten beiden Stunden nicht einstellt", schreibt Alexandra Kedves im Tageanzeiger (18.1.2016). Bis zur Pause ziehe sich die Romanadaptation, zerfalle in "Pointen, Bonmots und persiflierte Lieder". Die "extra schülerhaft hingeklapperte, komödiantisch hingeratterte Selbstreferenzialität" pulverisiere jede Ernsthaftigkeit, so Kedves. "Doch als es richtig eindunkelt in Höfgens Leben, darf das Ensemble leuchten."

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