Wolf unter Wölfen - In Hannover lässt Sascha Hawemann Hans Falladas Roman in einem Riesenhakenkreuz verschwinden
Die Bühne bröckelt
von Jan Fischer
Hannover, 16. Januar 2015. Es ist Wintereinbruch in Hannover. Dicke Flocken fallen vom Himmel, man ist geneigt, das sofort metaphorisch zu assoziieren, in diesen Zeiten, in denen man einen Temperaturfühler ans gesellschaftliche Klima anlegen könnte und ihm beim freien Fall zuschauen. Vor allem nach dem letzten Bild in "Wolf unter Wölfen", in dem die Protagonisten sich mit den Worten "Gute Nacht" ins neonhell erleuchtete, hohle Hakenkreuz hinten auf der Bühne zurückziehen.
Dass gerade jetzt, während rechte politische Strömungen in Europa immer mehr Zulauf haben, dieser Stoff auf dem Spielplan steht, passt – im Grunde genommen. In dem Roman, der im Inflationsjahr 1923 spielt, werden die egoistischen Motive der Protagonisten vor dem Hintergrund einer zusammenbrechenden Weimarer Republik ausgestellt, zwei von ihnen – der Freikorps-Leutnant Fritz und Rittmeister von Prackwitz – wollen sich sogar an einem Putsch gegen den Staat beteiligen. In welche Richtung dieser Putsch geht, wird in Hannover spätestens klar, als Fritz in schwarzer, militärisch anmutender Montur mit SS-Rune auf dem Hemd über die Bühne marschiert.
Geld, Betrug, Egoismus
Falladas Roman spielt hauptsächlich auf dem Gut Neulohe, das ihm als Experimentierlabor dient, und versucht von dort aus, ein Gesellschaftsporträt im Kleinen zu zeichnen. In Hannover inszeniert Sascha Hawemann die Bühne als beweglichen Raum, dessen hölzerne Decke mal hoch, mal runter fährt, an den hinten auch mal ein Raum angebaut wird oder Hintergründe und Filme projiziert. Von dem aber vor allem im Laufe der Inszenierung immer mehr verschwindet – die Wände, die Decke, der rote Vorhang, der, bis am Ende das hohle Hakenkreuz auf die Bühne gefahren wird, als hintere Wand gedient hat.
Auf dieser wegbrechenden Bühne spielt Falladas Geschichte von Geld, Betrug, Egoismus und Unzufriedenheit mit der Politik. Auch eine Liebesgeschichte, die sich zwischen Wolfgang Pagel und seiner schwangeren Freundin Petra entspinnt. Aber diese Liebe muss sich letztlich konformistisch der Politik ergeben. Manchmal wälzen sich alle Schauspieler in dem Dreck, der säuberlich in einer Art Sandkasten am vorderen Bühnenrand platziert ist, und zwischendrin wird immer der aktuelle, andauernd steigende Wechselkurs von Dollar zu Mark durchgesagt.
Die Feindynamik des Inflationsjahrs
Falladas "Wolf unter Wölfen" ist als komplexe Gesellschaftsstudie ein Meisterstück, wenn auch ein stark pessimistisches, das von allen Menschen das schlechteste annimmt – allerdings nicht, wie Hawemanns Inszenierung, die ansonsten eng an der Vorlage bleibt, am Ende das Hakenkreuz herausholt; sondern sich differenziert an der Verzweiflung der Menschen abarbeitet, ohne mit Moralisierungen zu winken. Genau die Komplexität des Romans wird der Inszenierung leider zum Verhängnis, denn Falladas detaillierte Aufzeichnung der Dynamiken des Inflationsjahres lässt sich, zumal so getreulich abgebildet, doch schwerlich mit aktuellen Entwicklungen parallel setzen.
Obwohl die Schauspieler ihre komplexen und komplexbeladenen Figuren also durchweg glaubhaft und differenziert spielen, Falladas trockenen Charme auf die Bühne hinüberretten, und auch das Bühnenbild Dynamik in die Sache bringt, verbleibt der Abend im leeren Raum der Geschichtsnacherzählung.
Wolf unter Wölfen
von Hans Fallada
Regie: Sascha Hawemann, Bühne: Alexander Wolf, Kostüme: Ines Burisch, Dramaturgie: Johannes Kirsten, Choreinstudierung: Marcus Crome.
Mit: Johanna Bantzer, Sarah Franke, Günther Harder, Christian Kuchenbuch, Wolf List, Hagen Oechel, Andreas Schlager, Rainer Frank, Carolin Haupt.
Dauer: 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.schauspielhannover.de
"Emotional andocken kann man so nicht, intellektuell ebenso wenig." Stefan Gohlisch sah für die Neue Presse (18.01.2016) eine Inszenierung mit sehr guten Schauspielerleistungen, die aber an Überfrachtung litt. Gohlisch findet, das Stück entwickele sich im Laufe des Abends zu einer "Groteske". "Ganz schön zahnlos, diese Wölfe", ist sein ernüchtertes Fazit.
"Von allem zu viel und vom Wichtigen zu wenig", fand Ronald Meyer-Arlt von der HAZ (18.01.2016). Die Schauspieler präsentierten sich ihm zwar "gut aufgelegt", aber streckenweise zu "kabarettistisch" aufgeblasen. In der Konsequenz ist sein Fazit ein ernüchterndes. "Hawemanns Inszenierung wirkt, als schaue man durch ein umgedrehtes Fernrohr auf Falladas Roman", befindet Meyer-Arlt.
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