Wählen Sie die wichtigsten Inszenierungen des Jahres!

20. Januar 2016. Hier veröffentlichen wir eine Vorschlagsliste mit 47 Inszenierungen (samt kurzer Begründung), die von den nachtkritik.de-Korrespondent*innen und -Redakteur*innen als die wichtigsten der letzten zwölf Monate nominiert worden sind. Jede/r Korrespondent*in und jede/r Redakteur*in hatte genau eine Stimme. Nominiert werden konnten Produktionen, deren Premiere im Zeitraum vom 21. Januar 2015 bis 16. Januar 2016 lag.

Vom 20. bis 27. Januar 2016 haben die Leserinnen und Leser von nachtkritik.de nun ihrerseits die Möglichkeit, ihre Stimme für 1 bis 10 Inszenierungen dieser Liste abzugeben (dazu einfach 1 bis 10 Inszenierungen anklicken). Die zehn am häufigsten gewählten Produktionen werden gelobt und gepriesen und bilden die Auswahl des virtuellen nachtkritik-Theatertreffens 2016.

Für die Inszenierung mit den meisten Stimmen winkt – nun bereits zum zweiten Male – auch ein konkreter Preis: Sofern realisierbar, wird nachtkritik.de gemeinsam mit dem Gewinner-Theater eine Veranstaltung organisieren: das nachtkritik-Theatertreffen-Kritikergespräch 2016, im Anschluss an eine Vorstellung der siegreichen Produktion. Einmal mehr möchte nachtkritik.de damit das Gespräch über Theater erweitern und vertiefen.

Das Ergebnis veröffentlichen wir am 29. Januar 2016.

Hier die regional gereihten Vorschläge der Korrespondent*innen für das nachtkritik-Theatertreffen 2016 (zur Abstimmung bitte nach unten scrollen oder springen). Durch einen Klick auf die einzelnen Kandidaten öffnet sich die jeweilige Begründung der/s Nominierenden sowie, wenn vorhanden, ein Link zur Nachtkritik:

 

Baden-Württemberg

{slider=1. Tschewengur nach Andrej Platonov
Regie: Frank Castorf
Schauspiel Stuttgart, Premiere am 22. Oktober 2015|closed}
Grandiose, groteske, wahnwitzige Bilder vom Scheitern einer großen Utopie in der kleinen Steppenstadt Tschewengur: Frank Castorf inszeniert Andrej Platonovs lange verbotenen Jahrhundertroman über die russische Revolution für die Bühne. Fast fünfeinhalb Stunden Theater und großes Kino – satirisch, apokalyptisch, ja: erschütternd.

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Bayern

{slider=2. Kleiner Mann – was nun?  nach Hans Fallada
Regie: Anne Lenk
Theater Augsburg, Premiere am 3. Mai 2015|closed}

Anne Lenks Inszenierung feiert die Unschuld zweier Liebender mit tollen Schauspielern vor einer  Kulisse aus leeren Kostümen und beweist gerade durch ihre Zeitlosigkeit die Aktualität des Stoffs.

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{slider=3. 1984 nach George Orwell von Robert Icke und Duncan Macmillan
Regie: Christoph Mehler
Staatstheater Nürnberg, Premiere am 16. Oktober 2015}

Ein "Klassiker" der (zeitlos berechtigten) Zukuftsangst wird neu entdeckt, in die Zukunft verlängert und auf seinen harten Kern zurückgeführt. Mit einer Kombination von Video-Installation und Wort-Oper - wie 1948 (Uraufführung) auf die Chiffre 1984 schaute, so lenkt Christoph Mehlers Inszenierung von 2015 (DSE) den Blick auf 2050 und zurück zum Ursprung. Ende offen, kein Grund zur Beruhigung.

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{slider=4. Camino Real von Tennessee Williams
Regie: Sebastian Nübling
Münchner Kammerspiele, Premiere am 29. März 2015}
Sebastian Nüblings Inszenierung, die von einem fantastischen Ensemble getragen wird, entfaltet ein finsteres groteskes Albtraumspiel über die Brutalisierung und innere Verelendung in einer radikal ökonomisierten Gesellschaft mit wundersam zarten Momenten, in denen immer wieder die widerständige und nie ganz auszulöschende Sehnsucht des Menschen nach Liebe aufscheint.

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{slider=5. Balkan macht frei von Oliver Frljić
Regie: Oliver Frljić
Residenztheater München, Premiere am 22. Mai 2015|closed}
"Balkan macht frei" ist eine kompromisslose, treffende Auseinandersetzung mit europäischen Traumata made in Germany. Frljićs zwingt das Publikum mit allen Mitteln, bis hin zum Water Boarding, die bequeme, kulturbeflissene Beobachterposition zu verlassen. Ein brutaler, fiebriger Albtraum, der einen so schnell nicht loslässt - zurecht.

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{slider=6. Philoktet von Heiner Müller
Regie: Ivan Panteleev
Residenztheater München, Premiere am 12. Dezember 2015}
Einfach ist es ja nie mit den Texten von Heiner Müller. Umso wunderbarer, wie Ivan Panteleev "Philoktet" im Cuvilliéstheater zu neuem Leben erweckt: mit einem schleichend wandernden Mobile-Bühnenbild, das magisch manchen Abgrund beleuchtet, und drei hervorragenden Schauspielern (Aurel Manthei, Shenja Lacher und Franz Pätzold), die jedes Wort in diesem Kleinkrieg der Argumente verstehbar machen und ihre drei Figuren klar und miteinander kontrastierend konturieren. Man lauscht und schaut dem Trio gebannt zu - ein fesselndes Strategiespiel, Müller klassisch-modern reloaded.

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Berlin

{slider=7. Fear von Falk Richter
Regie: Falk Richter
Schaubühne Berlin, Premiere am 25. Oktober 2015|closed}
Kein runder, schon gar kein perfekter, aber ein denk- und streitwürdiger Abend, dessen wütendes Holzhammertum der aktuellen Brenzlichkeitslage entspringt. Dabei trommelt er nicht nur vehement gegen Pegida & Co., sondern auch gegen das salonfähige Unsere-Wohnungen-sollen-uns-nicht-die-blöden-Skandinavier-wegkaufen-Ressentiment des vermeintlich toleranten Mittelschichtberliners. Offensiv geht die Inszenierung mit der eigenen Ratlosigkeit um – und weiß immerhin schon mal, dass der Rückzug in die yogamattenbestückte Urban-Gardening-Oase ganz bestimmt keine Lösung ist.

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{slider=8. The Situation von Yael Ronen und Ensemble
Regie: Yael Ronen
Maxim Gorki Theater Berlin, Premiere am 4. September 2015|closed}
Ein Theater, das dokumentieren und erzählen kann, beides gleichzeitig, mit Humor, sogar mit sehr viel Humor, aber ohne billige Scherze. Ein Theater, das ein Stück neuerer Geschichte diskursiv und ohnmächtig, zuneigungsvoll und unversöhnt veranschaulicht und verlebendigt, mit Schauspielern, die von sich selbst erzählen, ohne Eitelkeit, ohne Betroffenheitskitsch, wild und warm und klug.

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{slider=9. Und dann kam Mirna von Sibylle Berg
Regie: Sebastian Nübling
Maxim Gorki Theater Berlin, Premiere am 24. September 2015|closed}
Dass die Provo- und Rant-Göre aus "Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen" jetzt mehr oder weniger erwachsen geworden ist und ihr von ihrer Tochter der Spiegel vorgehalten wird, ist der Clou in Sibylle Bergs "Und dann kam Mirna". Der von Sebastian Nüblings Fortsetzungs-Regie: Vier junge Mädchen zwischen 8 und 12, deren spannend durchchoreografierte Bühnenpräsenz sich wunderbar an der der vier Schauspielerinnen reibt. Das ist hochnotkomisch gerade wegen seiner überspitzten Wahrheiten, die letztlich uns im Publikum treffen. Großartig, dass einem beim Lachen das Denken nicht vergeht.

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{slider=10. Kongo Tribunal von Milo Rau
Regie: Milo Rau
Sophiensaele Berlin / Bukavu, Premiere am 26. Juni 2015}
Der Abend richtet die Scheinwerfer auf die Verstrickungen im globalen Rohstoffhandel. Und weil es in Bukavu als Volkstribunal mit einem gemischten Gericht - bestehend aus kongolesischen und internationalen Juristen - die Praxis der "chambres mixtes" vorgemacht hat, mit denen im Kongo eine funktionstüchtige Rechtspraxis möglich wäre.

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{slider=11. Hausbesuch Europa von Rimini Protokoll
Regie: Helgard Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel
HAU Berlin, Premiere am 6. Mai 2015}

Weil dieser Produktion im Kleinen gelingt, was wir im Großen schaffen müssen: Herkunft egal, Kuchen geteilt.

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{slider=12. Service / No Service von René Pollesch
Regie: René Pollesch
Volksbühne Berlin, Premiere am 3. Dezember 2015|closed}
Pollesch trägt Schwarz und lässt seine schönste, klarste, nachdrücklichste Verzweiflungskomik rotieren. Weil er trauert. Um die Kunst, um die Liebe, um die Volksbühne und - unausgesprochen, aber umso beredter - natürlich um Bert Neumann. Und Kathrin Angerer spricht inmitten dieser zärtlichen Abschiedsrevue aufs Wunderbarste vom Schweigen. Davon, dass man es tun müsste und es doch nicht kann. Weil das Theater, zumal das Pollesch-Theater, weiterreden, weil es den Weltuntergang überbrücken und eine neue Welt erschaffen muss, wenn’s gar nicht anders geht.

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{slider=13. Von einem, der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte von René Pollesch
Regie: René Pollesch
Volksbühne Berlin, Premiere am 12. März 2015|closed}
Mit fliegendem Orca-Wal und fliegendem Realitätsverlust. Ein beglückendes Zusammentreffen maßgeblicher Künstler der letzten beiden Jahrzehnte: René Pollesch, Dirk von Lowtzow und Bert Neumann. Von Martin Wuttke und Lilith Stangenberg gar nicht zu reden.

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Bremen

{slider=14. Les robots ne connaissent pas le blues oder Die Entführung aus dem Serail von Ted Gaier, Gintersdorfer / Klaßen, Benedikt von Peter und Markus Poschner
Regie: Monika Gintersdorfer, Benedikt von Peter
Theater Bremen, Premiere am 4. Juli 2015|closed}
So gründlich, schlau, gewitzt, unterhaltsam hat zumindest vor meinen Augen noch niemand das Prinzip Oper dekonstruiert. Pet Shop Boys mit Orchester, Opernsänger, die afrikanische Tänze erlernen, ivorische Musiker, die die Philharmoniker den Groove lehren, ein Fenster zum Innenleben einer Primadonna und was nicht noch. Ein würdiger Abschluss der Tätigkeit Benedikt von Peters am Bremer Musiktheater.

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Hamburg

{slider=15. Die Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill
Regie: Antú Romero Nunes
Thalia Theater Hamburg, Premiere am 13. September 2015|closed}
Antú Romero Nunes liest einen tausendfach durchdeklinierten Theatertext noch einmal ganz neu: mit Humor, mit dekonstruktivistischer Schärfe, mit großem Ernstnehmen seiner politischen Sprengkraft in einer Umbruchszeit. Um am Ende zu einem politischen Theater zu gelangen, das verschüttet schien unter den Gassenhauern der Vorlage. Der Haifisch zeigt seine Zähne.

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{slider=16. Der Entertainer von John Osborne
Regie: Christoph Marthaler
Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Premiere am 14. Februar 2015|closed}
Marthaler führt in seinem "Entertainer" etwas Zeitloses vor: den liebevollen Blick auf Menschen, die sich inmitten aller Lächerlichkeit ein bisschen Würde erkämpfen wollen – und diese so bewahren. Und das ist einfach groß!

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{slider=17. Effi Briest – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie nach Theodor Fontane
Regie: Clemens Sienknecht, Barbara Bürk
Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Premiere am 19. September 2015}
Das ist die mit weitem Abstand lustigste, verspielteste, überraschendste und in jeder Hinsicht absolut hinreißendste Literatur-Bearbeitung, an die ich mich überhaupt erinnern kann ... und im medialen Misch-Masch dieses kleinen großen Abends spielen auch die brillanten Eitelkeiten aller beteiligten Selbstdarsteller angemessen große Rollen. Jubel pur für kluges, hintersinniges Theater - und wer das Radio liebt, darf doppelt begeistert sein!

{slider=18. Pastor Ephraim Magnus von Hans Henny Jahnn
Regie: Frank Castorf
Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Premiere am 19. März 2015}
Wie Josef Ostendorf als Pastor für zwanzig Minuten mit rückstandsloser Rolleneinfühlung das Castorf-Theater sprengt, dabei die Splitter der alten Stanislawski-Vase noch einmal mit größter Mühe vom Boden aufsammelt, und wie dieses Castorf-Theater ihn dabei umkreist, anstaunt, liebt, bevor ein Schuss fällt, der die Welten wieder trennt: Das ist ist an diesem überhaupt großen Abend schon nahezu sensationell. Und das Schönste: Es wird danach über fünf Stunden eigentlich nur anders, aber nicht schlechter.

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{slider=19. Reisende auf einem Bein nach Herta Müller
Regie: Katie Mitchell
Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Premiere am 18. September 2015}

Das komplexe Live-Film-Set von Katie Mitchell wird angetrieben von einem emsigen Technikteam. Daraus ragt eine erschreckend und absichtlich seelenlos wirkende Julia Wieninger als Hauptfigur Irene, fast teilnahmslos hart und einfach fantastisch gespielt. Kino goes Theater - oder umgekehrt? – in ästhetischer Höchstform.

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Hessen

{slider=20. Dantons Tod von Georg Büchner
Regie: Ulrich Rasche
Schauspiel Frankfurt, Premiere am 27. März 2015|closed}
Ein wuchtiger, ungeheurer, enervierender Theaterabend, der die ganze Gewalt der Theatermaschinerie auspackt, Büchners Worte chorisch zerkaut und in Torben Kessler einen grandiosen Danton findet, der sich vom blassen Zauderer zum ingrimmig Zürnenden mausert.

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{slider=21. Leonce und Lena von Georg Büchner
Regie: Jürgen Kruse
Schauspiel Frankfurt, Premiere am 16. Oktober 2015|closed}
Der ewige Co-Regisseur Jürgen Kruse zeigt zwei todtraurige Königskinder in einer wunderschön, dekadenten Rumpelkammer - und kommt dabei Büchners aberwitziger und versponnener Vorlage ganz nah, ohne sich über den Autor zu erheben. Ein wahrhaft kruseliger Abend.

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{slider=22. Penthesilea von Heinrich von Kleist
Regie: Michael Thalheimer
Schauspiel Frankfurt, Premiere am 4. Dezember 2015|closed}
Eine strenge Textwucht-Inszenierung, ein klassischer Theaterabend des Tragödienentschlackers Thalheimer, der durch seinen antiquierten, wunderschönen Text und den ebenbürtigen Liebeskampf seiner hingebungsvollen Hauptdarsteller Constanze Becker und Felix Rech verzaubert. Es ist zwar wieder die unverkennbare Thalheimer-Manier und die bewährte Thalheimer-Crew. Aber daraus ergeben und erheben sich eben doch wieder zeitlos archaische Bilder, überwältigende Bühnenmomente und eine Hauptdarstellerin wie von einem anderen Stern.

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Niedersachsen

{slider=23. Biedermann und die Brandstifter von Max Frisch
Regie: Lucia Bihler
Deutsches Theater Göttingen, Premiere am 18. April 2015|closed}
Bihlers kondensierte Inszenierung von Frischs Lehrstück zeichnet sich durch die klare Formsprache und Lesart aus: In Werbe-Setting und -Ästhetik gewinnt die Vorlage an dramaturgischer Brisanz, Gegenwärtigkeit - und an Style. Im so definierten Rahmen kann das Ensemble glänzen und tut es: artistisch, komödiantisch, diabolisch, hysterisch, zugleich klar und verspielt.

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{slider=24. Fliegeralarm von Jens-Erwin Siemssen
Regie: Jens-Erwin Siemssen
Landesbühne Niedersachsen Nord, Koproduktion mit Das letzte Kleinod, Premiere am 29. Oktober 2015|closed}

Ohnmächtige Panik, todesängstliche Verzweiflung, endloses Warten: In Interviews gesammelte Kindheitserinnerungen an die Bombennächte in Wilhelmshavener Weltkriegsbunkern wurden von der Landesbühne Nord und Jens-Erwin Siemssens Künstlergruppe "Das letzte Kleinod" zu szenischen Miniaturen verdichtet, in ein bedrückendes Klanggewand gekleidet und als begehbares Dokumentartheater in den leeren Zellen der Betonwabe eines Truppenmannschaftsbunkers wirkungsmächtig inszeniert – Momentaufnahmen, gefiltert durch den zeitlichen Abstand, aber emotional durchglüht, da nie verarbeitet.

{slider=25. M(other) Courage nach Bertolt Brecht
Regie: Marta Górnicka
Staatstheater Braunschweig, Premiere am 25. September 2015}

M(other) Courage ist ein Ausblick darauf, was in Brecht noch alles drin steckt. Die junge polnische Regisseurin Marta Górnicka dirigiert ein chorisches Kollateralstück zu Brechts staubigem Klassiker und schafft einen Monsterchor, der unsere Gegenwart verdauen hilft.

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{slider=26. The Trip von Anis Hamdoun
Regie: Anis Hamdoun
Theater Osnabrück, Premiere am 11. September 2015}
Das Theater in Osnabrück hat den ankommenden Flüchtlingen nicht wie so viele andere höflich-distanziert Mitleid bekundet und sie als Material entdeckt, sondern mit Anis Hamdoun einem von ihnen für "The Trip" schlicht Bühne und Schauspieler überantwortet. Aber nicht das macht diese Inszenierung herausragend, sondern ihre nie rührselige und gleichwohl eindrückliche Bildsprache.

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Nordrhein-Westfalen

{slider=27. 3. 31.93 von Lars Norén
Regie: Moritz Sostmann
Schauspiel Köln, Premiere am 12. November 2015|closed}
Menschen starr wie Puppen und Puppen agil wie Menschen. Man kann über andere lachen, sich selbst beweinen, andere beweinen, über sich selbst lachen. Ein traurig-schönens Kasperlespiel über die Wirrnisse des Lebens und Leidens.

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{slider=28. Biedermann und die Brandstifter von Max Frisch
Regie: Ulrich Greb
Schlosstheater Moers, Premiere am 5. September 2015}
Max Frischs Parabel auf den Umgang mit heutigem Rechtsextremismus zu übertragen, ist naheliegend. Ulrich Greb schafft es, mit Hilfe von Masken, einem tollen Ensemble und einem aus sozialen Netzwerken zitierenden Bürgerchor eine vielschichtige, packende Auseinandersetzung zu schaffen und mit grimmigem Humor anzureichern.

{slider=29. Herz der Finsternis nach Joseph Conrad
Regie: Jan-Christoph Gockel
Schauspiel Bonn, Premiere am 23. April 2015}

Eine mystische Schifffahrt auf einem schiefen Holzschiff  zum europäischen Abgrund im Kongo. Da wird so klar wie selten, wie sehr sich alle aktuellen Weltkatastrophen aus dem kolonialen Erbe nähren, das aus reinem Überdruss begann wie ein Kindergeburtstagsgerangel um eine Sahnetorte. Der Abend wird der Komplexität des Themas gerecht und ist trotzdem ein großer Bilderreigen und ein Schauspielerfest.

zur Nachtkritik

{slider=30. Die Show von Kay Voges, Anne-Kathrin Schulz, Alexander Kerlin
Regie: Kay Voges
Theater Dortmund, Premiere am 23. August 2015}
Der Dortmunder Intendant verbindet ästhetische Anarchie mit gesellschaftspolitischem Anspruch und der Lust am Spiel. Mit ihm zeigt das Ensemble klare Kante, und dessen Spaß an visueller Völlerei ist unübersehbar. Das ist Theater 3.0, ohne die Bühnenkünste zu verraten. Relevant, konvergent, präzise – und unterhaltsam.

zur Nachtkritik

{slider=31. Eine Familie von Tracy Letts
Regie: Sascha Hawemann
Theater Dortmund, Premiere am 24. Oktober 2015|closed}
Trotz all seiner Anspielungen auf O'Neill, Williams und Albee ist Letts' Familiendrama eigentlich kaum mehr als ein Bühnenäquivalent zu den modernen US-Qualitätsserien. Aber Regisseur Sascha Hawemann befreit es aus diesem Korsett. Er und sein sich regelrecht selbst verschwendendes Ensemble erfinden es noch einmal ganz neu, als Tschechow'sche Komödie verpasster Möglichkeiten.

 

Rheinland-Pfalz

{slider=32. Fidelio von Ludwig van Beethoven
Regie: Tilman Knabe
Theater Trier, Premiere am 19. September 2015|closed}

Ein schlüssiges Konzept, das den aus heutiger Sicht geradezu naiven Erlösungsgedanken des Originals in eine gewalttätige Gegenwart transponiert und dies mit zusätzlichen Einschüben sowohl musikalischer als auch textlicher und bildlicher Art überzeugend darlegt. Eine bildmächtige, unter die Haut gehende und den Zuschauer auf unangenehm-beängstigende Art anfassende Interpretation eines Heile-Welt-Klassikers, hinter dem sich Abgründe auftun, in die hineinzuschauen den Betrachter schaudern lässt.

 

Sachsen

{slider=33. Baal von Bertolt Brecht
Regie: Nuran David Calis
Schauspiel Leipzig, Premiere am 5. Juni 2015|closed}

Gegen den Strich gebürstet, auf den Kopf gestellt, wiederbelebt – das klingt nach Klischees. Aber: selten eine Inszenierung gesehen, die so stringent und streng in ihrer Form und doch so kurzweilig war. Anstrengend kurzweilig.

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{slider=34. Graf Öderland / Wir sind das Volk nach Max Frisch
Regie: Volker Lösch
Staatsschauspiel Dresden, Premiere am 28. November 2015}
So werden Machtergreifungen plausibel. Und nicht nur dieser Eindruck ist ein nachhaltiger angesichts des Kontextes. Im Mittelpunkt wieder einmal der Dresdner Bürgerchor. Interessant ist auch die polarisierende Wirkung des Stückes. Puristen und konservative Anhänger eines rein ästhetisierenden Theaters sagen, dies sei überhaupt kein Theater. Die Mehrheit goutiert hingegen insbesondere das Heraustreten der Spieler aus den Rollen, auch den Stil, der leicht als Agitprop denunziert werden könnte. Das Dresdner Staatsschauspiel positioniert sich damit mutig in einer ziemlich aufgehitzten/-hetzten Atmosphäre. Gesellschaftrelevantes, aktuell politisches Theater.

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Thüringen

{slider=35. Faust I von Johann Wolfgang von Goethe
Regie: Steffen Mensching, Michael Kliefert
Theater Rudolstadt, Premiere am 7. Februar 2015|closed}

Eine Inszenierung mit Urfaust-Rustikalität, einem einzigartigen (und zum Teil eigens komponierten) Orchester-Soundtrack von Alfred Schnittke und Hannes Pohlit, mit einem grandios bösen Gentleman-Mephisto (Matthias Winde) und einem sehr selbstbewussten Gretchen (Lisa Klabunde), dem aber die Rettung versagt bleibt – denn bei allem Humor ist diese Inszenierung auch ganz schön herb und spielt den "Faust" mit allen bitteren Konsequenzen durch.

 

Schweiz

{slider=36. Die Zofen von Jean Genet
Regie: Bastian Kraft
Schauspielhaus Zürich, Premiere am 11. April 2015|closed}
Im Zürcher Pfauen gehen Jean Genets "Die Zofen" rasant, beklemmend, auf den Punkt inszeniert und mit atemberaubender Genauigkeit gespielt über die Bühne. Bastian Kraft zieht mit Farben eine neue Ebene ein, der mit einem Schwarz-Weiss-Denken oder gar einer Schwarz-Weiss-Verteilung nicht beizukommen ist.

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{slider=37. Die zehn Gebote nach Krzysztof Kieślowski
Regie: Karin Henkel
Schauspielhaus Zürich, Premiere am 24. September 2015|closed}

Großer Stoff, großes Theater: Karin Henkel inszeniert fürs Schauspielhaus Zürich "Dekalog" nach dem Filmzyklus von Krzysztof Kieślowski. Du sollst nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen – jedem der biblischen zehn Gebote hat der polnische Regisseur Ende der achtziger Jahre einen Film gewidmet. Karin Henkel überführt die Filmerzählungen in Theaterstationen, quer durch die Schiffbauhalle und mit allen Möglichkeiten, die die Live-Performance bietet. Man ist mitten drin, man ist nah dran, geht mit im buchstäblichen Sinn: ein Theatererlebnis.

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{slider=38. Engel in Amerika von Tony Kushner
Regie: Simon Stone
Theater Basel,  Premiere am 23. Oktober 2015}
Das Stück erzählt von Katastrophen. Menschen sterben, Beziehungen brechen, Weltbilder stürzen ein, und dennoch vermag die Aufführung Mut zu Menschlichkeit und sogar Optimismus zu verbreiten. Das tut heute Not. Dabei stellt Regisseur Simon Stone es jedem selber anheim, ob er dabei an transzendente Instanzen glauben will. Dem fünfstündigen Abend (Teil 1 + 2) folgte das Premierenpublikum mit voller Aufmerksamkeit.

{slider=39. Kinder der Sonne von Maxim Gorki
Regie: Nora Schlocker
Theater Basel, Premiere am 30. Oktober 2015}

Mit dieser Inszenierung hat die Hausregisseurin Nora Schlocker zu einem Aufsehen erregenden Anfang des neuen Basler Teams beigetragen. Die genaue Arbeit mit dem Ensemble, die Beachtung von Nuancen und von Widersprüchen innerhalb der Figuren und der Handlungsweisen verleihen Gorkij nach mehr als einem Jahrhundert eine Aktualität, die ihm gemeinhin eher aberkannt wird.

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{slider=40. Like A Prayer von Corinne Maier
Regie: Corinne Maier
Kaserne Basel, Premiere am 7. Mai 2015}
Eine eigenwillige Recherche zu einem Reizthema: Glaube ich an Gott und wenn ja, wie? Stringente formale Umsetzung, der man sich schwer entziehen kann. Vegan essen ist okay, beten nicht? Theater mit Nachhall.

{slider=41. Geister sind auch nur Menschen von Katja Brunner
Regie: Heike M. Goetze
Theater Luzern, Premiere am 8. Mai 2015}
Ein sprachlich und bildlich brillanter Abend über die Heimsuchung des Menschen durch das Alter - und des Schauspielers durch die Statisterie. Befeuert den gesellschaftlichen Diskurs über das Altwerden und zeugt zugleich von der Sprachgewalt der jungen Autorin, die 2013 überraschend den Mülheimer Dramatikerpreis gewann und die jetzt Hausautorin an den Münchner Kammerspielen ist. Regisseurin Heike M. Goetze hat den Text in einem choreographierten Traumraum verortet, der den komplexen Textflächen der jungen Schweizer Autorin sehr gerecht wird.

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Österreich

{slider=42. Die Brüder Karamasow nach Fjodor Dostojewski
Regie: Frank Castorf
Wiener Festwochen / Volksbühne Berlin, Premiere am 29. Mai 2015|closed}
Bildgewaltig und exzessiv schaffen Castorf und sein bis an die körperlichen und psychischen Grenzen gehendes Ensemble eine kongeniale Umsetzung des Romanstoffs von epischem Ausmaß.

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{slider=43. Lost and Found von Yael Ronen und Ensemble
Regie: Yael Ronen
Volkstheater Wien,  Premiere am 18. Dezember 2015|closed}
Wenn eine alle Möbel "den Flüchtlingen" gespendet und für den fliehenden Verwandten, den man aufnimmt, nix mehr zum Schlafen hat: Das Muss-Thema Flüchtlinge aus der Gefunden- (und ein bisschen sogar aus der Verloren-) Perspektive kürzest und unterhaltsamst möglich abhandelnd, trifft diese Stückentwicklung die einschlägige Gedankenqual des wohlmeinenden Durchschnittsbürgers erstaunlich genau. Was bitte kann ich jetzt tun, um gut zu sein und doch weiter ich selbst zu sein? Das ist Volkstheater 2.0! Der Humor könnte auch aus einer TV-Sitcom kommen? Nein, denn so direkt und nonchalant kann nur das Theater seine Drehbücher schreiben.

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{slider=44. Proletenpassion 2015 ff. von Heinz R. Unger und den "Schmetterlingen"
Regie: Christine Eder
Werk X Wien, Premiere am 22. Januar 2015}

Das "Klassenkampf-Oratorium", original aus 1976, verbindet in der Neufassung von Christine Eder, Gustav, Knarf Rellöm u.a. die Rotzigkeit eines alternativen Geschichtsdenkens mit der Überschwänglichkeit eines Konzerts mit der Ernsthaftigkeit von Solidarisierung. Vive la Polit-Pop!

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{slider=45. Sons of Sissy von Simon Mayer
Regie: Simon Mayer
brut Wien, Premiere am 9. Mai 2015}
Eine Volkstanz-Variation zwischen heiligem Ernst, Präzision und Verausgabung; mit Nonsense-Worten, Kunstgeschichts-Zitaten und wohlkalkuliertem Nerv-Potenzial. Und dabei so selbstironisch und gekonnt, dass man jubeln möchte.

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{slider=46. The Circus of Life A – Z von Toxic Dreams
Regie: Toxic Dream und Gäste
Tanzquartier Wien, Premiere am 26. Juni 2015}
Der sechsstündige Marathon fächert in 24 Miniaturen alles auf, was Theater kann: Er ist ernst und verspielt, traurig und ur-komisch. Die Weltausstellung des Lebens ist ein fragmentiertes Gesamtkunstwerk, wie Surfen durchs Internet, nur besser, weil alles real ist. Danke!

{slider=47. Life and Times Episode 7 & 8 von Nature Theatre of Oklahoma
Regie: Kelly Copper und Pavol Liska
Steirischer Herbst Graz, Premiere am 4. Oktober 2015}
Man dachte schon, das Life and Times-Projekt verläuft sich im Sand, da wird es als Kinofilm nochmal richtig gut. Episode 7 erzählt Kristin Worralls Ungarnaufenthalt wunderbar komisch im Citizen Kane-Stil; und Episode 8 ist eine Cinemascope-Musicalreise durch das Hudson River Valley, verträumt wie bei Washington Irving, mit Sonnenaufgang im menschenleeren New York.

 

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