Der Sturm - In den Landshuter Kammerspielen gelingt Sven Grunert mit kleinem Ensemble ein großer Shakespeare-Abend
Der glühende Kuss des Untertanen
von Michaela Schabel
Landshut, 29. Januar 2016. Ein kaltes Lichtkreuz in Schräglage, dahinter magisch flackernde Lichtpunkte. Spiegel-, Glasflächen drehen sich, Plastikfolien verhüllen mehr, als dass sie Durchblick gewähren. Die Uhr tickt, ein Pendel schwingt, in luftiger Höhe schwebt ein vergoldeter Stuhl, Metapher des verlorenen Throns, sicht-, doch nicht fassbar.
Magie wird spürbar, in den Klanggewittern hörbar, in den Spiegelungen sichtbar. Das großartige Szenario (Bühnenbild: Helmut Stürmer) baut Spannung auf, und Regisseur Sven Grunert, Intendant der Landshuter Kammerspiele, weiß sie raffiniert zu verdichten. Shakespeares "Sturm" tobt über die Bühne, wird zur Parabel von stürmischen Innenwelten, die Schiffsluke zum Knackpunkt der äußeren und inneren Handlung. Personen werden an Land gespült, Geister und Unwesen tauchen auf und werden wieder hinabgestoßen. Peng, die Klappe zu, die Geister bezwungen, wieder im Untergrund.
Parabel der inneren Dämonen
Ohne Pause entwickelt sich in zweieinhalb Stunden ein faszinierendes Spiel zwischen Märchen und Realität, Menschen und Geistern, Macht und Psychose. Sven Grunert entwirrt Shakespeares komplexe Fiktionen in eine stringente Geschichte von inneren Dämonen, der versöhnenden Kraft der Liebe und der Befreiung durch Nachsicht.
Prospero, der König von Mailand, wurde mit seiner Tochter Miranda vom Bruder auf eine Insel vertrieben. Er hat sich den Zauberkünsten verschrieben, den Luftgeist Ariel und den deformierten Caliban, Sohn der Hexe Sycorax, untertan gemacht. Mit Ariels Hilfe lässt Prospero seinen Bruder Alfonso, der mit dem König von Neapel und dessen Sohn Ferdinand an der Insel vorbeisegelt, in Seenot geraten und alle an Land spülen. Während der König seinen Sohn sucht, verliebt sich dieser in Miranda. Ein Happy End bahnt sich an.
Ganz nah an Shakespeare bleibt Sven Grunert und entdeckt doch das Jetzt im Einst, weil in den burlesken Szenen und im charismatischen Spiel der Akteure Zeitgeist durchschimmert. Sven Grunert lässt Nebengeister und Nebenfiguren weg, beginnt ruhig und langsam. Umso heftiger verdichten sich die Szenen. Shakespeares deftige Sprache steht mit Mittelpunkt, intensiviert durch Klangspiele, Glocken und Klirren, zuweilen durch Echoeffekte. Leitmotivische Musik strukturiert, beschwingt und dynamisiert das Geschehen.
Metaphern der Besessenheit
Die burlesken Szenen werden mit Maja Elsenhans als Caliban sowie mit Knud Fehlauer (Stephano) und Sven Hussock (Trinculo) zur großartigen Metapher gieriger Besessenheit: zunächst in grölender Runde in einer Rieseneinkaufstasche, später mit langem Tau von Prospero und Ariel gefesselt hin- und hergezogen als Ausbund verachtenswerter Existenzen, ein mehrbeiniges Untier jederzeit zum Mord bereit. Die Könige mit Gefolge (Christian Mark, Stefan Lehnen, Rudi Knauss, Knud Fehlauer) geben sich zwar eleganter, moralisch sind sie aber keinen Deut besser. Wunderbar oszillieren sie, völlig fremdgesteuert von Ariel, zwischen traumatischer Erstarrung und Erwachen. Den lyrischen Gegenpol bilden Anna Schumacher und Sebastian Hofmüller als poetisches Liebespaar Miranda und Ferdinand.
Mit Julius Bornmann wird Ariel zum schauspielerischen Mittelpunkt, als geschundene Existenz und Freigeist gleichermaßen. Er spielt mit magischer Expression ein Wesen ganz anderer Art und doch so geknechtet wie ein Sklave. Sein Blick bohrt, sein Kuss als Untertan glüht. Prospero, sein Herr, gewinnt durch Andreas Sigrist die Souveränität des Gelehrten. Er schält die entscheidenden Sätze shakespearescher Altersweisheit heraus: "Wir sind der Stoff, aus dem die Träume sind, und unser kleines Leben ist von einem großen Schlaf umringt". Sein Prospero ist ein Analytiker, der alles exakt im Griff hat, vor allem Ariel, den er zwingt, dessen Aura er aber auch nicht ganz widerstehen kann. Inbrünstig küsst er den Luftgeist, Symbol der Freiheit und tanzt wie ein Derwisch im Kreis, während Ariel Schicksal spielt und es stürmen lässt. Die Freiheit ist nicht mehr weit.
Der Sturm
von William Shakespeare
Regie: Sven Grunert, Bühne: Helmut Stürmer, Kostüme: Lucie Hofmüller, Dramaturgie: Dorothea Streng, Lichtdesign: Sven Grunert, Matthias Kupfer, Helmut Stürmer, Tontechnik: Philipp Degünther, Bühnentechnik: Hamid Khaoui, Vladimir Baglay.
Mit: Andreas Sigrist, Julius Bornmann, Anna Schumacher, Maja Elsenhans, Sebastian Hofmüller, Stefan Lehnen, Knud Fehlauer, Christian Mark, Sven Ussock, Rudi Knauss.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, keine Pause
www.kleinestheater-kammerspiele-landshut.de
"Grunert ist eine schön dichte Inszenierung gelungen", schreibt Philipp Seidel in der Landshuter Zeitung (1.2.2016). Für seinen "Der Sturm" habe der Regisseur "eine starke Mannschaft" zusammengeholt , die "elegant mit allen Wirklichkeitsebenen" spielt. "Nach etwas mehr als zwei Stunden Sturm (ohne Pause) dampft das Kleine Theater und entlässt ein beseeltes Publikum."
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Hier hat Theater stattgefunden, weg vom modernistischen Getue.
Mutig wäre dies einzuladen, als die bayrische Hauptstadt.
Juroren: Augen auf, und regienoalticket gebucht.
Es lohnt sich.
Und noch eine Kritik im Netz:
http://www.christian-muggenthaler.de/index.php?article_id=13