Farce ohne Lacher

von Lukas Pohlmann

Zittau, 5. Februar 2016. Die einen sind integriert: Der Eine-Welt-Laden Afrikaner, der Besitzer vom Asia-Shop und Ali von der Müllabfuhr sind steuerzahlende Mitbürger. Die anderen leidlich akzeptiert: Eine kleine Gruppe von Flüchtlingen ist in der alten Textilfabrik untergebracht, die vor einiger Zeit Pleite ging. Lebt also dort, wo die Ortsansässigen arbeiten sollten, hätten es die Zeitläufte besser mit ihnen gemeint. Doch nun sollen in den namenlosen Ort, irgendwo im Osten der Republik, noch mehr Asylbewerber kommen. Einunddreißig!, sagen die Anwohner. Wo sollen die hin? Wäre es nicht besser, sie würden gar nicht kommen? Oder auf den Mond geschossen werden, da ist doch so viel Platz, sagen die Anwohner.

Fragen wie diese werden in der Uraufführung von Christoph Klimkes "Der obdachlose Mond" auf der Hinterbühne des Gerhart-Hauptmann-Theaters in Zittau gestellt. Da steht, aufgeräumt und untadelig mit dunklem Holz eingerichtet, eine der letzten Bastionen der urdeutschen Krämerseelen: ein Tante-Emma-Laden. Niedlich treffend von Ausstatterin Beate Voigt auf eine hinten angehobene, kreisrunde, helle Scheibe gestellt - ein Schelm, der dabei nicht nur an den titelgebenden Mond sondern auch an den Teller denkt, über dessen Rand es sich so schwer schauen lässt.

Der Tante-Emma-Laden als letzte Bastion

Die Ladenbesitzerin Helga hat alles Alltagsnotwendige im Angebot: von Waschmittel über Würstchen bis Wodka – den guten, russischen. Außerdem hat sie in Lars-Ole einen Aushilfsmitarbeiter, der mal in der Textilfabrik Maschinenbauer gelernt hat und in Karl einen Stammgast, der als Ordnungsamtsuniformierter gern ein paar Gläschen hebt, bevor er wieder Strafzettel verteilt. Die drei nehmen die bevorstehende Ankunft der Neubürger zum Anlass, all ihre Sorgen und Ängste, vor allem aber den kompletten Fundus halbgarer Wahrheiten und abstruser Klischees auszubreiten. Dabei bedienen sie sich aus der heute prall gefüllten Vorratskammer der Deutschtümeleien, Pegida- und NPD-Worthülsen und Plattitüden. All ihr Reden über die Vorzüge des deutschen Kartoffelsalats, ihr Frotzeln über den politisch unkorrekten Negerkuss, der nun ein Kuss mit "Migrationshintergrund" sein müsse oder die genitale Opulenz südländischer Männer ist sauber den Kleinbürgern der aktuellen Debatte vom Mund abgeschrieben. Aber es ist auch nur aufgewärmtes, längst bekanntes Material. 

der obdachlose mond1 560 Pawel SosnowskiDie Bühne von Beate Voigt: Tante-Emma als Mittelpunkt der Welt. © Pawel Sosnowski

Natürlich wird schnell klar, dass Helga, Karl und Lars-Ole damit ihre ureigenen Nöte und Unzulänglichkeiten zu überspielen suchen. Schade, dass die Figuren kaum eigene Töne finden. Zumal sie in Hannes Hametners Inszenierung durchaus fähig dazu wären. Immerhin ist Katinka Machés Helga seit dem Krebstod ihres Mannes unter ihrer Schürze so unbefriedigt, dass sie sogar versucht, sich Lars-Ole (David Thomas Pawlak) gefügig zu machen. Der hat aber genug damit zu tun, sein Schwulsein hinter seiner Verklemmtheit zu verbergen und sich der Ratschläge von Karl (Tilo Werner) zu erwehren. Hinter dessen Knöllchen-Machismo kommt verblüffender Weise der offenste und toleranteste Geist zum Vorschein kommt – hat er doch sogar eine Polin geheiratet. Wobei Polen ja ohnehin irgendwie auch Deutschland sei.

Phrasen dreschen, Wodka stürzen

Die Schauspieler sind bemüht, aus ihren Rollen mehr zu machen als Phrasendreschmaschinen, auch ihre Beziehungen auszuloten – doch das fällt sichtlich schwer. Vor allem, da sie in Hannes Hametners Inszenierung immer wieder Sätze nicht beenden und ins Leere laufen lassen müssen – ohne sich dabei jedoch zu unterbrechen. Die nächste Replik behandelt einfach ein neues Thema. Das ist einige Male interessant, da es das Prinzip dieser Klischeerhetorik offenbart: immer den nächsten Holzhammer herausholen, bevor eine Behauptung mal hinterfragt oder begründet werden müsste. Als tragbare Form für einen ganzen Abend taugt das aber nicht.

Überhaupt bleibt "Der obdachlose Mond" seltsam weit weg vom Publikum. Der Autor nennt sein Stück eine Farce, doch Gelächter – sowohl das schallende als auch das im Hals stecken bleibende – ist Mangelware in diesem Tante-Emma-Laden.

Ambitionierte Versuchsanordnung

Auch die Zuordnung der Szenen zu den ersten Artikeln der Menschenrechtserklärung, die an die Wand projiziert werden, ist dem nicht zuträglich und erscheint an diesem Abend wie eine zu ambitionierte intellektuelle Versuchsanordnung. Zumal dem Stück eine Zuspitzung fehlt. Stattdessen werden arg pädagogische Bilder aus Kriegsgebieten und von Flüchtlingstrecks während eines Umbaus an die Wand projiziert. Danach hat sich der Eine-Welt-Laden in eine Art Mondlandschaft verwandelt. Da sind Helga, Lars-Ole und Karl jetzt gelandet: Der Afrikaner hat sie mit dem Auto von Lars-Ole überfahren. Das war aber nicht politisch motiviert. Da waren lediglich die Bremsen kaputt.

Konsequent ist an diesem Abend nur, dass sich an den Binsenweisheiten und Problemchen auch dadurch nichts geändert hat.

 

Der obdachlose Mond
von Christoph Klimke
Regie: Hannes Hametner, Ausstattung: Beate Voigt, Dramaturgie: Kerstin Slawek.
Mit: Katinka Maché, David Thomas Pawlak, Tilo Werner.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.g-h-t.de

 

Kritikenrundschau

Ein bisschen Fleisch- oder sonstige Lust täte dem Personal in Christoph Klimkes Tante Emma-Laden ganz gut, meint Rafael Barth in der Sächsischen Zeitung (8.2.2016). Es gehöre zu den Stärken des Stücks, dass es "die ganze Kopf-Herz-Konfusion zur Sprache bringt, die einen aufreiben kann, wenn man sich mit der bunter werdenden Gesellschaft beschäftigt". Der Inszenierung von Hannes Hametner jedoch hafte "etwas Selbstherrliches" an. Die (fremdenfeindlichen) Figuren seien "armselig, denunziert", das Theater hinke damit einer Realität "deutlich hinterher", in der "Fremdenscheu in unterschiedlichen Ausführungen selbst in erfolgsgewärmten Wohnzimmern Platz findet", so Barth.

Wer glaube, dies sei mal wieder ein kritisches Stück gegen Pegida, "belegt mit deren bösen Zitaten, gegenüber denen der kopfschüttelnde Zuschauer nur seine einverständige Abscheu bekunden kann", der werde schnell eines besseren belehrt, sagt Hartmut Krug im Deutschlandfunk (7.2.2016) über Christoph Klimkes "intelligentes, buntes Panorama", das Hannes Hametner allerdings in seiner Uraufführungsinszenierung "zu ernsthaft" vortragen lasse. Die drei Darsteller seien, trotz ihrer teils ambivalenten Haltungen, "allzu festgezurrt in kräftiger Eindeutigkeit".

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