Ein (Alb-)Traumspiel

von Rainer Nolden

Trier, 12. Februar 2016. Wer Shakespeare allzu wörtlich nimmt, kann leicht auf die Nase fallen. Wer nicht auf die Nase fallen will, darf Shakespeare nicht allzu wörtlich nehmen. Man nehme zum Beispiel sein "Wintermärchen". Wie man es dreht und wendet: den psychologischen und charakterlichen Schleifen etwa der Hauptfigur zu folgen, Leontes, diesem vermeintlich Gehörnten, der seiner Frau Hermione unterstellt, ihn mit seinem besten Freund Polixenes betrogen zu haben und sie deshalb vor Gericht stellt, ins Gefängnis kommt, wo sie ein Mädchen zur Welt bringt und wenig später stirbt, als sie erfährt, dass ihr Sohn Mamillius ums Leben gekommen ist ...aber halt. Selbst das Bisschen ist schon viel zu viel Handlung. Zu viel jedenfalls für die Version, die der Regisseur Marco Štorman für Trier entworfen hat.

Shakespeare entkernt, aufgedröselt, dekonstruiert – zerhackt geradezu. "Das Wintermärchen" in seine Einzelteile zerlegt, neu arrangiert, mit ein paar Zutaten aus anderen Dramen angereichert, einem ganzen Sonett sogar ("Shall I compare thee to a summer’s day", Shakespeare’s finest), einem Song, der klingt wie von einer jener deutschen Bands komponiert, deren Texte immer so schön tiefsinnig daherkommen (die Musik stammt von Thomas Seher) und der von einem ausgeträumten Traum erzählt ... und das Ganze radikal gekürzt auf 100 pausenlose Minuten zwischen Traum und Albtraum, zwischen Sizilien und Böhmen, zwischen Leben und Tod und Wiederauferstehung.

Im Gerichtssaal 

Dabei beginnt alles so harmlos und gefühlsreduziert: Leontes, den Tilman Rose als coolen, lässigen König mit Dauergrinsen im selbstzufriedenen Gesicht spielt, tritt ans Mikrofon wie ein Entertainer, der durch eine Show führen will, sekundiert von seinem alten Freund Polixenes, der kurz darauf zu Leontes‘ Vertrautem Camillo wird (Claudio Gatzke spielt die wichtigsten Männer in Leontes‘ Leben mit widerborstigem Charme und doppelbödiger Unterwürfigkeit). Hinter den beiden ein bunt-glitzernder Variétévorhang, vor ihnen die Zuschauer (das Saallicht bleibt vorerst an), die erst nach und nach mitbekommen, dass sie Besucher einer Gerichtsverhandlung sind. Die Angeklagte sitzt mitten unter ihnen. Hermione (Juliane Lang) verteidigt sich mit wohlgesetzten Worten, unterstützt von anderen Mitwirkenden im Publikum: Gitte Reppin, Gina Haller, Nadia Migdal, die flink in andere Rollen schlüpfen, wie es der Fortgang des Stücks gerade verlangt.

Wintermaerchen 560 FriedemannVetter uSie wollen kein großes Drama draus machen: Gitte Reppin, Barbara Ullmann, Tilman Rose, Nadja Migdal  © Vincenzo Laera

Und dann tritt auch der Schwan von Avon höchstpersönlich auf, um nachzuschauen, was mit und was in seinem Stück geschieht: Barbara Ullmann ist Shakespeare wie aus dem Porträt geschnitten, das man von dem Dichter kennt, und sie/er wird dann auch gleich Teil des Orakels, das Leontes anruft, um sich Hermiones Untreue zu versichern. Das sind zur Abwechslung keine Dampfschwaden aus der Felsspalte, sondern Zettelchen aus Glückskeksen, die Shakespeare in einer Silberkugel bei sich trägt und die Hermiones Unschuld bezeugen – einer von ziemlich vielen witzigen Einfällen des Abends.

Tief aus der dramaturgischen Trickkiste

Mit Blitz und Donner geht es dann nach Böhmen, wo die Handlung in ein albtraumhaftes Schäferspiel ausartet – Viola Valsesia hat die unheimlich anmutenden Szenenbilder und Anne Buffetrille die zwischen Designerklamotten und Satyrspiel wechselnden Kostüme geschaffen – mit dem von Shakespeare vorgeschrieben Bären und jeder Menge Schafe für die Schur, bei der Perdita, Leontes‘ Tochter, und Prinz Florizel zueinander finden.

Das, und hier zeigt die Inszenierung nicht ihre erste Schwäche, kapiert man aber nur, wenn man vorher das Stück ausgiebig studiert hat. Denn um die stringente Handlung, soweit man beim "Wintermärchen" überhaupt von einer solchen sprechen kann, kümmert sich Štorman von Anfang an herzlich wenig. Ebenso wenig wie um eine plausible Charakterzeichnung – die, zugegeben, in dieser zwischen Tragödie und Komödie angesiedelten "Romanze" auch nicht einfach herzustellen ist. Wie soll man klar machen, dass ein eifersüchtiger Tyrann zum verständnisvoll liebenden Ehemann mutiert? Dass eine tote Ehefrau nach 16 Jahren wieder leibhaftig vor einem steht und alle Schmach und Demütigungen, die der Gatte ihr zugefügt hat, mit einem innigen Kuss beiseite schmatzt? Also rettet sich die Regie ins Vage und Ungefähre, skizziert eher mit groben Strichen als fein zieselierten Linien – aber hat Shakespeare hier überhaupt fein ziseliert? Hat er hier, in einem seiner letzten Stücke, nicht einfach ordentlich auf den Putz hauen wollen, armtief in seine dramaturgische Trickkiste gegriffen und seine Masken-, Traum- und Zauberspiele zum guten Schluss noch mal auf die Spitze getrieben?

Jetzt aber raus aus dem Schlamassel

Wenn dem so ist, wenn er seinem "Sommernachtstraum" noch eins draufgesetzt hat – dann jedenfalls folgen die Schauspieler dem Shakespear’schen Alterswerk mit unbändigem Spaß und bringen ihrerseits noch ein paar komödiantische Glanzlichter zum Funkeln. Zugegeben, nicht alles ist brillant blitzend, manches ins Grotesk-Alberne abdriftend ... Aber vielleicht sollte sich der Zuschauer einfach ins Spiel hineinfallen lassen und diesen Traum mit wachem Auge anschauen. So wie Leontes, der am Schluss wie schon zu Beginn mit schafhaftem Grinsen dem Geschehen folgt, offenbar froh, irgendwie aus dem Schlamassel, den er selbst angerichtet hat, herausgekommen zu sein.

 

Das Wintermärchen
nach William Shakespeare
Regie: Marco Štorman, Bühne: Viola Valsesia, Kostüme: Anne Buffetrille, Musik: Thomas Seher, Dramaturgie: Ulf Frötzschner.
Mit: Claudio Gatzke, Gina Haller, Juliana Lang, Nadja Migdal, Gitte Reppin, Tilman Rose, Barbara Ullmann
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.teatrier.de

 


Kritikenrundschau

Von einer "lustvollen Inszenierung" berichtet Eva-Maria Reuther im Opus Kulturmagazin (15.2.2016). "Štormans bedachtsame Entschleunigung fasst Zeit und schafft einen Raum, in dem Shakespeares wunderbare Sprache Gestalt annimmt und szenische Bewegung wird." Ähnlich wie Shakespeares Vorlage "ist auch Štormans Inszenierung eine Stück über die Zeit und die Wirklichkeit selbst, die beide gleichermaßen wirklich wie Vorstellung sind. Eben von dieser Doppelnatur lebt die Inszenierung. Bildmächtig vermitteln der Regisseur und sein Ensemble Ihre Widersprüchlichkeit, ihre Paradoxie, die in der Zeitlosigkeit der Kunst all die augenscheinlichen Ungereimtheiten eint, die geographischen wie die anachronistischen, das Miteinander historischer und modernen Zeitgewänder( Kostüme Anne Buffetrille), das Crossover der Dramen und Texte, die zeitgenössischen Einschübe und nicht zuletzt die wundersame Auferstehung der jugendlichen Hermione."

 

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