Amerika - Bei seiner Oldenburger Adaption von Kafkas Romanfragment setzt Martin Laberenz auf Witze aus dem Discounter-Regal
Herr Aldi, gebn se mal n Kilo Sinn!
von Tim Schomacker
Oldenburg, 14. Februar 2016. Nichts gegen blöde Witze. Solche, die sich anfühlen wie zu süße Eiscreme, bei denen die Zuhörenden schlagartig Luft einziehen durch die Zähne. Nur müssen sie halt gut sein, die blöden Witze. Wenn Martin Laberenz drei Stunden auf Kafkas "Amerika"-Roman losgeht, kalauerts nicht eben selten. Nur... Nun ja.
Klar kann man sich mit Karl Roßmann, der tragischen und dabei nicht unkomischen Zentralfigur von Kafkas literarischem Erstvollkontakt mit amerikanischem Boden, einen Namens-Spaß erlauben. "Herr... äh..., Herr Aldi", spricht der, der grad nicht Roßmann spielt, scheinbar zerstreut namensvergesslich jenen an, der in diesem Moment Roßmann spielt. Sagt das was? Abgesehen davon, dass der Witz nicht einmal besonders branchensicher daherkommt: Drogerie! Nicht Discounter! Nö! Sagt nichts weiter. Lag wohl grad rum. Und hängt nun in der Luft. Wie so einiges an diesem Abend.
Keine Zuflucht unter der Freiheitsstatue
Über weite Strecken hält die Spielfreude die Sinnfälligkeit arg in Schach. Zu arg. Alle im Akteur*innen-Quartett sind mal Karl. Alle sind oft andere. Karl Roßmann, der Neu-Ankömmling wider Willen, der noch an Bord des Transatlantikdampfers gleichsam unter der Freiheitsstatue seinen reichen amerikanischen Onkel trifft und von ihm zunächst großherzig aufgenommen, alsbald aber aus der fastväterlichen Protektion fortgestoßen wird.
Laberenz lässt seinen Karl Roßmann mal spielen, dann wieder Handlung erzählen oder paraphrasieren. Roman-Adaption eben. Und er schiebt ihn in Aufnahmesituationen hinein. In New York, im Hotel, in der bizarren Entourage der ältlich-divenhaften Sängerin Brunelda, im notorischen "Naturtheater von Oklahoma" – stets ist Karl der Fremde, der Nicht-Dazugehörende, der immer längst schuldig ist. Gefangen im Widerspruch zwischen "Wir nehmen jeden auf" und "Legitimationspapiere her".
Das auf die Gegenwart zu beziehen, bedarf weder höherer Mathematik noch bühnenästhetischer oder dramaturgischer Geniestreiche. Es tut dieser "Amerika"-Inszenierung nicht gut, dass sie ihre Zentralfigur ein ums andre Mal vor die Pforte dieser banalen Gegenwartseinsicht zitiert. Ohne mit ihr dann einen nennenswerten Weg aus dem Roman heraus zu beschreiten.
Im Räderwerk des freien Westens
Passend kommt auch das Generalbühnenelement, ein zirka containergroßes drehbares Stahlgerüst, in dessen Innerem sich zunächst sämtliche Requisiten befinden, als dermaßen leeres Zeichen daher, dass einem vom vielen Gedrehe recht schwummerig wird. Mahl- und Räderwerke des modernistischen freien Westens, sicher. Aber trotz aller Bewegung fehlen Movens und Motiv. Der Roßmann-Hölle, die ihren einzigen Dauerbewohner dazu verdammt, immer und immer wieder (und zu immer niedrigeren Bezügen) das gleiche Verstoßenwerdens-Szenario zu durchleben, kommt man mit der pennälerschlauen Frage, ob denn jetzt ein – hihi! – "Brief an den Vater" der rettende nächste Schritt wär, kaum bei.
Mit echtem Penis-Piano
Dass dieser "Amerika“-Abend schlussendlich nicht vollständig klein beigibt gegenüber der Großvorlage, liegt an einem durchaus vorhandenen Fuder hübsch herausgespielter Konter. Die sprachgewaltigen leblosen Körper von Maximilian Pekruls paralysiertem Robinson oder Caroline Nagels psychotischer Bardin Brunelda etwa, die sich hochvirtuos und ziemlich komisch über die Bühne zerren, schieben und tragen lassen. Das leibhaftig gespielte Penis-Piano von Johannes Langes Karl in der gar nicht new-england-sittsam hochgeschlossenen Begegnung mit Klara. Lisa Jopts mit grausamer Ruhe ausagierte Erzählung der Hotelsekretärin Therese vom mütterlichen Unfalltod. (Symptomatisch, dass es dann aber nicht gelingt, mit dieser kleinen, kammerartigen Intimität uns Zuschauenden mal richtig auf die Pelle zu rücken.) Oder die lässige Präzision, mit der Pekrul die Knorrigkeit des Heizers aus dem Eingangskapitel mit der Schnoddrigkeit holländischer Leih-Moderatorinnen à la Mini-Playback-Show verschmilzt.
Es sind einzelne Sequenzen, die einem helfen, sich wahlweise darüber hinweg zu täuschen oder zu trösten, dass dieses "Amerika" sich selbst nicht so recht über den Weg zu trauen scheint. Und der die biographisch harten wie dramaturgisch harschen Schnitte im Leben der Romanfigur Karl R. nicht für sich zu nutzen weiß. Ach so: Blanke Schwänze gibt's auch reichlich zu sehen. Tja.
Amerika
nach Franz Kafka
Bühnenfassung von Martin Laberenz und Marc-Oliver Krampe
Regie: Martin Laberenz, Bühne und Kostüme: Peter Schickart, Dramaturgie: Marc-Oliver Krampe.
Mit: Lisa Jopt, Johannes Lange, Caroline Nagel, Maximilian Pekrul.
Dauer: 3 Stunden 15 Minuten, eine Pause
www.staatstheater.de
In der Kreiszeitung (15.2.2016) arbeitet sich Rolf Stein an der Prosa der Oldenburger Presseabteilung ab, die behauptet, Laberenz inszeniere "mit kompromissloser Regiehandschrift und schamlosem Humor Gesten radikalen Lebens für ein maßloses Theater". Darauf Stein: "Kompromisslos? Gewiss. Schamlos? Mag sein. Radikales Leben? Eher weniger. Maßloses Theater? Maßlos höchstens in seiner Banalität, dem Desinteresse an dem, was Kafka interessiert haben könnte oder vielleicht ja auch genau nicht."
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