"Damit möchte ich nichts zu tun haben"

von Sascha Westphal

17. Februar 2016. Mehr als neun Monate hat die Suche nach einem neuen Intendanten für das Schauspielhaus Bochum gedauert. Gerüchte kursierten, viele klangen nach Verlegenheitslösungen. Insofern war es schon eine Überraschung, als der Verwaltungsrat des Schauspielhauses am 5. Februar Johan Simons als Nachfolger von Anselm Weber präsentierte. Johan Simons soll das in den vergangenen Jahren ins Schlingern geratene Haus wieder auf Kurs bringen. Sein Konzept: ein "Haus der Kulturen". Über seine Pläne für ein "europäisches Theater" hat Johan Simons mit Sascha Westphal gesprochen.

johan simons 560 stephan glagla ruhrtriennale UJohan Simons, derzeit noch Intendant der Ruhrtriennale © Stephan Glagla / Ruhrtriennale

nachtkritik.de: Herr Simons, Sie verstehen das Schauspielhaus Bochum als "Haus der Kulturen", als europäisches Theater. Was stellen Sie sich konkret darunter vor?

Johan Simons: Für mich ist das eine Fortsetzung von dem, was ich in München gemacht habe. In München habe ich gesagt: "Mitten in der Stadt, mitten in der Welt." Ich kannte das Haus in Bochum natürlich, vor allem von Inszenierungen von Peter Zadek und Claus Peymann, für die ich damals ins Ruhrgebiet gefahren bin. Als ich jetzt wieder nach Bochum gekommen bin und mich den Menschen im Theater vorgestellt habe, stand ich auf der Bühne und sah diesen Saal. Die Erfahrung war für mich wirklich unglaublich. Die Atmosphäre auf der Bühne und im Saal ist phänomenal.

Ihre Vorstellung von einem europäischen Theater in Bochum beginnt also schon mit dem Gebäude?

Das hört sich vielleicht komisch an. Aber ich finde wirklich, dass schon dieser Saal und dieses Gebäude eine internationale Ausstrahlung haben, die wie das Ruhrgebiet zentral in Europa liegen. Es soll sich in der Stadt, in Deutschland, in Europa herumsprechen, dass dort ein solches Haus steht. Dass das Schauspielhaus unter Zadek und Peymann diese Ausstrahlung hatte, hat auch etwas mit dem Haus und der Architektur zu tun.

Was genau bedeutet das für die Arbeit im Haus?

Wenn ich von einem "Haus der Kulturen" spreche, dann heißt das für mich, dass ich in diesem Haus unterschiedliche Sprachen hören möchte – natürlich nicht immer, dann kommen die Leute nicht mehr. Es sollen Schauspieler aus unterschiedlichen Ländern auf der Bühne stehen, ein großartiges Ensemble, mit dem sich das Bochumer Publikum identifizieren kann, aber auch eines mit internationaler Ausstrahlung. Dafür braucht man einen großen Atem. Dieser Atem muss über fünf Jahre hinausreichen. Man muss diese fünf Jahre als eine Einheit betrachten. Und zu dieser Einheit, zu diesem "Haus der Kulturen", gehören auch Tanz- und Musik-Projekte. In dieser Zeit kommen internationale Künstler ans Haus, aber zugleich kann man auch mit den Bochumer Symphonikern zusammenarbeiten.

Bochum schauspielhaussaal 560 birgit hupfeld uSchauspielhaus Bochum, Blick in den Saal © Birgit Hupfeld

Wie sieht es mit Co-Produktionen aus?

Internationale Arbeit bedeutet natürlich auch, dass ich Co-Produktionen machen werde. Mir schwebt eine europäische Plattform vor, ein Dreieck von Bochum, Gent und Rotterdam. Ich möchte gelegentlich auch mal großes Musiktheater machen; und die Jahrhunderthalle gehört auch der Stadt Bochum. Die Internationalität der Ruhrtriennale, das ist ein Maßstab. Ein Teil dieses Konzepts möchte ich ins Stadttheater hineintragen. Damit wird das Schauspielhaus nicht zu einer "Spielstätte", oder was gerade für Gerüchte kursieren, sondern es wird ein künstlerisch vielseitiges, spannendes Stadttheater, das hoffentlich nach außen und innen neue Akzente setzt – als Bereicherung. Übrigens auch für den legendären Bochumer "Theatergeist", den ich natürlich entfachen will.

Nach Ihren ersten Ankündigungen für Bochum hatte ich auch den Eindruck, dass Sie Ihre Arbeit bei der Ruhrtriennale am Schauspielhaus gerne fortführen würden.

Für mich geht das eine ins andere über. Eigentlich hatte ich mal gesagt, ich möchte die Ruhrtriennale noch drei Jahre leiten. (lacht) Neben der künstlerischen Vielfalt ist das Tolle an diesem Übergang auch, dass die Ruhrtriennale im vergangenen Jahr so viele Zuschauer hatte wie noch nie zuvor. Ob ich das in diesem Jahr halten kann, werden wir sehen. Aber das hatte wohl auch damit zu tun, dass viele Besucher aus den Niederlanden und aus Belgien zur Ruhrtriennale gekommen sind. Ich hoffe, dass das auch in Bochum so bleibt und wir den großen Saal mit seinen mehr als 800 Plätzen füllen können. Ich setze also nicht nur auf ein Publikum aus der Stadt selbst, sondern auf eines, das aus ganz Nordrhein-Westfalen ebenso wie aus Belgien und Holland kommt. Auch das ist ein Teil der Internationalität.

Reingoldx 560 mMichaelKneffel Ruhrtriennale uMit Musik: Johan Simons' Inszenierung von "Das Rheingold" bei der Ruhrtriennale"
© Michael Kneffel / Ruhrtriennale

Kommen wir noch einmal auf das Dreieck Bochum, Gent, Rotterdam zurück. Wie soll die Zusammenarbeit der einzelnen Häuser in der Praxis aussehen und wie werden Sie Ihre Zeit zwischen ihnen aufteilen?

In Rotterdam bin ich für das internationale Plateau verantwortlich. Da gibt es einen allgemeinen Leiter, einen künstlerischen Leiter und einen Geschäftsführer. Da drunter gibt es mich. Meine einzige Aufgabe ist es, ein internationales Netzwerk zu knüpfen. Diese Internationalität braucht man in Holland, damit junge Regisseure und junge Choreographen sich entwickeln können. Die profitieren davon, wenn sie ihre Arbeiten auch in Bochum zeigen können, und ich natürlich auch. Aber ich werde – überspitzt gesagt – für die Arbeit in Rotterdam nur zwei Stunden in der Woche brauchen, wenn ich das denn überhaupt in Stunden rechnen will. Bochum ist mein Hauptsitz.

Und Gent?

Da arbeiten natürlich viele meiner Schauspieler wie Benny Claessens, Elsie de Brauw oder Pierre Bokma. Am NT Gent gibt es einen allgemeinen Leiter, der wird Intendant sein. Ich bin dort der künstlerische Leiter und damit eher ein Berater in künstlerischen Belangen. Zudem ist mit Bochum vereinbart, dass ich im Jahr eine internationale Produktion zusammen mit Gent und Rotterdam machen werde. Und die Premiere dieser Produktion wird in Bochum sein. Eine andere Vereinbarung besagt, dass ich einmal in der Spielzeit eine Gastregie machen kann. Insofern hoffe ich, dem NT Gent künstlerisch verbunden zu bleiben, dem ich auch viel zu verdanken habe, und gleichzeitig in Bochum noch einmal eine Intendanz an einem so besonderen Haus neu zu entwickeln und ein Theater neu zu profilieren, in der Stadt und für die Stadt .

Internationale Künstler, Vernetzung, Co-Produktionen – das ist heute doch eigentlich schon Standard.

Das Internationale muss vor allem von Innen heraus kommen. Es reicht nicht, einen Regisseur aus Finnland oder sonst woher zu holen. Ich bin international, und dann wird es auch ein Ensemble geben, das international orientiert sein muss. Ich wünsche mir Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen.

Das hieße dann auch, dass sich das Ensemble stärker der gesellschaftlichen Realität in Deutschland und Europa annähern würde?

Das ist natürlich auch so eine Geschichte, dass nahezu das ganze Theater weiß ist. Das muss ebenso ein Thema im Repertoire sein wie die Migrationsbewegungen unserer Tage. Früher hatte man in Deutschland ein Ensemble, das sich aus ganz unterschiedlichen Altersgruppen speiste. Da gehörten 22-jährige Schauspielanfänger genauso zu wie 80- oder 85-jährige Darsteller und natürlich alles, was dazwischen ist. Alle Menschen, die man auf der Straße sah, waren auch im Ensemble vertreten. Das ist wirklich ein großartiger Gedanke der deutschen Ensemble-Kultur. Aber die Bevölkerung, die man auf der Straße antrifft, ist heute eine andere als früher. In unserem Alltag sind unterschiedliche migrantische Hintergründe selbstverständlich. Und das muss auch in einem Theaterensemble zu sehen sein. Aber das ist ein langer Weg.

die neger1 560 julianroeder ostkreuz u.pgFast das ganze Theater in Deutschland ist weiß – aber eines der wenigen Stücke, die laut Autor nur mit schwarzen Schauspielern besetzt werden sollen, wurde bei Johan Simons mit Masken gespielt: "Die Neger" bei den Wiener Festwochen 2014 © Julian Röder / Ostkreuz

Betrifft das auch die Themen und Inhalte, die auf der Bühne verhandelt werden?

Ich bin davon überzeugt, dass wir in Bochum mit Schriftstellern arbeiten müssen, die mit einem völlig anderen Blick auf die Welt schauen. Auch das meine ich, wenn ich sage, das ist ein "Haus der Kulturen". Wir brauchen Autoren und Texte, die unsere von Migration geprägte Wirklichkeit reflektieren.

Die Idee des internationalen Theaters stellt besondere Anforderungen an Schauspieler. Wie ist es beispielsweise mit der Sprache?

Gut, für die Belgier, mit denen ich arbeite, ist es kein Problem, in Bochum auf der Bühne zu stehen. Ich sage jetzt einfach mal, die sprechen so gut Deutsch wie die deutschen Schauspieler auch.

Aber wie ist es mit den deutschen Schauspielern, wenn sie dann in Belgien oder den Niederlanden auftreten?

Das ist natürlich eine Frage (lacht herzlich). Aber nähern wir uns ihr mal etwas anders. Ich habe in München beispielsweise eng mit dem estnischen Schauspieler Risto Kübar zusammengearbeitet. Und der spielt jetzt auch am NT Gent. Der spricht Deutsch und Holländisch, das allerdings fast phonetisch. Er ist ein sehr guter Schauspieler, und er benutzt seine Art des Sprechens der fremden Sprache auch ganz gezielt. Also auf der Straße hört man ständig, dass Menschen Wörter in einer Sprache sprechen, die sie nicht wirklich sprechen. Das meine ich mit phonetischem Deutsch: Ich habe die Wörter (auswendig) gelernt und versuche nun, sie zu sprechen. Das gehört im Alltag dazu. Warum also nicht auch auf der Bühne.

orpheus1 560 julian roeder hRisto Kübars (2.v.l.) in "Orpheus steigt herab", das Sebastian Nübling während Johan Simons' Intendanz an den Münchner Kammerspielen inszenierte © Julian Röder

Sie hatten schon an anderer Stelle erwähnt, dass die Stadt sich bereit erklärt, Tariferhöhungen durch zweiprozentige Erhöhungen der Zuschüsse auszugleichen. Doch in den vergangenen Jahren sind die Tariferhöhungen deutlich höher ausgefallen.

Die Stadt hat mindestens zwei Prozent zugesichert, also es könnte auch mehr sein – und das ab heute bis 2023. Ich finde das ist schon mal ein großes Bekenntnis der Stadt zu ihrem Theater. Außerdem steht ganz klar in meinem Vertrag, dass wenn die Zuschüsse noch einmal gekürzt werden, ich gehen kann, weil ich nicht in Bochum antrete, um das Schauspielhaus kaputt zu sparen. Aber so weit werden es die Verantwortlichen in Bochum nicht kommen lassen. Davon bin ich überzeugt.

Der Gesamtetat des Bochumer Schauspielhauses liegt zwischen 21 und 22 Millionen Euro im Jahr. Da sind aber auch schon Eigeneinnahmen in Höhe von etwa zwei Millionen mit eingerechnet. Die aber zu erreichen ist nicht so einfach.

Ja. Aber das alles ist auch eine Frage, wie man arbeitet. Ich bin ein Intendant, der gerne vertikal investieren möchte. Also ein Intendant, der schon viel machen will, aber nicht immer ständig Premiere auf Premiere. Man muss manchmal auch zehn oder zwölf Wochen proben können. Der Vorteil ist, wenn man in die Tiefe investiert, dass sich daraus eine Qualität ergibt, die die Bochumer und andere Theaterbesucher hoffentlich wahrnehmen werden. Dass es also heißt: Das muss ich mir unbedingt ansehen. Ich hoffe, dass es Vorstellungen geben wird, die einfach laufen, ohne dass man zuvor Konzessionen gemacht hat. Natürlich wird das nicht immer so sein.

Seit verkündet wurde, dass Sie die Intendanz in Bochum übernehmen, gibt es übrigens Gerüchte, dass das Schauspielhaus nach diesen fünf Jahren abgewickelt werden soll.

Wirklich? Damit möchte ich nichts zu tun haben. (macht eine kurze Pause und lacht dann) Die letzten fünf Jahre des Schauspielhaus Bochum? (lacht weiter) Man kann diese Gerüchte natürlich benutzen, aber verstehen kann ich sie nicht. Simons macht die letzten fünf Jahre ... aber vielleicht geht das zusammen. Ich sterbe und das Schauspielhaus Bochum gleich mit. Eine Riesenbeerdigung, das ganze Gebäude versinkt in der Erde... (lacht wieder). Die letzten Fünf Jahre ... ein schöner Titel für ein Buch. – Nein, im Ernst: Was für eine absurde Vorstellung! Ich denke jetzt erst mal daran, wie wir das Bochumer Schauspielhaus mit Leben erfüllen, und nicht wie wir es begraben.

 

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