Othello - Am Berliner Gorki-Theater lässt Christian Weise eine Boygroup Theater-Theater spielen
Sieh da, ein Mensch!
von Wolfgang Behrens
Berlin, 19. Februar 2016. Das Schöne am Gorki Theater ist ja, dass man sich als Zuschauer*in auf der sicheren Seite wähnen darf: Hier ist man auf der Höhe des Diskurses, hier herrscht das richtige Bewusstsein! Wo schon auf dem Programmzettel postkoloniale Theorie zitiert wird, da kann ich mich auch dann angstfrei in meinen Sessel plumpsen lassen, wenn "Othello" auf dem Spielplan steht. Dämliches Blackfacing jedenfalls – den Außenseiter zeigen, indem man sich ihn schön äußerlich selbst konstruiert – steht hier nicht zu erwarten.
"Schleim im Arsch Venedigs"
Blöd nur, dass richtiges Bewusstsein nicht automatisch ein Garant für gutes Theater ist. Wenn gleich zu Beginn von Christian Weises Inszenierung jede Menge Commedia dell'arte-Figuren von hinten auf die Bühne rutschen, um sogleich in den Hampelmodus zu schalten, dann kann einem doch wieder angst und bange werden. Wahlweise kann man natürlich auch darüber lachen, und, es sei nicht verschwiegen, viele tun das auch. Man kann es aber auch schlicht quälend finden, den Darstellern (ohne *innen, denn es sind nur Männer) beim marionettenartigen Dauerwackeln zuzuschauen, beim (durchaus denunzierend eingesetzten) Sächseln oder Kölsch sprechen zuzuhören oder ihre forcierten Ausraster samt Fäkalhumor-Ingredienzien (halbwegs lustige Kostprobe: "du zypriotischer Schleim im Arsch Venedigs") zu erdulden.
Es ist dann geradezu eine Wohltat, wenn Taner Şahintürk als nicht geblackfaceder Othello auftritt, in Jeans und Adidas-Jacke, und eine realistische Figur behauptet: Sieh da, ein Mensch! Nicht wie der Jago Thomas Wodiankas ein Kreuzung aus Harlekin, Gollum und Klaus-Kinski-Zombie. Nicht wie der Cassio Oscar Olivos eine gespreizt schwuchtelnde Charge im Sonnenkönig-Outfit. Und nicht wie die travestierte Desdemona Aram Tafreshians ein eckig und blöde daher staksendes Wesen.
Wutrede eines Realisten
Klar, das gehört alles zum Konzept: Die hübsch anzuschauende Bühne von Julia Oschatz zeigt eine Bühne auf der Bühne auf der Bühne, deren Portale sich nach hinten perspektivisch verjüngen und die Rauten-Vertäfelung aus dem Zuschauerraum neckisch fortsetzen. Überdeutlich bimsen uns Bühne und Figuren ein: "Hey, wir sind Komödianten, wir spielen nur Rollen. Aus denen wir auch fallen können. Was wir auch ab und zu tun werden, seht euch vor!" Othello ist in dieser Welt der Schmieranten der Außenseiter, nicht weil er schwarze Haut hat, sondern weil er eine ehrliche Haut ist, ein frei und souverän sich bewegender Mensch. Ästhetisch gesprochen: ein Realist.
In Soeren Voimas Neufassung des "Othello", die hier zur Uraufführung kommt, hat dieser Realist einen großen Monolog, und Taner Şahintürk macht daraus den Höhepunkt des Abends. Es ist – am Gorki Theater hat das schon Tradition – eine mit authentisch wirkendem Furor vorgetragene Wutrede, in der diesmal ein Rassismus gebrandmarkt wird, der sich als Verständnis des oder gar Liebe zum "Anderen" gibt. Da heißt es: "' Seht mal, der Schwarze ist ein toller Tänzer. Ein toller Liebhaber sicher auch!' Ach, ja? 'Aber ja doch, er hat noch so etwas Ungezügeltes, Animalisches. Nein, er ist poetisch und spirituell. Er steht noch in Verbindung mit der Ewigkeit.'" Und: "Der Weiße (...) nahm mir die Luft mit seiner plötzlichen Umarmung. Mit seiner Liebe zum Schwarzen, jetzt, da ich schwarz sein wollte, machte mir seine Liebe das vollkommen unmöglich."
Wenn der Pinsel mit der Farbe...
Im Brachialkomik-Plunder des Inszenierungsumfelds steht so ein Moment indes seltsam unverbunden da – Konzept hin oder her. Letzteres löst sich nach der Pause immerhin insofern ein, als dass Jago, indem er sich zum Spielleiter aufschwingt, das derb Karikierende seiner Rolle und auch sein Kostüm immer weiter ablegt und anscheinend als einziger von Mensch zu Mensch zu Othello spricht. Während umgekehrt Othello die Trainingsjacke mit einem lächerlichen Soldatenmantel aus dem Theaterfundus tauscht und nach und nach zur Marionette mutiert, um sich so seiner albernen Umwelt zunehmend anzugleichen.
Und dann kommt die Farbe doch noch zum Einsatz. Jago nähert sich Othello mit Pinsel und Töpfchen – und es besteht kein Zweifel: Jetzt wird er ihn anmalen! Denn wenn der Othello schon nicht schwarz ist, wird er halt von seinen Mitmenschen zum Schwarzen gemacht. Schon rattert's im Kopf des Zuschauers: Ist unter diesen Umständen Blackfacing tolerabel? Darf der Deutsche Wodianka den Deutschtürken Şahintürk schwarz bepinseln, um zu zeigen, dass er zum Schwarzen gemacht wurde? Hmm, schwierig ... Doch dann die Erlösung: Es ist gold. Goldfarbe. Goldfacing. Gott sei Dank! Man hat's ja gewusst: Am Gorki Theater haben sie das richtige Bewusstsein. Und bestimmt bald auch wieder einen besseren Theaterabend.
Othello
nach William Shakespeare von Soeren Voima
Regie: Christian Weise, Bühne und Video: Julia Oschatz, Kostüme: Andy Besuch, Sounddesign und Live-Musik: Jens Dohle, Falk Effenberger, Licht: Jens Krüger, Dramaturgie: Aljoscha Begrich.
Mit: Oscar Olivo, Taner Şahintürk, Falilou Seck, Aram Tafreshian, Thomas Wodianka, Till Wonka.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
www.gorki.de
Christian Weises Inszenierung des Stoffes tue gut daran, "den aktuellen Rassismusdiskurs aufzugreifen, ihn beherzt in das Stück einzubauen und Othello am Ende darauf verzichten zu lassen, Desdemona umzubringen", meint André Mumot auf Deutschlandradio Kultur (Zugriff 21.2.2016). Erstaunlich bleibe aber doch, "dass so viel Freiheit, so viel Bereitschaft zur Verschiebung und Hinterfragung so wenig Funken schlägt und sich immer nur ausbruchsweise artikuliert." Insgesamt sei "das Komödienniveau des Abend erschreckend niedrig." Besorgnis errege gar, dass dem Othello zwar endlich den Klischeezuschreibungen entreiße, "aber nur unter der Bedingung, die meisten Figuren um ihn herum zu billigen Schwulen-, Sachsen- und Machtmenschparodien zu degradieren, die hauptsächlich aus Klischees, aus altbekannten Rollenzuschreibungen, fast nur aus groben Diffamierungen bestehen."
An sich hätten Soeren Voima und Christian Weise "lauter gute, kluge Denkfragen an ein Stück, das sich viel zu oft in Emotion und Kolorit verrennt", sagt Michael Laages auf Deutschlandfunk (Zugriff 21.2.2016) und seufzt: Hätten sie sich "doch nur auf diesen Denk-Raum konzentriert. Weil sie es aber nicht wirklich tun, scheitert dieser 'neue' Othello spektakulär." Den "halben Abend lang" werde "mit Klischees hantiert. Das Schenkelklopfen im Saal nimmt kein Ende", und zuletzt sei dann der Vorhang "(wenn denn es einen gäbe!) zu und alle Fragen offen: an Othello, an uns, an den Alltag des Rassismus." Das sei "in diesem Fall nun mal wirklich platt und ziemlich feige. Mit Blödeleien hat die Othello-Forschung sich hier selbst den Blick vernebelt – und am Ende sieht sie dann gar nichts mehr."
"(W)ie sich ein postmigrantisches Ensemble dem schwer rezeptionsbelasteten Stoff nähert" war für Christine Wahl vom Tagesspiegel (22.2.2016) die große Frage. "Die Antwort lautet: clever! Und höchst unterhaltsam, bekanntlich eine nicht häufig anzutreffende Kombination.“ Regisseur Christian Weise drehe den „Zuschreibungsspieß“ nämlich einfach mal um. "Das 'Fremde' ist hier die (weiße venezianische) Mehrheitsgesellschaft, die gleichsam seit vier Jahrhunderten in dieser antiquierten Theatergeschichte festhängt; sämtliche ausgeleierten Repräsentationsschleifen inklusive." Der starke Abend sei "an allen möglichen Ecken und Enden repräsentationskritisch unterwegs ist; und zwar zumeist wohltuend krampffrei".
Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung (22.2.2016) findet, Othello werde an diesem Abend immer mehr "vom Mensch zur Klischee-Puppe". "Dass sich [dies] aus dem verhängnisvollen Miteinander der Figuren ergeben würde, lässt sich in diesem humorbemühten, kontrollierten, selbstgewissen Behauptungsgeknatter allerdings nicht nachvollziehen".
"Alles ist hier auf Karneval gebürstet, auf Theater im Theater, auf ein Spiel mit vielen Codierungssystemen, mit Comic, Geschichte, Zeichentrick, Puppenspiel," schreibt Katrin Bettina Müller in der taz (23.2.2016). Doch gebe es so viele Sprünge zwischen den Ebenen des Spiels, "dass sie in diesem Spiegelkabinett zu nicht mehr als Splittern werden. Die Gedanken haben keine Chance, in dieser Inszenierung ihre Wucht zu entfalten, dafür ist sie zu laut, zu aufgedreht und zu verliebt in den Klamauk."
Taner Șahintürk zeige "in seinem sehr direkten, eher kraftvollen als subtilen Spiel, dass das Außenseitertum des Aufsteigers Othello, der von der Mehrheitsgesellschaft gleichzeitig benutzt und verachtet wird, nicht zwangsläufig und ausschließlich eine Frage der Hautfarbe, sondern eine der Blicke der anderen ist", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (26.2.2016). Die übrigen Figuren seien "ohne Angst vor den Freuden des höheren Knallchargentums in die Groteske getrieben". Dies verstehe man, nachdem man den bitteren Hass-Monolog gehört habe, den Voima für Othello geschrieben hat: "Wir sehen all die Vertreter der weißen Mehrheitsgesellschaft wie durch einen Zerrspiegel von Othellos Wahrnehmung – lauter grinsende, aufgekratzte, mitleidlose, seltsam eindimensionale Monster."
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Generell: Warum bzw. WIE kann eine Kritik Bitteschön "zu streng" sein?! Nur weil das was zwei hier ganz brav und fein auflisten können, worum sich die Kritik aber nicht schert, weil das definitiv einfach "zu nett" wäre, denn wenn ein guter Gedanke für einen guten Theaterabend ausreicht, dann braucht es keine kritische Auseinandersetzungen mehr mit dem Theater, oder? (Kritik ist und war nie nett! Entweder ist die Kritik von einem Abend überzeugt oder eben nicht und das war der Kritiker eben nicht, so what?!) In seiner Bravheit geht der Abend sogar irgendwie auf, aber das heißt auch nicht, dass der Abend einen packt oder fesselt oder wirklich nachhaltig zum Denken bringt... Ich habe Abende gesehen, die nicht aufgegangen sind, aber sie waren voller Mut und Energie und künstlerischen Visionen, dass ich als Zuschauer gern auf ordentlich interpretierte Inszenierungen verzichte! Ohne Persönlichkeit, und das heisst auch an die Grenze des Verständlichen zu gehen oder überhaupt an Grenzen zu gehen, sind Theaterabende immer nur eine nette Interpretation eines Textes... Solch ein Theater regt aber nicht dazu an da rein zu gehen....
Ja, ja und ja, ich werde noch einmal hineingehen.
Und der Rest auf dieser Seite ist furchtbares Gelaber über Inhalte. Was will uns der Regisseur damit sagen?
Habt doch einfach einmal Lust auf bestens gemachte Unterhaltung und ihr werdet nebenbei viel entdecken, neben Othello... Schaut euch die Masken, die Kostüme an. Erkennt den Witz. Nehmt einfach einmal nicht alles so ernst.
Übrigens, wer schreibt hier eigentlich? Die vielen jungen Menschen im Theater waren begeistert. Also, liebe ewig besserwissende Kunsthochhalter, gewöhnt euch daran, auch Theater ist im Wandel. Und wenn es in eine solche Richtungen geht, dann freue ich mich auf noch viel mehr.
Who the fuck, wer ist Yoweri Kaguta Museveni?! Das ist ein alter Mann in einem goldenen Hemd und mit einem goldenen Hut, der Homosexuelle für krank und abnormal hält oder wahlweise zu mindesten vom degenerierten Westen gekauft, und seit dreißig Jahren Uganda regiert. Ein Schwarzer, der gerne seine politischen Gegner inhaftiert und auch schon mal die Verfassung ändert, um ein fünftes, oder war es das sechste mal, gewählt werden zu können. Ich komme auf den verrückten Gedanken, nicht alle Schwarzen seien gute Menschen, auch nicht alle Deutsch-Türken. Aber was erlaube ich mir da. Das geht nicht. Ich organisiere mir einen Eimer mit goldener Farbe, gehe auf die Straße und fange an alle meine ausländischen Mitbewohner golden anzumalen. Die rufen natürlich sofort die Polizei. Und die klären mich dann auf. - Nein so ist mein Sonntagmorgen natürlich nicht verlaufen. Aber gleich, wenn ich diesen Text gepostet habe, da geht dann sofort mein Rundumpaket weiter. Ich bekomme diesen und jenen Einlauf von anderen Usern, die sich mit postkolonialen Theorien besser auskennen als ich und schon ist meine Welt wieder in Ordnung. Es ist so angenehm, dass weiße Arschloch zu sein. Rund um die Uhr werde ich betreut. Da werde ich bestimmt bis an mein Lebensende nie mehr etwas Falsches denken. Und heute Abend gehe ich in den „Othello“, lasse mich in den Sessel plumsen und bekomme meine nächste Packung. Ich bin einfach glücklich, dass es so ist, wie es ist, denn so kann mir fast nichts mehr passieren, außer ich fange an mir Museveni als goldenen Herrscher von Uganda an die Wand zu hängen.
Um aber nun noch ein bisschen naseweis auf die Vielschichtigkeit der Wirklichkeit hinzuweisen: dieser Museveni, den Sie als Inbild des alten afrikanischen Krokodils darstellen, das die Macht nicht hergeben will, unterdrückt zwar die Opposition spätestens dann, wennn Sie seinem Machterhalt gefährlich werden könnte, aber er ist zugleich auch derjenige, der das Massenschlachten im Obote-Idi amin-Uganda militärisch beendet hat und der als einer der ersten in Afrika eine ordentliche Anti-AIDS-Gesundheitspüolitik veranstaltet hat/ veranstalten ließ. Während etwa die Südafrika regierenden ANC-Chefs, für die ich selber auf die Straße gegangen bin, AIDS als eine Harmlosigkeit darzustellen beliebten, die man mit einem Duschbad abwaschen könne.
Also:
Ja - man kann die Welt, in der Sie leben so beschreiben, wie Sie es tun, aber habhaft wird man ihrer am Ende dennoch nicht werden.
Mit Grüßen
Hier scheint sich sehr viel Wut über das Gorki an einem Stück zu entladen das mich durch seine Brutalität und gleichzeitige Feinsinnigkeit überzeugt hat. Zeitgeist mischt sich hier meisterhaft mit einer klugen Auseinandersetzung mit den zentralen Fragen des Stücks.
Theater fernab von pseudo intellektuellem Gewichse.
Bravo!
In jedenfall sehenswert.
Wie könnte es anders sein?
Und nein: Ich stehe einfach nicht unter dem Zwang, den Dingen ihre negativen Züge zu amputieren und sie idealisiert durch synthetische Operationen neu zu modellieren. Mir gehen die Selbstvergewisserungsstrategien der Theater-Postmigranten auf die Nerven. Ihr privilegiertes sich in sich selbst wohlfühlen.
Noch habe ich die Fähigkeit hin und wieder böse zu sein. Es ist eine Form grober Opposition, die mich dazu bringt wütend ein Flüchtlingsheim für die Kastanienallee zu fordern, statt diesen Abend zu besuchen.
Und lieber herr Eudi, für sie spiele ich doch gerne die böse Frau, soviel Zeit muss sein.
Wo seheh Sie denn Hetze gegen das Gorki? Ich sehe nur, dass es Leute gibt, denen eine Aufführung nicht gefallen hat, und die Leute begründen es sogar (Behrens, Mumot, Laages). Ich war auch in der Premiere, mir hat es nicht gefallen, ich bleibe aber ein Gorki-Freund.
es gibt noch einige andere Kritiken, die das Bild vervollständigen...Morgenpost, Tagesspiegel, BZ und Berliner Zeitung...
Grüße
ich möchte jetzt ungern in die Definitionskiste greifen, um ihnen genau zu erklären, was eigentlich "Hetze/ Demagogie" bedeutet, ich kann nur sagen: mein Kommentar ist meilenweit davon entfernt... auch wenn das nicht in ihr oder dem Bild des Gorki-Theaters von Demokratie reinpasst! Demokratie heisst nicht: alle für einen und einer für alle! das ist eine Utopie... und da gibt es einen Kommentar, der was ganz interessantes versucht zu beschreiben:"Gesinnung nicht mit Kunst verwechseln" und das ist das, was mich extrem an dem Gorki stört! ich glaube auch, dass ich nicht der einzige mensch bin, den das stört... ich bin überzeugt, dass das Armenien-Thema z.B., da nur thematisiert wird, weil es international in der Politik schwarz auf weiß festgehalten wurde, dass da ein Genozid stattfand... wenn dem bis heute noch kein internationaler Siegel gegeben worden wäre, so hätten sie dieses Thema bestimmt nicht so explizit und kritisch beleuchtet, wie sie es tun... ich habe seit der Amtszeit von Langhoff nicht einen einzigen Abend gesehen, und ja! ich hab in der ersten Spielzeit einiges gesehen!!!!, was nicht darauf abzielt gefallen zu wollen, gehypet zu werden oder einem möglichst großen und breitem Publikum mundgerechte Happen zu liefen, damit sie sich trotz der schrecklichen Welt zu einer Grube von Amateurpilotikern dazugehörig zu fühlen, die den ganz große Kunst machen, ja ganz große Abende produzieren... Ich kann mir echt vorstellen, wie die Leitung vor den Premieren sich selbst noch schnell beweihräuchert, weil sie sich der großen Dimension ihrer Abende bewusst sind und dem unkritischen Zuschauer endlich ein im Sinne der politischen Massenhaltung kritisches Verständnis einpflanzen! Aber genau das ist es doch! Kunst/ Theater sind eben nicht auf den Siegel der Politik angewiesen, sie kann auf Missstände aufmerksam machen aus rein humanen und nicht politischen gründen - das tun die Gorkis aber nicht... es scheint manchmal so, als lassen sie sich von der globalen Politik vorschreiben, was sie zu denken haben, was sie laut äußern oder nicht... das ist doch bullshit! ein Künstler bzw. ein Visionär darf sich nicht von der Weltpolitik manipulieren lassen... ein Theater das im Sinne einer Weltpolitik arbeitet und inszenieren lässt ist-ganz überspitzt gesagt- nicht anderes als Propaganda der schlechten Art... Daher mein Wunsch und meine Bitte an die Kulturzuständigen in Berlin: BITTE KEINE VERLÄNGERUNG FÜR LANGHOFF!!!!!!!!! GERADE WEIL ES IN BERLIN ALLMÄLICH DEN BACH RUNTER ZU GEHEN SCHEINT!!!!! BITTE HOLT UNS DEN WOHLVERDIENTEN STEHMANN!
Wenn die Gedanken immer wieder ausschließlich bei sich selber Einkehr halten und nur im steten Abgleich mit einer kollektiven Gesinnung gedacht werden dürfen, der Zuschauerraum nur noch Katalysator und Verstärker dieser Gesinnung ist, dann kann kein Theater entstehen, dann fragt man lediglich schon vorhandene Haltungen ab und es besteht in der Tat eine Art selbstreferenzielles Diktat.
Haben sie sich das gut überlegt? Sind sie sich sicher, dass es so ist? Das würde zwar mein Unbehagen gegenüber dem Gorki erklären, wäre aber ebenso auch sehr traurig.
Und lieber Zuschauer, ich finde es ja wirklich sehr unschön immer gleich zum äußersten Mittel greifen zu wollen und die Nicht-Verlängerung der Intendantin zu fordern. Stattdessen könnten sie einmal formulieren, wohin sich denn das Gorki mit Frau Langhoff entwickeln sollte, ihrer Meinung nach?
Othello, das ist ein eifersüchtiges Arschloch an der Rampe, der mit einem Taschentuch redet, und den Rest der Welt schuldig spricht, weil er die Liebe seines Lebens getötet hat. Ein Erfolgskanake im Laufrad weißer Militärhochschulen. Einer, der sich seiner eigenen Boshaftigkeit durch Selbstmord entzieht und gerne Frauenleichen küsst. Den rettet keine Hautfarbe. Der hört auch noch die Welt ihre Runden drehen, im Gleichmaß der Kränkung, wenn er vom Staat gebauchpinselt wird. Der dritte Clown im schwarzen Frühling Europas, der sich selbst nicht traut nur Mensch zu sein. Wäre er sich als Gespenst erspart geblieben, wenn er nicht das Talent zu Morden an sich geschult hätte. Was will er noch von sich. Er schnorrt das Blut der anderen, um in den Himmel zu kommen. Worauf wartet er. Nimm ein Stück Eisen und stecke es in das nächste Stück weißes Fleisch und halte dich daran fest, solange die Welt sich noch um dich dreht. Aber brich dir nicht das Genick beim Sturz von der Rampe, weil der Himmel über dir leer ist. Kein Halt. Du bist nicht besser als all die anderen da unten. Wer dich kennt, kann nicht dein Freund sein. Egal ob schwarz oder weiß. Wenn du sie nicht kriegst, soll sie kein anderer haben. Du liegst im Arm mit dir selbst und zwischen dir wächst eine Wand. Die ist ein Gefängnis, an das du kein Feuer legst. Stopf dein kaltes Herz zurück in deine Brust Othello. Dort schlägt es nur für dich allein. Und nun stich, stich dich selber tot, du Hure deines eigenen Erfolges. Sei der schlechte Mensch, der dich von Anbeginn gedacht hat. Spiel den Handlanger derer, die du nicht durchschaut hast. Wann gehst du endlich zurück auf die Bühne und sprichst mit dir selbst: Ich bin ein Arschloch, stehe an der Rampe und rede BLABLA. Im Rücken das Konzept, welches mich zertrümmert hat. Ich bin nicht menschlicher als all die anderen da unten. Ich bin nicht einmal anders. Nur schlecht darin ein Mörder zu sein. Ich fürchte meine Strafe. Sie trifft mich, seltsam unvorbereitet, da mein Ich sich selbst für besser hielt. Heute stehe ich im Schnee, vor mir die weiße Haut, nackt, wie sie mir im Angstschweiß meinen pulsierenden, schwarzen Migrantenschwanz lutscht, und friert, bis ich sie töte. Und rufe dabei: Tarentino, Tarentino! You are my white Nigga called Dino!
Ausserdem verstehe ich nicht, was martin baucks hier für ein Problem hat. Das, was er schreibt, klingt so egoistisch, gehässig, verbissen und verbohrt. Hey, ich meine, was zieht der denn eigentlich so zu Fasching an? Und malt der sich dann etwa auch noch was ins Gesicht? Zum Beispiel, wenn er als Frau gehen will? Äh, Moment, war das jetzt gerade klischeehaft gedacht? Hihi.
aber diese Form von Zensur ist doch gute alte Nachtkritik Tradition. Die Lenkung der Meinungs- und Argumentationsbildung treibt tatsächlich seltsame Blüten. Wer weiß wem man sich hier verpflichtet fühlt.
Sehe das so wie Sie.
(Chère encore, Näheres zur Tradition unserer Kommentarpolitik entnehmen Sie doch bitte unserem diesbezüglichen Kodex im Impressum. http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=12&Itemid=102
Freundliche Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt)
Kein Deal. Ich bin weder Literaturwissenschaftler noch Theaterexperte. Es geht auch hier um den Gorki Othello und nicht um Ihren. Ich lese darin nur zwischen jeder Zeile einen Seitenhieb gegen die ( ich wiederhole mich wohl) von Ihnen nicht gesehene Inszenierung. Schlimmer noch: Sie versuchen durch derben Humor irgendwas zu provozieren, von dem ich Sie frage : WAS GENAU? Woraus besteht Ihre Angst bezüglich des Gorki? Ich habe einige Abende sehen dürfen an diesem Haus und sehe eine ganze Palette von Themen, die sonst von vielen anderen ( in Berlin) aussen vor gelassen wurden. Und das durchaus mit Brechungen und Selbstironie. Sie sind dran!
Aber außerhalb dieser Zugehörigkeit wächst ein echtes Problem, an das auch dieser Othello offensichtlich nicht heranreicht, und deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass ich diese Veranstaltung nicht besuchen werde, weil ich nicht zum achten Mal von einem Besuch des Gorki enttäuscht werden möchte. Ich bin eben nicht glücklich, wenn ich meine schon vorhandenen Haltungen bestätigt sehe, und um mich herum die Zugehörigkeitstruppe sich wie Bolle amüsiert. Das ist der Moment, in dem ich garantiert traurig werde, weil ich schmerzhaft spüre, wie der wahre Konflikt in dem Augenblick reingewaschen wird. Ich höre das Vakuum der Blase innerhalb derer applaudiert wird, und aus der Ferne tönen die Rufe aus dem Wedding zu mir herüber, leise, aber vernehmlich. Dann fühle ich mich sehr unbehaglich und ziehe mich zurück.
Sagen Sie, stellen Sie diese Ansprüche auch an andere Theater oder soll es da "nur" um die Kunst gehen? Sie messen definitiv mit zweierlei Maß. Gesellschaftliche Probleme, an die eine Theaterfigur einer Inszenierung nicht heranreicht? Sagen Sie wie das gehen soll und welches Theater DAS ein einziges Mal geschafft hätte. Und ausgerechnet das Gorki kriegt das von Ihnen zu hören?? Absurd!
Desdemona als Transfrau
hemmungslose Tunteritis
dargestellter Männersex
eine extravagante Kostümorgie (Vivienne Westwood hätte ihre Freude gehabt)
überirdische Schauspielerei von einem Genie wie Thomas Wodianka
ähnlich talentbelastetes Bühnenbild
und einfach mal die Lust am Spielen
nein, so viel Egozentrik darf man heute einem Zuschauer nicht mehr
zumuten
von mir aber nochmal ein herzliches Bravo an das Team!
(Lieber Stefan b, die Kritik ist nachgetragen. Grüße aus der Redaktionsstube: wb)
Aber wissen sie wirklich, warum ihr Nachbar seufzte, nein, sie setzen einfach eine Fußnote ihrer eigenen Erwartung ab. Das wussten sie schon vorher, das es solche geben wird. Und sie wussten auch schon vorab, was die Härte für solche Menschen ist: Desdemona als Transfrau, hemmungslose Tunteritis, dargestellter Männersex. Sie machen sich glauben, dies seien die Gründe. Das glaubt ihnen auch jeder Kleinbürger sofort. Ist doch klar, bei solchen Signalen.
Und wenn es nicht so wäre? Wenn der Nachbar nun seufzte, weil er die gewollten Signalwirkungen alle schon seit gefühlten hundert Jahren kennt und nicht mehr in der Form sehen mag, weil das mechanische für und gegen zweier Welten ihn langweilt? Weil er ahnt, wo das endet? Es sogar längst weiß und angeödet ist, von soviel sportiven Ehrgeiz dem Spießer den Stachel zu geben?
Vielleicht kennt er all diese Rituale schon und weiß, wie wenig förderlich sie sind. - Und ja, das Gorki hat tolle Schauspieler, aber das alleine ist eben noch nicht alles. Handel mit politischen Themen ist eben noch nicht politisches Handeln. Und das gibt das Gorki ja vor, wenn ich mich nicht irre.
Und halten sie eine solche Kritik doch bitte nicht für simples Bashing. Eudi sprach es ja schon indirekt an, dass dieser Maßstab des Politischen wohl nur an das Gorki gelegt wird, und alle anderen nicht-postmigrantischen Theater dürfen weiter hin nur „Kunst“ machen. So ist es eben nicht. Diesen Maßstab legt das Gorki auch an sich selber an und man würde sich manchmal wünschen, sie würden „nur“ Kunst machen, denn darum ging es doch anfänglich auch, sich als postmigrantische Darsteller zu emanzipieren, zu zeigen, dass man genauso gut „deutsche, weiße“ Rollen spielen kann und alles was sonst nur „biodeutschen“ Darstellern zufiel. Es war eigentlich nicht zwingend Programm, seine eigene Herkunft zum ständigen Programm zu machen. Vielleicht kommen die Seufzer auch aus dieser Ecke, dass es plötzlich nur noch eine Sicht der Dinge geben soll und die hat vage etwas zu tun mit dem was sie Tunteritis nennen. Was ist das überhaupt? Können sie das mal genauer definieren. Klingt eigentlich nach echtem Bashing. - Wie dem auch sei, nur in der Polarisation kann das Glück des Theaters auch nicht liegen.
Der komische Höhepunkt ist eine wunderbar bissige Pegida-Parodie von Till Wonka, der sich als Rodrigo durch den Abend sächselt und keinen Hehl aus seiner Fremdenfeindlichkeit macht.
Schauspielerisch ragt vor allem wieder mal Thomas Wodianka heraus, der den Jago als von Neid zerfressenen Intriganten gibt. Sein Auftritt mit weit aufgerissenen Augen erinnert an die Tiraden von Klaus Kinski (siehe Nachtkritik.de), die SZ erlebte ihn wie „Gustaf Gründgens auf Speed“.
Ein typisches Gorki-Stilmittel ist es auch, dass Schauspieler plötzlich aus der Rolle heraustreten und ihre eigene Situation reflektieren. Oscar Olivo, als Gast aus Hannover ein vielversprechendes, neues Gesicht für das Berliner Publikum, spielt den Cassio als Schwulen: mit viel Spielfreude tobt er über die Bühne. Auch wenn manche Kritiken ihm vorwarfen, dass er Klischees zu sehr auf die Spitze treibt, gelingt es ihm, die Balance zu wahren. Er tritt aus seiner Rolle heraus und spricht über seine Homosexualität, seine Migrations-Erfahrungen und das Ankommen in der Fremde.
Diese „Othello“-Inszenierung ist aber auch ein echter Gorki-Abend im schlechten Sinn. Die Lust an der Travestie und die komische Überzeichnung der Charaktere sind dem Stammpublikum vertraut. Diesmal überschreitet der Abend aber mehrfach die Grenze zum Klamauk. Aram Tafreshian muss seinen Fummel bei einer Kuss-Szene mit Othello ausziehen und darf sonst nur mit den Wimpern klimpern. Auch Falilou Seck hat als Emilia eine undankbare Nebenrolle erwischt.
Das Gorki polarisierte mit diesem „Othello“ sein Publikum: einige verließen das Theater kopfschüttelnd schon zur Pause, andere kicherten dankbar über jeden Gag. Zwischen all den angerissenen Motiven und lustigen Einlagen kam die erwartete Auseinandersetzung mit dem Rassismus etwas zu kurz. Einen großen Monolog zu diesem Thema darf immerhin die Hauptfigur Othello sprechen: in der Gorki-Textfassung von Voima klagt er über die Klischees besonderer „Animaliät“, die Männern aus fremden Kulturen zugeschrieben wird. Bei ihnen komme die „finsterste Natur“ noch ganz unmittelbar zum Ausbruch, das mache sie zu so tollen Liebhabern.
Kompletter Text: http://kulturblog.e-politik.de/archives/27920-othello-gork-style-pegida-parodie-in-commedia-dellarte-travestie.html
So weit so klar und zwingend. Nur leider funktioniert der Abend als Theater überhaupt nicht.
Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2016/03/01/wenn-othello-stolpert/#more-5208
Welche Ungerechtigkeit schwillt hier dieser lustvollen, komplett durchdachten und konsequent zuende erzählten, mutigen Inszenierung entgegen?
Ich empfehle allen die scharfe Kritikerbrille im Theater mal wieder abzusetzen und einfach auf sich wirken zu lassen, was da alles Wunderbares auf der Bühne geschieht:
großartige Unterhaltung, reich an allem was das Theater für alle Sinne zu bieten hat.
Ich war heute einmal wieder dankbar für die Frische und Lebendigkeit, die Theater offensichtlich doch noch versprühen kann und verneige mich vor allen , die an diesem großartigen Abend teilhatten.
Meiner Meinung nach der Fest der Kunst. Herzlichen Dank!