Von Kokosnuss zu Coca-Cola

von Johannes Siegmund

Wien, 25. Februar 2016. "Haben wir denn eine Verpflichtung die grenzenlosen Torheiten unserer Ahnen in alle Ewigkeit zu wiederholen?", fragt sich der Lebensreformer August Engelhardt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Nudist und Frutarier steigt aus und gründet auf einer Pazifikinsel einen Kokosnusskult. Ab jetzt ernährt er sich nur noch von Kokosnüssen, denn die Kokosnuss muss eine göttliche Frucht sein, ähnelt sie doch dem menschlichen Kopf und wächst so nah an der Sonne. Die Theateradaption von Christian Krachts Roman "Imperium" am Schauspielhaus Wien fasst das Scheitern von Engelhardts Utopie in eine postdramatische Form. 

"Imperium" schlug 2012 ein wie eine Bombe – es hagelte Lobeshymnen und Verrisse gleichermaßen. Noch dazu provozierte der Roman einen handfesten Skandal, als der Spiegel in ihm die Einfallstür für rechtes Gedankengut sah und Kracht eine rassistische Weltsicht attestierte. Streitpunkt war vor allem Krachts süffisantes Erzählen von den Gräueln der Kolonialzeit und dem erstarkenden Faschismus und Antisemitismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Allwissend plaudert Krachts Erzähler von den Schrecken der Moderne, positioniert sich aber nicht klar und verbirgt sich hinter ironischen Masken.

Christian Kracht auf Kaffeefahrt?

Krachts Roman für die Bühne zu adaptieren ist ein Kraftakt. Nicht nur, dass es kaum wörtliche Rede gibt, zudem ist der Erzählstil kaum ins Theater zu übertragen. Zu Beginn wird darum viel Text rezitiert, nur zwischendurch werden kleine Szenen improvisiert. Aus den Improvisationen ergeben sich aktuelle Bezüge. Plattheit ist das Mittel der Wahl, um Krachts ironischen Gestus und seinen Dschungel aus Verweisen zu fassen. Um den Text plastischer, erfahrbarer werden zu lassen werden Illustrationen gezeigt und Geräusche eingespielt. Die Metaebenen, die den Text umschwirren, werden vom Musiker Jacob Suske erklärt: Wie Engelhardt war auch Hitler Vegetarier und verkappter Künstler, und auch Thomas Mann, der den Nudisten Engelhardt letztlich anzeigt, tut dies nur, da er seine eigene Homosexualität verdrängt.

Imperium1 560 matthias heschl uNudistische Kokovoristen in Wien © Schauspielhaus Wien 

Krachts Ton wird auch gefasst, indem die Theaterformen aufgelöst werden. Die Schauspieler verlassen immer wieder ihre Rollen, kommentieren sich gegenseitig, spotten übereinander. Währenddessen wird der Bühnenraum mehr und mehr zu einer Probebühne, die vierte Wand wird im Stemann-Stil bearbeitet. Einige Zuschauer*innen werden auf die Bühne gebeten, eine Kaffeefahrtatmosphäre heraufbeschworen, und Simon Bauer engagiert sich als Marktschreier. Das Publikum lässt er Kokosstücke essen und Kokoslikör trinken. Dazu wird die Geschichte von Engelhardts kurzem medialen Ruhm erzählt. Seine Zeitungsartikel führten tatsächlich einige Jünger zu ihm in die deutsche Pazifikkolonie. Doch Engelhardts Kokosnussbegeisterung ist da schon in Krankheit und Wahnsinn umgeschlagen, und er schickt die Neuankömmlinge weg.

Die Dialektik der Aufklärung

Sebastian Schindegger gibt den Protagonisten zunächst verklemmt, mit langen Haaren und weich getrimmtem Hipsterbart. Sein Engelhardt bietet kein Identifikationspotential und irrt hilflos und verklärt über die Bühne. Im Laufe des Abends dreht er dann völlig durch. Aus dem Kokosnusswahn wird Kannibalismus, schließlich schneidet er sich die Daumen und isst sie genüsslich. Aus dem Idealisten wird ein wildes Tier, und aus dem Schauspiel wird mehr und mehr performative Aktion. Schindegger post vor Bildern von Engelhardt und beschmiert sich mit Honig und Nutella.

Imperium2 560 matthias heschl uWas erwartet den Menschen hinter dem Licht? Coca-Cola und Hollywood?
© Schauspielhaus Wien

Parallel zum sich Auflösen der Theaterformen verschwinden langsam aber sicher auch aufklärerische Ideale, und es zeigt sich, was unter dem Deckmantel der Zivilisation lauert: Fanatismus, Antisemitismus, Rassismus und Grausamkeit. Die Dialektik der Aufklärung wird einmal durchgespielt. Engelhardt landet schließlich nach zwei Weltkriegen in den Armen der Amerikaner, die dem Einsiedler zuerst eine Cola und einen Hotdog andrehen, um schließlich aus seiner Geschichte einen Hollywoodfilm zu machen. Das kolonialistische Imperium wurde vom kapitalistischen verdrängt, Engelhardts Kokosnuss durch Fast-Food ersetzt, und aus den hehren Idealen wurde Filmmaterial für die Kulturindustrie.

Auf Engelhardts Frage "Haben wir denn eine Verpflichtung, die grenzenlosen Torheiten unserer Ahnen in alle Ewigkeit zu wiederholen?", finden Roman und Inszenierung eine einfache Antwort: Ja, in immer neuen Variationen.

 

Imperium
nach dem Roman von Christian Kracht
Regie: Jan-Christoph Gockel, Musik: Jakob Suske, Dramaturgie: Tobias Schuster, Illustrationen: Giovanna Bolliger, Bühne und Kostüm: Julia Kurzweg.
Mit: Simon Bauer, Steffen Link, Sebastian Schindegger, Jacob Suske und Oliver Mathias Kratochwill.
Dauer: Zwei Stunden keine Pause

www.schauspielhaus.at

 

Kritikenrundschau

Michael Wurmitzer sah für den Standard (26.2.2016) "zwei soghafte Stunden". Dabei hätte vieles schief gehen können: "Die Ernsthaftigkeit der Ironie hätte ins Lächerliche abrutschen können, der Nudismus zur Peinlichkeit geraten, der Exzess zu bloßer Provokation. Nichts davon geschieht." "Chaotisch, dramatisch, melancholisch, sensibel" – Wurmitzer ist begeistert. "Das Schauspielhaus hat mit der österreichischen Erstaufführung manches riskiert und alles gewonnen."

"Ein gleichermaßen visuelles wie olfaktorisches Erlebnis.", schreibt Florian Bock für den ORF (26.2.2016). Allerdings erkläre Gockels Inszenierung ""nuancierte Anspielungen in Schlüsselszenen (..) in aller Deutlichkeit." So wird Krachts Text "von sämtlicher Unschärfe befreit: Gerade dieser Tage dürfte es Gockel offensichtlich ein Anliegen gewesen sein, keinen Raum für Missverständnisse zu lassen."

Christina Böck sah für die Wiener Zeitung (26.2.2016) einen "kurzweiligen" Ritt, bei dem sich das Ensemble "sich mit Lust in den Kokosstreuseln der Groteske, die diese historische Miniatur bereithält" suhlte. "Manchmal werden Ernährungsspinnereien der Gegenwart eingebröselt, einmal wird die Kokosnuss - und mit ihr Teile des Publikums - auch Hauptdarstellerin einer QVC-artigen Verkaufsshow, immer aber findet die Inszenierung mühelos zurück in die Spur."

 

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