Die Diva und ihre Fans

von Michael Wolf

29. Februar 2016. Eine gute Hauptdarstellerin zieht Publikum. Da kann man schonmal auf sechs Millionen Zuschauer kommen, so wie gestern abend Anne Will dank der Promi-Performance von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Komische Sicht auf eine Talkshow? Die heute erschienenen Berichte legen eine solche Perspektive nahe, denn es scheint fast so, als verdienten sich die Medienjournalisten dieses Landes montags als Theaterkritiker was dazu. 

Der Westen berichtet, die Kanzlerin habe mit ihrem "Solo-Auftritt" die "große TV-Bühne" gesucht – "die Publikumsränge waren bestens besetzt". Der Focus beginnt seinen Bericht szenisch: "Die Kanzlerin, die einst den Satz gesagt hat, sie wolle Deutschland dienen, zeigt Nationalfarben. Schwarze Hose, roter Blazer mit goldenem Kragen" (Kostüm: Ludwig von Lützow). Zu Beginn wirke sie noch müde, lehne tief im Stuhl. "Das Publikum reagiert verhalten. 'Sie können ruhig klatschen', ermuntert Frau Will ihre Gäste." Später dann Szenenapplaus. Zurecht wie NTV findet: "Merkel ist so leidenschaftlich, wie sie sonst selten auftritt." Spiegel Online hält es für "interessant, wie elegant und leicht süffisant sie Sigmar Gabriels Vorstoß für ein Sozialprojekt zugunsten der einheimischen Bevölkerung parierte". Ihr Auftritt habe "etwas Rauschhaftes" gehabt.

Angela Merkels neuer Text

Auch die FAZ findet lobende Worte. Merkel präsentiere sich "hochkonzentriert und engagiert" als "unverzagte Politikerin, die unermüdlich an der eigentlichen Mission ihrer Kanzlerschaft arbeitet: der Rettung der europäischen Idee" – und lässt nicht unerwähnt, dass die Bundeskanzlerin eigenständig ihren Text bzw. ihr "sprichwörtlich gewordenes Mantra" erweitert habe: "'Ich schaffe das, wenn ihr nur fest genug an mich glaubt.'"

merkel560 screenshotMerkel bei Will © Screenshot

Haben wir es hier nicht auf geradezu entlarvende Art und Weise mit dem urtheatralischen Thema zu tun: mit der Behauptung, dem So-tun-als-ob, das auf der Bühne eine eigene Wirklichkeit erfährt – oder eben gerade nicht? Aber macht es denn keinen Unterschied mehr, ob sich die mächtigste Frau des Landes als etwas präsentiert oder ob sie wirklich so ist – ob sie sich für etwas einsetzt, oder eben nur sehr überzeugend so tut?

Kapitulation vor der Inszenierung

Entschuldigen Sie diese Spitzfindigkeit, aber ein "Geschmackerl" hat die Sache, um es im Duktus von Merkels größtem Widersacher Seehofer zu sagen. Nur ist schwer zu sagen, wem ein Vorwurf zu machen ist: der Diva, die sich so rar macht, dass einer ihrer seltenen Auftritte in solcher Form für Gesprächsstoff sorgt, oder doch uns Beobachtern, die wir uns der Inszenierung des Politischen so weit ergeben haben, dass wir offenbar gar nicht mehr merken, welches Vokabular wir verwenden und wie wir politische Prozesse und Politiker beobachten.

Aber sei's drum, war ja ein schöner Abend. "Mann, war die gut bei Anne Will!" zeigte sich sogar (Kollege?) Til Schweiger auf Facebook beeindruckt von der Performance der Kanzlerin.