Nachtstück - Regisseurin Barbara Frey und Komponist Fritz Hauser zeigen in Zürich stumme Grossstadtszenen
Im Mosh Pit der Melancholiker
von Christoph Fellmann
Zürich, 4. März 2016. Einmal, ein einziges Mal kommt es, dass sich die vier Damen und die vier Herren des Abends ganz eng zueinander stellen, und dann hüpfeln und ruckeln sie gemeinsam wie der traurigste Mosh Pit, den die Welt gesehen hat. Und das ist dann auch der Moment, da der sonst so gestrenge Herr am Schlagwerk so etwas wie Swing antönt, oder wenigstens eine Idee davon, wie ein tanzbarer Rhythmus klingen könnte. Eine Erinnerung daran, dass es einmal möglich war, aus seiner Haut wenn nicht gleich zu fahren, so doch heraus zu strampeln.
Sonst sind die Damen und Herren allein, oder sie kommen zu zweit zusammen oder auch nicht zu dritt. Die Damen stecken in fast farbigen Kostümen, die Herren in unterschiedlich blassen Anzügen. Es sind ungefähre Figuren in einem Stück ganz ohne Text, nur mit einer Tonspur, die der Perkussionist Fritz Hauser in asketischer Disziplin live einspielt. Der Basler Komponist und Musiker ist eingelassen in eine Klause hinter Gaze, über ihm ein ebenso entrücktes Schlafzimmer, das aus nichts besteht als aus einem Bett und einer Flucht. Sonst steht die Boxbühne im Zürcher Schiffbau leer und kahl, nur noch eine Straßenlampe beleuchtet am rechten Bühnenrand eine Sitzbank.
Swing aus der Spieluhr
Fritz Hauser hat mit Architekten gearbeitet, mit Schriftstellern und Tänzern. In Zürich hat er nun dieses "Nachtstück" für ein achtköpfiges Schauspielensemble komponiert, und wie schon an seinem Abend über Edgar Allen Poe (2010) an gleicher Stelle führt auch diesmal die lokale Intendantin Barbara Frey selbst die Regie. Die Musik, die Hauser an Pauken, Cymbals, Gongs, Glockenspielen und elektronisch verfremdenden Tools in Gang setzt, ist streng reduziert und frei von fast allem, was man mit Rock oder Jazz in Verbindung bringen würde.
Er setzt einen Puls, bricht ihn gelegentlich mit harschen, aber alles andere als freien Attacken, und gönnt sich darüber hinaus gerade mal ein Leitmotiv wie aus der Spieluhr. Nacht, Schlaf, Traum, die Figuren erwachen, wenn auch zunächst nur zu Standbildern. Barbara Frey hat die Bilder des Abends aus einem Gemälde von Edward Hopper entwickelt, nämlich aus "Hotel Room" (1931), auf dem eine nicht ganz nackte Frau auf einem Bett sitzt, einen Brief oder Zettel in der Hand. Also sehen wir zwischen kurzen Blacks: eine Frau auf einem Bett, einen Mann auf der Sitzbank, eine Frau auf der Straße oder einen Mann im Zimmer.
Fahle Räume
Und man muss schon sagen, das ist sehr schön. Auch dank den fahl leuchtenden Lichträumen, die Rainer Küng in dichter Kadenz aufzieht, gelingt es Frey, diese seltsam unbestimmte Tiefenschärfe auf die Bühne zu holen, wie sie die Bilder von Edward Hopper auszeichnet. Was man kriegt, ist immer wieder einen einzigen Blick auf einen einzigen Menschen – aber nicht mehr. Eine Antwort gibt es weder auf die Frage, wie die beklemmende Einsamkeit in dieses Bild gekommen ist, noch darauf, was sie mit einem selbst zu tun haben könnte.
Allerdings implodiert der Bilderreigen augenblicklich, als die Tableaus zu leben und die Schauspieler sich zu bewegen beginnen. Das ist eigenartig, denn die kurzen Spielszenen, die Barbara Frey nun arrangiert, sind weiterhin genaustens gearbeitet und getimt, und das Ensemble absolviert sie mit beeindruckender Disziplin. Doch was eben noch offen blieb, wird jetzt lesbar und damit schnell einmal banal. Frau trifft Mann. Mann lockt Frau. Mann lockt Mann. Mann verprügelt Mann. Gruppe eilt vorbei. Frau umarmt Mann. Innig. Und was eben noch wie magisches Bildertheater aussah, wickelt sich nun als kunstgewerbliches Savoir-faire ab. Als ein weiterer Abend in großstädtischer Luxusmelancholie.
One Minute Sculptures
Und so geht es dann über siebzig Minuten. Man glaubt noch die Etüden zu sehen, welche die einzelnen Szenen hervorgebracht haben, und wo sich Regie und Schauspieler nun mit Komik und Slapstick behelfen, um über die Runden zu kommen, erinnert das Ergebnis bald nicht mehr an die Malerei von Edward Hopper, sondern schon eher an die skurrilen, aber halt auch flüchtigen One Minute Sculptures von Erwin Wurm. Das macht immer wieder Spaß, und fast hätten sie ja getanzt. Das lenkt aber auch nicht davon ab, dass diese stummen Menschen im Grunde genommen doch nichts zu erzählen haben.
Nachtstück
von Barbara Frey und Fritz Hauser
Regie: Barbara Frey, Musik: Fritz Hauser, Bühne und Kostüme: Bettina Meyer, Licht: Rainer Küng, Dramaturgie: Andreas Karlaganis.
Mit: Hans Kremer, Chantal Le Moign, Dagna Litzenberger Vinet, Michael Maertens, Lisa-Katrina Mayer, Markus Scheumann, Friederike Wagner, Milian Zerzawy.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.schauspielhaus.ch
Kritikenrundschau
Barbara Villiger Heilig fragt in der Neuen Zürcher Zeitung (6.3.2016): "Wie soll man das nennen? Konzert mit Schauspielern, Ausstellungsparcours mit Soundtrack, Klanginstallation mit Bildergeschichten ..." Jedenfalls ein "extravaganter Abend", bestechend durch "visuelle und akustische Ästhetik", fast sei hier zu viel "guter Geschmacks" vorhanden. Auf dem "pulsierenden Fluidum", das der "Ton-Alchimist" im Untergrund schaffe, glitten die "wachträumenden Stimmungen" einher, mit denen das "Nachtstück" kokettiere. Das "Komische" und das "Verzweifelte" ergänzten sich in "vertraut-befremdlichen Visionen", nur "echte Beklemmung" komme nie auf. Es handele sich um "Stilübungen mit Variationen: einwandfrei und unverfänglich". Fragen würden so keine aufgeworfen, allenfalls die nach dem "Sinn der wunderhübschen Sache".
Egbert Tholl schreibt in der Süddeutschen Zeitung (8.3.2016), Barbara Frey feiere die Nacht, das Unbewusste, Untergründige und lege in den besten Momenten menschliche Abgründe frei. "Frey schafft, mit Hilfe der präzisen Bühnenbildnerin Bettina Meyer und des fabelhaften Lichtmachers Rainer Küng, Hunderte Bilder, die auftauchen und wieder im Dunkel verschwinden und fast immer einen Abdruck hinterlassen, auf der Seele, in der Fantasie."
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Sie leistet sich einen teuren Kunstabend mit top Schauspielern, wie Michael Maertens, aber während des ganzen Kampfes um die Durchsetzungsinitative; nichts, pustekuchen, stumm!
Beschämend.
Eine Einladung zum Theatertreffen, ja, wow, da hat man dann ja scheinbar alles richtig gemacht und und die hochglanz Anpassungskunst kann am Pfauen weitergehen.
In letzter Zeit wurden vor den Vorstellungen im Pfauen, von jeweils einem Schauspieler, ein Flüchtlingsschicksal vorgestellt.
Aber mit der vorauseilenden Unterwerfungsbemerkung versehen, man wolle sich ja nicht ins politische einmischen, sondern nur von Menschen erzählen, das sei ja die Aufgabe des Theaters. Bitte?
In das Politische, wie die Frage nach unserem Zusammenleben in der Schweiz und unserem Verhältnis zu den Schwachen und Anderen, und schliesslich zur Welt, da soll sich das Theater nicht einmischen, sondern von "Menschen" erzählen????
Man ist Sprachlos ob soviel Mutlosigkeit.