Die Opfer der Medienschlachten

von Elisabeth Maier

Konstanz, 5. März 2016. Vor der Kamera zittert Judith, die den Feldherrn Holofernes töten und so ihr Volk retten will. Ein Reporter zerrt die sensible Frau in die Medienwelt. Er zwingt sie, innerste Gefühle zu offenbaren. Ein bisschen Emotionalität im Scheinwerferlicht sei normal, säuselt der Medienmann. Er ist bei Regisseur Thokozani Kapiri Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Er inszeniert Bilder, verkörpert in seinem Studio selbst etliche Rollen vom gescheiterten Liebhaber Ephraim bis zum Krieger. So stellt Kapiri, der Theatermann aus Malawi, der dort künstlerischer Leiter des Nanzikambe Arts Center ist, aus Hebbels Tragödie eine hoch aktuelle Studie über die Medialität von Krieg und Terror her.

Frischer Blick auf das Drama der biblischen Märtyrerin

Der frische Blick auf das schwerblütige Drama der biblischen Märtyrerin ist ebenso mutig wie verwegen. Nachdem Altmeister Frank Castorf den antiquierten Stoff aus den Apokryphen des Alten Testaments jüngst an der Berliner Volksbühne radikal zertrümmert hat, zeigt Kapiri mit seiner Interpretation, dass man den Text auch ohne die totale Zerstörung neu lesen und entdecken kann. Auch wenn die schreckliche Zerrissenheit der Figuren, die Hebbel in einer verletzbaren Sprachkunst zum Ausdruck bringt, in seiner Reduktion ein wenig untergeht.

Judith2 560 Bjoern Jansen uIn Zeiten des Terrors: Thomas Fritz Jung als Holofernes und Alina Vimbai Strähler als Judith
© Björn Jansen

Dschungelgrüne Kisten mit Panzerfäusten und Splittergranaten verstellen den Blick auf das TV-Studio, in dem der Reporter (Axel Julius Fündeling) seine mediale Performance entfacht. Viktoria Salzbrunn hat in der kleinen Werkstattbühne einen Raum geschaffen, in dem die Leinwand alles dominiert. Mit einer tragbaren Kamera zeichnet der Medienmann jede Geste, jedes verräterische Zucken der Mundwinkel auf. Hektisch fegt er über die Bühne. Dem kann sich das Publikum kaum entziehen.

Dass Kapiri Hebbels opulente Besetzungsliste auf drei Personen eindampft, mag Philologen Schweiß auf die Stirn treiben. Der Dynamik des Abends tut das keinen Abbruch. Denn der malawische Regisseur, der zurzeit in Zürich an der Hochschule der Künste seinen Master abschließt, hat mit dem Dramaturgen Adrian Herrmann eine Textfassung entwickelt, die Hebbels Erstling gerecht wird. Auch ohne die klassischen fünf Akte bringt die Konstanzer "Judith" die Verzweiflung der Frau auf den Punkt. Und das ziemlich schnörkellos.

Welt ohne Mütter

Den weiten Weg von der Opferrolle zur Kämpferin, die am Ende mit blutigen Händen auf dem roten Ledersofa sitzt, zeichnet die junge Alina Vimbai Strähler sehr überzeugend nach. Bis zu den tiefsten Gefühlen dringt sie gleichwohl nicht durch. Wenn sie in die Kamera schaut und ihrer Angst freien Lauf lässt, werden Bilder von Flüchtlingsfrauen und Vergewaltigungsopfern wach.

Zu flapsig legt Thomas Fritz Jung seine Rolle als Holofernes an, der über ein plattes Zetern über seine Welt ohne Mütter und derbes Macho-Gehabe nicht hinauskommt. Wunderschöne Liebesszenen gelingen den beiden jedoch am Ende zwischen Sandsäcken in der belagerten Stadt Bethulien, bis Judith dem Feldherrn im Rausch der Leidenschaft den Kopf abschlägt. Ihr letzter Satz "Bete zu Gott, dass mein Schoß unfruchtbar sei", trifft ins Herz.

Kapiri, der in Konstanz schon im Projekt Maschinerie Hilfe mit Regisseur Clemens Bechtel gearbeitet hat, liest Hebbels schwieriges Stück vor dem Hintergrund des Fundamentalismus und IS-Terrorismus neu. Biblische Bilder und Symbole, die den Zugang erschweren, übersetzt der junge Malawier in Medienbilder, die das Geschehen ganz nah an heutige Erfahrungswelten holen. Oft bleibt er dabei an der Oberfläche. Wenn Holofernes mit einem Gewehr ins Publikum zielt, geht die Bilderwut mit dem Künstler durch. So verstellt er den Blick auf eine insgesamt überzeugende Fassung, die zeigt, was Extremismus mit den Menschen macht.

 

Judith
nach Friedrich Hebbel
Regie: Thokozani Kapiri, Bühne und Kostüme: Viktoria Salzbrunn, Dramaturgie: Adrian Herrmann.
Mit: Alina Vimbai Strähler, Thomas Fritz Jung, Axel Julius Fündeling.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.theaterkonstanz.de

 

Kritikenrundschau

Manfred Jahnke von der Deutschen Bühne (aufgerufen am 7.3.2016) ist voll des Lobs. Es gelinge der Regie von Thokazani Kapiri zu zeigen, wie sich das Entertainment der Show-Welt über die brutalen Handlungen legt, in der diese fast zum Verschwinden kommen. "(D)ie banale Sprache der Medienwelt wird hier konfrontiert mit dem hohen Pathos der Hebbel’schen, die in dieser Gegenüberstellung zum eigentlichen Medium der gedanklichen Auseinandersetzung wird und den Schein des Entertainments erst kenntlich macht." Jahnke hebt auch die stark gekürzte Fassung dafür, die nicht das Gefühl gebe, "dass etwas Wesentliches in der Geschichte unterschlagen wird".

 

 

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