Geist, entweiche!

von Christoph Fellmann

Zürich, 18. März 2016. "Geht ihr zu Köppel?", fragten die zwei Kiffer am Ufer des Zürichsees, als vielleicht 200 Menschen an ihnen vorbeizogen. Und vielleicht hätte man an dieser Stelle den Theaterskandal, der die Stadt seit zwei Tagen in, nun ja, Atem hielt, besser verlassen. Jedoch ging man pflichtbewusst weiter, begleitet von allerhand Kameras und sogar einer Drohne, um nach knapp einer Stunde den Stadtrand zu erreichen. Dort beginnt im Osten von Zürich nämlich Küsnacht, wo tatsächlich besagter Roger Köppel wohnt, rechtsnationaler Herausgeber der "Weltwoche" und Nationalrat der SVP. Es war ein ausgesprochen schöner Spaziergang, und noch wartete an seinem Ende ja die Aussicht auf das Theaterereignis dieses Frühlings. "Ja", war die folgerichtige Antwort.

Der kurze Marsch nach Küsnacht

Wann genau der lange Marsch vor das Wohnhaus von Roger Köppel begonnen hatte, ist im Rückblick schwer zu sagen. Begann er schon mit den früheren theatralen Aktionen gegen dessen rechte Rhetorik, im Prozess etwa, den Milo Rau gegen die "Weltwoche" führte, oder mit dem Aufruf "Tötet Roger Köppel" durch das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) von Philipp Ruch? Oder damit, dass in einem Programmfalter des Theaters Neumarkt die "Ausschaffung" des Politikers wiederum durch das ZPS angekündigt wurde? Damit, dass die Zürcher Medien vor zwei Tagen auf die Aktion aufmerksam wurden, die nun aber keine "Ausschaffung" mehr war, sondern eine "Verfluchung", im Zuge derer Köppel wahlweise mit Schizophrenie, Inkontinenz oder zwanghaftem Masturbieren belegt werden sollte? Damit, dass diese Medien die Aktion nun plangemäß geißelten, performative Fiktion großzügig mit realer Handlung verwechselnd?

Politische Schoenheit 280 Jessica WahlMit den Rußspuren des Straßenkampfs: Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit
© Jessica Wahl
Oder begann das Abenteuer doch erst richtig, als am Freitagabend nun besagte 200 Personen im Theater Neumarkt ihren Platz einnahmen, um zu sehen, wie aus dem verfluchten Roger Köppel der Geist von Julius Streicher exorziert werden sollte, des Eigentümers und Herausgebers des Nazi-Hetzblatts "Der Stürmer", der vom Schweizer Politstar angeblich Besitz ergriffen hatte? So oder so, jedenfalls erklärte der Theaterleiter Peter Kastenmüller die Performance nach fünf Minuten auf offener Bühne für "beendet", von "Verantwortung" redend und "Druck" meinend. Es ging dann noch ein bisschen um eine ominöse "rote Linie" und die "Grenzen des guten Geschmacks", bis sich das Publikum zur großen Mehrheit und mit Philipp Ruch trotzdem dafür entschied, nach Küsnacht aufzubrechen (wozu sich ihm auch Kastenmüller anschloss; man will sich so einen schönen Theaterskandal, für den man nicht verantwortlich ist, ja lieber nicht entgehen lassen).

Doch offenbar war die Rechtsberatung zum Schluss gekommen, dass die Privatsphäre von Roger Köppel schon unmittelbar hinter der Stadtgrenze tangiert sei. Plausibilität hin oder her, so wurde jedenfalls begründet, warum der Exorzismus nun hier, am Übergang zu Küsnacht, stattfinden sollte, auf dem Gehsteig zwischen Hauptstraße und Werbeplakaten ("Mega"). Und so endete, was gerne eine militante Polit-Prozession in der Tradition von Christoph Schlingensief gewesen wäre, als peinlichster Rohrkrepierer der jüngeren Zürcher Theatergeschichte. Zu sehen gab es, fünf Kilometer vom eigentlichen Ziel entfernt, die durchaus holperige Darstellung eines Exorzismus über weißem Tuch und schwarzem Kreuz. In keinem Moment war sie mehr als eine Abbildung des Ankündigungstextes, den man im Internet gelesen hatte. Dann war das erledigt, und bald kam die nächste S-Bahn in die Innenstadt.

Eine Studie über Fallhöhe

Dieser Abend war, wenn überhaupt etwas, dann eine Studie über Fallhöhe. Die radikal formulierte, von der Öffentlichkeit, der Politik und den Sponsoren brav hyperventilierte, nur von Roger Köppel recht souverän parierte Provokation, sie schrumpfte in der Realität zu einem performativen Pups. Nachdem steht das Zentrum für politische Schönheit, das Aktionen von erhabener Größe gezeigt hat (etwa: Die Toten kommen), wie ein Zentrum für spätgymnasialen Agitprop da. Linien wurden keine überschritten, und Roger Köppel wurde nicht als Nazi enttarnt – nicht zuletzt darum, weil er keiner ist. Das ist als Erkenntnis umso schaler, als die Schweiz vor der Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative gerade recht fundiert über die Frage diskutiert hat, ob dieser Vorstoß der SVP schon Nazivergleiche nahelegen sollte. Worauf man im Land zum Schluss kam, dass das nicht der Fall sei, und die Initiative und ihren Angriff auf den Rechtsstaat trotzdem klar abwehrte.

Was wir an diesem Abend allerdings gelernt haben: Es lohnt sich, Theaterhäusern mit gutem Geschmack zu kommen. Und Journalisten sind Journalisten und mögen immer noch Skandale. Aber sie haben jetzt Drohnen.

 

Schweiz entköppeln!
vom Zentrum für Politische Schönheit unter der Leitung von Philipp Ruch
Ein aktivistischer Spaziergang mit rund 200 Besuchern.
Dauer: 30 Minuten, keine Pause

www.politicalbeauty.dewww.theaterneumarkt.ch

 

Kritikenrundschau

"Was da mit Fotos von Julius Streicher und Roger Köppel, ein wenig Erde, einem Hamsterkäfig und einem schwarzen Kreuz zelebriert wurde, kam über die Harmlosigkeit eines Schülertheaters noch nicht mal im Ansatz hinaus", spottet Andreas Tobler vom Tagesanzeiger (19.3.2016). Für "unendlich dumm" hält er das ganze Vorhaben von Philipp Ruchs ZpS. Seine eigentliche Absichten, "eine kritische Aufmerksamkeit für die Publikationspraxis der 'Weltwoche' zu schaffen (die es eh schon gibt), spielen bei all dem keine Rolle, werden sogar verdeckt durch das ganze Brimborium, das der Sohn eines Schweizers und einer Deutschen veranstaltete". Ruch habe also nur erreicht, dass nun auch hier bei uns, also in der Schweiz, eine sehr große Öffentlichkeit seinen Namen kenne.

Ziemlich aufgebracht schreibt René Zeyer in der Schweiz am Sonntag (20.3.2016) über die "hirnlose Provokation" des "drittklassigen Schlingensief-Adepten": "Ist Kunst also, wenn man trotzdem lacht? Nein, Kunst kommt von können. Kunst darf alles, nur nicht hirnlos missbraucht werden."

Weitere Stimmen zur Aktion "Schweiz entköppeln" und zur anschließenden Kontroverse um das Theater Neumarkt in der Presseschau.

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