Im Geistesblitzkrieg

von Andreas Thamm

Bamberg, 18. März 2016. Da liegt er, der Prinz von Homburg, ein romantischer Held auf einem Matratzenlager. Um ihn herum: Lavalampen, Uschi-Obermaier-Poster, eine halbe Tischtennisplatte. Er träumt von Ruhm und seiner Liebe, der Prinzessin Natalie. Der Hofstaat, in voller preußischer Uniform, ist auch da. Die Offiziere erscheinen im Fenster wie die Puppen eines Kasperletheaters. Der Kurfürst lässt dem Prinzen einen Lorbeerkranz aufsetzen, Natalie verliert ihren Handschuh.

Die Risiken der Intuition

Kleists Geschichte des jungen Generals, Friedrich Prinz von Homburg, ist eine komplexe, wendungsreiche Auseinandersetzung mit der Dialektik von Freiheit und Gesetz. Der Prinz ist eine verwirrte, intuitive Seele. Es gelingt ihm nicht, sich absolut zu unterwerfen. In der preußisch-schwedischen Schlacht bei Fehrbellin veranlasst er, gegen die ausdrückliche Order des Kurfürsten, Friedrich Wilhelm, einen Ausfall seiner Truppen. Die Schlacht wird gewonnen, der Prinz wegen Befehlsverweigerung zum Tode verurteilt.

Soviel nur grob zur Ausgangssituation des Klassikers. Es ist ein Text, der selbst eine Geschichte hat. Kleist erlebt keine Aufführung mehr, später wird das Stück zensiert und verkürzt, im Dritten Reich dann zum Heldenepos verklärt. Auf dieser Rezeptionslinie eines Textes, der heute mehr ist, als er 1810 war, nämlich ein mit Zeitgeschichte angereichertes Stück, fußen die Inszenierungsentscheidungen von Robert Gerloff im E.T.A.-Hoffmann-Theater in Bamberg.

PrinzHomburg5 560 Martin Kaufhold uWie sieht denn dieses Offizierskasino aus? Stefan Hartmann, Iris Hochberger und Pina Kühr als preußischer Hofstaat nach Kleists "Prinz Friedrich von Homburg" © Martin Kaufhold

Da ist zuerst das Bühnenbild: die 68er-WG, in ihrer liebevollen Detailfülle. Gleichzeitig spielen die Schauspieler in den preußischen Uniformen. Das Geschehen wird immer wieder angetrieben von Musik, von einem elektronischen Knistersound zunächst, dann von Pink-Floyd-Fragmenten, später wird kollektiv "Die Wacht am Rhein" geschmettert. Ein Clash der Zeitebenen. Die Geschichte ist verankert und doch aus ihrem Kontext gelöst, die Verweisungen deuten in alle Richtungen. Umdeutungen gibt es auch: Der männliche Held ist überwunden, der Prinz wird von Katharina Rehn gespielt. Sie greift und erspielt sich die Figur und läuft gegen Schluss endgültig zu großer Form auf.

Mit Auftritten von Günter Grass und Helmut Schmidt

Gerloffs Herangehensweise offeriert dem Publikum die Möglichkeiten, ein klassisch angelegtes Drama aus dem frühen 19. Jahrhundert weiterzudenken. Während in der WG die Schlacht geplant wird, klingelt das Telefon. Der Nachbar, Herr Grass, beschwert sich wegen der Lautstärke. Ein Mann in Uniform der Waffen SS erscheint im Fenster. Zwar bewegen sich seine Lippen, zu hören bekommt das Publikum aber die Originaltonspur: Günter Grass erzählt vom Krieg. Mit Helmut Schmidt wird später ähnlich verfahren.

Sie sind alle, wie Kleist selbst, Teil einer größeren Erzählung. In der Bamberger Pop-Melange kommen sie zusammen. Die Grafen galoppieren mit Monty Pythons Kokosnüssen übers Schlachtfeld. Natalia singt "Ein bisschen Frieden". Eine Retro-Tagesschau verkündet die News vom Schlachtfeld. Stefan Hartmann, soeben noch als Graf Hohenzollern an der Seite des Prinzen, parodiert exzellent den typischen Gestus des Korrespondenten vor Ort.

Diese postmodernen Methoden, den Text als etwas Gemachtes zu überführen und ihn gleichzeitig weiterzuschreiben, stehen in der Tradition der romantischen Ironie. Vor der Pause finden sie einen Höhepunkt, als auf der Leinwand Marcel Reich-Ranicki erscheint, um das Stück zu kommentieren: "Das war natürlich eine Ungeheuerlichkeit, der Befehl, den er erteilt hat." So wird aus dem Kritiker ein kriegsberichterstattender Sportkommentator.

PrinzHomburg6 560 Martin Kaufhold uMit historisch geschultem Blick: Katharina Rehn als Prinz von Homburg zwischen Iris Hochberger und Pina Kühr © Martin Kaufhold

Nach der Pause schlägt die Inszenierung eine zusätzliche Volte. Einige Zuschauer haben sich leider schon verabschiedet. Stefan Hartmann ist nun in einen teufelsroten Bodysuit geschlüpft und nimmt die Schauspieler mit einem Mikrofon an einer Angel ab. Nachdem Natalia und der Fürst über das Schicksal des Prinzen diskutiert haben, erfolgt die Order des TV-Tontechnikers: "Eine Minute absolute Ruhe, nur Atmo." Das Stück reflektiert nicht nur sich selbst, sondern fingiert zudem den Blick hinter die Kulissen eines anderen Mediums. Aus der Zerschlagung der Illusion wird eine neue, die sogleich auf ihre Herstellbarkeit abgeklopft wird.

Zwischen sensationell und klamaukig

Ja, das ist alles ganz schön viel auf einmal. Robert Gerloff ist zum "Prinz von Homburg" offenbar etliches eingefallen. Allein was die Lichttechnik zum Stück beiträgt, ist fabelhaft. Und dass es den Schauspielern gelingt, trotz aller Ironie, in der Auseinandersetzung mit dem Tod, tatsächlich zu erschüttern, erstaunlich. Das Problem ist, natürlich, die schiere Masse. Zu viele Geistesblitze – manche sensationell, andere mittelmäßig, klamaukig – lenken von der stilistischen Klasse des Ursprungsmaterials ab. Bei allem Verweisungsreichtum hätte ein bisschen Ausmisten doch gut getan.

 

Prinz Friedrich von Homburg
von Heinrich von Kleist
Regie: Robert Gerloff, Bühne: Maximilian Lindner, Kostüme: Johanna Hlawica, Musik: Cornelius Borgolte, Dramaturgie: Olivier Garofalo.
Mit: Volker Ringe, Iris Hochberger, Pina Kühr, Eckhart Neuberg, Katharina Rehn, Katharina Brenner, Florian Walter, Stefan Hartmann, Ivo Seniuk.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.theater.bamberg.de

 


Kritikenrundschau

"Robert Gerloff deutet eine Linie an, die von der Schlacht bei Fehrbellin 1675 über die Nazi-Diktatur bis zur Studentenbewegung führt", wobei "Gerloff den Obrigkeitsgeist preußischer Prägung, wie ihn Kleist in seinem somnambulen Stück verhandelt, mit dem 'Dritten Reich' kurzschließt", berichtet Florian Welle für die Süddeutsche Zeitung (21.3.2016) aus Bamberg. "Damit bringt er nichts anderes als die alte und keineswegs unumstrittene These vom 'Deutschen Sonderweg' auf die Bühne", kritisiert der Rezensent, der vom Bamberger Assoziationsreigen im Ganzen merklich genervt ist. "Ansonsten wird auf Teufel komm raus gekalauert. Dabei wirkt das Ensemble, das zuletzt sehr federleicht agierte, recht steif und verkrampft. Ganz so, als wüsste niemand so recht, was der Regisseur eigentlich will."

 

Kommentare  
Prinz Friedrich von Homburg, Bamberg: Anspielmarathon
Leider verkommt der Abend zu einem Anspielmarathon, der den Blick auf die eigentliche Geschichte komplett verstellt. Wäre da nicht der Einspieler von Reich Ranicki man wüsste garnicht, um was es hier geht. Ob es daran liegt, dass der Regisseur das Stück nicht mochte oder sich in einer zu entrückten Interpretation verloren hat, mag ich nicht beurteilen. Ich selbst konnte mich zwar an den teils tollen Regieideen erfreuen, war aber spätestens nach der Pause ermüdet und wartete nur noch auf das Ende. Schlecht gemacht war das alles auf der Bühne nicht, aber es zeigt doch wieder, dass nicht jeder junge Regisseur das Feingefühl von Fritsch oder Castorf hat und nicht jeder ein Stück so zertrümmern kann, dass auch die bleibenden Ruinen spannend genug sind zum Verweilen.
Der Look, das Bühnenbild und die Musik waren super, aber ganz ohne Figuren, Geschichte und Bögen geht es dann doch nicht.
Schade!
Prinz von Homburg, Bamberg: erfrischend respektlos, aber inhaltsleer
Gerloffs Inszenierung sprüht vor assoziativen Querverweisen, ein Parforceritt durch die Untiefen der gedankenlosen Illustration, ein Flächenbombardement der Inhaltsleere. Witz reiht sich an Witz, Illustration an Illustration, Oberfläche an Oberfläche. Die Schnelligkeit und Vielfältigkeit mit der Gerloff die kleist'sche Sprache durch seine Schauspieler in leicht konsumierbare Petit Four verwandeln lässt, verhindert nicht nur eine Auseinandersetzung mit der gedanklichen Struktur des Textes oder gar mit der ganzer Figuren, sie macht auf Dauer auch resistent gegen Deutungsversuche. Und so haben auch die Spieler zu kämpfen, wenn sich ein kleist'scher Gedanke über mehr als die Dauer eines Atemzuges erstreckt. Aber schnell ist eine neue szenische Ablenkung konstruiert, die vergessen macht.
Gerloff verdeutlicht in seiner Interpretation des "Homburg", dass eine ernsthafte inhaltliche und thematische Auseinandersetzung in unserer Gesellschaft obsolet ist, er überlässt sie den (toten) Protagonisten eines (West-)Deutschland des 20. Jahrhunderts. Seine Querverweise zeugen von einer starken medialen Prägung, die er gekonnt einflicht und als Grundlage unseres Bildungsstandards voraussetzt (Martin Böttcher und Richard Wagner prägen unser musikalisches Empfinden in dieser Inszenierung gleichermaßen, ihre Musik webt einen dauerhaften Klangteppich, der das Gehör unempfindlich für Zwischentöne werden lässt).
Aus der - teilweise erfrischenden - Respektlosigkeit mit der Gerloff sich dem Text nähert, wird auf Dauer eine inhaltsfreie Bedeutungslosigkeit, die das Stück ignoriert und die Schauspieler zu Erfüllungsgehilfen einer mechanistisch determinierten Oberfläche verkommen lässt. Bewundernswert, wenn sie ihr Handwerk beherrschen, bedauernswert, wenn die Jonglage misslingt. Konsequent wäre die Auflösung des Spiels dann gewesen, wenn statt des kleinen Mädchens der kleine Regisseur seinen Prinzen eine gute Nacht gewünscht hätte.
Aber auch in dieser Inszenierung bezieht der Regisseur Stellung zur künstlerischen Notwendigkeit des Theaters und seines Anliegens an das Publikum: "Schlaft weiter und lasst euch nicht stören".
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